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ОглавлениеErstes Kapitel:
Der Widerstreit inhaltlich-materialer und dynamischer Grundlegung eines Verständnisses der Gottebenbildlichkeit des Menschen im philosophischen und theologischen Diskurs
1. ETHIK UNTER PLURALEN VORAUSSETZUNGEN
Alfred North Whitehead hat in seinem philosophischen Werk darauf hingewiesen, dass menschliches Denken und menschliche Kultur von bewussten und unbewussten Abstraktionen gesteuert werden: „Wir können nicht ohne Abstraktion denken; deshalb ist es von äußerster Wichtigkeit, unsere Abstraktionsweisen sehr sorgfältig zu überprüfen. […] Eine Zivilisation, die ihre herkömmlichen Abstraktionen nicht durchbrechen kann, ist nach einer sehr begrenzten Zeit des Fortschritts zur Sterilität verurteilt.“1 Aus dieser Überlegung kann man folgern, dass die unser menschliches Denken und Verhalten bestimmenden Abstraktionen auch in Bereichen des religiösen Lebens, der Theologien und der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Themen der Religion aufzudecken und gegebenenfalls zu revidieren sind. Bei dieser Revision handelt es sich um eine interdisziplinäre Angelegenheit, da die gebräuchlichen Abstraktionen jeweils in mehreren Kontexten verortet und operativ sind.2
Dabei ist es in einer säkularen Kultur und Gesellschaft natürlich keineswegs selbstverständlich Leitkonzeptionen an biblischen Texten zu orientieren. Vielmehr besteht die Unsicherheit, auf welche Theorien überhaupt zurückgegriffen werden kann und soll. Weist man beispielsweise auf, wie weit sich das zeitgenössische Verständnis der Gottebenbildlichkeit und der Menschenwürde von den wichtigsten biblischen Belegstellen entfernt hat und somit unsicher wird, wie man eine theologische Leitkonzeption bzw. Abstraktion begründen kann, so besteht einerseits zumindest die Möglichkeit einen weiten Abstand vom biblischen Ausgangspunkt einzunehmen und vielleicht sogar relativistisch zu argumentieren. Andererseits kann man aber auch die positiven Veränderungspotenziale der biblischen Texte für Leitkonzeptionen betrachten, welche die Chance in sich bergen, steril gewordenen Abstraktionen wieder ins Leben zu helfen.
1.1 Pluralität, Widerstreit und Kompromiss
„Wir machen deshalb einen Fehler, wenn wir eine einzige Definition des Menschlichen oder ein einziges Modell der Rationalität für die bestimmende Charakteristik des Menschlichen halten und dann von diesem anerkannten Verständnis des Menschlichen auf alle seine verschiedenen kulturellen Formen schließen. […] Auf das zu stoßen, was für manche wie ein Grenzfall des Menschlichen wirkt, ist eine Herausforderung, das Menschliche neu zu denken. […] Eine kritische Wirkungsweise jener demokratischen Kultur besteht darin, […] eine Reihe unvereinbarer und sich überschneidender Rahmen in den Blick kommen zu lassen, die Herausforderung der kulturellen Übersetzung anzunehmen, und besonders solche Herausforderungen, die entstehen, weil wir selbst in nächster Nähe zu denen leben, deren Überzeugungen und Werte unsere eigenen auf einer sehr grundsätzlichen Ebene in Frage stellen. […] Es ist […] eine fortwährende Aufgabe, das Menschliche neu zu denken, wenn sich herausstellt, dass dessen vermeintliche Universalität keinen universellen Geltungsbereich hat. Die Frage, wer menschenwürdig behandelt werden wird, setzt voraus, dass wir zunächst die Frage geklärt haben, wer als ein Mensch zählt und wer nicht.“3
Für die Theologie als Akteurin innerhalb der pluralen Gesellschaft4 stellt sich daher die Frage, wie christlich-ethische Positionen in der Öffentlichkeit entwickelt, artikuliert und übersetzt werden können. Die Voraussetzungen hierfür sind dabei durchaus kritisch zu beurteilen, um „die Vermutung der Homogenität innerhalb der einzelnen Weltanschauungsgemeinschaften nicht zu überdehnen. Die Pluralität der Gesellschaft reicht weit in diese einzelnen ‚communities‘ hinein und bewirkt seit langem – wenngleich in gewissen Grenzen – eine innere Pluralisierung auch der als relativ homogen geltenden gesellschaftlichen Kräfte wie z. B. der katholischen Kirche […]. Die darin angezeigte Entwicklung wirft weit reichende Fragen bezüglich der Chancen und Ressourcen zur Verständigung über Werte und Ziele gesellschaftlichen Handelns auf. Zum anderen ist die Diskussion um geeignete Verfahren der ethischen Verständigung unter Pluralitätsbedingungen aufzunehmen“5. Weiter stellt sich aus gesellschaftlicher Perspektive einerseits die Frage, ob überhaupt der Bedarf an einer Übersetzung religiöser Begriffe und Positionen aus der „überweltlichen“ in die „innerweltliche“ Sphäre besteht und andererseits aus theologischer Perspektive, ob eine solche Übersetzung erfolgversprechend sein kann, oder ob nicht gerade die normativen Begriffe der großen Weltreligionen „die unauslöschlichen Spuren primitiver gesellschaftlicher Verhältnisse tragen, die längst nicht mehr bestehen […]“ und somit jeder Versuch „diese Begriffe in die Sprache der profanen Vernunft zu überführen […] letzten Endes den Verrat ihres ursprünglichen religiösen Gehalts [bedeutet | BK]“6, nämlich des Transzendenzbezuges.7 Außerdem stellt sich die Frage, wann eine Übersetzung als gelungen betrachtet werden kann, da man davon ausgehen muss, dass es eine restlose Übersetzung nicht geben kann. Deswegen scheint es sinnvoll weniger von einem Paradigma des Übersetzens, als von dem einer Transposition moralisch-ethischer Elemente des Religiösen in eine säkulare moralisch-ethische Sprache auszugehen. Hinzu tritt hier der Vorteil, dass somit die Kooperation von Menschen mit und ohne religiöser Tradition unterstrichen wird, da Verständigung zwischen „beiden Gruppierungen“ dann zustande kommt, wenn beide zustimmen können, weil sie sich in ihren Anliegen getroffen fühlen. „Der in dieser Kooperation enthaltene Wechsel zwischen der Innenposition des Glaubens und der Außenposition zur Religion weist […] schließlich die Richtung, um der Idee einer ‚Übersetzung‘ zwischen einem Glaubens- und einem nicht-religiösen Standpunkt etwas abzugewinnen und dabei gleichzeitig dem Problem der Reduktion religiöser Semantik auf kognitive Gehalte zu begegnen.“8
Häufig wird außerdem angesichts der zunehmenden Pluralisierung der Ruf nach einem gesellschaftlichen Grundkonsens laut, womit ausgedrückt werden soll, dass es einer Verständigung über eine geteilte Wertgrundlage innerhalb einer Gesellschaft bedarf, um den sozialen und politischen Frieden innerhalb einer Gesellschaft zu erhalten. Die Frage ist, ob es einen derartigen materialen Grundkonsens unter den gegebenen Gesellschaftlichen Bedingungen überhaupt noch geben kann – oder geben darf. Vielleicht ist es sinnvoll unter den geschilderten Bedingungen eher von einer Gesellschaft oder „Kultur des Kompromisses“9, als von einer Konsenskultur zu sprechen. Marianne Heimbach-Steins zufolge kommt dem Kompromiss als „Verfahren handlungsorientierter Verständigung trotz bleibender Dissense“ eine herausragende gesellschaftliche Bedeutung zu, da der Kompromiss die Pluralität einer Gesellschaft respektieren und als Herausforderung für die Gestaltung des Zusammenlebens annehmen kann, „ohne dass dies zum Identitätsverlust der handelnden (individuellen oder kollektiven) Subjekte führen darf“, womit gleichzeitig etwas über Chance und Schwierigkeit des Kompromisses zum Ausdruck kommt. Der Kompromiss, so Heimbach-Steins, bildet eine Art Analogon zu den partizipatorischen Strukturen politischer Entscheidung und zugleich ein Korrektiv zum Mehrheitsprinzip der Demokratie. Seine Grenzen findet der Kompromiss in der Orientierung am Gemeinwohl: Das Ziel, die Bedingungen für die Entfaltung der Gesellschaftsmitglieder zu optimieren, „also dem Personwohl aller einzelnen Geltung zu verschaffen, setzt einer Kultur des Kompromisses offensichtlich Grenzen. Sie werden immer dort erreicht, wo Werte oder Ansprüche miteinander konkurrieren, die nicht ohne weiteres gegeneinander ausgleichsfähig erscheinen; dies betrifft namentlich sittliche Werte“10. Wie aber sind diese Grenzen in einer pluralen Gesellschaft ausfindig zu machen bzw. wie kann eine „ethische Wahrheit“ entdeckt werden, die ja nicht statisch erscheint, sondern in einem unbegrenzten und unabschließbaren Prozess stets neu ermittelt werden muss? Hier kann eine Definition des Begriffs „Kompromiss“ hilfreich sein: Ein Kompromiss kann „bestimmt werden als eine zivilisierte Form der Auseinandersetzung bzw. der konstruktiven Bearbeitung von Dissensen mit dem Ziel, unter Anerkennung fortbestehender Differenz zwischen den Beteiligten einen handlungsorientierten Konsens zu erreichen“. Bei einem Kompromiss kann es also nicht um definitive Wertentscheidungen, sondern „um geschichtlich überholbare, handlungsbezogene Entscheide auf der Basis des je jetzt bestmöglich Einsichtigen“11 gehen.
1.2 Bedingungen einer (post)modernen Ethik
In moderner, pluraler Gesellschaft besteht somit die Notwendigkeit für die Ethik, sich in den Denk- und Erfahrungskategorien der jeweiligen Gegenwart auszudrücken. Die theologische Ethik kann – sowohl in ihrer moraltheologischen als auch in ihrer sozialethischen Ausprägung – zu diesem gegenwärtigen Ausdruck beitragen, wenn sie sich als eine Teilnehmerin an einer gemeinsamen und gesamtgesellschaftlichen Aufgabe und Zielstellung versteht und von daher profiliert, da „die Abhängigkeit der Moral von der jeweiligen Kultur […] ein empirisches, ethnologisch, rechts- und kultursoziologisch ausweisbares Faktum“12 ist.
1.2.1 Prinzipien moderner (theologischer) Ethik
Moderne (westliche) Kulturen sind Kulturen der Freiheit. In diesen Kulturen „verändert sich die traditionelle Vorstellung von Moral grundlegend. Moral ist verantwortliche Freiheit. Sie tritt nicht als Einschränkung der Freiheit auf, sondern muss in ihrem Zusammenhang mit Freiheitsverwirklichung und als Kultivierung von Freiheit verstanden werden. Anstelle einer durch Tradition, Autorität und Gesellschaftskonformität getragenen und legitimierten normativen Ordnung wird Moral zum Projekt von in Freiheit angenommener Verantwortung […]“13.
Ethik kann zeitgenössisch außerdem nur noch als autonome Ethik, d. h. als auf praktischer Vernunft basierte Verantwortungsethik verstanden werden. Normative Gültigkeit einer ethischen Norm ergibt sich dann auch nicht mehr aus den Faktoren Tradition oder Autorität, sondern aus der Richtigkeit des durch diese Faktoren Tradierten. Daraus ergibt sich wiederum, dass Traditionen aufgrund ihres Vermögens beurteilt werden müssen, „die universale Respektierung der menschlichen Würde zu verwirklichen. […] Tradition wird gemessen an der Ethik, und nicht die Ethik an der Tradition“14. Werte und Normen erlangen ihre Plausibilität immer nur innerhalb eines konkreten, gelebten und reflektierten Kontextes.
Eine solche Auffassung von Ethik und Moral wird dann auch von einem bestimmten Geschichtsverständnis grundiert, welches sich nicht als Fortschrittsmodell, sondern als Modell bezeichnen lässt, welches geschichtliche Veränderungen anerkennt, sich aber des wertenden Urteils im Sinne einer Fortschritts- oder Niedergangstheorie enthält. Dieses Geschichtsverständnis lässt sich als „strukturelles Transformationsmodell“ bezeichnen. Der Sinn solcher beschreibenden Gesellschaftsanalysen kann allerdings nicht darin bestehen, gänzlich auf eine Bewertung gesellschaftlicher Entwicklungen zu verzichten.15 Faktoren für diese Bewertung müssen dabei die Berücksichtigung der durchgängigen Veränderbarkeit und somit die Vorläufigkeit gesellschaftlicher Entwicklungen, deren Pluralität, also die Gleichzeitigkeit mehrerer Gesellschaftsentwürfe und die Komplexität moderner Gesellschaften, d. h. deren tendenzielle Unüberschaubarkeit darstellen.16 Konkret schlägt K.-W. Merks folgende Kriterien zur Bewertung der Fortschrittlichkeit oder Rückschrittlichkeit konkreter Lösungen ethischer Probleme vor:17
- Autonomie der Ethik | Eine Theorie der Moral muss in modernen Gesellschaften die Eigenständigkeit ihrer ethischen Fragestellungen „in ihrer Eigenheit gegenüber technokratischen Automatismen zur Geltung zu bringen“18. Somit besteht Fortschrittlichkeit von Moral nicht in einer Adaption von technischem oder wissenschaftlichem Fortschritt, sondern in der Aufrechterhaltung moralischer Autonomie – nicht Kontextlosigkeit – gegenüber diesen Faktoren. Außerdem ist im normativen Sinn nur ein weltliches Ethos denkbar, dass über dem der Religionen und dem verschiedener Ideologien steht, damit die Kulturtranszendenz und -bindung der Ethik gleichzeitig abgrenz- und legitimierbar wird.19
- Subjektivität | Moral muss den sittlichen Kern der Wende zum Subjekt integrieren, weil dies der Würde des Menschen, sein Leben in Freiheit zu verantworten, einzig entsprechend ist. Dafür ist es notwendig, dass eine moderne Moral diesen Kern in ihren Strukturen deutlich halten und in ihrer normativen Theorie beherzigen kann.
- Verantwortung für die Strukturen | Da moderne Gesellschaften immer weniger auf traditionelle Bestände und Ressourcen zurückgreifen können, werden Institutionen und Strukturen zunehmend von Menschen abhängig. Neben die Verantwortung für das Handeln tritt also in modernen Gesellschaften die Verantwortung für die Normen des Zusammenlebens und dessen gesellschaftliche Institutionen und Strukturen. Gerade die Bereitschaft und Fähigkeit zu dieser Verantwortungsübernahme kann ein Indikator für den Fortschritt der Moral in der Moderne sein.
- Veränderlichkeit | Eine zu einer höchst wandelbaren und innovatorischen Gesellschaft passende Moral muss fähig sein, auf diese gesellschaftlichen Wandlungen, Veränderungen und Entwicklungen einzugehen. Eine moderne Moral sollte also Flexibilität und Korrekturoffenheit aufweisen. Darüber hinaus bilden konkrete Sittlichkeitserfahrungen und -reflexionen einen weiteren wichtigen Faktor für Veränderungen innerhalb eines ethischen Systems.20
- Komplexität | Moderne Gesellschaften bilden hoch komplexe Gebilde aus sich überlagernden Prozessen dar, deren Steuerung wiederum komplexer Systeme bedarf und nur partiell möglich ist. Ein beschränktes Maß an „Sicherheit in Diagnose und Prognose, in der Abschätzung von Ursache und Folgen“21 bilden den Status quo ethischen Urteilens und Handelns. Für die Findung moralischer Normen und Regeln bringt diese Diagnose die Konsequenz mit sich, sich mit einer gewissen Vorläufigkeit und Revdierbarkeit abfinden zu müssen. Von zentraler Bedeutung für eine moderne Ethik wird daher die Fähigkeit zum verantworteten Kompromiss sein.
- Neue Dimensionen | Die gegenwärtige moralische Situation zeichnet sich durch eine dreifache Ausweitung menschlicher Verantwortung auf den Kontext der einen Welt, die Umwelt und die Gestaltung von Zukunft aus. Fortschritt von Moral zeigt sich in diesem erweiterten Rahmen an der Fähigkeit zur Innovation, d. h. an den Fähigkeiten moralische Fragen in mundialem Zusammenhang zu beantworten, eine Anthropozentrik zu durchbrechen und nachhaltige Entscheidungen zu treffen.
- Universalität | Eine Gesellschaft ist in dem Maße moralisch fortschrittlich, in welchem sie es vermag die Grenzen eines Gruppenethos zu überwinden und weniger nach Gruppenbelangen, als nach universal gültigen ethischen Grundsätzen zu suchen. Dies bedeutet auch eine „primäre Anerkennung aller Menschen in ihrem gleichen Recht auf sittliche Selbstbestimmung und eine Lebensgestaltung in einer eigenen kulturellen Identität“22.
- Pluralität | In der Bewegung hin zu einer Welt lässt sich auch eine neue Wertschätzung von Vielfalt erkennen. Moral muss im Rahmen eines gemeinsamen Fundamentalkonsenses in der Lage sein, diese Pluralität und partielle Lebensformen zu integrieren. Auch hier dürfte der Modus des Kompromisses wiederum eine Rolle spielen, um zu einem gesellschaftlichen Fundamentalkonsens zu gelangen, womit nicht die Hinwendung zu einem Postulat der Einheitsvernunft gemeint ist, die auf die heutigen philosophischen und gesellschaftlichen Herausforderungen nicht mehr angemessen reagieren kann.23
- Demokratie und Partizipation | Moralischer Fortschritt erweist sich daran, wie demokratische Informations- und Entscheidungsprozesse für die ethische Urteilsbildung fruchtbar gemacht werden und möglichst viele Menschen, im Sinne einer zunehmenden Inklusion, an diesen Urteilsbildungen teilnehmen und an deren Ergebnissen partizipieren können.
Die Konsequenz hieraus ist, dass die Menschen jeder Zeit selber mit ihren Erfahrungen für die Definition von Gut und Böse, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit eintreten müssen. Auch die theologische Ethik hat als Maßstäbe keine umfassenden Entwürfe zur Hand, sondern muss und darf sich mit den Prinzipien konkreter Menschlichkeit zufriedengeben. Dieses Prinzip erkennt auch das kirchliche Lehramt an, wenn es in der Konzilserklärung über die Religionsfreiheit Dignitatis humanae erklärt, dass zwischen der Wahrheit und der menschlichen Person eine intime Freiheitsbeziehung besteht, die durch keine allgemeine Rationalisierung, kein Dogma, keine moralische Norm ersetzt werden kann. Die Freiheit des Subjekts, seine Würde, kann nicht mehr hintergangen werden.24 Dadurch kommt es auch zu einem wachsenden Bewusstsein des Rechts auf Pluralität in ethischen Fragen und somit nicht zu einer Aufhebung der Frage nach dem Guten, seinen Bedingungen und seiner Gestaltung, sondern zu einer Herausforderung und Pointierung.25
„Die Einheit der Moral besteht in einheitsstiftenden Grundsätzen, und nicht in einer positivistischen Übereinkunft der konkreten Normen.“26
Diese einheitsstiftenden Grundsätze liegen einerseits in der Universalität des Menschseins als solchem mit seinen fundamentalen moralisch-anthropologischen Implikationen und andererseits in den Kulturen und Individuen übersteigenden empirischen Grundlagen von Moral und Ethik, wie z. B. im grundlegenden menschlichen Bedürfnis nach Anerkennung: „In unserem tiefsten Inneren möchten wir mit unseren Lebensentwürfen von anderen nicht nur in Frieden gelassen werden, sondern wir wünschen respektiert zu werden, d. h. die anderen sollen zu uns ‚ja‘ sagen können. […] Der neuzeitlich, abendländische Individualismus kann dazu verführen, über der Ich-Faszination die grundlegende Gemeinschaftlichkeit im Menschsein zu vergessen, über sie hinweg zu sehen. Doch lebt auch er letztlich aus der freien Anerkennung der gleichen Würde aller.“27 Ziel muss eine Kultur der Kulturen, eine interkulturelle Ethik sein, die sich durch folgende Thesen umreißen lässt:28
- Anerkennung des Zusammenlebens | Der Wille zum Zusammenleben bildet eine conditio sine qua non, da ohne ihn überhaupt keine soziale Existenz möglich ist. Dies bringt auch eine Wachsamkeit gegenüber Tendenzen mit sich, die diesen Willen – wohlgemerkt aus sehr unterschiedlichen Motiven – untergraben, sowie gegenüber sozialen Bedingungen und politischem Handeln, die die Chancen zum Zusammenleben verbauen oder erschweren.
