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Dies war unser erstes Gespräch. Dann sah ich sie lange Zeit nicht mehr, die Tochter des Holzfällers aus dem Walde. Ich lebte ruhig in meinem Hause im Bergwalde und es war Frühling. Hier und da kam sie mir in den Sinn: es rieselte so über ihre Wangen! Und als einmal meine Blicke auf die Türkise eines Schmuckes fielen, schwebten ihre Augen vor mir. Sie waren wie betaute Türkise.

Ich dachte nicht mehr an sie.

Ich lebte ruhig für mich in meinem Hause, ich streifte in den Wäldern umher.

Ich denke an dieses Haus und ein leiser Schmerz erfaßt mich. Es war ein totes Ding, gewiß, aber doch kam es mir beseelt vor. Ich sah es im Schnee, im Gewitter, in der heißen Sonne, immer sah es gleichmäßig ruhig aus. Es kam mir so tapfer vor.

Nun steht es nicht mehr. Wie eine Wunde wird es wohl aussehen im Bergwalde. Ich selbst habe dem Bergwalde diese Wunde geschlagen. In einer Nacht — Aber ich habe es nicht vergessen, es steht immer vor meinen Blicken. Es ist ein altes Jagdschloß, es sieht aus wie die Arche Noahs und ist ockergelb gestrichen. In der Sonne kann es wie golden durch die hohen Kastanien schimmern, es kann glühendrote Wangen bekommen gegen Abend, so sieht es aus.

Im Innern ist es kühl und still, die Gänge mit den vielen Türen sind schneeweiß.

Oft wandere ich in Gedanken noch durch diese schneeweißen Gänge, diese großen, kühlen Zimmer. Ich gehe hin und her, öffne die Türen, schließe sie. Ich blicke zum Fenster hinaus. Ich trete ein in die weißen Zimmer, begrüße sie mit einer Verneigung, lausche und lächle. Ich wische mit dem Finger den Staub von dem Schreibtische mit dem sonderbaren Löschblatt. Alles in Gedanken.

Ich öffne die schwere Haustüre und trete auf die Treppe. Ich stehe in einer schattigen Laube, die von den Wipfeln der Kastanien gebildet wird. Dicht vor mir liegt eine kleine Wiese, dann beginnt der Wald. Ich wende den Kopf nach links, nach rechts, Wald, Wald, Wald, soweit ich sehen kann, Wald und Hügelland. Die Bergstraße schlängelt sich an der kleinen Wiese entlang, dann stürzt sie sich ins Tal hinunter, sie bohrt sich in die Wälder hinein. Tief unten liegt das Tal, klein, schmal, ein feines Band zieht durch den Grund, darauf zappelt zuweilen etwas, das ist ein Wagen.

Ich blicke über das Tal, mein Blick fällt auf die Spitze eines Turmes, die, nicht größer als ein Bleistift, aus dem Walde drüben ragt. Das ist Rote Buche und hinter dem Berge liegt Hohe Fichte. Doch das sieht man nicht. Nun ist mir nur noch das Jagdschloß geblieben, aber es genügt mir vollauf. So oft ich die Turmspitze wahrnehme, lächle ich.

Angenehme Erinnerungen! —

Dieser Frühling war schöner als jeder andere, den ich erlebte. Er hatte eine eigentümliche Luft, sie zitterte nicht, sie regte sich nicht, sie lag wie ein einziger, großer Tautropfen auf dem Tale, klar und durchsichtig war sie. Sie besaß auch einen eigentümlichen Geschmack, ich verspürte ihn, so oft ich sie einatmete. Noch schmeckte sie nach Eis und schon schmeckte sie nach Honig.

Ich hatte keine Muße an das Mädchen zu denken, das eines Morgens angestiegen kam, als ich auf der Treppe saß und mich sonnte. Nein. Mein Herz war erfüllt von den kleinen Wundern um mich her. Ich ging herum und besah mir meine Herrlichkeiten. Ich sah dem Frühling in die schimmernden Augen.

Im Februar hatte ich schon nach den Spionen des Frühlings gefahndet. Ich schälte Ästchen ab, nein, es war noch nichts. Am vierzehnten Februar wälzte ich einen Stein vom Platze, und siehe da, ein kleiner schwarzer Käfer war darunter und bleiche Keime. Daß es der vierzehnte Februar war, weiß ich, weil ich an diesem Tage einen Brief von Freund Bluthaupt, dem Dichter, erhielt.

Dann kam der Südwind, mitten in der Nacht, und ich erwachte augenblicklich und lachte laut heraus vor Vergnügen. Das war ein Hallo im Walde, die Bäume schüttelten den Schlaf von sich und taten laut. Seitdem war ich auf dem Posten. Der Frühling kam aus der feuchten Erde, aus der Luft, er kam von überall her. Ich stand und lauschte: es rieselte und gluckste überall. Es war wie ein verstecktes Lachen unter dem faulenden Laube, man wußte, daß da drunten Dinge vor sich gingen. Es roch so wunderbar nach Erde und Wurzeln. Das Wasser der Bäche veränderte seinen Geschmack. Und — ah! — es schoben sich grüne Spitzen durch die Laubdecke. Was für ein Grün war es doch! Ich hatte ja ganz vergessen, daß es dieses Grün gab. Feuchtigkeit schlug aus den Buchenstämmen, überall regte es sich, eine stille Ergriffenheit lag auf allen Dingen. Ich entdeckte die erste Anemone. Siehst du, Pazzo? sagte ich zu meinem Hunde, und Pazzo betrachtete aufmerksam die Blume und seine Augen glänzten.

