Читать книгу Ingeborg - Bernhard Kellermann - Страница 10
ОглавлениеDas alles sah ich ganz genau, während sich mein Herz zusammenzog.
Ingeborg bewegte einen Fuß, ich erschrak. Sie bewegte wieder einen Fuß, ich erschrak. Ja, nun stand sie auf. Wir gingen. Im Walde war es dunkeler geworden, immer dämmeriger wurde es. Der Himmel leuchtete rot wie Wein durch die düsteren Wipfel. Lang war unser Weg, wir sprachen nichts.
Ein Vogel zwitscherte. Ich lächelte. Ingeborg sah mich an.
„Ich muß an einen Traum denken, Fräulein Giselher,“ sagte ich. Ich sprach sehr schnell, ich wußte, daß ich nun sprechen konnte und die Freude durchrann mich. Ich fuhr fort. „Ich muß an einen Traum denken. Ich denke oft, was es doch für eine sonderbare Sache mit der Seele des Menschen ist. Heute denke ich nicht daran zu stehlen, aber morgen habe ich den Wunsch es zu tun und übermorgen tue ich es. Aber vor drei Tagen, da dachte ich noch nicht daran. Nun sitze ich im Gefängnis und denke über mich nach. Plötzlich fällt mir ein, daß ich schon zuweilen vom Stehlen geträumt habe. Ja, was sage ich da. Es paßt nicht hierher, ich wollte es auch nicht sagen, ich wollte sagen, unsere Seele hat ihre besonderen Wünsche, aber wir kennen sie nicht. Was wollte ich sagen? Ich wollte Ihnen von einem Traume erzählen, den ich hatte. Ich träume die sonderbarsten Dinge der Welt zusammen. Nun hören Sie, vor einigen Wochen träumte ich von einer Stimme. Welch eine Stimme war es doch! Berückend schön war sie. Ich liege im Bette und träume, daß ich im Bette liege und eine Stimme spricht zu mir. Sie sollen hören, wie sonderbar wir uns unterhielten, diese Stimme und ich. Diese Stimme sagte, daß sie nur mich wolle und keineswegs den Leuchter aus Bernstein und die Schuhe aus Perlmutter. Nein, nein, nur dich, sagte sie. Und ich lag und lächelte und verlor fast die Besinnung, so herrlich und berückend klang die Stimme. Dann sagte sie, daß wir eine Hütte am Strande haben würden, eine kleine Hütte. Du bist ja ein Fischer, sagte sie. Ein Feuer wird auf unserm Herde brennen und du wirst mir die Schuhe mit Fischschuppen bekleben. — Darauf antwortete ich ihr: ja! Ich werde am blauen Grunde des Meeres herumwandern und nach schönen Dingen für dich suchen. Vielleicht finde ich auch ein hübsches Messerchen für dich, sagte ich.“
Ich lächelte und fuhr ebenso hastig fort: „Die Stimme sagte darauf, ich solle mich vor den Sägefischen in acht nehmen, da drunten im Meere. — Haha! — Ich aber fuhr fort: einmal wird auch eine Kiste an den Strand geworfen und wenn wir sie aufbrechen, so fallen lauter alte Kronen heraus, goldene Reifen mit grünen und roten Steinen, Zepter und Spangen. Auch ein Haarpfeil ist für dich dabei. Darauf jubelte die Stimme und begann zu singen: ich erwachte und im Garten sang eine Nachtigall.“
Ich blickte auf Ingeborg und wartete darauf, daß sie etwas sagte. Aber Ingeborg bewegte keine Miene, schmal, gleichsam erfroren sah ihr Gesicht aus. Sie schüttelte den Kopf.
„Es sang eben ein Vogel im Walde, da mußte ich an die Stimme und den Traum denken,“ sagte ich.
„Ja, aber — ich verstehe den Zusammenhang nicht,“ entgegnete Ingeborg.
Die Falte zwischen ihren Brauen war tiefer geworden.
Zusammenhang? War kein Zusammenhang da?
„Ich mußte doch mein Lächeln begründen, Sie blickten mich an, dann glaubte ich Ihnen sagen zu müssen, weshalb ich lächelte. Es war vielleicht ungeschickt von mir.“ — —
Wir kamen an Graf Flüggens Schloß. Die Pfeiler des Gitters trugen Löwen aus Stein, die zwei Wappen vorhielten. Mit Moos bedeckt waren die Löwen, als habe man Kübel von Schlamm über sie gestülpt.
Ingeborg bot mir die Hand. Ich blickte sie an. Sie verstand meinen Blick recht gut. Sie senkte die Augen, dann sagte sie: „Ich habe Harry Usedom mein Wort gegeben.“
Ich verneigte mich. Ich verneigte mich tief, mein Unglück drückte mich nieder. Ich war voller Demut.
„Ich wünsche Ihnen Glück!“ sagte ich mit ruhiger, tiefer Stimme und nahm den Hut ab.
Ich ging . . . . .
Ich ging hinein in den Wald, stolperte hin und her, wußte nicht, ob ich nach rechts gehen sollte oder nach links. Es war auch einerlei.
Ich lachte leicht auf, wie einer der friert. Hahaha, lachte ich, hahaha!
Aber gleichzeitig hatte ich den Drang in mir, mich auf den Boden zu werfen und liegen zu bleiben.
Dann besann ich mich auf den Weg und steuerte meinem Hause zu.
Es war spät, die Sterne tauchten am Himmel auf.
Etwas Weißes saß auf der Treppe meines Hauses. Es war Ingeborg.
Sie erhob sich und eilte auf mich zu.
„Nein! Nein!“ rief sie.
Sie kam zu mir her, faßte leicht meinen Arm und blickte mir von unten herauf in die Augen. Wie war der Blick? Voller Suchen, voller Staunen, voller Glanz. Sie lächelte und schmiegte sich an mich.
Ich legte meinen Arm um sie und küßte sie auf den Mund.