- Anerkennung der materiellen und sozialen Voraussetzungen | Um das Zusammenleben einer Gesellschaft zu ermöglichen bedarf es materieller und sozialer Grundlagen, die die Voraussetzung einer gesellschaftlichen Partizipation und Integration durch und von Subjekten bilden.
- Anerkennung der zentralen Bedeutung der Person | Alle Menschen müssen als Subjekte und zentraler Bezugspunkt einer gesellschaftlich-moralischen Ordnung anerkannt werden. Diese Anerkennung bildet oberstes formales und materiales Prinzip einer modernen Moral und gesellschaftlichen (Rechts)Ordnung.
- Anerkennung einer gemeinsamen Rechtsordnung | Rechtsordnungen bilden neben der materiellen Basis die institutionelle Grundlage einer Gesellschaft und regeln das Zusammenleben von Menschen. Für plurale Gesellschaften muss es sich dabei um eine Rechtsordnung handeln, die nicht konfessionell oder religiös ausgerichtet oder gebunden ist, da sie allen Recht verschaffen und vor Unrecht schützen sollte. Sie kann somit eine das Zusammenleben ermöglichende Ordnung schaffen, indem sie einerseits das Gemeinsam-Erforderliche und andererseits Freiheit und Vielfalt garantiert.
1.2.2 Sprachphilosophie: Dynamische Vagheit und Kohärenz des Diskurses
Einen inneren Zusammenhang weisen diese für eine (post)moderne Ethik aufgezeigten Prinzipien mit der postmodernen Sprachkritik auf, da Moral und Ethik nur in und durch Sprache und somit Geschichte existent sein können. Insbesondere Ludwig Wittgenstein und Richard Rorty können hier herangezogen werden:
Ludwig Wittgenstein29 wendet sich gegen den philosophischen Begriff der Bedeutung und plädiert für die „Gebrauchstheorie der Bedeutung“, wonach alle sprachlichen Ausdrücke ihre Bedeutung ihrer Rolle in einem Sprachspiel verdanken. Deswegen kann es keine verwendungsunabhängige Bedeutung von Sprache geben. Außerdem bringt Wittgenstein den Terminus der Familienähnlichkeit ein, wonach Gegenstände nicht deshalb unter einen Begriff fallen, weil sie eine bestimmte Anzahl von Merkmalen teilen, sondern weil sie ein „kompliziertes Netz von Ähnlichkeiten, die einander übergreifen und kreuzen“30 aufweisen. Hjalmar Wennerberg führt diesen Begriff der Familienähnlichkeit in seiner Interpretation fort und erweitert ihn, indem er davon ausgeht, dass Begriffe nicht nur in statischer, sondern auch in dynamischer Hinsicht vage sind. Statische Vagheit bezeichnet den Umstand, dass Begriffe unscharfe Ränder haben, weshalb im Einzelfall fraglich werden kann, ob ein Gegenstand unter einen Begriff fällt, oder nicht. Ertragreich ist aber seine Auffassung von dynamischer Vagheit, wonach die Klasse der Gegenstände, die unter einen Begriff fällt einer Evolution unterliegt. Daraus lässt sich die Konsequenz ziehen, dass die Klasse der unter einen Begriff fallenden Gegenstände niemals abgeschlossen ist und dass es deshalb immer wieder der Entscheidung bedarf, ob ein neu auftauchender Gegenstand einem Begriff zugeordnet wird, oder nicht. Dieses evolutiv-dynamische Moment ist in gewissem Sinne absolut, weswegen letztendlich kein zeitstabiles und abschließendes Kriterium für die Subsumtion von Gegenständen unter einen Begriff genannt werden kann und somit von Einzelfall zu Einzelfall entschieden werden muss.31 Hierfür lässt sich wiederum Wittgensteins Begriff der Lebensform fruchtbar machen, der davon ausgeht, dass sich Begriffe (Sprache und Sprachspiele) in Abhängigkeit von sozialen Umständen entwickeln.32
Auch die Überlegungen Richard Rortys33 sind in Bezug auf die Prämissen moderner Ethik weiterführend.34 Er geht davon aus, dass Sprachen, d. h. Sprachspiele und Vokabulare, in einem historisch-kontingenten Prozess entstehen. Wahrheit ist eine Eigenschaft von Sätzen, die Teil dieses Prozesses sind und unterliegt somit derselben Kontingenz wie der gesamte Sprachprozess.
„Was unter der Ägide eines bestimmten historisch-kontingenten Vokabulars wahr ist, ist falsch, sobald sich ein neues Vokabular etabliert hat. Die Entstehung eines neuen Vokabulars vollzieht sich nicht aufgrund eines Abgleichs des alten Vokabulars mit der Wirklichkeit und der daraus folgenden Erkenntnis der Inadäquatheit jenes Vokabulars, sondern in einem kulturellen bzw. gesellschaftlichen Prozess. Erkenntnis und Wahrheit sind damit – ebenso wie die Sprache, von der sie abhängen – kontingent, sie sind ein Produkt von ‚time and chance‘.“35
Außerdem geht Rorty davon aus, dass es keinen Standpunkt außerhalb eines gegenwärtig historisch-kontingenten Vokabulars, kein Metavokabular gibt, mit dem man verschiedene Vokabulare vergleichen, oder einen Wechsel von einem zum anderen Vokabular begründen kann. Auch Rortys Sprachverständnis ist dynamisch, evolutiv und in die Zukunft unendlich offen. Somit kann es kein zeitstabiles und kontextinvariantes Kriterium bereithalten, mit dessen Hilfe korrekte Anwendungen überprüft werden könnten. Jeder Sprachanwender entscheidet über die Beibehaltung eines ursprünglichen oder die Übernahme eines neuen Vokabulars. Es lassen sich somit also auch keine zeitstabilen, nicht-kontingenten sprachlichen Konventionen festlegen, die den korrekten Gebrauch von Worten abstrakt festlegen, weil schon der Versuch dazu selbst Teil des Prozesses ist. Es kann sich also immer erst im Nachhinein zeigen, ob ein Sprachgebrauch korrekt war, ob er sich durchsetzt. Damit wird aber auch für eine Ethik bzw. Moral die Vorstellung einer statischen Beziehung zwischen einer moralischen Aussage bzw. Norm und der Klasse der von ihr erfassten Gegenstände zumindest problematisiert da sich diese Beziehung maßgeblich im Rahmen eines historisch-kontingenten und niemals abgeschlossenen Prozesses entwickelt. Diese dynamische Vagheit von Begriffen lässt sich außerdem noch in einem weitergehenden Sinne interpretieren: Wenn neue Gegenstände unter einen Begriff subsumiert werden, dann ist davon auszugehen, dass auch der Begriff durch die Gegenstände beeinflusst wird, insbesondere dann, wenn durch den neuen Gegenstand Eigenschaften hinzukommen, die bisher bei keinem der subsumierten Gegenstände vorhanden waren. Es liegt also eine wechselseitige Rekursivität zwischen Gegenständen und Begriffen vor.36
Bedeutung befindet sich in einer natürlichen Sprache also ständig im Wandel. Definitionen und die Klasse der von ihnen erfassten Gegenstände beeinflussen sich permanent wechselseitig. Als Konsequenz hieraus folgt die Notwendigkeit einer Entscheidung, wobei der Bedeutungskonflikt vom sprachverwendenden Subjekt entschieden werden muss. Damit verbunden ist aber auch die Überlegung, dass im Konfliktfall um die Gültigkeit einer Aussage, sobald also Argumente erforderlich werden, eine ‚rein sprachliche‘ Argumentation als taugliches Mittel zur Begründung einer Auslegungshypothese ausscheidet, da es schlichtweg an Kriterien mangelt, „anhand derer jenseits des Evidenz- bzw. Höchstwahrscheinlichkeitsbereichs ‚korrekter‘ oder ‚zulässiger‘ Sprachgebrauch von ‚weniger korrektem‘ oder ‚zulässigem‘ unterschieden werden könnte.“37
Damit wird allerdings auch die Existenz von a priori gegebenen Prinzipien fraglich, die im Streitfall den Zugang zur wirklichen Natur der Sache und bspw. die Klärung von Streitfällen gewährleisten können, da kein Prinzip als ahistorisches Phänomen schon immer gegeben war. Jean-Francois Lyotard bezeichnet solche Streitfälle als „Widerstreite“, d. h. als Streite der Form, bei denen es unmöglich ist, sie durch einen Rekurs auf übergeordnete Regeln zu lösen, die den Streitparteien gemeinsam wäre.38 Alle moralischen, ethischen und rechtlichen Prinzipien, „die wir heute mit guten Gründen als kulturelle Errungenschaften bezeichnen dürfen, haben vielmehr eine spezifische Genealogie. Werden sie aus dieser herausgerissen und zu abstrakten Entitäten hypostasiert, können die daraus geformten neutralen Prinzipien für Argumente herangezogen werden, die eben jener Historie Hohn sprechen.“39 Eine ontologisierende Prinzipienlogik droht somit den Blick dafür zu verlieren, dass ethische Prinzipien und Institute stets als Reaktionen auf bestimmte historische Zustände und unter bestimmten historischen Entstehungsbedingungen zustande gekommen sind.40
Rorty schlägt an dieser Stelle das Konzept eines „ironischen Behaviorismus“ vor, das davon ausgeht, dass sich (ethische) Diskurse auf ein historisch-kontingentes letztes Vokabular zurückfuhren lassen, für das es keine nichtzirkuläre Begründung gibt. Die Fälle, in denen nach einem Konflikt um die Bedeutung von Begriffen und einem Austausch aller Argumente konträre Positionen bestehen bleiben, werden „teilinkommensurable Positionen“ genannt. Sie sind deswegen teilinkommensurabel, weil alle Diskursteilnehmer auf ein gemeinsames Bezugssystem zurückgehen könnten, so z. B. das Grundvokabular des demokratischen Rechtsstaates. Allerdings liegt auch genau hier ein Unterscheid bspw. zur klassischen Diskurstheorie: durch den fortschreitenden Diskurs kommt es nicht zu einer Reduzierung, sondern zur Steigerung der Komplexität von Aussagen.41
Dies führt aber – trotz der Paradoxie, dass Begründungen unumgänglich und gleichzeitig unmöglich sind – nicht zu einem Relativismus. So sind die Bindungen im Diskurs nicht gegenständlicher, sondern pragmatischer Art, d. h. nicht alle Propositionen im Diskurs können beliebig miteinander verbunden werden. Wer eine bestimmte Grenze überschreitet, die allerdings nicht präzise beschreibbar ist, der wird im Diskurs nicht anschlussfähig sein. Was der Diskurs in diesem Sinne verlangt und was damit seine pragmatische Bindung ausmacht, ist das Erfordernis einer stimmigen Begründung einer Entscheidung vor dem Hintergrund des geltenden Vokabulars bzw. der konstruierten Sprache. Entscheidungen müssen argumentativ mit anderen Elementen des bisherigen Diskurses verknüpft werden. Damit ist die Stimmigkeit bzw. die Kohärenz des Diskurses „not a fact, but an achievement“. Dies ist eine Konsequenz einer nicht-ontologischen Position.“42
Sehr pointiert wird dies von Zygmunt Bauman zusammengefasst43, der davon ausgeht, dass eine Gesellschaft den Status der Autonomie erreicht hat, wenn sie weiß, dass es keine gesicherte Bedeutung gibt, dass sie selbst auf der Oberfläche des Chaos lebt, dass sie selbst Chaos auf der Suche nach einer Form ist, aber einer Form, die nie für immer fest und fixiert ist. Das Fehlen garantierter Bedeutungen – absoluter Wahrheiten, natürlicher Unterscheidungen zwischen richtig und falsch – ist die conditio sine qua non sowohl einer autonomen Gesellschaft als auch freier Individuen. Somit beruhen auch alle Sicherheiten, die Demokratie und Individualität bieten, nicht auf dem Kampf gegen die endemische Kontingenz und Ungewissheit der menschlichen Existenz, sondern auf deren „ungeschminkter Anerkennung“ und der Auseinandersetzung mit ihnen. Diese ungeschminkte Anerkennung und deren Konsequenz eines Lebens mit einer Vielzahl konkurrierender Werte, Normen und Lebensstile, ohne die Garantie es selbst richtig zu machen, ist gefährlich und fordert einen hohen psychischen Preis, da Menschen zur kompensatorischen Schutzreaktion großer Vereinfachungen neigen. „[…] unaufgefordert fallen wir in regressive Phantasien vom Typ Mutterleib und ummauerter Festung zurück.“44
1.3 Fazit: Eine hermeneutisch orientierte Lebenswelttheorie
Nach dem bisher Gesagten erweist sich eine Konzeption bzw. ein Verständnis von (theologischer) Ethik als hermeneutische und somit schwach normative Theorie als zentrale Annahme, d. h. als Theorie, die das Verstehen dessen leisten will, was individuell verschieden bleibt und nicht einfach unter universelle Regeln zu subsumieren ist. Damit ist auch die Einbettung und Kontextualisierung subjektiver Verantwortung in bereits laufende Diskurse über Werte und Normen zu verstehen, wodurch die individuelle Wahl einerseits nicht restlos determiniert, andererseits aber auch nicht vollkommen autonom getroffen werden muss.45 Hermeneutische Ethik geht davon aus, dass es keine eindeutigen Lösungen für alle denkbaren Probleme gibt, da Menschen über keinen absoluten, material formulierbaren Maßstab verfügen – und hält dies nicht für einen Nachteil. Im Gegenteil: durch diese hermeneutische Offenheit bleibt eine stete Rückbindung von Theorien der Moral an Alltagserfahrungen als Ort der Bewährung begrifflicher Anstrengungen möglich. Damit ist sie gleichzeitig an die Autorität individueller Erfahrungen gebunden und steht autoritativen Fixierungen kritisch gegenüber bzw. wirkt sich als deren Korrektiv aus, da sie soziale Gebilde und Überlieferungen als Konstrukte versteht, deren Genese prinzipiell rational nachvollziehbar sein muss, um mit einem Anspruch auf Geltung oder Normierung verknüpft werden zu können. Der hermeneutisch-ethische Prozess ist deswegen auch grundlegend intersubjektiv ausgerichtet, d. h. er geht nicht von einer absoluten Autonomie des Subjekts bzw. von einer vollständig autarken Schöpfung ethischer oder moralischer Geltungsansprüche aus, hat aber andererseits Respekt vor Differenzen und vermeidet die Einebnung des moraltheoretischen Pluralismus.46 Damit lässt sich auch ethisches Denken in der Tradition Gianni Vattimos als „schwaches Denken“47 kennzeichnen – und natürlich auch kritisieren –, das sich nicht in die Erkenntnis ewiger Wahrheiten versteigt, sondern die „nihilistische Berufung der Hermeneutik“ ernst nimmt, wonach „Wahrheit Interpretation ist, das heißt, dass jede Verifikation oder Falsifikation von Urteilen nur im Horizont einer vorausgehenden, nicht transzendentalen, sondern ererbten Entschlossenheit erfolgen kann“, was die „Auflösung der Wahrheit als endgültiger und ‚objektiver‘ Evidenz“ bedeutet.48 Ein hermeneutischer, interpretierender Ansatz geht damit über die Annahmen des Überlieferten hinaus, da sich Traditionen im Prozess ihrer Rezeption verändern, „so dass der rückwärts gewandte Blick keine Garantie dafür bietet, an den unversehrten Kern einer ursprünglichen Wahrheit zu gelangen […]“49. Unter diesen Vorzeichen kann eine (theologische) Ethik, die sich als schwach normative und hermeneutisch orientierte Lebenswelttheorie versteht, ihren Anteil an der Arbeit der Ideologiekritik leisten, die im Namen der Gewissensfreiheit die Pluralisierung von Überzeugungen begrüßt und sich sensibel für Bevormundungen und Verletzungen jeder Art erweist, wodurch sie zur besseren Gestaltung eines immer fragmentarischen und in mancher Hinsicht „beschädigt“ bleibenden menschlichen Handelns beiträgt.50 Das mögliche Ziel der besseren Gestaltung menschlichen Lebens besteht dann darin, „die sachliche und existentielle Vielfalt durchzustehen und zur Geltung zu bringen, um eine dieser Offenheit innewohnende Menschlichkeit ausschöpfen und für das Gelingen des Lebens gestalten zu können“51.
2. ANERKENNUNGSTHEORETISCHE ANSÄTZE ALS GANGBARER WEG: FORMALES KONZEPT POSTTRADITIONALER SITTLICHKEIT
Im Verlauf dieser Arbeit soll nun zunächst gezeigt werden, dass ethische Entwürfe, die sich in der Tradition anerkennungstheoretischer Ansätze bewegen mit den aufgeführten, pluralen Voraussetzungen einer zeitgenössischen Ethik und darüber hinaus auch mit den umrissenen Voraussetzungen einer modernen (theologischen) Ethik kompatibel sind.
Historisch betrachtet hat die Anerkennungstheorie eine Reihe von Vorläufern. Beginnen kann man eine Aufzählung durchaus mit der klassisch-griechischen Vorstellung der Freundschaft, die im Renaissancehumanismus wiederentdeckt und in der Aufklärung präzise analysiert wurde. Vor allem aber wird der Ursprung der Anerkennungstheorie im deutschen Idealismus, insbesondere im Werk Fichtes und Hegels verortet werden müssen. Marx hat die dort gewonnenen Erkenntnisse aufgegriffen und sie im Hinblick auf den identitätsbildenden und auch entstellenden Charakter der kapitalistischen Produktionsverhältnisse neu formuliert. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Anerkennungsbegriff vor allem von psychoanalytischen Schulen und der entwicklungspsychologischen Forschung aufgegriffen, die beide die zentrale Bedeutung der Intersubjektivität betonten. Einen zusätzlichen Impuls brachte der linguistic turn in der analytischen Philosophie des 20. Jahrhunderts ein, welcher durch die Theorie des kommunikativen Handelns auf die sprachliche Konstitution von Subjekt und Gesellschaft einging. Zwei wichtige zeitgenössische Strömungen, die ihre Impulse aus den anerkennungstheoretischen Überlegungen Hegels beziehen waren und sind der Feminismus der zweiten und dritten Generation und die durch die soziopolitischen Herausforderungen multiethnischer Gesellschaften geprägte Spezifizierung des Anerkennungsbegriffs, die die rechtlichen und sozialen Ansprüche verschiedener Gruppierungen und Minderheiten zu begreifen versucht.52
Inhaltlich weist die Anerkennungstheorie als Moraltheorie Verbindungen zu verschiedenen philosophischen Strömungen auf. So einerseits zum Neoaristotelismus, da sie ihre Aufmerksamkeit auf den konstitutiven Zusammenhang von gesellschaftlichen Umständen, Bildung und Entwicklung eines guten Lebens richtet. Darüber hinaus gibt es auch Anleihen beim Konsequentialismus. Nicht im Sinne eines einfachen Präferenzutilitarismus, wohl aber in der Bewertung des Ausmaßes, in welchem der größten Anzahl von Individuen umfassende Formen der Selbstverwirklichung möglich sind. Auch werden Elemente der kantischen Philosophie aufgegriffen, indem der Anspruch erhoben wird normative Bewertungen erklären und begründen zu müssen und zwar unter der Prämisse, dass sie weder kulturell noch sozial kontingent sind.53
Zu ihrer charakteristischen Ausprägung findet die Anerkennungstheorie in der Verbindung von Hegelscher Analyse intersubjektiver Anerkennungsbeziehungen, moralischer Phänomenologie erfahrener Missachtung, Darstellung der intersubjektiven Voraussetzungen der Ontogenese und einer theoretischen Begründung des intersubjektiven Charakters der Rechtfertigung von Geltungsansprüchen. Das Resultat dieser Melange stellt eine moralorientierte philosophische Anthropologie dar, die mit Erklärungs- und Rechtfertigungsansprüchen der politischen Philosophie und der Sozialtheorie verknüpft ist und „in aufschlussreicher Weise unterscheiden kann zwischen drei verschiedenen Formen intersubjektiver Anerkennung – typisiert als Liebe, Achtung und Wertschätzung –, deren Verhältnis zur Entwicklung verschiedener Formen der Selbstbeziehung und den verschiedenen Typen sozialer Beziehungen, welche die Entwicklung einer ganzheitlichen und gesunden personalen Identität befördern oder behindern“54.