Dann ging es im Sturmschritt vorwärts, der Frühling fackelte nicht lange. Es grünte, es knospete. Allerlei billiges, wildes Kraut wuchs zuerst, dann kletterte das Grün in die Höhe, in die Sträucher und schließlich bis in die obersten Ästchen der Buchen. Die Knospen der Kastanien tropften, Züge schneller Vögel glitten hoch am Himmel über das Tal, ein Fink zog ein im Buchenwalde, und eines Tages schaukelte ein weißer Schmetterling über die Wiese! Hoho! rief ich und lachte.

Nun war der Frühling da. Ich hatte gesehen, wie er einzog, und doch schien es mir jeden Morgen, wenn ich aus dem Fenster blickte und all das, all das sah, als sei er über Nacht gekommen.

Ich schüttelte den Kopf, ich konnte es nicht fassen.

Die Erde erfaßte ein Rausch, ein Taumel, sie lachte.

Eines Tages nun, da blühten die Apfelbäume an der Bergstraße . . . Sie marschierten die Straße hinab und ich begriff nicht, warum sie nicht auch noch sangen und sich schwenkten wie Fahnen.

Das schönste, was ich besaß, das war ein kleiner blühender Apfelbaum. Der stand an der Parkmauer, und ich verliebte mich jedes Frühjahr in ihn. Als ich ihn zum ersten Mal ansah, zog es leicht an meinem Herzen und mein Atem setzte eine Weile aus. Er war schön und klein, lieblich, wie eine geschmückte kleine Prinzessin sah er aus, weiß in weiß, eine kleine schlanke Prinzessin, auf die alle Augen gerichtet sind und die nicht weiß, wie schön sie ist, und daß alle Leute nichts tun als an sie denken Tag und Nacht.

Ich war glücklich und blickte in mein Herz. Da war nichts als Freude und Verwunderung.

Häufig setzte ich mich ins Gras und besah mir eine Stelle, nicht größer als die Hand. Das schwebte! Das war so kunstvoll und mannigfaltig. Ich sah mir diese handgroße Stelle an und schüttelte den Kopf, und ich begriff nichts, und eine eigentümliche Rührung zog durch meinen ganzen Körper, von den Zehen bis zum Kopfe. Großer Gott, wie hast du das ersinnen können? — Und Gott lächelte aus dem kleinsten Halme.

Es war alles so wunderbar, und ich lauschte auf meine Atemzüge. So wunderbar waren meine Atemzüge. Ich lebte. So wunderbar war dies. Ich ging in den Wald und sang, um nicht weinen zu müssen.

Das war der Frühling.

Zuweilen kam der Frühling auch des Nachts zu mir, in meine Träume, und ich lachte viel im Traume. Verliebte und kuriose Abenteuer erlebte ich da. Das war der Frühling, natürlich. Sicherlich war der Frühling auch schuld daran, daß ich mich in die rothaarige Liselotte, eine geborene Weikersbach, verliebte. Sie war längst tot, sie lag drunten in der Dorfkirche, aber ihr Bild hing in meinem Zimmer. Sie blickte mir nach, wohin ich auch ging. Sie lächelte. Sie hatte viele Sommersprossen und eine bläulichweiße Haut. Im Traume küßte ich sie oft. Komme, Axel, rief sie, er ist in die Stadt gefahren, um einen Schmuck für mich zu kaufen. Am Morgen darauf lächelte sie.

Der Frühling hatte mir sein süßes Gift in die Adern eingespritzt, das war es.

Oft stand ich lange Zeit am Waldesrande und blickte auf das Haus und dachte: Kommt Liselotte heraus im Reifrock und ihr Gemahl mit Perücke und Schnallenschuhen? Und ich wartete, obschon ich wußte, daß Liselotte und ihr Gemahl längst tot waren. Auch das kam wohl vom Frühling, daß ich wartete auf das Unmögliche.

Die Luft war es, die alles zum Märchen werden ließ! Mir kam es vor als blickte ich in ein wunderliches Bilderbuch mit sonderbaren Figuren, und unter einer stünde: das ist Axel. — — — — — — — — —

In einer Nacht erwachte ich mit dem Gefühle des Glückes: Eine Stimme sang im Walde.

Ich richtete mich auf und lauschte. Es war ganz schwarz um mich, Sternchen flimmerten in der Dunkelheit.

Es sang. Die Stimme schwebte in der Nacht.

Wachte ich? Träumte ich?

Die Stimme entfernte sich und schwieg plötzlich.

Es war eine Stunde nach Mitternacht, das Sternbild des Orion sank in den Wald.

Ich setzte mich im Hemde auf das Fenstergesims.

Mitternachtsluft.

Ingeborg

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