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Einige Tage darauf traf ich Ingeborg wieder. Ich ging mit Pazzo durch den Wald. Es war in einem Laubgange, der sich schnurgerade durch den Buchenwald zog.

Sie kam langsam des Weges daher, sie schlenkerte die Arme und blickte nach rechts und links in den Wald hinein, als suche sie etwas. Wie neulich war sie ohne Hut und durchnäßt vom Tau. Sie trug etwas wie ein Kränzchen in der Hand. Sie sang halblaut, und erst als wir uns ganz nahe waren, schwieg sie still.

Sie sah schön aus, wie sie durch den Laubgang wandelte. Der Laubgang war mit grünem Lichte angefüllt und so kühl und feierlich wie nur die Klostergänge sind, durch deren Bogenfenster die Morgensonne flutet. In all dem grünen Lichte, in der Feierlichkeit wandelte sie, fast durchscheinend, gewebt aus Weiß, Weiß, etwas Gold und Rot.

„Guten Morgen!“ rief sie und ihre Augen strahlten.

Ich gab ihr die Hand. Ihre Hand war eisigkalt und ganz blau gefroren. Es war kühl. Auch ihr Gesicht war blau gefroren, schmal, und ihre Nase erschien spitzig und klein. Ein feiner Riß lief über ihre Wange.

„Heute ist es frisch, Fürst!“ sagte sie und schüttelte sich. „Ich bin seit fünf Uhr unterwegs. Man muß jetzt zeitig aufstehen, der Tag ist noch so kurz.“

Ich fragte sie, ob sie wohl den ganzen Tag spazieren ginge und sänge?

„Ja!“ erwiderte sie und lächelte und blickte mir in die Augen.

Dieses Lächeln verwirrte mich. Gewiß lächelte sie über mein grünes Hütchen, die hohen Stiefel, oder über meinen gestutzten Schnurrbart.

Man sah ihre oberen Zähne, wenn sie lächelte. Sie standen etwas vor.

Wohin sie gehe?

Sie beschrieb einen weiten Bogen mit der Hand und zuckte die Achseln.

„Ich weiß es nicht. Zuerst gehe ich da hinunter!“ Sie deutete in die Richtung, aus der ich gekommen war. Pazzo drehte den Kopf und blickte dem Finger nach.

Dort sei ein kleiner Bach, sie wolle sich umsehen, was er treibe.

Ich lächelte. Es freue mich, daß sie die Wälder von Edelhof liebe, sagte ich. Darauf achtete sie nicht. Sie blickte zu Boden und sah Pazzo aufmerksam an. Sie war um einen Kopf kleiner als ich, ich sah ihren schönen Scheitel. Schnurgerade war er. Mein Blick fiel auf ein goldenes Medaillon, das sie um den nackten Hals trug.

Sie schüttelte den Kopf.

„Wie klug Ihr Hund blickt, Fürst!“ sagte sie voller Verwunderung. „Er hat Augen wie ein Mensch.“

Pazzos Augen glänzten wie nasse Kastanien, er ließ die Zunge aus dem Maule hängen und atmete aufgeregt.

„Er ist schön. Wie heißt er?“

„Pazzo.“

Pazzo sprang steif auf die Beine und blickte von einem zum andern.

Ingeborg kauerte sich nieder und sagte: „Nun komm mal, schöner Pazzo!“ Und sie legte Pazzo das Kränzchen aus Anemonen um den Hals, das sie in der Hand trug. Pazzo kläffte vor Vergnügen und sprang hoch in die Luft.

Ingeborg lachte, sie stand auf. Sie blickte mich an.

„Wird er zur Jagd verwendet?“ fragte sie plötzlich voller Hast.

Er sei ein Jagdhund.

„O! — Ja, er hat Zähne spitz wie Dornen. Ich hasse Jagdhunde und Jäger!“ sagte sie und sie wurde ganz rot im Gesicht.

„Adieu, Fürst!“ sagte sie kurz.

„Adieu, Fräulein Giselher.“

Aber Ingeborg ging nicht sogleich, sie wandte sich zurück.

„Sie sagten vorhin, es freue Sie, daß ich die Wälder von Edelhof liebe. Weshalb sagten Sie dies?“

Ich lächelte, zog die kurze Pfeife aus der Tasche und steckte sie in Brand. Ich blinzelte durch den Rauch, wartete noch ein Weilchen, dann antwortete ich:

„So? Habe ich das gesagt? Nun das war albern, Sie haben recht. Jeder Gutsbesitzer hätte so etwas sagen können, der sich auf seine Wälder etwas einbildet.“

Ingeborg sah mich prüfend an. Es habe so geklungen —

Adieu, Fürst!

Adieu, Fräulein Giselher!

Im Walde rief ein Kuckuck. Ich ging meines Weges und lächelte in mich hinein. Der Laubgang war zwei Wegstunden von Ingeborgs Behausung entfernt, ich aber konnte ihn in zehn Minuten erreichen. —

Ich ging hin und her. Es war ein schöner Morgen. Tief drinnen im Walde wurde Pazzo unruhig und blickte ins Dickicht. Ich sah einen Mann durch das Dickicht eilen, der den Hut in der Hand hielt. Er trat auf den Weg heraus, schwang den Hut und tat, als ginge er spazieren. Es war ein schlanker, junger Mann mit samtschwarzen Haaren und einem bleichen Gesichte. Von weitem schon fielen mir seine Hände auf. Sie waren lang, bläulichweiß und feingegliedert. Es waren grausame Hände, die eine große Macht in sich trugen. An diesen Händen erkannte ich den jungen Mann. Es war Harry Usedom, der Geiger. Ich hatte ihn gute sechs Jahre nicht mehr gesehen, damals war er fast noch ein Knabe und ganz aus Samt, Samt sein Anzug, seine Haare, seine Augen und sein Gesicht. Auch sein Spiel war Samt, violetter seidenweicher Samt war sein Spiel, mit einem Orchideengeruch.

Ich verstand, natürlich. Jetzt begriff ich alles.

„Harry Usedom?“ sagte ich. Er hatte wohl an mir vorübergehen wollen, denn er heftete die Blicke zu Boden. Er wußte nicht, daß ich ihm eine große Freude machen wollte. Er wandte mir seine großen Augen zu, die wie Veilchen aussahen, und lächelte müde. Er hatte einen großen Mund, Ekel und Sünden. Aber er war schön. Wie eine bleiche Frau sah Harry Usedom aus mit schmalem, schlankem Kopfe.

Wir begrüßten uns und sprachen dies und jenes.

„Viele Grüße an Ihren Vater,“ sagte ich, „ist er noch leidend?“

„Ja.“

Harry Usedom hatte nicht Lust viel zu sprechen.

Ich lächelte, es sei mir eine Freude, ihn getroffen zu haben. Oft vergingen Tage und ich träfe keinen Menschen im Walde, heute habe ich schon zwei getroffen, ihn und vor kurzer Zeit eine junge Dame im Buchengang. Nun also, auf Wiedersehen!

Harry Usedom verbeugte sich und errötete. Er ging, ich stellte mich hinter einen Baum und blickte ihm nach. Er hielt den Kopf gesenkt, schwang den Hut, wie vorhin, und gab sich den Anschein, als setze er in aller Ruhe seine Promenade fort. Aber ich bemerkte wohl, daß er übernatürlich große Schritte machte.

Ich lachte.

Ich, Axel, der Patron der Liebenden! Einen Heiligenschein um den Kopf, Liebestränke in der Flasche!

Ich wünschte den beiden Glück.

Es ist Frühling und Gott will, daß sich die roten Münder finden!

Ingeborg

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