2.1 Anerkennung als (motivationale) Ressource formal-prozeduraler Ethikkonzeptionen
Axel Honneths intersubjektivistische Theorie der Anerkennung existiert als eine Variante neben bspw. der interkulturellen Theorie der Anerkennung von Charles Taylor und der Theorie der subjektivierenden Anerkennung von Louis Althusser und Judith Butler. Sie kann auch als anthropologisch grundiert bezeichnet werden, da Honneth in der Notwendigkeit der intersubjektiven Anerkennung die Bedingung für ein authentisches, autonomes Selbstverhältnis sieht. Honneth geht von der Voraussetzung aus, dass Individuen nur mit anderen zu einem Bewusstsein ihrer selbst gelangen, nur ein gelingendes Selbstverhältnis ausbilden können, wenn andere Menschen und gesellschaftliche Institutionen ihnen ein positives Selbstbildnis vermitteln. Anerkennung ist also als Voraussetzung eines gelungenen Selbstverhältnisses ein menschliches Grundbedürfnis.
Damit ist gleichzeitig eine unhintergehbare und fundamentale Motivation für die Entstehung von Vergesellschaftung gegeben. Vergesellschaftung, das Soziale nimmt hiernach seinen Ausgang also beim Subjekt, weswegen Kritiker anmerken, dass somit die Eigendynamik des Sozialen unterbestimmt bleibt (deswegen auch die Rede von der intersubjektivistischen Ausrichtung der Anerkennungstheorie Axel Honneths).55 Anstelle der Anerkennung lediglich der Rechtsperson, wie in liberalen politischen (Gerechtigkeits-)Theorien, zielt Honneth auf die ganze Person. Verbunden damit ist eine Kritik an einer rein formalen Theorie der Moral,56 die er durch eine normativ gehaltvolle Gesellschaftstheorie bzw. durch eine formale Theorie des Guten ergänzen möchte.57 Diese Ergänzung wird von Honneth vor allem in der Auseinandersetzung mit der Diskursethik Habermas‘ vorgenommen, die in ihrer Trennung von Gerechtem und Gutem zwar auf der konzeptionellen Ebene, nicht aber in der Realisierung trägt, indem Honneth die Diskursethik um einen Anerkennungsbegriff zu ergänzen bzw. zu fundieren sucht, der eine dem moralisch-praktischen Diskurs genealogisch vorausliegende Ermöglichungsbedingung bildet.58
Axel Honneth hält außerdem die moralische Sensibilität für eine zentrale Gattungskompetenz von Menschen, wohingegen Jürgen Habermas mit seiner Diskurstheorie sie in der Fähigkeit zur argumentativen Verständigung festmacht. Kein Subjekt – so die Kritik Honneths – empfindet allerdings moralisches Unrecht, weil bestimmte Argumentationsregeln nicht eingehalten werden59 und moralische Erfahrungen entstehen nicht in der Einschränkung von Sprachkompetenzen60.
Honneth kritisiert den Ansatz Habermas‘ also insofern, als er den formalen Prozeduralismus der Diskurstheorie für zu uniformativ hält, um Phänomene und Missstände einer modernen Gesellschaft angemessen erfassen zu können. Nicht eine ideologiekritische Demokratietheorie, sondern eine Theorie, die die Anerkennungserwartungen von Individuen rekonstruiert und „das von Habermas entwickelte Kommunikationsparadigma stärker auf seine intersubjektivitätstheoretischen, ja soziologischen Voraussetzung hin“61 entfaltet hält er für geeignet die Motivation zu erfassen, die Menschen dazu bewegt für eine Veränderung des gesellschaftlich-sozialen Status quo zu kämpfen: nicht verzerrte Kommunikationsverhältnisse, sondern ungerecht erfahrene Verletzungen von Identitätsansprüchen motivieren diese Kämpfe um Anerkennung.
2.2 Axel Honneths Programm einer (intersubjektivistischen) Anerkennungstheorie
Honneth baut seine Theorie wesentlich auf zwei Systemen auf: Der Sittlichkeitskonzeption Hegels, welcher er die Idee entnimmt, dass intersubjektive Anerkennung konstitutiv für die menschliche Identitätsbildung ist und der Sozialpsychologie Meads, welcher er die nachmetaphysische, materialistische und empirisch orientierte Konkretion dieser Form der Selbstwerdung entnimmt.
2.2.1 Der Vater des Gedankens: Begierde, Negation, Kampf und Anerkennung bei Hegel
Seinen Ausgang nimmt Honneth mit der Rekonstruktion der Jenaer Schriften Hegels, dessen Idee eines moralisch motivierten Kampfes um Anerkennung ihm für die Konzeptionierung einer normativ gehaltvollen Gesellschaftstheorie, als grundlegend erscheint.62 Danach ist die Etablierung moderner Gesellschaften als Prozess einer Ausdifferenzierung verschiedener Sphären der Anerkennung zu beschreiben. Anerkennung bringt zum Ausdruck, dass die andere, anerkannte Person Geltung besitzen soll und außerdem Quelle von legitimen Ansprüchen ist. Die Anerkennung des Anderen wird darüber hinaus zur Bedingung der eigenen Anerkennung, d. h. sie ist reziprok.63 Mit dem Begriff der Anerkennung soll Aufschluss darüber gewonnen werden, welche Antriebe die Gesellschaftsmitglieder zur Übernahme sozialer Verpflichtung bewegen. Diese Antriebe, so folgert Honneth mit Talcott Parsons, liegen darin, dass jeder Mensch an der Wahrung einer Form von Selbstachtung interessiert ist, die auf Anerkennung durch ihrerseits anerkannte Interaktionspartner zurückzuführen ist. Die Achtung von Menschen zu verlieren, die man selber achtet stellt dementsprechend einen empfindlichen Rückschlag für die eigene Selbstachtung dar. Die Anerkennungskonzeption geht aber über die individuelle Sphäre hinaus und sieht auch gesellschaftliche Institutionen als von Praktiken und Ordnungen der Anerkennung abhängig. Soziale Sphären sind also immer schon Anerkennungsverhältnisse, in denen man sich nicht bewegen kann, ohne zumindest implizit auf jeweils institutionalisierte Anerkennungsprinzipien zurückzugreifen. Daraus ergeben sich dann zwei Akzentsetzungen für eine Gesellschaftstheorie: Gesellschaftliche Subsysteme und Institutionen müssen zum einen als ausdifferenzierte, um Normen der reziproken Achtung konstruierte Handlungssphären begriffen werden, weil sie die ihnen innewohnenden Pflichten und Verantwortlichkeiten vor allem aus dem Streben nach sozialer Anerkennung heraus erfüllen. Normen und Werte, die in diesen Institutionen gültig sind müssen also Standards bereitstellen, mit deren Hilfe sich die Teilnehmer wechselseitig anerkennen können. Zum anderen nimmt die Beschreibung sozialer Konflikte eine neue Form an, da sie, um auf Hegels Denkfigur zurückzukommen, als ein Kampf um Anerkennung begriffen werden, als Ringen um Neubewertung, Neuinterpretation oder Neuformulierung der in der jeweiligen Sphäre geltenden Anerkennungsnormen. Honneth möchte mit diesem Begriff des Kampfes um Anerkennung soziale Konflikte in Gesellschaften entschlüsseln, um darauf aufbauend die normativen Grundlagen einer Gesellschaftstheorie zu entwickeln.64
Hegel übernimmt den Begriff der Anerkennung von Fichte, der ihm als begriffliches Mittel dient, die interne Struktur sittlicher Verhältnisse unter den Menschen theoretisch zu bestimmen und der bereits betont, dass sich das vernünftige Selbstbewusstsein eines Menschen nur durch eine reziprok angelegte Beziehung zwischen den Subjekten ausbilden kann. Fichte hatte in seiner Schrift „Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre“ Anerkennung als eine dem Rechtsverhältnis zugrundeliegende Wechselwirkung zwischen Individuen aufgefasst: die wechselseitige Aufforderung zu freiem Handeln und die damit korrespondierende Beschränkung der eigenen Handlungssphäre zugunsten des Anderen führt zur Bildung eines gemeinsamen Bewusstseins zwischen den Subjekten, das dann im Rechtsverhältnis objektive Geltung erlangt.65
Hegel greift diesen Ansatz des Selbstbewusstseins auf. Auch er nimmt an, dass das Subjekt nur dann zu einem Bewusstsein seines eigenen Selbst gelangen kann, wenn es mit anderen Subjekten in ein Verhältnis der Anerkennung tritt. Diese Annahme führt ihn über historisierende oder soziologisierende Deutungen auf Grundsätzlicheres hinaus, da ihm an der Anerkennung als quasi transzendentalem Faktum und damit als Voraussetzung menschlicher Sozialität gelegen ist. Dies bedeutet in der Interpretation Hegels, dass das Subjekt aus seiner Selbstbezüglichkeit der bloßen Begierde herausgetreten ist und sich der Abhängigkeit von seinem sozialen Gegenüber bewusst wird,66 was er über eine Kritik an Kant und Fichte verdeutlicht:
„Nunmehr aber ist dies entstanden, was in diesen früheren Verhältnissen nicht zu Stande kam, nämlich eine Gewißheit, welche ihrer Wahrheit gleich ist; denn die Gewißheit ist sich selbst ihr Gegenstand, und das Bewußtsein ist sich selbst das Wahre.“67
Zunächst erkennen Subjekte, dass alles generische Wissen und alles Wissen über Dispositionen und Möglichkeiten nicht rein passiv wahrgenommen, sondern aktiv vom Bewusstsein konstituiert wird. Das Selbst ist also jenes, welches sich abstrakt seiner wirklichkeitskonstituierenden Wirkung bewusst ist. Dieses Bewusstsein reicht nun allerdings nicht aus, damit sich das Individuum seiner synthetisierenden und bestimmenden Aktivität versichern kann, da es einer Rückkehr aus dem Anderssein zu sich selbst ähnelt. Es ist noch nicht Selbst-Bewusstsein.
Hegel schließt sich dem Verständnis Fichtes vom Selbstbewusstsein als volitionaler Einstellung an und denkt Selbstbewusstsein in einem Subjekt-Objekt-Modell, d. h. sich selbst als ein wollendes Subjekt zu begreifen, das seine Absichten in Handlungen realisiert, setzt die Annahme einer vom Wollen unabhängigen Realität voraus. Innerhalb dieses Subjekt-Objekt-Modells wird die Annahme eines selbstständigen Objekts zum integralen Bestandteil des Selbstbewusstseins, da ein Subjekt im Akt der direkten Selbstbezugnahme sich selbst als reines Ich zum Gegenstand hat.68 Anders ausgedrückt: Als Bewusstsein ist das Selbstbewusstsein zunächst Begierde und verfolgt in der Begierde „die Selbsterhaltung seiner Ichheit in der Vernichtung der Gegenständlichkeit, die ihm des Negative, Unwesentliche ist“69. Damit ist das Selbstbewusstsein zuerst nichts anderes, als das seiner selbst bewusste Leben, „also eine höhere Form des Lebens, nämlich das menschliche Leben, das das seiner selbst nicht bewusste Leben der Natur zur Voraussetzung hat“70.
Damit existieren im hegelschen Ansatz also zwei Bewusstseine: Das eine ist zunächst das Selbstbewusstsein, welches sich im Vollzug auf das Selbst als Objekt richtet, welches also ein Verhältnis referentiellen Bezugs von mir als Vollzugsobjekt auf ein Bezugssubjekt herstellt. Im Selbstbewusstsein ist das Selbst Gegenstand des Bewusstseins. Das „andere Bewusstsein“ ist
„das von meinem Selbstbewusstsein im Vollzug zum Gegenstand meines selbstbezüglichen Urteilens oder Denkens erklärte Bewusstsein. […] Im reflektierenden Denken vollziehe ich in der Tat Akte, mit denen ich mich auf mich selbst beziehen möchte. […]“71.
Die sich nun stellende Frage ist, wie ein solcher Selbstbezug möglich ist, wenn eine Einheit von Bewusstsein und Selbstbewusstsein, von Vollzug des Denkens und Wissens gewahrt sein soll, da ich „weder einfach Vollzugsobjekt noch einfach Objekt des Wissensaktes“72 bin.
Dieser Einheit nähert sich Hegel über den Begriff der Begierde, welche die Grundform aller volitionalen Einstellungen und zugleich notwendiges Implikat von Selbstbewusstsein bildet: Die unmittelbare Selbstbeziehung des Bewusstseins lebendiger Wesen stellt sich in der Perzeption von Begierden dieses Wesens dar, die befriedigt werden können. In der Begierde und ihrer subjektiven Befriedigung findet sich „schon eine auf eine richtige Befriedigung durch Objekte der Welt ausgerichtete Subjektivität“73. Hieraus gewinnt Hegel die Erkenntnis, dass auch jede theoretische Selbstbeziehung in einem praktischen Selbstverhältnis gründet „und dieses immer auf die Befriedigung einer externen Bedingung abzielt, selbst dann, wenn ich selbst vermeintlich der denkende und urteilende ‚Herr‘ dieser Bedingung und der Kontrolle ihrer Erfüllung bin oder zu sein scheine“74. In der Haltung der Begierde vergewissert sich das Individuum seiner selbst als eines lebendigen Bewusstseins, welches mit aller Wirklichkeit die Eigenschaften des Lebens teilt, ihr aber darin überlegen ist, dass jene von ihm als Bewusstsein abhängig bleibt. Der Mensch erfährt sich also in der Begierde als Teil der Natur, als Bewusstsein, das auf die Befriedigung elementarer, organischer Bedürfnisse angewiesen ist. Gleichzeitig, solange er sich als bedürfnisbefriedigendes Wesen versteht, „im Rahmen seiner Begierde tätig ist, besitzt er ein unmittelbares Wissen von seiner Doppelnatur, die ihn zugleich innerhalb wie außerhalb der Natur stehen lässt“75. Die Triebbefriedigung ist also nicht negativ zu sehen, sondern spielt eine wichtige Rolle in der Erzeugung eines Selbstbewusstseins, welches dem vorangegangenen, ersten Bewusstsein überlegen ist und beide „Bewusstseine“ miteinander verbindet, eine wichtige Rolle. Dies deswegen, da das Bewusstsein sich durch sie nicht mehr bloß punktuell erfährt, sondern ihm in der Befriedigung seiner Begierde die unmittelbare Gewissheit seiner selbst ist, „das mit seiner mentalen Aktivität exzentrisch in die Natur versetzt ist“76.
Dennoch reicht auch die mit der Triebbefriedigung verbundene Erfahrung des Selbstbewusstseins noch nicht aus, da darin eine Selbsttäuschung enthalten ist, die darin besteht, dass das Individuum in der Befriedigung der Begierde „die Erfahrung von der Selbständigkeit seines Gegenstandes“77 macht. Das Individuum, das durch den triebgesteuerten Verzehr seiner Umwelt versucht die Gewissheit zu erlangen, dass die ihm entgegenstehende Wirklichkeit Produkt seiner eigenen Gedankentätigkeit ist, kann nämlich das Objekt, auf das sich seine Begierde bezieht, in deren Befriedigung nicht aufheben. Die Wirklichkeit kann nicht von ihm verzehrt werden, da sie unabhängig von ihm besteht. Ein Aufheben der Begierde, ihrer Negation in der Befriedigung, könnte also einerseits dadurch geschehen, dass sich die Begierde selbst aufhebt, also nicht mehr vorhanden ist, oder andererseits dadurch, dass der Zustand, durch den die Begierde befriedigt wird, eine solche Gestalt annimmt, die die Begierde zum Schweigen bringt. Diese Gestalt wird dann erreicht, wenn das Subjekt auf ein Element der Wirklichkeit stößt, welches in umgekehrter Weise versucht das nach Befriedigung suchende Subjekt zu verzehren, also die von ihm geleistete Negation an ihm selbst auszuführen.78 Obwohl hier nicht der Raum ist Hegels Gedankengang in extenso wiederzugeben kann man in der bisher geführten Argumentation den Hinweis drauf entdecken, dass das Subjekt auf ein anderes Subjekt, ein anderes Bewusstsein treffen muss, da nur dieses in der Lage ist von sich aus eine Negation auszuführen. Wenn das Selbstbewusstsein in seiner Begierde die Erfahrung der Selbstständigkeit des Lebens macht, dann macht es gleichzeitig die Erfahrung, dass es seine Befriedigung nicht in der Begierde, d. h. in der Aufhebung, Vernichtung und Zerstörung lebendiger Gegenstände der Natur finden kann, „sondern in einem lebendigen Gegenstand, der ihm in seiner Struktur entspricht, d. h. in einem anderen lebendigen Selbstbewusstsein“79. So schreibt Hegel auch:
„Das Selbstbewusstsein erreicht seine Befriedigung nur in einem anderen Selbstbewusstsein.“80
Im Anderen begegnet dem Selbstbewusstsein nun nicht mehr ein Fremdes, sondern sein eigenes Wesen. Die Befriedigung durch die Begegnung mit diesem Anderen ist deswegen darin gegeben, dass das zweite Subjekt eine Negation, eine Selbstdezentrierung nur deswegen vollzieht, weil es dem ersten Subjekt begegnet. Dem ersten Subjekt tut sich damit ein Element der Wirklichkeit auf, welches allein aufgrund seiner Präsenz den eigenen Zustand verändert. Durch diesen Akt der Selbstbeschränkung ergibt sich die Erfahrung einer wesentlichen Abhängigkeit vom anderen Subjekt und zwar einer reziproken Abhängigkeit, weil als Konsequenz aus der Selbstnegation des zweiten Subjekts, auch eine Negation des ersten erfolgt, sobald es dieses „Artgenossen“ ansichtig wird. „Beide Subjekte müssen wechselseitig in dem Augenblick, in dem sie sich begegnen, gegenüber sich selbst eine Negation vollziehen, die in der Abstandnahme vom jeweils Eigenen besteht.“81
Genau dieser Vorgang wird von Hegel als Anerkennung bezeichnet. In der intersubjektiven Begegnung ereignet sich eine Selbstbeschränkung der Individuen, in der das Ego in der Selbstbeschränkung des Alter eine Aktivität erkennen kann, in der sein Selbst eine Veränderung der Wirklichkeit hervorruft und in gewissem Sinne eine neue Wirklichkeit erzeugt. In diesem Sinne kann die von Hegel beschriebene Anerkennungsbeziehung auch als dialektische bezeichnet werden, da jede Seite die andere setzt bzw. impliziert und sie gleichzeitig negiert, d. h. sich selbst durch Verneinung konstituiert. Diese widersprüchliche Struktur müssen die Individuen durch eine zunehmende Differenzierung ihrer Beziehung überwinden, in welcher die Begriffe und Relationen in komplexere überführt werden, die sowohl die Ein- als auch die Ausschlussbeziehungen beinhalten. Hegel spricht hier auch von einer doppelsinnigen Beziehung, da jedes selbstbewusste Wesen seine Identität in einem anderen, ebenso selbstbewussten Wesen hat, dem es folglich auch Bewusstseinseigenschaften zuschreiben muss und das ihm seine eigenen bestätigt, dessen Andersheit seiner selbst das Subjekt aber gleichzeitig negieren muss. „Es muss sich durch Ausgrenzen wiedergewinnen und das andere dadurch zugleich ‚frei entlassen‘.“82 Hegel entfaltet diese Bewegung der Anerkennung in drei Phasen, die jeweils in sich doppelsinnig sind:83 Zunächst erfährt das Selbstbewusstsein in der direkten Begegnung mit einem anderen Selbstbewusstsein, dass es nicht ein Solitäres auf der Welt ist. Dieses Anderssein des Selbstbewusstseins weist den Doppelsinn auf, dass es sich 1.) selbst verliert, weil es sich selbst nur als Anderes findet und dass es 2.) das Andere nicht als selbstständiges Wesen ansieht, weil es im Anderen nur sich selbst sieht. Dieses selbstverlorene Sich-selbst-Finden im Anderen vereinnahmt diesen Anderen gleichzeitig. Da dieses selbstverlorene Sich-selbst-Finden im Anderen dem selbstständigen Selbstbewusstsein nicht gerecht wird, muss das Selbstbewusstsein sein Anderssein aufheben, wobei auch in dieser zweiten Phase des Aufhebens eine Doppelsinnigkeit besteht: Wenn das Selbstbewusstsein 1.) darauf aus ist, die Selbstständigkeit des anderen Wesens aufzuheben, dann hebt es sich 2.) selbst auf, da es ja dieses Andere ist. Damit wird deutlich, dass es für das Selbstbewusstsein nicht bei dieser Aufhebung des Anderen bleiben kann, weswegen die dritte, doppelsinnige Phase von Hegel als doppelsinnige Rückkehr des Selbstbewusstseins in sich selbst gefasst wird. In dieser Phase erhält das Selbstbewusstsein 1.) durch das Aufheben des Andersseins sich selbst zurück und lässt 2.) durch diese Rückkehr zu sich selbst das Andere wieder frei und ermöglicht ihm so ein selbstständiges Wesen zu sein. Der Begriff der Anerkennung besteht bei Hegel also „aus einer Dialektik des Sich-selbst-Findens im Anderen und der Distanzierung vom Anderen […]. Anerkennung ist für Hegel eine Synthese aus Assimilation und Distanz“84. Hegel macht darüber hinaus deutlich, dass Anerkennung symmetrisch-reziprok und reflexiv angelegt ist, da Subjekte sich nicht nur gegenseitig anerkennen, sondern sich gegenseitig als anerkennend anerkennen.85 Allerdings führt dieser Prozess der Entstehung des Selbstbewusstseins nicht unmittelbar in eine vernünftige Welt geteilter Gründe. Die Erzeugung eines solchen Raumes findet in der Theorie Hegels erst durch den Kampf statt, den die Subjekte aufgrund ihrer Einsicht in ihre wechselseitige Abhängigkeit führen müssen. Das Charakteristikum des phänomenologischen Anerkennungsbegriffs besteht darin, dass Anerkennung in einer Stufenfolge der Erfahrungen defizitärer Anerkennungsverhältnisse realisiert wird, in einem Kampf um Anerkennung.86
Dieser Kampf um Anerkennung ist die Folge der Detranszendentalisierung der Anerkennung. Ein Subjekt lernt Teile seiner eigenen Identität kennen und setzt diese dem Anderen wiederum in dem Maße als Unverwechselbares entgegen, in dem es sich in seinen Fähigkeiten und Eigenschaften durch ein anderes Subjekt anerkannt weiß. In dieser Logik liegt nun eine weitere Stufe bzw. Dynamik: dadurch, dass Subjekte im sittlichen Verhältnis der reziproken Anerkennung stets etwas Neues über ihre eigene Identität erfahren, müssen sie die erreichte Stufe der Sittlichkeit auf konflikthafte Weise wieder verlassen bzw. überschreiten, um zu einer weiteren, anspruchsvolleren Anerkennung ihrer Identität zu gelangen. Damit ist das Anerkennungsverhältnis, welche einem sittlichen Verhältnis zwischen Subjekten zugrunde liegt, durch einen Prozess der sich ablösenden Schritte von Versöhnung und Konflikt gekennzeichnet.87 Damit ist dieses sittliche Verhältnis zwischen zwei Subjekten aber auch mit einem moralischen Potential aufgeladen, „das sich nicht mehr einfach aus einer zugrundegelegten Natur der Menschen, sondern aus einer besonderen Art der Beziehung zwischen ihnen ergibt: was der menschlichen Lebensform von Anbeginn an im Sinne einer existierenden Differenz als eine normative Spannung zugrundeliegen soll, sind die moralischen Ansprüche, in denen Subjekte wechselseitig voneinander die Anerkennung ihrer Identität einfordern“88.
Sobald aber die sozialen Lebensformen des Menschen als verletzbare Beziehungen einer reziproken Anerkennung gedacht werden, kann auch der Kampf um Anerkennung nicht mehr im hobbesschen Sinne als Kampf aller gegen alle, als bloßer Selbsterhaltungskampf gedacht werden. In der hegelschen Uminterpretation ist der Kampf um Anerkennung selbst ein sittliches Geschehen, da er strukturell auf das Ziel der intersubjektiven Anerkennung hin ausgerichtet ist.89 In diesem Bildungsprozess des menschlichen Geistes zeichnet sich die Organisationsform der sittlichen Gemeinschaft bzw. eines Gemeinwesens ab, für das Hegel den Begriff der „wechselseitigen Anschauung“ verwendet: Das Individuum schaut sich in jedem als sich selbst an. Damit erreicht Hegel ein Modell der Anerkennung, das über eine bloß kognitive Form hinausgeht, reziproke Beziehungen zwischen Subjekten umfasst und bis ins Affektive hineinreicht. Der Kampf um Anerkennung, der soziale Konflikt zwischen Subjekten bildet somit moralische Antriebsbasis und Potential eines Bildungsprozesses, der schrittweise zu einer immer weitergehenden Anerkennung führt. Anerkennung ist eine Bewegung, die eine Reihe von Stufen der individuellen Bewusstseinsbildung und der menschlichen Kulturgeschichte umfasst. Außerdem beschreibt Hegel Anerkennung als einen teleologischen Prozess, „der bei ungestörtem Verlauf ein Individuum zum Bewusstsein seiner vernünftigen Subjektivität und seiner Stellung in einer vernünftig verfassten Rechts-, Staats- und Kulturgemeinschaft bringen kann“90. Der Kampf um Anerkennung führt letztendlich „zu einer Anerkennung der sich gleichermaßen als schuldig bekennenden Subjekte, die die Anerkennungstheorie der Phänomenologie zum Abschluss bringt. Sie besteht in der Einsicht in die Ungerechtigkeit der moralischen Subjekte gegeneinander und vollzieht sich als wechselseitiger Verzicht auf die Absolutsetzung des eigenen moralischen Standpunkts. In der ‚Verzeihung‘91 verzichten die moralischen Subjekte darauf, die anderen in ihrer Einzelheit nur an dem eigenen für allgemeingültig ausgegebenen moralischen Maßstab zu messen und anerkennen sich in ihrer unverwechselbaren moralischen Individualität, […]“92. Damit wird die Anerkennungsstruktur erreicht, die Hegel schlussendlich als absoluten Geist bezeichnet, in welcher das Bewusstsein sich als Ende und Anfang seiner eigenen Bewegung begreift. Der absolute Geist sind die Selbstbewusstseine selbst, „aber nicht als bloße Ansammlung oder Menge von Einzelpersonen, als bloßes distributives Kollektiv, sondern als eine Gemeinschaft, in welcher die Formen der Vernunft […] zu einer einheitlichen Menschheit verbunden sind. […] Er [der absolute Geist | BK] existiert sozusagen als vergegenwärtigte Vollzugsform des Menschseins“93.
2.2.2 Systematische Aktualisierung: Kampf um Anerkennung als historischer Prozess
Honneth übernimmt diese positive Auffassung des Kampfes um Anerkennung, grenzt sich allerdings klar von den vernunftidealistischen Voraussetzungen Hegels ab, die sich unter den Bedingungen nachmetaphysischen Denkens nicht mehr aufrechterhalten lassen und legt sich somit auf das von Habermas entworfene nachmetaphysische Paradigma der Philosophie fest.94 Deswegen muss er in seiner sozialphilosophischen Aktualisierung des intersubjektivitätstheoretischen Gedankens Hegels dessen Interpretation des Kampfes um Anerkennung wieder aufgreifen und versucht ihn durch eine empirisch fundierte Phänomenologie von Anerkennungssphären von metaphysischen Bezugnahmen zu befreien.95
Dafür greift Honneth auf den Sozialpsychologen George Herbert Mead zurück, welcher der hegelschen Idee des Kampfes um Anerkennung die notwendige sozialpsychologische Grundlage verschafft.96 Das gesellschaftliche Fortschrittsschema, welches sich im Anwachsen von individueller Autonomie zeigt, muss nicht mehr im hegelschen Sinne als idealistisch-geistiger Vorgang verstanden, sondern kann als Ergebnis eines historischen Prozesses interpretiert werden, der seine Motivation aus individuell geführten Anerkennungskämpfen gewinnt, zu welchen die Subjekte genötigt werden. Mead stimmt mit Hegel darin überein, dass eine Gesellschaft sich nur dann reproduzieren kann, wenn ihre Individuen durch ein ausreichendes Maß reziproker Anerkennung ein stabiles Selbstverhältnis ausbilden können. Deswegen kommt dem Kampf um Anerkennung eine strukturbildende Kraft zu, da er die gesellschaftliche Praxis bildet, in welcher Individuen sich für eine Erweiterung der rechtlichen Anerkennungsverhältnisse einsetzen und somit das moralische Wachstum einer Gesellschaft befördern.97 Honneth schließt sich Hegel und Mead, deren Theorien kritisch rekonstruierend und aktualisierend, in ihrer Unterscheidung dreier verschiedener Ebenen der wechselseitigen Anerkennung an, wodurch er eine Typologie gesellschaftlicher Anerkennungsverhältnisse entwerfen kann, die sich unterschiedlichen Sphären der gesellschaftlichen Reproduktion zuordnen lassen und außerdem durch empirische Befunde gestützt werden sollen.98 Kritik übt Honneth dahingehend, dass beide Autoren dem negativen Äquivalent der Anerkennung, nämlich den verschiedenen Formen der Missachtung von Menschen, nur unzureichend systematisches Gewicht zuerkennen. Gerade die Missachtungserfahrungen sind aber für die Dynamik von Kämpfen um Anerkennung und die Entwicklung von Anerkennungsbeziehungen von zentraler Bedeutung.99
2.2.3 Intersubjektive Anerkennungsbeziehungen
Die Grundstruktur der intersubjektiven Anerkennungsbeziehungen, welche die Voraussetzung für eine gelungene Selbstidentität bildet, ist durch drei verschiedene Interaktionssphären gekennzeichnet. Die historische Ausdifferenzierung dieser Anerkennungssphären ist nicht nur die Voraussetzung und Kennzeichen der bürgerlichkapitalistische Gesellschaftsform, sondern die wechselseitige Anerkennung in diesen Sphären ist außerdem jeweils dazu bestimmt, einer bestimmten Art individueller Selbstbeziehung zur Entfaltung zu verhelfen, wobei unterschiedliche personale Qualitäten hervorgehoben werden. Die ausdifferenzierten Anerkennungssphären werden dabei als in den entsprechenden Sozialbeziehungen unhintergehbare Integrationsmechanismen verstanden, die ein Wissen davon vermitteln, was Menschen zu einer erträglichen Teilhabe am gemeinschaftlich-gesellschaftlichen Leben benötigen und was ihnen deswegen nicht verwehrt werden darf.100
Jede Anerkennungssphäre erfüllt dabei die doppelte Funktion der Erbringung von systemerhaltenden Leistungen sowie der normativ geregelten Befriedigung von Anerkennungserwartungen. Darüber hinaus sind insbesondere an den institutionellen Anerkennungsordnungen drei Komponenten wichtig: Sie müssen erstens auf Normen beruhen, die eine nachvollziehbare Verknüpfung von individueller Rollenbefolgung und sozialer Anerkennung herstellen; zweitens müssen diese Verknüpfungen in einem generalisierten Anerkennungsmedium dauerhaft sein; drittens sollte das entsprechende Medium in einem deutlichen, erkennbaren und generalisierten Symbol zum Ausdruck kommen.101
2.2.3.1 Primärbeziehungen: Emotionale Zuwendung und Selbstvertrauen102
Die erste Stufe der wechselseitigen Anerkennung ist die Sphäre der affektiven Anerkennungsverhältnisse in Lebensbereichen, die durch emotionale Zuwendung, Liebes- und Freundschaftsbeziehungen geprägt sind und sich in primären Nahbeziehungen ausbilden. Diese Anerkennungsverhältnisse äußern sich in Akten, „die wie die bedingungslose Fürsorge oder das verständnisvolle Verzeihen zu erkennen geben, dass sie allein um des individuellen Wohlergehens eines konkreten Anderen willen geschehen“103. Mit anderen Worten handelt es sich um Akte, die eine nichtinstrumentelle, bedingungslose Sorge um das Wohlergehen eines anderen Individuums zum Ausdruck bringen.
Auf dieser Ebene werden menschliche Individuen in ihrer konkreten Bedürfnisnatur anerkannt und so in ihrem praktischen Selbstverhältnis gestärkt. In dieser ersten, grundlegenden Sphäre der Anerkennung, die die notwendige Voraussetzung für jede weitere Identitätsentwicklung darstellt, wird das Individuum in seiner besonderen Triebnatur bestätigt, wodurch ihm bei der Entwicklung zu einem unverzichtbaren Maß an Selbstvertrauen geholfen wird.104 Das heranwachsende Ich bildet sich im Rahmen dieser Primärbeziehung in vorsprachlichen Interaktionserfahrungen zwischen emotionalen Bindungen und Ablösungsängsten heraus. In einer ersten Phase der „undifferenzierten Intersubjektivität“105 ist das Kind quasi symbiotisch an seine primäre Bezugsperson gebunden und ist in einer Weise von dieser abhängig, dass es die Beziehung von Selbst und Umwelt als Einheit erlebt. Umgekehrt ist aber auch die Bezugsperson symbiotisch mit dem Kind verbunden, da sie von der Nicht-Kommunizierbarkeit der Bedürfnisse seitens des Kindes dazu gebracht wird, sich vollständig mit diesen Bedürfnissen zu identifizieren.
Im weiteren Verlauf der Entwicklung des Kindes erfolgt dann die Herausbildung der Fähigkeit, die Distanz der Bezugsperson zu ertragen und somit die unmittelbare Erfüllung der eigenen Bedürfnisse aufschieben zu können. Letztendlich bildet sich ein Vertrauen darauf heraus, dass die Zuwendung der Bezugsperson auch dann erfolgt, wenn sie unmittelbar zunächst versagt bleibt. Im weiteren Verlauf der Persönlichkeitsentwicklung werden außerdem Liebesbeziehungen und Freundschaften eingegangen, die in ihrem Gelingen aber von der frühkindlichen Entwicklung des Selbstvertrauens abhängig sind und darüber hinaus von einer Sehnsucht nach der ursprünglichen Symbiose zwischen Kind und primärer Bezugsperson motiviert werden. Die moralische Relevanz dieser Anerkennungssphäre besteht in der Erfahrung des Individuums in seiner jeweiligen leiblichen Integrität anerkannt zu werden.106 Schwieriger wird es allerdings moralische Pflichten zu benennen, die aus diesem primären Anerkennungsverhältnis erwachsen, da positive Pflichten der Liebe, Zuneigung und Fürsorge nur von den Individuen eingefordert werden können, die mit der betreffenden Person bereits in einer intimen Beziehung stehen.107 Außerdem zeichnet sich gerade der Bereich der emotionalen Zuwendung durch ein Moment der Unverfügbarkeit aus, weswegen er nicht als Zustand, sondern als entgrenzende Dynamik, die zwischen Einheit und Trennung changiert, zu sehen ist.108
Der kindliche Ablösungsprozess von der primären Bezugsperson stellt außerdem einen initialen Kampf um Anerkennung dar, welcher letztendlich aber als ein konstruktives Verhalten zu verstehen ist, durch das das Kind selbstständig wird und auch Andere in ihrer personalen Eigenständigkeit akzeptieren kann. Wegen des eingeschränkten Interaktionsbereiches wohnt dieser Sphäre allerdings ein moralischer Partikularismus inne, der durch keinen Verallgemeinerungsversuch auflösbar ist, da sich die affektiven Gefühle nicht einfach auf andere Interaktionspartner übertragen lassen.109
Im Hinblick auf die historische Ausdifferenzierung der Anerkennungssphäre Liebe macht Honneth zwei parallele Prozesse aus, die sich mit sozialhistorischen Erkenntnissen decken: die Kindheit wird institutionalisiert und die Eltern-Kind-Beziehung bzw. die Paarbeziehung emotionalisiert.110 Interessant ist auch, dass sich Familien- und Paarbeziehungen durch eine „prekäre Balance zwischen Selbständigkeit und Bindung“111 auszeichnen. Einerseits besteht eine enge, reziproke Verwie-senheit auf den konkreten, partikularen Anderen. Andererseits bedeutet dies nicht, dass die Individuen in einer solchen Beziehung wie in einer symbiotischen Einheit aufgehen und darin ihre Individualität verlieren, im Gegenteil: Familien- und Paarbeziehungen sind durch eine reziproke Anerkennung der jeweiligen Individualität des Anderen gekennzeichnet. Autonomie wird hier gewährleistet oder in der Eltern-Kind-Beziehung überhaupt erst ermöglicht.112
Die Pointe einer Liebesbeziehung als Anerkennungssphäre besteht also darin, dass Individuen Anerkennung gerade für ihre Individualität erhalten. Im Aushalten und Meistern der Spannung zwischen symbiotischer Selbstpreisgabe und individueller Selbstbehauptung hat das Subjekt die Möglichkeit, die erste Form des Selbstverhältnisses zu entwickeln, das Selbstvertrauen, welches durch affektive Zuwendung ausgebildet und gestärkt wird. In dieser Sphäre ausgebaut, ist es für die folgenden Sphären prägend, da hier die emotionale Sicherheit aufgebaut wird, die für die Ausbildung aller weiteren Einstellungen der Selbstachtung vorausgesetzt werden muss.
Darüber hinaus bildet diese ontogenetische Perspektive auch das motivationale Bindeglied zwischen einer rekonstruktiven Gesellschaftskritik und potentiellem Widerstand. Wenn die Motivation für gesellschaftliche Kämpfe um Anerkennung nicht primär in der Orientierung an Ideen oder Prinzipien liegt, sondern in der Missachtungs- und Verletzungserfahrung intuitiver Gerechtigkeitsvorstellungen, dann bildet die erste Anerkennungssphäre eine wichtige Folie für die Identifikation von Missachtungserfahrungen.113
2.2.3.2 Recht: Rechtliche Anerkennung und Selbstachtung114
Die zweite Stufe bildet die rechtliche Anerkennung, also die Anerkennung „eines jeden als ein autonomes, zurechnungsfähiges Handlungssubjekt“115, die den bisher begrenzten kommunikativen Rahmen der Liebes- und Freundschaftsbeziehungen und somit auch den Interaktionsbereich des Individuums erweitert. Es handelt sich auf dieser Stufe um kognitiv-formelle Anerkennungsverhältnisse, wobei das Recht die hier vorherrschende Anerkennungsform darstellt. Das Subjekt wird auf dieser Ebene nicht mehr nur in seiner Bedürfnisstruktur anerkannt, sondern als eine abstrakte Rechtsperson in seiner formellen Autonomie. Durch die in Rechtsverhältnissen erfahrene soziale Anerkennung und durch den darin unabhängig von persönlicher Wertschätzung erbrachten Respekt kann das Subjekt sein in der Primärbeziehung erworbenes Selbstvertrauen durch ein weiteres Element der Selbstbeziehung erweitern, die Selbstachtung, in welcher es sich als verantwortlich Handelnder erfährt. Das Subjekt kann sich selber achten, weil es die Achtung aller anderen verdient.116
Die Form der rechtlichen Anerkennung setzt für Honneth ein postkonventionelles Entwicklungsniveau des Moral- und Rechtsverständnisses innerhalb einer Gesellschaft voraus. Dies zeigt sich daran, dass sich die Mitglieder einer Gesellschaft unter Reziprozitätsgesichtspunkten gegenseitig als freie Personen achten und ihre individuelle Autonomie bzw. „moralische Zurechnungsfähigkeit“117 innerhalb der Gesellschaft so garantieren, „dass ihr ein rechtlich institutionalisierter Daseinsraum selbstverantwortlicher Freiheit gewährleistet ist“118. Die Reziprozität der rechtlichen Anerkennungssphäre muss dabei durch zwei Gesichtspunkte gewährleistet werden: durch Legalität und Legitimität. Die Legalität bezieht sich auf den Gesetzesgehorsam von Subjekten innerhalb einer Gesellschaft, welcher von moralischen Motiven abgekoppelt werden muss. Somit folgt das einzelne Individuum den allgemeinen, für alle gültigen Gesetzen, schränkt seine Handlungsfreiheit ein und erkennt damit die gleiche Personenqualität aller anderen an. Die Perspektive der Legitimität verpflichtet die Mitglieder einer Gesellschaft dazu, ihre gesetzlichen Regelungen darauf hin zu überprüfen, ob sie dem Kriterium allgemeiner Zustimmungsfähigkeit entsprechen. „Gesetze müssen um der gleichen Freiheit aller willen anerkennungswürdig sein.“119 Ins Negative gewendet wären also jene rechtlichen Verhältnisse zu kritisieren, die die gleiche Freiheit aller verletzen und somit rechtliche Anerkennung verweigern. Eine Aufmerksamkeit gegenüber „Deformationen der Freiheit“ bildet dann die Grundlage für den Einsatz für wirksame rechtliche Schutzinstrumentarien, wobei evident erscheint, dass es sich auch im Bereich der rechtlichen Anerkennung nicht um einen konfliktfreien Vorgang, sondern ebenfalls um einen Anerkennungskampf handelt, da unterschiedliche Wertpräferenzen aufeinanderstoßen.120
Historisch zeigt sich außerdem, dass die rechtliche Garantie individueller Freiheit nur unter Bedingung politischer Teilhabe an der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung ihren Sinn erhalten kann, wozu die Sicherung substanzieller, sozialer Mindeststandards notwendig ist.121
Gerhard Luf weist darauf hin, dass insbesondere in Bezug auf die Legitimationsperspektive in der rechtlichen Anerkennungssphäre die Frage aufkommt, welchen Inhalt und Umfang die reziproke Anerkennung der Person in rechtlicher Hinsicht hat, da es „nicht allein um die Anerkennung der abstrakten Rechtssubjektivität eines jeden Menschen gehen [kann | BK], sondern um ein differenziertes System rechtlicher Garantien, das freilich dem geschichtlichen Wandel unterworfen ist“122. Genau das meint Honneth, wenn er schreibt, dass mit reziproker Anerkennung moralischer Zurechnungsfähigkeit auf rechtlicher Ebene, die alle Subjekte teilen sollen, „nicht menschliche Fähigkeiten gemeint sein [können], die in ihrem Umfang oder ihrem Inhalt ein für allemal festgelegt sind; es wird sich vielmehr zeigen, daß aus der prinzipiellen Unbestimmtheit dessen, was den Status einer zurechnungsfähigen Person ausmacht, eine strukturelle Offenheit des modernen Rechts für schrittweise Erweiterungen und Präzisierungen resultiert“123. So kann es (auf rechtlicher Ebene) keine Abstufungen in der Anerkennung des Menschen als Person geben, wohingegen die soziale Wertschätzung bestimmter Eigenschaften und Fähigkeiten eines Menschen durchaus einen Maßstab erfordert, der ihre graduelle Bewertung erlaubt. Honneth wendet ein, dass „die Festlegung der Fähigkeiten, die den Menschen konstitutiv als Person auszeichnen […] von Hintergrundannahmen darüber, welche subjektiven Voraussetzungen zur Teilnahme an einer rationalen Willensbildung befähigen“124 abhängig ist. Die insbesondere rechtliche Berücksichtigung dieser Eigenschaften sieht Honneth als anspruchsvolles Verfahren und als dynamischen Prozess kumulativer Erweiterung individueller Rechtsansprüche, „in dem der Umfang der allgemeinen Eigenschaften einer moralisch zurechnungsfähigen Person sich schrittweise vergrößert hat, weil unter dem Druck des Kampfes um Anerkennung stets neue Voraussetzungen zur Teilnahme an der rationalen Willensbildung hinzugedacht werden mußten“125. Dieser dynamische Prozess der Erweiterung zeichnet sich also in Bezug auf den erfassten Personenkreis durch eine Tendenz zur Generalisierung und in Bezug auf die Differenziertheit der Schutzgarantien durch eine Tendenz zur Materialisierung aus.126
Einen motivationalen Faktor für den Kampf um Anerkennung im rechtlichen Bereich bildet historisch betrachtet die Institutionalisierung der bürgerlichen Freiheitsrechte, die einen andauernden Innovationsprozess eröffnet hat: zu den Freiheitsrechten traten auf Druck benachteiligter Gruppen Teilhaberechte am Prozess der öffentlichen Willens- und Meinungsbildung hinzu und außerdem Rechte, die ein Mindestmaß an Bildung und ökonomischer Sicherheit zusprechen.127 Insgesamt birgt die rechtliche Anerkennung also das moralische Potential, „das über soziale Kämpfe in Richtung einer Steigerung sowohl von Allgemeinheit als auch von Kontextsensibilität entfaltet zu werden vermag“128.
U. a. Luf äußert sein Unbehagen, wenn Honneth in Bezug auf den emanzipatorischen Prozess in der rechtlichen Anerkennungssphäre von „Eigenschaften“ spricht, welche den Menschen als Person auszeichnen. Er hält fest, dass nicht der Besitz von Eigenschaften konstitutiv für das menschliche Personsein ist, sondern, dass es sich vielmehr umgekehrt verhält: „Die kategoriale Anerkennung jedes Menschen als Person liegt vielmehr diesen Attributen voraus, die somit von dem Begriff der Person her in ihrer normativen Relevanz allererst qualifiziert werden müssen. Den Ausgangspunkt rechtlicher Anerkennung bildet somit die Anforderung, jeden Menschen als freies, zur Selbstbestimmung aufgefordertes Subjekt zu respektieren.“129 Mit der schon angeführten Unterscheidung Honneths zwischen „rechtlicher Anerkennung“ und „sozialer Wertschätzung“ lässt sich aber zeigen, dass Honneth dies ähnlich sieht. Er fragt konkret nach der Schlussfolgerung, welche sich aus dieser Unterscheidung ziehen lässt und kommt zu dem Ergebnis, dass der Mensch in beiden Fällen bestimmter Eigenschaften wegen geachtet wird. „[…] im ersten Fall handelt es sich um diejenige allgemeine Eigenschaft, die ihn überhaupt erst zur Person macht, im zweiten Fall hingegen um die besonderen Eigenschaften, die ihn im Unterschied zu anderen Personen charakterisieren. Daher ist für die rechtliche Anerkennung die Frage zentral, wie jene konstitutive Eigenschaft von Personen als solchen bestimmt werden kann, […].“130 Honneth beschreibt diese „Fähigkeit“, in der sich Subjekte wechselseitig achten können, wenn sie sich als Rechtspersonen anerkennen und die es zu schützen und zu ermöglichen gilt, da sie den Menschen überhaupt erst als Person charakterisieren, als „Annahme der moralischen Zurechnungsfähigkeit“ aller Mitglieder einer Rechtsordnung. „Wenn eine Rechtsordnung nur in dem Maße als gerechtfertigt gelten und mithin auf individuelle Folgebereitschaft rechnen kann, in dem sie sich im Prinzip auf die freie Zustimmung aller in sie einbezogenen Individuen zu berufen vermag, dann muß diesen Rechtssubjekten zumindest die Fähigkeit unterstellt werden können, in individueller Autonomie über moralische Fragen vernünftig zu entscheiden; ohne eine derartige Zuschreibung wäre überhaupt nicht vorstellbar, wie die Subjekte sich jemals wechselseitig auf eine rechtliche Ordnung sollen geeinigt haben können.“131 Kurz kann man dies mit Charles Taylor – der erkennbar auf Kant zurückgreift - ausdrücken, der Menschsein und Personsein als notwendige, von empirischen Eigenschaften unabhängige Einheit denkt. Taylor spricht von einem universellen menschlichen Potential, einer Fähigkeit, die allen Menschen gemeinsam ist. „Dieses Potential und nicht das, was der Einzelne aus ihm macht oder gemacht hat, sichert jedermann Achtung. Und wir dehnen unseren Schutz auch auf solche Menschen aus, die infolge irgendwelcher Umstände nicht in der Lage sind, ihr Potential in der üblichen Weise zu verwirklichen – auf Behinderte zum Beispiel oder auf Menschen, die im Koma liegen.“132 Somit sind also – gerade in Bezug auf eine Fortschrittsgeschichte der Anerkennungskämpfe – auch Personen in die rechtliche Anerkennung einzubeziehen, die ihre Rechte nicht eigenständig einfordern können. Auch diese Vorstellung findet sich bei Honneth, wenn er schreibt, dass egal ob wir einen anderen Menschen als liebenswert, als achtenswert oder als solidarisierungswürdig betrachten „stets nur ein anderer Aspekt dessen zur Geltung [kommt | BK], was es heißt, daß Menschen ihr Leben in rationaler Selbstbestimmung vollziehen müssen. Bezieht sich diese ‚Vorstellung von einem Wert‘ das eine Mal stärker auf die Weise der biographischen Lebensbewältigung (Liebe), das andere Mal stärker auf die Art des praktischen Engagements (Solidarität), so gilt sie im Fall der Achtung der Tatsache selber, daß Menschen zur reflexiven Orientierung an Gründen keine Alternativen haben; insofern auch ist jene letzte Einstellung nicht weiter graduierbar, während die beiden anderen Formen der Anerkennung viele Stufen der Steigerung erlauben“133. Honneth unterscheidet also zunächst zwischen zwei Begriffen der Anerkennung.134 AnerkennungA, bzw. die „elementarere“135 oder „vorgängige“136 Anerkennung, ist eine umfassende Haltung der Anerkennung, die Honneth auch mit der Anerkennungssphäre der Liebe zusammenfallen lässt.137 Aus dieser Haltung heraus lassen sich dann die weiteren Haltungen der AnerkennungB, der gleichen moralischen, rechtlichen und politischen Anerkennung also, ableiten, wobei Honneth davon ausgeht, dass der existentielle Modus der AnerkennungA „allen anderen, gehaltvolleren Formen der Anerkennung zugrunde liegt, „in denen es um die Bejahung von bestimmten Eigenschaften oder Fähigkeiten anderer Personen geht“138. Der Perspektive der AnerkennungA kommt somit absoluter Vorrang zu. „[…] weil wir alle menschliche Wesen als Personen anerkennen müssen […] dürfen wir uns aus moralischen Gründen nicht für soziale Beziehungen entscheiden, deren Vollzug eine Verletzung jener Ansprüche verlangen würde“139, Beziehungen also, die uns grundsätzlich daran hinderten anderen Anerkennung entgegen zu bringen.
2.2.3.3 Wertegemeinschaft: Solidarität und Selbstschätzung140
Neben der Liebe und dem Rechtsverhältnis identifiziert Honneth mit Hegel und Mead eine dritte Form der wechselseitigen Anerkennung, welche er als soziale Anerkennung oder Wertschätzung bezeichnet, derer menschliche Subjekte bedürfen, um „sich auf ihre konkreten Eigenschaften und Fähigkeiten positiv zu beziehen“141. Über das normative Prinzip der Rechtsgleichheit kommt es zur Herausbildung dieser dritten Sphäre. Hier werden Individuen nicht als Rechtspersonen anerkannt, sondern als Subjekte, die mit ihren individuellen Praktiken und Lebensformen einen besonderen, zur Reproduktion der Gesellschaft unumgänglichen Beitrag leisten. Eine solche gesellschaftliche Entwicklung setzt den Zusammenbruch religiöser und metaphysischer Weltbilder voraus: mit ihnen erodiert das kulturelle Selbstverständnis und von diesem Moment an tritt das Individuum in das umkämpfte Feld sozialer Wertschätzung ein.
Voraussetzung für eine solche Form der Anerkennung und Wertschätzung ist zunächst, dass die Existenz eines intersubjektiv geteilten Wertehorizonts hinzugedacht wird, da sich Alter und Ego nur unter der Bedingung wertschätzen können, „dass sie die Orientierung an solchen Werten und Zielen teilen, die ihnen reziprok die Bedeutung oder den Beitrag ihrer persönlichen Eigenschaften für das Leben des jeweils anderen signalisieren“142. Der Unterschied zur rechtlichen Anerkennung, welche ein Medium darstellt, das die „allgemeinen Eigenschaften menschlicher Subjekte in differenzierender Weise zum Ausdruck bringt“, besteht darin, dass die soziale Anerkennung und Wertschätzung „Eigenschaftsdifferenzen zwischen menschlichen Subjekten auf allgemeine, nämlich intersubjektiv verbindliche Weise zum Ausdruck bringen können muss“143. Hierfür fungieren ethische Werte, deren Insgesamt das kulturelle Selbstverständnis einer Gesellschaft ausmacht, als Orientierungsrahmen, an dem sich der soziale Wert von Persönlichkeitseigenschaften bemisst. Gradmesser ist der Beitrag an der Verwirklichung gesellschaftlicher Zielvorgaben, welche vom kulturellen Selbstverständnis einer Gesellschaft vorgegeben werden. „[…] Fähigkeiten und Leistungen werden intersubjektiv danach beurteilt, in welchem Maße sie an der Umsetzung der kulturell definierten Werte mitwirken können; […].“144
Dadurch aber, dass soziale Wertschätzung und Anerkennung somit von den gesellschaftlich vorherrschenden ethischen Zielvorstellungen abhängig sind, sind Wertschätzung und Anerkennung geschichtlich variable Größen – worin sie der rechtlichen Anerkennung gleichen. „Ihre gesellschaftliche Reichweite und das Maß der Symmetrie hängen dann vom Grad der Pluralisierung des sozial definierten Werthorizonts ebenso ab wie vom Charakter der darin ausgezeichneten Persönlichkeitsideale. Je mehr die ethischen Zielvorstellungen für verschiedene Werte geöffnet sind und ihre hierarchische Anordnung einer horizontalen Konkurrenz gewichen ist, umso stärker wird die soziale Wertschätzung einen individualisierenden Zug annehmen und symmetrische Beziehungen schaffen können.“145
Honneth erläutert diese Annahmen am Beispiel des Wandels von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft, am Wandel von Ehrbegriffen zu Kategorien des sozialen Ansehens oder Prestiges hin.146 So sei die Zielvorstellung der ständischen Gesellschaften substanziell gefasst und die Wertvorstellungen hierarchisch gegliedert gewesen, weswegen es auch eine Rangskala von mehr oder weniger wertvollen Verhaltensformen gegeben habe, deren Einhaltung zur Erlangung sozialer Ehre geführt habe. Er geht davon aus, dass die soziale Ehre auch jedem Gesellschaftsmitglied, das zu einem bestimmten gesellschaftlichen Kreis gehören will, eine spezifische Form der Lebensführung vorgibt. Die Charakteristika, anhand derer sich die gesellschaftliche Bewertung einer Person orientiert, sind daher nicht die eines individuierten Subjekts, sondern die einer „kulturell typisierten Statusgruppe“147. Dadurch ergibt sich einerseits eine nach außen hin asymmetrische und nach innen hin hoch symmetrische Gliederung der Anerkennungsformen innerhalb einer Gesellschaft und andererseits die Tendenz von sozialen Gruppen ihre Standesmerkmale gegenüber Nichtangehörigen abzuschließen, um das eigene Sozialprestige dauerhaft zu monopolisieren.148 Diese ständischen Gesellschaftsgliederungen verdanken ihre Überzeugungskraft religiösen oder metaphysischen Überlieferungen und waren daher „als eine metasoziale Bezugsgröße im kulturellen Selbstverständnis verankert“149. Sobald diese Überlieferungen allerdings hinterfragt wurden, änderte sich auch das Verständnis von der gesellschaftlichen Wertordnung dahingehend, dass die ständische Gesellschaftsgliederung ihrer transzendenten Evidenzbasis verlustig ging und somit nicht länger als objektiv und unveränderlich angesehen werden konnte. Die Auseinandersetzung des aufkommenden Bürgertums mit der feudalen Gesellschaft stellt also nicht den Versuch der Implementierung einer neuen Wertordnung in die Gesellschaft, sondern die Auseinandersetzung um den Status solcher Wertprinzipien überhaupt dar: Das soziale Ansehen einer Person wird nun nicht mehr anhand der ihrer sozialen Gruppe zugeschriebenen Eigenschaften bemessen, vielmehr „tritt das Subjekt als eine lebensgeschichtlich individuierte Größe in das umkämpfte Feld der sozialen Wertschätzung ein. Ein nicht unbeträchtlicher Teil dessen, was bislang dem einzelnen über ständisch gestaffelte Ehrprinzipien an sozialer Wertschätzung zugesichert war, wandert im Zuge der geschilderten Umbrüche in das neuformierte Rechtsverhältnis ein, wo es im Begriff der ‚menschlichen Würde‘ zu universaler Geltung gelangt“150.
Soziale Anerkennung bzw. das Ziel ethischer Lebensführung wird nun nicht mehr von vornherein als kollektive Eigenschaft festgelegt, sondern orientiert sich an individuell entwickelten Fähigkeiten des Einzelnen, d. h., dass in dieser dritten Anerkennungssphäre das Leistungsprinzip eine entscheidende Rolle spielt. Über die im kulturellen Wertesystem erbrachte Leistung wird dem Subjekt ein unterschiedliches Maß sozialer Wertschätzung zuteil, womit unzählige Möglichkeiten für Anerkennungskämpfe eingelassen sind.151
Dies bedeutet aber auch, dass die soziale Wertschätzung und Anerkennung in modernen Gesellschaften einem permanenten Kampf unterliegen, „in dem die verschiedenen Gruppen mit den Mitteln symbolischer Gewalt versuchen, unter Bezug auf die allgemeinen Zielsetzungen den Wert der mit ihrer Lebensweise verknüpften Fähigkeiten anzuheben.“152 Der Wert dieser Fähigkeiten findet seinen Niederschlag dabei gesellschaftlich vor allem durch Geldeinkommen, weswegen von einer engen Verknüpfung mit ökonomischen Auseinandersetzungen konstitutiv erscheint.
Trotz der in diesem Anerkennungsverhältnis angelegten Konflikte erscheint für Honneth ein symmetrisches Anerkennungsverhältnis möglich und zwar über den Weg der Solidarität. Symmetrische Wertschätzung oder Anerkennung bedeutet in diesem Kontext affektive Anteilnahme an dem individuell Besonderen der anderen Person zu wecken. Symmetrisch ist das Anerkennungsverhältnis nicht in dem Sinne, dass sich Individuen wechselseitig in gleichem Maße wertschätzen müsse, was „schon aus der prinzipiellen Deutungsoffenheit aller gesellschaftlichen Werthorizonte hervor[geht | BK]: es ist schlechterdings keine kollektive Zielsetzung vorstellbar, die in sich quantitativ so zu fixieren wäre, dass sie einen exakten Vergleich zwischen dem Wert der einzelnen Beiträge gestatten würde; symmetrisch muss vielmehr heißen, dass jedes Subjekt ohne kollektive Abstufungen die Chance erhält, sich in seinen eigenen Leistungen und Fähigkeiten als wertvoll für die Gesellschaft zu erfahren“153.
Es handelt sich bei dieser dritten Anerkennungsform der solidarischen Zustimmung also weniger um den Respekt vor einer singulären Leistung oder einer besonderen Individualisierung, sondern um ethische Werte und Ziele im Rahmen eines gemeinsamen Werthorizontes. „Der fundamentale Unterschied besteht in der Offenheit der Wertschätzung für die Pluralität der Persönlichkeitsideale, wie sie in komplexen Gesellschaften auftreten. […] Die Intersubjektivität der Anerkennung wird von dieser sozialen Wertschätzung dahingehend überschritten, dass sie nicht allein an die Wechselseitigkeit zwischen Individuen gebunden ist, sondern vor allem an dem vom Kollektiv vorgegebenen Bezugssystem orientiert ist.“154
2.2.4 Anerkennung als Haltung
In neueren Publikationen hat Honneth seine Theorie in Teilen modifiziert bzw. neu justiert.155 Diese Modifikation betrifft u. a. die Frage, ob Anerkennen eine Erkenntnisleistung oder eine davon zu unterscheidende Haltung darstellt.156 Während in Honneths „Kampf um Anerkennung“ eine „empirische Situationsdeutung“157 darüber informiert, ob ein Gegenüber anzuerkennen ist, so wird im weiteren Verlauf der Theorieentwicklung das Erkennen als dem Anerkennen nachgeordnet gedeutet. Da „der Akt der Anerkennung […] die expressive Bekundung einer individuellen Dezentrierung, die wir angesichts des Wertes einer Person vollziehen“158, darstellt, „scheint die bloß kognitive Identifikation eines Menschen ihren geradezu natürlichen Vorrang vor der Anerkennung zu verlieren; […]. Der Vorrangigkeit der Anerkennung entspricht in unserer sozialen Lebensform der herausgehobene Stellenwert jener Gesten und Gebärden, mit denen wir uns untereinander im allgemeinen die motivationale Bereitschaft bekunden, unser Handeln an der moralischen Autorität des Anderen zu orientieren“159.
Bedorf spricht hier von einer „existentialen Wende“ Honneths, durch die „der Modus der Anerkennung zu einer Haltung gegenüber der Welt, Anderen und mir selbst generalisiert“160 wird, wodurch sich in gewissem Sinne eine weitere, die anderen Sphären der Anerkennung umfassende Ebene der Anerkennung auftut. Dadurch wird der denkerische Fortschritt erzielt, dass die soziale Interaktion zwischen Individuen nun nicht mehr aus der Beobachterperspektive betrachtet werden muss, sondern eine Binnenperspektive eingenommen werden kann, die nicht von außen die wechselseitige Bestätigung bzw. Anerkennung zwischen zwei Positionen konstatiert, sondern die vorgängige Erfahrung des Anerkennens aufweisen kann.161
Das Problem, dass Honneth sich mit dieser Fortentwicklung einhandelt, besteht in der Frage nach der Motivation zur anerkennenden Haltung, die nun erneut begründungsbedürftig wird. Bisher war es die Herstellung eines ungebrochenen Selbstverhältnisses, das Anerkennung motivierte und die drei Anerkennungssphären miteinander verband. Nun wird Anerkennung zu einer primären Haltung des Selbst, die das Individuum anscheinend aus eigenen Antrieben einnimmt. Es existiert kein Anspruch der Dinge noch der eines personalen Anderen mehr, der das Subjekt veranlassen würde Anerkennung zu verleihen bzw. sich anerkennend zu positionieren. Aus der Aufgabe der Reziprozität im Anerkennungsverhältnis resultiert eine Motivationslücke.162
Honneth sieht diese Schwierigkeit und sucht nach einem möglichen Lösungsansatz im Begriff der Verdinglichung bzw. Selbstverdinglichung.163 Unter Verdinglichung versteht er jenen Vorgang, „durch den in unserem Wissen um andere Menschen und im Erkennen von ihnen das Bewußtsein verlorengeht, in welchem Maß sich beides ihrer vorgängigen Anteilnahme und Anerkennung verdankt“164. Selbstverdinglichung ist dementsprechend der Prozess, der ein Individuum die vorgängige Anerkennung seiner selbst vergessen lässt. Im Gegensatz dazu steht eine Einstellung, nach der das Subjekt die eigenen Empfindungen und Wünsche für artikulierenswert hält, die Vorgängigkeit der Anerkennung, eine vorgängige Selbstbejahung also auch in Bezug auf das eigene Selbst anerkennt.165
Die Motivation zu einer anerkennenden Haltung rührt also auch hier aus dem Bedürfnis nach einem ungebrochenen Selbstverhältnis her, welches das Individuum nur dann entwickeln kann, wenn es zu einer Affirmation der Widerfahrnisse, die ihm zustoßen, gelangt und diese im Sinne einer vorgängigen Selbstbejahung in das eigene Selbst integriert, wobei dieser primäre Selbstbezug allerdings „als eine Bestätigung zu interpretieren [ist | BK], die noch der Unterscheidung von pathologischen und gelungenen Formen des Selbst vorausliegt“166. Damit ergibt sich für das weiterentwickelte Anerkennungsverständnis, dass Anerkennung als „identisch mit einer bestätigenden und befürwortenden Haltung zur Welt, zu den Anderen und zu sich selbst“167 interpretiert wird. Hier ist schon Honneths moralischer Optimismus erkennbar, der sich in der Frage nach einem gesellschaftlichen Fortschritt durch den Kampf um Anerkennung noch verdeutlichen wird. Anerkennung könnte nämlich in diesem Sinne, wenn man bspw. mit Stanley Cavell argumentierte, der das „Gewebe sozialer Interaktion“ anerkennungstheoretisch auch im Hinblick auf negative Phänomene befragt, auch in unspezifischen Antwortgeschehen und folglich auch in negativen Reaktion gefunden werden.168 Gerade dieser Interpretationsrichtung folgt Honneth aber nicht, wenn er annimmt, dass „in Fällen einer gefühlsmäßig negativ erlebten Anerkennung immer ein Gespür dafür mitschwingt, dem Anderen in seiner Personalität nicht angemessen gerecht zu werden“169. Honneth spricht in Bezug auf diese kontrastierende Erfahrung auch von jenem Moment anerkennender Haltung, das herkömmlich als Gewissen bezeichnet wird.170 Er fügt also der anerkennenden Haltung immer noch ein Element der affektiven Bezogenheit, der positiven Vorgestimmtheit und des positiven Befürwortens hinzu und geht somit über den Ansatz Cavells hinaus.171 Nach Honneth ist das menschliche Selbst- und Weltverhältnis genetisch als auch kategorial zunächst an eine befürwortende Einstellung gebunden, „bevor dann andere, emotional neutralisierte Einstellungen daraus entspringen können“172. Dies hat zur Konsequenz, dass die „elementare Anerkennung“, auch wenn sie unterhalb der Schwelle liegt, auf der wechselseitige Anerkennung die Bejahung spezifischer Eigenschaften des jeweiligen Gegenübers mit sich bringt, notwendigerweise eine Bejahung und Befürwortung dieses Gegenübers impliziert. Dies hängt wiederum damit zusammen, dass in der elementaren Anerkennung nicht spezifische, sondern unspezifische, aber gleichwohl qualitativ wertvolle Eigenschaften des Gegenübers bejaht und befürwortet werden.173
Honneth benötigt für seine justierte Konzeption von Anerkennung die Antizipation einer normativen Form, die Anerkennung in ihren verschiedenen Sphären annehmen könnte, wenn alle Hindernisse überwunden wären. Anerkennung muss demnach notwendigerweise nicht nur in einem genetischen, sondern auch in einem sozialontologischen Sinn Vorrang besitzen. Nur so lässt sich ein Geltungsüberhang konstatieren, der einen sich erweiternden Horizont der Anerkennung einfordert. Darauf soll im Kapitel zur Missachtungserfahrung näher eingegangen werden.
2.2.5 Fazit
Diese Anerkennungssphären – Selbstvertrauen, Selbstachtung und Selbstschätzung – sind nach Honneth integrierende Momente eines Konzepts von postkonventioneller Sittlichkeit, welches liberale Voraussetzungen um eine Konzeption des guten Lebens ergänzt. Diese Konzeption des Guten muss allerdings zwei anspruchsvolle Voraussetzungen erfüllen. Sie muss einerseits formal sein, um eine illiberale Identifikation mit partikularen Lebensentwürfen zu vermeiden. Andererseits muss eine gewisse materiale Bestimmbarkeit möglich bleiben, damit eine Sittlichkeitskonzeption gemeinschaftsstiftend-integrative Kraft innerhalb und für eine Gesellschaft entfalten kann.174
3. DAS PROBLEM DER INHALTLICHEN BESTIMMUNG DES THEOLOGUMENONS „EBENBILD GOTTES“: DIE DISSOZIATION DER BILDBEGRIFFE ZAELAEM (צלם) UND DEMUT (דמות) IN DER TRADITION
Im nun folgenden Abschnitt der Arbeit wird ein thematischer Sprung auf das biblische Verständnis der Gottebenbildlichkeit als nicht ontologischer, sondern funktionaler Kategorie unternommen. Der Blick soll zunächst, noch vor der exegetischen Bearbeitung der entsprechenden Textstellen, auf die in der Auslegungsgeschichte erfolgte Dissoziation der biblischen Termini zaelaem und demut gerichtet werden. Diese Dissoziation wirkte sich in Richtung eines immer stärkeren ontologisch-materialen Verständnisses der Imago Dei aus.
Insbesondere die Rezeptionsvorgänge der Patristik und des Mittelalters, welche die griechische Septuaginta (LXX) und die lateinische Vulgata als Bibelübersetzungen zur Verfügung hatten, weisen weitreichende Spekulationen über die beiden in Gen 1,26f. verwandten Termini zaelaem und demut auf, die dem heutigen exegetischen Befund nicht gerecht werden, die Tradition aber dennoch entscheidend prägten. Auf die beiden hebräischen Begriffe wurden so Bedeutungen und Normierungen übertragen, die eine qualitative Differenz zwischen beiden Substantiven einführte und somit der eigentlichen hebräischen Bedeutung nicht entspricht.175 Um es pointiert zu formulieren: Theologiegeschichtliche Bedeutsamkeit erlangte die priesterschriftliche Aussage von der Gottebenbildlichkeit erst, als man sie aus ihrem Kontext löste, die funktionale Bestimmung ontologisch fasste und die Blickrichtung der Beziehung von den Menschen zu Gott interpretierte.
Dabei macht die historische Kritik einerseits auf den unaufgebbaren Primat der Offenbarungsgeschichte aufmerksam, erzeugt aber andererseits gleichzeitig eine Verfremdung des biblischen Textes zur eigenen Gegenwart, indem sie auf den Abstand der jeweiligen Gegenwart und der jeweiligen Rezeptionsvorgänge zu den biblischen Dokumenten hinweist. Durch diese Distanzierung wird die Differenz zwischen genuiner Textbedeutung und der späteren Auslegungsgeschichte, insbesondere bzgl. des Begriffsfeldes der Gottebenbildlichkeit deutlich und gleichzeitig die Auflösung einer nicht adäquaten Verknüpfung des Schriftverständnisses mit der späteren Wirkungsgeschichte möglich. So können ungerechtfertigte Traditionsansprüche, die sich explizit oder implizit auf die Schrift berufen von dieser Differenz zwischen Text und Auslegungsgeschichte her in Frage gestellt, auf ihre Legitimation geprüft und auch einer Revision unterzogen werden. Dabei sollte die Interpretation einer Schriftstelle, bedingt durch die Variationsbreite der Schriftzeugnisse, eine Pluralität von Verstehensweisen aufrechterhalten, um den Reichtum und die komplexe Vollgestalt der Schriftaussagen ernsthaft zum Einsatz zu bringen.176
So ergibt sich außerdem eine Parallele zwischen der notwendigen Revision der Dissoziation zwischen funktional-relationaler und ontologischer Verständnisweise der Gottebenbildlichkeit, wie sie sich in der Tradition bei der Deutung der Begriffe Ebenbild und Ähnlichkeit eingeschlichen hat, und dem Ringen im Anerkennungsdiskurs um die Versöhnung zwischen einem Ausgangspunkt in Vorstellungsweisen vom guten Leben auf der einen Seite, sowie der formalen Unabgeschlossenheit der Suche nach Anerkennung auf der anderen.
Sowohl im theologischen Diskurs als auch im modernen, pluralistischen Diskurs zeigt sich also dieser Widerstreit zwischen sozusagen inhaltlicher Füllung einer ethischen Grundlage der Suche nach Wahrung menschlicher Gottebenbildlichkeit und Würde und ihrer bleibenden Offenheit. Während der säkulare Ansatz dabei die immer neue negative Hermeneutik der Verletzlichkeit akzeptieren muss, bleibt für das theologische Verständnis die Aufgabe der immer neuen Kontextualisierung der Aussagen von der transzendenten Verwiesenheit des Menschen - in seiner Mitte die besondere Aussage vom Menschen als Gottes Ebenbild.
3.1 Die Septuaginta
Generell ist zu beachten, dass den Übersetzern der LXX mit dem von ihnen verwandten Koine-Griechisch ein um das Zehnfache größerer Wortschatz als beispielsweise dem Platons zur Verfügung stand. Somit war er auch um ein Vielfaches größer als der der hebräischen Bibel. Die Übersetzer waren also zu einer gewissen Auswahl innerhalb des Vokabulars gezwungen, was indirekt auch eine Entscheidung bzw. Interpretation darstellt.177 Die Diasporasituation der LXX-Übersetzer veranlasste sie darüber hinaus sich besonders im Bereich der Anthropologie deutlich auszudrücken. Während in geschlossenen Gesellschaften – beispielsweise des Mutterlandes – Vorschriften ausreichen, um ein einheitliches Verhalten der Bevölkerung in wichtigen Bereichen zu bewirken, so bildete das Diasporajudentum eine Pädagogik der Motivation aus, welche vor dem Hintergrund der griechischen Psychologie und Ethik eine wortmächtige Sprache angeboten erhielt.178
In der innerbiblischen Rezeption von Gen 1,26ff. wird nicht die funktionale Gottebenbildlichkeit rezipiert, sondern über die hellenistische Tradition eine am Urbild orientierte qualitative Interpretation. Dabei wird die Gottebenbildlichkeit als Gottähnlichkeit gefasst und mit Unsterblichkeit gleichgesetzt. Im Zusammenlesen der beiden Schöpfungsberichte der Genesis wird der Sündenfall als Verlust der Gottebenbildlichkeit gedeutet, mit der Folge der Sterblichkeit. Somit ist die Gottebenbildlichkeit bereits hier eine verlierbare Eigenschaft, die nur eschatologisch wiedererlangt werden kann.179
3.1.1 Der Textbefund
Die LXX übersetzt zaelaem in der Regel mit eikon (είκών, Bild), Num 33,52 und 2 Chr 23,17 mit eidolon (είδωλον, Götzenbild); an der Parallelstelle 2 Kön 11,18 allerdings mit eikon), 1 Sam 6,5 mit homoioma (ὁμοίωμα, Bild, Gestalt), Am 5,26 mit typos (τύπος, Form, Abbild). Folgende Änderungen fallen bei der griechischen Übersetzung des Gen Textes auf:
- Die beiden hebräischen Präpositionen in Gen 1,26 (ב, b= und ב, k=) werden vereinheitlicht und als normangebend aufgefasst; die beiden Präpositionalgruppen werden syndetisch (durch Konjunktionen verknüpft) gefügt und so einander formal gleichgeordnet. Die Septuaginta verwendet für die beiden Charakterisierungen des Menschen, anders als der Urtext, zweimal die gleiche Präposition kata (κατα, gemäß) und gibt die Nomen durch zwei in der platonischen Philosophie wichtige Begriffe wieder: „Wir wollen einen Menschen machen gemäß unserem Urbild (eikon) und gemäß Übereinstimmung (homoiosis, ομοίωσις).“180
- Homoiosis ist ein Nomen actionis: es bedeutet „ähnlich machen“ und bringt durch diese dynamische Nuance einen neuen Aspekt ein. Darüber hinaus verstärkt es semantisch die syntaktische Gleichwertigkeit der beiden Substantive. Hauptterminus ist eikon.181
Bereits die beiden inneralttestamentlichen griechischen Übernahmen haben unterschiedliche Ausgangspositionen. Sir 17,3 übersetzt die LXX entsprechend Gen 1,26.27: […] kai kat’ eikona autou epoiesen autous ([…] καὶ κατ’ εἰκόνα αὐτοῦ ἐποίησεν αὐτούς, […] und nach seinem Bild machte er sie). Dahingegen formuliert Weish 2,23 ohne Präposition: […] kai eikona tes idias aidiotetos epoiesen auton ([…] καὶ εἰκόνα τῆς ἰδίας ἀιδιότητος ἐποίησεν αὐτόν, […] und als Bild von sich selbst hat er ihn gemacht).
Da der Herrschaftsauftrag sich im syndetischen Hauptsatz anschließt, scheint er etwas abgehoben von der Gottebenbildlichkeitsaussage, nach einer Art Zusatz bzw. einer Weiterführung. Das bewirkt eine Perspektivänderung: von nun an wird die Aussage nicht vom Menschen zu den Tieren, sondern von den Menschen zu Gott hin interpretiert. Da die Herrschaft über die Tiere keine enge inhaltliche Verknüpfung mit der Urbild-Abbild-Relation Gott und Mensch zu haben scheint, wächst die Tendenz, die Gottebenbildlichkeitsaussage kontextfrei auszulegen. Diese Strömung entfaltet sich in der patristisch-mittelalterlichen Theologie voll, womit der Reigen kontextferner Spekulation über den konstitutionsmäßigen Inhalt der Gottebenbildlichkeit beginnt. Ihr Inhalt ist die Ewigkeit Gottes, aus ihr folgt die Bestimmung des Menschen zur Unvergänglichkeit. Wie die Gottesstatuenhaftigkeit nur besagt, dass der Mensch Gott unter einer bestimmten Rücksicht, nämlich der Herrschaft, repräsentiert, so besagt die Gottebenbildlichkeit, dass der Mensch nur in einer bestimmten Hinsicht, nämlich der Ewigkeit, Gott abbildet.182
3.1.2 Aufgabe und Würde des Menschen aus Sicht der LXX
Die griechische Bibel prägte die gesamte christlich-theologische Auslegungsgeschichte des Theologumenons der Gottebenbildlichkeit. Nach deren Les- bzw. Übersetzungsart ist der Mensch nicht als Bild, sondern nach dem Bild Gottes erschaffen. Über die Logosspekulation des Philo von Alexandrien führt diese Auffassung zur christologischen Ausdeutung im Neuen Testament. Der Bildbegriff zielt nun nicht mehr primär – wie im Hebräischen – auf den Menschen als Abbild, sondern mit veränderter Blickrichtung auf Gott als das Urbild.183 Der Inhalt der Gottebenbildlichkeit ist hiernach nicht eine funktionale, sondern eine seinshafte Abbildhaftigkeit gegenüber dem göttlichen Urbild, konkret bestimmt als Abbild der Ewigkeit (Weish 2,23). Dies beinhaltet nicht nur eine Bestimmung des Menschen (zur Unvergänglichkeit), sondern eine konstitutionelle, allem verantwortlichen Handeln vorausliegende Gottähnlichkeit.184
3.1.3 Ausblick auf das Neue Testament
Für das Urchristentum ist seine Beheimatung im Judentum vollkommen selbstverständlich, was sich u. a. daran zeigt, dass die Welt hier wie dort als Schöpfung des einen Gottes verstanden wird. Als Novum wird im jungen Christentum die ganze Geschichte von der Schöpfung bis zur Erhöhung Christi als Kontinuität des Wirkens Gottes aufgefasst.185 Dabei beginnt die Entfaltung der Lehre von der Gottebenbildlichkeit in der Auseinandersetzung mit der Gnosis.186 Das eikon Theologumenon nehmen im Neuen Testament allerdings nur die Paulinen und Deuteropaulinen auf, wobei sie neue Wege gehen, indem sie Christus als das Bild Gottes (εἰκὼν τοῦ θεοῦ, eikon tou theou) bestimmen (2 Kor 4,4; Kol 1,15). In der Konsequenz lösen sie außerdem die nun direkt auf das Bild Christus bezogene Abbildhaftigkeit von der Erstschöpfung aller Menschen und behalten sie stattdessen – das Abbildsein zum Abbildwerden dynamisierend und eschatologisierend – den Christen vor (Röm 8,29; 2 Kor 3,18; 1 Kor 15,49). Darüber hinaus kann auch der Mensch Abbild Gottes genannt werden (Jak 3,9 hier allerdings nicht eikon sondern homoiosis).
Verbunden mit der Christusbezogenheit kommen im Neuen Testament, genauer in den (Deutero)Paulinen Spekulationen darüber auf, ob der Mensch durch den Sündenfall generell der Gottebenbildlichkeit verlustig gegangen ist. Davon wissen weder das Alte Testament noch die rabbinische Tradition. Wohl wird von einem Verlust an „Herrlichkeit“ (דובכ, kabod / δόξα, doxa) durch den Fall Adams ausgegangen. Daneben existieren außerdem Überlegungen darüber, ob die Ebenbildlichkeit des Menschen durch den Sündenfall gemindert ist. Das Bewahren und Verlieren der Ebenbildlichkeit ist also eine Frage persönlicher sittlicher Lebensführung und der Erfüllung des Gesetzes.187
3.2 Schritte der Dissoziation bei den Kirchenvätern
Für die christliche Anthropologie ist der Mensch in seinem Personsein und die Sicht des Menschen im sozialen Kontext von entscheidender Bedeutung. Anthropologie und Ekklesiologie stehen also in einer Wechselbeziehung zueinander. Das verdeutlichte auch die frühchristliche Theologie, indem sie die Gottebenbildlichkeit des Menschen niemals nur als eine bloße Widerspiegelung verstand, sondern den Menschen immer auch als von Gott angesprochenes, freies Individuum betrachtete. Dies spiegelt sich vor allem auch in der Herausbildung einer trinitarischen Theologie wieder, wonach die göttliche Natur nicht in sich abgeschlossen existiert, sondern sich als Vater, Sohn und Geist manifestiert. Hinzu kommt die Zweinaturenlehre der frühen Christologie. Christus ist wahrer Mensch und wahrer Gott, d. h. in seiner einen Person wird die Grenze dessen überschritten, was natürlicherweise in der Kategorie Person gefasst ist. Aus diesen Elementen entsteht ein Bild vom Menschen, wonach dieser eine Einheit aus zwei Teilen, Leib und Seele, darstellt, dem Gott als Sinn und Ziel die Gottebenbildlichkeit gesetzt hat.188
Die Wurzeln dieses anthropologischen Ansatzes liegen zunächst in der biblischen Tradition der Schöpfungserzählung. Gen 1,26f. als alttestamentliche Grundlage der neutestamentlichen und frühchristlichen Aussagen über die Gottebenbildlichkeit und somit grundsätzliche Gleichheit aller Menschen wurde in der frühchristlichen Verkündigung wie kaum eine andere Bibelstelle herangezogen.189 Ebenso spielte Gen 2,17 eine Rolle, wonach Gott den Menschen aus Staub formte und ihm seinen Geist in die menschliche Nase blies, um ihn zu einem lebendigen Wesen zu machen. Darüber hinaus musste die apostolische Tradition bewahrt werden, wonach die Menschheit in Adam gefallen war und in Christus, dem neuen Adam wiederhergestellt wurde. Nicht zu unterschätzen ist der Einfluss der hellenistischen Kultur auf die Ausprägung eines christlichen Verständnisses von der Gottebenbildlichkeit des Menschen. Die – wie man nach heutigen Forschungsstand formulieren darf – Übersetzungsfehler der LXX und der Vulgata trugen dazu bei, dass eine jeweils eigene Interpretation der eigentlich synonym verwandten Begriff zaelaem und demut für nötig gehalten wurde, da geklärt werden musste, welchen Begriffsinhalt das Wort Bild und welchen das Wort Ähnlichkeit hat. Dadurch kam es zu einer Deutung des Menschen, als einem in der Spannung zwischen ontologischem Bild-Charakter (eikon) und moralischpersönlichem Ähnlich-Sein (homoiosis) lebenden Wesen.190
Bevor nun näher auf den Vorgang der Dissoziation der Begriffe Gottebenbildlichkeit und Gottähnlichkeit eingegangen werden kann, muss noch ein kurzer Blick auf das frühchristliche und frühkirchliche Verständnis der Alten Testaments und dessen Auslegungsgeschichte in den ersten Jahrhunderten der Kirche geworfen werden. Zunächst ist festzuhalten, dass mit dem Geschichtsverständnis des frühen Christentums die Typologie als Auslegungsmethode des Alten Testaments eng verbunden ist. Bereits Paulus hatte in Gal 4,34 dem Begriff der Allegorese die neue Bedeutung der Typologie gegeben. Voraussetzung hierfür ist ein Verständnis der Herrschaft Gottes über alles, was man in der Geschichte vorfindet, über Personen, Institutionen und Gegenstände. Sowohl Typen als auch Antitypen sind diesem Verständnis zufolge von Gott selbst in die Geschichte eingeordnet. Anfänge der Genesisauslegung und somit auch der Rede von der Gottebenbildlichkeit des Menschen finden sich bereits im Alten Testament selbst. Auslegungen, die dann durchaus auch für das neutestamentliche Verständnis prägend werden. Im Neuen Testament gilt die Autorität des Alten unbestritten weiter. Dennoch sollte über die Typologie bewiesen werden, dass Christus im göttlichen Plan schon immer vorgesehen war. Darüber hinaus erwies sie sich als nützlich für die frühchristliche Apologetik und Polemik. Dieser Gebrauch des Alten Testaments und besonders der Genesis war von größter Bedeutung für die Ausbreitung des Christentums und blieb der maßgebende Gebrauch über mehr als zwei Jahrhunderte.191
3.2.1 Philo von Alexandrien
Schon der hellenistisch-jüdische Philosoph Philo verfasste einen allegorischen Kommentar zur Genesis, in welchem er durch die Methode der Allegorese eine Versöhnung zwischen dem Alten Testament und der Philosophie versuchte.192 In Bezug auf die Schöpfung des Menschen unterschied er klar zwischen dem nach dem Bild Gottes geschaffenen und dem aus Erde geformten Menschen. Er folgerte, dass die eikon in Gen 1 der hypostasierte göttliche Logos sei und auf die menschliche Seele führenden Nous, die Vernunft verweise. Dieser These folgten bis heute eine große Anzahl von christlichen Auslegern.193 In der Patristik eignet der Aussage von der Ebenbildlichkeit höchste theologische Bedeutung. Hauptsächlich auf die Geistnatur des Menschen zielend, seit Irenäus unter unsachgemäßer Unterscheidung der Lexeme imago und similitudo, geriet die alttestamentliche Wendung in die christlichtheologische Spekulation anthropologischer wie soteriologischer Fragerichtungen: Diskussion um natürliche und übernatürliche Ebenbildlichkeit sowie um Schwächung bzw. Verlust der Gottebenbildlichkeit infolge der Erbsünde.194
3.2.2 Irenaus von Lyon
Irenäus zitiert als erster sowohl das Neue als auch das Alte Testament ausdrücklich als Schrift, wobei insbesondere das Buch Genesis bei ihm eine wichtige Rolle spielt und die Genesiszitate bei ihm, nach denen aus Jesaja und den Psalmen, an dritter Stelle stehen. Diese Gewichtung lässt sich vor dem Hintergrund verstehen, dass Irenäus in seiner Auseinandersetzung mit der Gnosis die christliche Schöpfungslehre gegen die gnostisch kosmologischen Spekulationen in Anschlag bringen möchte. Er betont darüber hinaus antignostisch den Gedanken der Einheit, der sich auf drei Ebenen entfaltet: die Einheit Gottes, des Schöpfers und Vaters Jesu Christi; die Einheit Christi, des Gottmenschen; die Einheit des göttlichen Heilsplanes.195
Insbesondere die Einheit Gottes als Schöpfer und Erlöser ist bei Irenäus mit der Einheit von Schöpfung und Erlösung verbunden. Diesen Gedanken entfaltet er beispielsweise in seinen Überlegungen zur Einheit Adams mit der gesamten Menschheit und zur Menschwerdung Christi als verwirklichter imago et similitudo dei.196 Theologisch äußerst bedeutsam ist seine Erklärung des „kat‘ eikona kai homoiosin“. Irenäus möchte diese beiden Begriffe, obwohl er sie unterscheidet, in keinem Fall trennen. Seiner Auffassung zufolge ist der Mensch ohne beide zusammen gar kein Mensch, weswegen er von einem „esse secundum imaginem et similitudinem Dei“ oder mit Paulus von eikon für beide Begriffe spricht.197
Um diese Einheit darzustellen entwarf Irenäus von Lyon auf Grundlage der differenzierenden Übersetzung des hebräischen Textes von Gen 1,26f. als erster kirchlicher Theologe eine systematische Bildtheologie. Unter eikon verstand er die natürliche und unter homoiosis die übernatürliche Gottebenbildlichkeit des Menschen, womit er nicht die Trennung zwischen Natur und Übernatur bezweckte, aber deren Grundstein legte.198 Nach dem Sündenfall blieb dem Menschen nur der Status der imago, d. h. des Vernunft- und Willensbesitzes. Erst durch die heilsgeschichtliche Rekapitulation erhält er seine verlorene similitudo zurück. Die Bildlehre Irenäus‘ begründete also die kategoriale Unterscheidung von Bild und Ähnlichkeit, wobei man seine Theologie als Reaktion auf die Gnostiker begreifen muss, welche nie bereit waren, die Berichte im Buch Genesis einfach zu bejahen.199
So hatte Philo sie bspw. im Licht seiner Kenntnis von Platons Timaios gelesen, weswegen er den Schöpfungsbericht als allegorische Deutung auf den präexistenten Christus hin interpretierte. Darüber hinaus konnten die Gnostiker, ausgehend von einem strikten Dualismus, die Vorstellung eines Gottes, der die Welt wirklich erschaffen hat, Verantwortung für sie trägt und sie für gut erachtet nicht akzeptieren. Vielmehr besteht das gemeinsame Grundmuster speziell gnostischer Schöpfungsmythen, wie sie sich bspw. in der Nag Hammadi-Sammlung finden darin, Gott von der Welt zu distanzieren.200 Allerdings stellte die eikon auch für die Gnosis einen Schlüsselbegriff dar: das göttliche Urprinzip alles Seienden stellt sich selber im himmlischen Urmenschen dar. Dieser ist aber nicht der geschaffene, irdische Mensch, sondern eine mythische Gestalt, in der die Gottheit bildhaft in Erscheinung tritt. Gott selber ist in ihm anwesend, aber eben in der Weise der Abbildung. Die Gnostiker verstanden Gen 1,26f. so, dass hier über die Entstehung dieses Urmenschen berichtet wird. Der irdische Mensch ist Abbild dieses Anthropos, des Urmenschen. Ebenbildlichkeit lässt sich deswegen in der Gnosis auf den Nenner bringen, dem Urmenschen gleichgestaltet zu werden. Natürlich kann im gnostischen Verständnis nur der Geist, niemals aber der Leib Gleichgestaltung erfahren. Durch diese Gleichgestaltung kommt der Mensch zur Erkenntnis, zur Gnosis und somit auch zur Erlösung. Problematisch stellte sich für Irenäus von Lyon die Tatsache dar, dass die Gnosis Gen 1,26ff. offenbar vollkommen ungeschichtlich auffasste, da es sich in der gnostischen Interpretation eben um einen Mythos handelt. Nicht der irdische, geschichtliche Mensch ist Bild Gottes, sondern der mythische Urmensch, der Anthropos. Erlösung findet der Mensch nicht in der geschichtlichen Verwirklichung seiner Gottebenbildlichkeit, sondern in der Gleichgestaltung mit dem mythischen Urmenschen.201
Während die Gnosis Gen 1,26 also spiritualistisch und ungeschichtlich auffasst, will die Bildtheologie des Irenäus die geschichtliche Struktur der Offenbarung nachzeichnen. In die Spanne von Anfang bis Ende der Schöpfung ist das Werden des Menschen als Bild Gottes eingepasst.202 „Anfang und Ende stehen somit in einer gewissen Entsprechung Kongruenz. Was am Anfang war, das wird nämlich am Ende wiederhergestellt. Der im Paradies erschaffene erste Mensch wird am Ende neu geschaffen; was die Sünde zerstörte wird durch den Menschgewordenen zurückerstattet. […] Christus hat das Heil der Menschen endgültig ‚sichergestellt‘. […] Für die Anthropologie resultiert daraus: Der ‚neue‘ Mensch ist die Wiederherstellung des ‚alten‘ – zugleich aber ist er mehr: nämlich der durch die Menschwerdung ‚gesicherte‘ neue Mensch.“203
Dies bedeutet allerdings gleichzeitig, dass der Mensch keinen wirklichen Beitrag zum Fortgang der Heilsgeschichte leisten kann. Alle Geschichte, alle geschichtliche Entwicklung steht im Rahmen des göttlichen Heilsplanes. Freiheit des Menschen bedeutet Gehorsam gegenüber Gott. Aus dieser Zielstrebigkeit der irenäischen Geschichtstheologie ergibt sich dann auch ihre Christozentrik. Christus ist der Brennpunkt der Geschichte, die ganze Schöpfung, ihre Gesamtheit konzentriert sich auf ihn, strebt auf ihn hin. Vom einzelnen gottebenbildlichen Geschöpf kann hier nicht mehr die Rede sein, da sie von der Rede über das gottebenbildliche Menschengeschlecht verdeckt wird.
Somit trennen imago und similitudo für Irenäus in diesem Rahmen nicht Natur und Übernatur, sondern stellen zwei zeitlich voneinander getrennte Momente im Werden der Gottebenbildlichkeit des Menschen dar: Irenäus spricht von der „ersten Schöpfung“, um diese von der „Gemeinschaft mit Gott“ abheben zu können, um den Urstand, in welchem der Mensch imago und similitudo besaß vom Endstand unterscheiden zu können, in dem die durch den Sündenfall verlorene similitudo zurückerstattet wurde.204 Irenäus will also den Fall völlig in den Heilsplan einbeziehen und versteht auch die Störung des Heils- bzw. Weltplans als von Gott einberechnet. Die ganze Heilsgeschichte stellt sich damit als Weg vom Bild zur Ähnlichkeit dar, als Weg vom durch den Sündenfall in seiner Verwirklichung gehinderten Schöpfungsziel zur Vollendung in Christus.205
3.2.3 Tertullian
Auch Tertullian geht es immer um die Einheit der beiden Testamente. Darüber hinaus sieht er seinen Auftrag darin, die Gutheit der Schöpfung gegen Marcion zu verteidigen und zu beweisen. Tertullian sieht insbesondere in der Schöpfung des Menschen einen Akt besonderer Güte Gottes, da die „bonitas“ hier tätig ist, „non imperali verbo, sed familiari manu“206. Der Mensch wird von Gott ganz persönlich und unmittelbar erschaffen.
Dieser Beweis a primordio, d. h. davon ausgehend, dass die Berichte vom Anfang ein besonderes Gewicht haben, dient Tertullian also einerseits dazu, die Gutheit des Schöpfers und der Schöpfung aufzuzeigen. Andererseits geht es ihm aber auch darum die jüdisch-christliche Lehre von der Einheit des Menschen gegen die Gnosis zu verteidigen. Die Genesis – so Tertullians Auffassung – bestätigt sowohl, dass die Seele von Gott geschaffen ist und deswegen vernünftig sein muss, weil Gott vernünftig ist, als auch, dass das Fleisch göttlicher Herkunft ist, weswegen eine leibliche Auferstehung des Menschen erforderlich ist.207
Darüber hinaus sieht Tertullian Christus als die Imago Dei an, da Gott an Christus denkt, als er den Menschen schafft, da er weiß, dass Christus eines Tages Mensch werden wird. Ein Hinweis hierauf ist in der Formulierung „ad imaginem dei“ gegeben, da Gott sonst „ad suam imaginem“ gesagt hätte.208
Der Entwurf Tertullians zur Ebenbildlichkeit kann in gewissem Sinne als existenziell-konkrete Ergänzung der irenäischen Bildtheologie bezeichnet werden. Er fügt dem Verständnis vom Menschen als ausgezeichnetem Geschöpf Gottes und der Geschichte als Schritt vom Urstand zum Endstand die Perspektive des einzelnen Menschen, die Perspektive der existenziellen Situation des gottebenbildlichen Menschen hinzu. Tertullian versteht Geschichte und darin sich realisierende Gottebenbildlichkeit auch als Heils- und Unheilszeit des Einzelnen. Dabei argumentiert Tertullian in zwei Aussagenreihen. In der ersten greift er die irenäische Unterscheidung von Bild und Ähnlichkeit auf, womit auch er die zwei Momente des Anfangs und des Endes auseinanderhalten möchte. In der zweiten öffnet er sich in starkem Maße der stoischen Anthropologie und sieht mit dieser die Willensfreiheit als das den Menschen auszeichnende Spezifikum an. Die Gottebenbildlichkeit des Menschen liegt für Tertullian im „Kraftfeld des freien Willens“. Dabei setzt er die Begriffe Bild und Ähnlichkeit zusammen und spricht von der „Ganzheit des Bildes und der Ähnlichkeit“ als Fundament menschlichen Handelns. Freiheit ist die Seinsform des Menschen als Bild und Ähnlichkeit Gottes. Somit ist Tertullian der erste Theologe, der die Gottebenbildlichkeit als Freiheit und Verantwortlichkeit des Menschen fasst.209
3.3 Folge für das Verständnis der Gottebenbildlichkeit des Menschen: imago und similitudo. Spekulative Weiterentwicklung der Gottebenbildlichkeitsaussage
Die Art und Weise, wie die frühchristlichen Autoren den Begriff der Gottebenbildlichkeit auffassten war stark von den jüdischen und griechischen Quellen beeinflusst, auf die sie sich stützten. Die hebräische Sichtweise des Menschen hebt den Menschen als jemanden hervor, der von Gott zu Taten des Gehorsams aus Liebe aufgefordert ist. Die griechische Anthropologie hingegen, insbesondere die platonische Tradition, konzentrierte sich auf die menschliche Seele als Trägerin eines Bildes (eikon) der Gottheit. Hieraus resultierte eine Trennung zwischen Körper und Seele, wobei die Seele als wahre Person und deren Unsterblichkeit als das eigentliche menschliche Schicksal angesehen wurde, eine Auffassung, die der traditionellen jüdischen Anthropologie vollkommen fremd ist.210 Besonders deutlich zeigt sich die Aporie der neuplatonischen Auslegung der Gottebenbildlichkeit bei Augustinus, einer Interpretation, von der sich die christliche Theologie nie mehr ganz befreien konnte.
Augustinus greift in seiner Bildtheologie keines der vorliegenden Konzepte auf. Auch konstruiert er sie nicht auf einer Exegese von Gen 1,26f., sondern auf dem Gedanken, dass in den drei Grundkräften des menschlichen Geistes - Gedächtnis, Verstand und Wille - eine Nachbildung der Trinität zu sehen ist. Damit hält er die Unterscheidung von imago und similitudo nicht aufrecht, sondern trennt sie nur noch in einem formallogischen Sinn: Similitudo bezeichnet eine wie auch immer geartete Ähnlichkeit zu einem abgebildeten Urbild, wohingegen die imago weiter reicht, umfassender ist, da sie eine Ursprungsbeziehung zwischen Abbild und Urbild einschließt, was bei der similitudo nicht der Fall sein muss. Dennoch kennt auch Augustinus die Unterscheidung zwischen einer schöpfungsmäßigen Gottebenbildlichkeit und einer gnadenhaften. Diese gnadenhafte oder übernatürliche Ebenbildlichkeit bezeichnet er häufig – wenn auch nicht konsequent – als similitudo.211
Die Rückerstattung der imago, also der aus der Schöpfung herrührenden Gottebenbildlichkeit, ist für Augustinus ein Werk des Heiligen Geistes und besteht darin, dass der Mensch fähig ist Gott zu fassen, d. h. durch Gott ansprechbar zu sein. Wer von Gott ansprechbar ist, der lebt als Imago Dei, als Bild nach dem Bilde, da das eigentliche Bild Gottes nur der Sohn sein kann. Der Mensch besitzt Gottebenbildlichkeit insofern der Sohn das Urbild der Menschen ist. Augustinus zufolge ist der trinitarische Gott aber nicht nur im menschlichen Geist, sondern in der gesamten Schöpfung abgebildet, wenngleich auch nicht in einem vergleichbaren Maß: der Mensch ist Imago Dei, die Schöpfung Vestigium Dei.212 „Hier darf auch nicht übergangen werden, dass der heilige Verfasser nach den Worten: ‚Nach unserem Bild‘ sogleich hinzufügt: ‚Und er soll Gewalt haben über die Fische des Meeres und über die Vögel des Himmels‘ und über die übrigen vernunftlosen Tiere. Darunter sollen wir offenbar verstehen, dass der Mensch darin nach dem Bilde Gottes geschaffen ist, womit er sich vor den vernunftlosen Lebewesen auszeichnet. Das ist aber die Vernunft als solche, möge sie nun Verstand, Fassungsvermögen oder mit einem noch passenderen Worte genannt werden. [Dies weist deutlich darauf hin. BK] worin der Mensch nach dem Bilde Gottes erschaffen ist: dass es sich nicht um körperliche Züge handelt, sondern um eine gewisse intelligible Form des erhellten Verstandes.“213
3.4 Folge für das Verständnis der Gottebenbildlichkeit in der systematischen Theologie
Die Konzentration der Ebenbildlichkeitsvorstellung auf Jesus Christus hat erhebliche anthropologische Konsequenzen, da sie eine kritische Unterscheidung zwischen der Lebenswirklichkeit der Menschen und der Geschichte des einen Menschen Gottes enthält. Christus tritt an die Stelle dessen, der zum Bild Gottes geschaffen wurde, d. h. an die Stelle des Menschen. Christus wird also zum Grundbild für das Menschsein an sich eingesetzt, womit aber auch eine grundlegende Unterscheidung impliziert ist214: nicht der Mensch, sondern Christus wird als das Bild Gottes bezeichnet.215
Darüber hinaus ergab sich eine Spiritualisierung des alttestamentlichen Herrschaftsauftrages. Der in der frühen Kirche entwickelten christlichen Anthropologie ging es darum die Herrschaft des Menschen über die Erde als spirituelles Tun zu fassen, ja, eine Vereinnahmung durch die materielle Seite dieses Tuns wurde sogar als sündhaft interpretiert. Vor allem in der alexandrinischen Tradition zeigte sich eine Tendenz zur Vergeistigung des Konzepts von der Herrschaft des Menschen: Herrschaft wurde als von der Bändigung der Leidenschaften abhängig gesehen, was wiederum nur durch eine spirituelle Vertiefung geschehen konnte. Insbesondere Origenes setzte eine spiritualisierende Interpretation von Gen 1,26f. durch. Er übertrug den biblischen Herrschaftsauftrag explizit auf die Herrschaft über die menschlichen Leidenschaften, da die Leidenschaften eine Gemeinsamkeit zwischen Mensch und Tier darstellen und nur durch die Herrschaft darüber das Abbild-Sein Verwirklichung findet.216 Nach Origenes galt diese Deutung von Gen 1,26f. in der Theologie als eine Möglichkeit: es hat mehr Gewicht, was die Menschen sind, als das, was sie tun. Dieses Sein des Menschen konnte aber – insbesondere nach der Auffassung im östlichen Christentum – nur durch die Kontemplation der Dinge erschlossen werden. Nur in der Kontemplation, welche als Vorrecht des Menschen als Statthalter Gottes auf Erden betrachtet wurde, sah man die Möglichkeit gegeben mit den logoi der Schöpfungsordnung in Verbindung zu treten und so als vernunftbegabte Wesen die Schöpfungsordnung in Gottes Plan zusammen zu halten. Hieraus ergibt sich auch, dass der Mensch in der Anthropologie der frühen Kirche in seiner adamitischen Einheit betrachtet wurde. Adam war nach biblischer Überzeugung nicht nur der erste Mensch, sondern repräsentierte auch die Gesamtmenschheit. So kam es zu einer weiteren Unterscheidung zwischen ontologischer und persönlich-soteriologischer Ebene des Menschseins.217
Wichtig bei allen aufgeführten patristischen Varianten der Unterscheidung von Abbild und Ähnlichkeit ist allerdings die Beachtung der Tatsache, dass die Abbildhaftigkeit in diesem Verständnis eine Dynamik enthält. Die Abbildhaftigkeit ist nicht nur ein Zustand, sondern steht vor allem für eine Möglichkeit. Diese „kommt nur zur Blüte, wenn Menschen […] fähig werden, ihre bei der Schöpfung geschenkten Fähigkeiten zur vollen Reife zu entwickeln. Die Unterscheidung dient also in erster Linie dazu, diesen dynamischen Aspekt des Abbild-Begriffes zu unterstreichen. Die Menschen sind nach dem Bild Gottes geschaffen, damit sie wie Gott werden. Diese Ähnlichkeit ist ihr Reifen als Menschen und ihre Erfüllung einer Mittler-Aufgabe als Mikrokosmos für das geschaffene Universum.“218.
1 A. N. Whitehead, Wissenschaft und moderne Welt, Frankfurt a. M. 1984, 75.
2 Vgl. M. Welker, Schöpfung und Wirklichkeit (NBST; 13), Neukirchen-Vluyn 1995, 33.
3 J. Butler, Gefährdetes Leben, in: dies.‚ Gefährdetes Leben. Politische Essays, Frankfurt a. M. 2005, 154-178, hier 109f.
4 Dabei ist zu beachten, dass Gesellschaften in mehreren Dimensionen plural sein können. Zunächst können sie „Pluralität“ aufweisen, womit gesellschaftliche Unterschiede unterschiedlichen Ausmaßes ohne Wertung festgestellt werden. Die Selbstbeschreibung einer Gesellschaft als plural erfolgt über den Terminus des „Pluralismus“, worüber eine soziale Einheit ihre innere Pluralität selbst feststellt und in positiver oder negativer Hinsicht als relevant betrachtet. Darüber hinaus kann Pluralismus aber auch bedeuten, dass eine Pluralität von Überzeugungen als Lebensform Akzeptanz findet, d. h. also, dass eine Gesellschaft ihre Selbsteinschätzung als plural nicht als grundsätzliche Infragestellung ihres Zusammenhalts betrachtet, sondern positiv wahrnimmt. Gesellschaftliche Anerkennung des Pluralismus kann somit eine demokratisch-politische Werthaltung bzw. einen Metawert darstellen, der nicht mit Indifferenz oder Relativismus gleichzusetzen ist, sondern Anstrengungen erfordert, um die „gesellschaftliche Faktenlage der Pluralität auszuhalten und politisch sinnvoll zu gestalten“. Vgl. Chr. Mandry, Pluralismus als „Wert“ – Chancen und Hindernisse aus theologisch-ethischer Sicht, in: Hilpert, K. (Hg.), Theologische Ethik im Pluralismus (SThE; 133), Freiburg CH 2012, 229-237, hier 229.231.236.
5 M. Heimbach-Steins, Menschenrechte in Gesellschaft und Kirche. Lernprozesse, Konfliktfelder, Zukunftschancen, Mainz 2001, 150f.
6 P. E. Gordon, Kritische Theorie zwischen dem Heiligen und dem Profanen, in: WestEnd 13 (2016) 3-33, hier 21f.
7 Vgl. zu dieser Thematik bspw. die Rede von Jürgen Habermas anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2001. Darin äußert er seine Überzeugung, dass gerade in Anbetracht der Ereignisse des 11. Septembers 2001 auch eine säkularisierte Gesellschaft nicht auf Artikulation und Übersetzung der Inhalte religiöser Sprache verzichten könne und macht dies besonders am Beispiel der Gottebenbildlichkeit fest: „Die Kehrseite der Religionsfreiheit ist tatsächlich eine Pazifizierung des weltanschaulichen Pluralismus, die ungleiche Folgelasten hatte. Bisher mutet ja der liberale Staat nur den Gläubigen unter seinen Bürgern zu, ihre Identität gleichsam in öffentliche und private Anteile aufzuspalten. Sie sind es, die ihre religiösen Überzeugungen in eine säkulare Sprache übersetzen müssen, bevor ihre Argumente Aussicht haben, die Zustimmung von Mehrheiten zu finden. So machen heute Katholiken und Protestanten, […], den (vielleicht vorschnellen) Versuch, die Gottesebenbildlichkeit des Menschengeschöpfs in die säkulare Sprache zu übersetzen. Die Suche nach Gründen, die auf allgemeine Akzeptabilität abzielen, würde nur dann nicht zu einem unfairen Ausschluss der Religion aus der Öffentlichkeit führen und die säkulare Gesellschaft ihrerseits nur dann nicht von wichtigen Ressourcen der Sinnstiftung abschneiden, wenn sich auch die säkulare Seite ein Gespür für die Artikulationskraft religiöser Sprachen bewahrte. Die Grenze zwischen säkularen und religiösen Gründen ist ohnehin fließend. Deshalb sollte die Festlegung dieser umstrittenen Grenze als eine kooperative Aufgabe verstanden werden, die von beiden Seiten fordert, auch die Perspektive der jeweils anderen einzunehmen. Vgl. J. Habermas, Glauben und Wissen, Frankfurt a. M. 82016, 21f.
8 Chr. Mandry‚ Europa als Wertegemeinschaft. Eine theologisch-ethische Studie zum politischen Selbstverständnis der Europäischen Union (Denkart Europa. Schriften zur europäischen Politik, Wirtschaft und Kultur; 9), Baden-Baden 2009, 212.
9 M. Heimbach-Steins, Menschenrechte, 151.
10 Ebd., 174.
11 Ebd., 177.
12 Vgl. K.-W. Merks, Grundlinien einer interkulturellen Ethik. Moral zwischen Pluralismus und Universalität (SThE; 132), Freiburg CH 2012, 17.
13 Ebd., 25.
14 Ebd., 52.
15 Vgl. ebd., 66f.
16 Vgl. ebd.
17 Vgl. ebd., 75ff. und ders., Gott und die Moral. Theologische Ethik heute (Schriften des Instituts für Christliche Sozialwissenschaften der WWU Münster; 35), Münster 1998, 352ff.
18 Vgl. ders., Grundlinien einer interkulturellen Ethik, 75.
19 Vgl. ders.‚ Gott und die Moral, 357.
20 Vgl. ebd., 405.
21 Vgl. ders., Grundlinien einer interkulturellen Ethik, 76.
22 Ebd., 77.
23 Vgl. W. Lesch, Übersetzungen. Grenzgänge zwischen philosophischer und theologischer Ethik (SThE; 113), Freiburg CH 2013, insbesondere 66 und Kapitel 5.
24 Vgl. R. A. Siebenrock, Theologischer Kommentar zur Erklärung über die religiöse Freiheit „Dignitatis humanae“, in: Hünermann, P. / Hilberath, B. J. (Hg.), Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil 4, Freiburg i. B. 2005, 125-218.
25 Vgl. K.-W. Merks, Grundlinien einer interkulturellen Ethik, 123.
26 Ebd., 157.
27 Ebd., 196f.
28 Vgl. zum Folgenden ebd., 223ff.
29 Vgl. Chr. Becker, Was bleibt? Recht und Postmoderne. Ein rechtstheoretischer Essay, Baden-Baden 2014, 27-34.
30 L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, 66 zitiert nach Chr. Becker, Recht und Postmoderne, Fn. 103.
31 Vgl. H. Wennerberg, Der Begriff der Familienähnlichkeit in Wittgensteins Spätphilosophie, in: E. von Savigny (Hg.), Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen (Klassiker auslegen; 13), Berlin 22011, 33-61.
32 Vgl. Chr. Becker, Recht und Postmoderne, 31.
33 Vgl. R. Rorty, Kontingenz, Ironie und Solidarität, Frankfurt a. M. 102012.
34 Vgl. Chr. Becker, Recht und Postmoderne, 34-37.
35 Ebd., 35.
36 Vgl. ebd., 35.37.56.58.
37 Ebd., 62f.
38 Vgl. hierzu J.-F. Lyotard, Der Widerstreit, München 21989.
39 Chr. Becker, Recht und Postmoderne, 82f.
40 Dies macht Hans Joas sehr eindrücklich deutlich. Vgl. hierzu H. Joas, Die Sakralität der Person. Eine neue Genealogie der Menschenrechte, Berlin 2011.
41 Vgl. Chr. Becker, Recht und Postmoderne, 108f.113.
42 Ebd., 115ff.
43 Vgl. Z. Bauman, Flüchtige Moderne, Frankfurt a. M. 62015, 248f.
44 Ebd., 250.
45 Vgl. W. Lesch, Übersetzungen, 31.35.
46 Vgl. ebd., 46.59.
47 Zur Bedeutung des „schwachen Denkens“ bei Vattimo in Bezug auf die Theologie vgl. U. Engel, Philosophie (im Licht) der Inkarnation. Zu Gianni Vattimos Religionsdiskurs im Zeitalter der Interpretation, in: Vattimo, G. / Schröder, R. / ders. (Hg.), Christentum im Zeitalter der Interpretation, Wien 2004, 4178, hier 46f. Engel betont, dass mit dem schwachen Denken und dem Verzicht des Rekurses auf Wahrheit als objektiver und endgültiger Evidenz nicht automatisch ein Relativismus gegeben ist, sondern vielmehr ein Verständnis von Wahrheit als Kette von Verweisungen, als geschichtliche Überlieferung. Dieses Verständnis von Wahrheit ist im christlichen Modell der kenosis grundgelegt (48ff.).
48 G. Vattimo, Jenseits der Interpretationen. Die Bedeutung der Hermeneutik für die Philosophie, Frankfurt a. M. 1997, 13-31.31.
49 W. Lesch, Übersetzungen, 60.
50 Vgl. ebd., 85.113f.
51 J. Römelt, Der kulturwissenschaftliche Anspruch, 35.
52 Vgl. Chr. F. Zurn, Einleitung, in: Schmidt am Busch, H.-Chr. / ders. (Hg.), Anerkennung (DZPh Sonderband; 21), Berlin 2009, 7-24, hier 9.
53 Vgl. ebd., 10f.
54 Ebd., 11.
55 Diese Engführung auf das Subjekt soll bspw. in der Theorie Judith Butlers vermieden werden, indem Herausbildung einer Identität bzw. Subjektivität an die Anerkennung ideologischer Diskurse rückgebunden wird, welche Identität bzw. Subjektposition performativ hervorbringen. Eine Veränderung erfolgt, da die Wiederholung der Diskurse nicht immer auf die gleiche Art und Weise erfolgen muss.
56 Vgl. A. Honneth, Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte. Mit einem neuen Nachwort, Frankfurt a. M. 1994, 148.
57 Vgl. ebd., 7.
58 Vgl. A. Bohmeyer, Jenseits der Diskursethik. Christliche Sozialethik und Axel Honneths Theorie sozialer Anerkennung (Forum Sozialethik; 2), Münster 2006, 119.
59 Vgl. A. Honneth, Kampf und Anerkennung und Engagement. Wege zur normativen Begründung kritischer Theorie. Ein Interview von Roger Behrens und Harald Lemke, in: Widerspruch. Münchner Zeitschrift für Philosophie 26 (1994) 69-76, hier 75.
60 Vgl. Ders.‚ Die soziale Dynamik von Mißachtung. Zur Ortsbestimmung einer kritischen Gesellschaftstheorie, in: ders.‚ Das Andere der Gerechtigkeit. Aufsätze zur praktischen Philosophie, Frankfurt a. M. 2000, 88-109, hier 96.
61 Ebd., 98.
62 Jüngst hat Martin Sticker in einem exegetisch angelegten Beitrag darauf hingewiesen, dass es von einer strengen hegelschen Perspektive her betrachtet zu weit gehen könnte Anerkennung als grundlegendes Element einer Sozialordnung auszuweisen. Dies begründet Sticker damit, dass Hegel bloße Anerkennung für defizitär hält, da ihr noch die Reflexion auf die sittliche Substanz zur Seite treten muss, um auch übersteigerte Subjektivität, die sich ja wechselseitig anerkennen könnte, zu überwinden. Diese exegetischen Perspektive, die zu einer Überprüfung der Hegeldeutungen in den verschiedenen anerkennungstheoretischen Ansätzen auffordert, kann hier nur zur Kenntnis genommen werden bzw. kann hier nur darauf vertraut werden, dass sich die Deutungen von u. a. Honneth und Butler in einem zulässigen Rahmen bewegen. Vgl. hierzu M. Sticker, Hegels Kritik der Anerkennungsphilosophie. Die Aufhebung verwirklichter Anerkennung in der Phänomenologie des Geistes, in: Hegelstudien 49, Hamburg 2015, 89-122.
63 Vgl. A. Honneth, Unsichtbarkeit. Über die moralische Epistemologie von „Anerkennung“, in: ders., Unsichtbarkeit. Stationen einer Theorie der Intersubjektivität, Frankfurt a. M. 2003, 10-27, hier 15.27.
64 Vgl. ders., Verwilderungen. Kampf um Anerkennung im frühen 21. Jahrhundert, in: APuZ 1-2 (2011) 37-45, hier 37
65 Vgl. L. Siep, Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie. Untersuchungen zu Hegels Jenaer Philosophie des Geistes, Hamburg 2014, insbesondere 76-84.
66 Vgl. A. Honneth, Von der Begierde zur Anerkennung. Hegels Begründung von Selbstbewußtsein, in: Vieweg, K. / Welsch, W. (Hg.), Hegels Phänomenologie des Geistes. Ein kooperativer Kommentar zu einem Schlüsselwerk der Moderne, Frankfurt a. M. 32014, 187-204, hier 187f.
67 G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, neu hrsg. v. Hans-Friedrich Wessels und Heinrich Clairmont, Hamburg 1988, 120.
68 Vgl. M. Quante, „Der reine Begriff des Anerkennens“. Überlegungen zur Grammatik der Anerkennungsrelation in Hegels Phänomenologie des Geistes, in: Schmidt am Busch, H.-Chr. / Zurn, Chr. F. (Hg.), Anerkennung (DZPh Sonderband; 21), Berlin 2009, 91-106, hier 96f.
69 Chr. Iber, Selbstbewußtsein und Anerkennung in Hegels Phänomenologie des Geistes, in: Arndt, A. / Müller, E. (Hg.), Hegels „Phänomenologie des Geistes“ heute (DZPh Sonderband; 8), Berlin 2004, 98-117, hier 102.
70 Ebd., 102.
71 P. Stekeler, Hegels Phänomenologie des Geistes. Ein dialogischer Kommentar 1: Gewissheit und Vernunft (Philosophische Bibliothek; 660a), Hamburg 2014, 123.
72 Ebd.
73 Ebd., 121.
74 Ebd.
75 A. Honneth, Von der Begierde zur Anerkennung 2014, 195.
76 Ebd.
77 G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, 126.
78 A. Honneth, Von der Begierde zur Anerkennung 2014, 201.
79 Chr. Iber, Selbstbewußtsein und Anerkennung, 102.
80 G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, 126.
81 A. Honneth, Von der Begierde zur Anerkennung 2014, 202.
82 L. Siep, Anerkennung in der Phänomenologie des Geistes und in der heutigen praktischen Philosophie, in: Schmidt am Busch, H.-Chr. / Zurn, Chr. F. (Hg.), Anerkennung (DZPh Sonderband; 21), Berlin 2009, 107-124, hier 109.
83 Vgl. hierzu Chr. Iber, Selbstbewußtsein und Anerkennung, 104f.
84 Ebd., 105.
85 Vgl. ebd., 106.
86 A. Honneth, Von der Begierde zur Anerkennung 2014, 203f.; vgl. Chr. Iber, Selbstbewußtsein und Anerkennung, 106.
87 Vgl. R. B. Pippin, Hegel’s Practical Philosophy. Rational Agency as Ethical Life, Cambridge 32010, 222233.
88 A. Honneth, Moralische Entwicklung und sozialer Kampf. Sozialphilosophische Lehren aus dem Frühwerk Hegels, in: ders. / McCarthy, Th. / Offe, C. (Hg.), Zwischenbetrachtungen. Im Prozeß der Aufklärung. Festschrift für Jürgen Habermas, Frankfurt a. M. 1989, 549-573, hier 564.
89 Vgl. ebd., 563ff.
90 L. Siep, Anerkennung in der Phänomenologie des Geistes, 107.
91 Vgl. hierzu P. Stekeler, Hegels Phänomenologie des Geistes. Ein dialogischer Kommentar 2: Geist und Religion (Philosophische Bibliothek; 660a), Hamburg 2014, 711-728.
92 Chr. Iber, Selbstbewußtsein und Anerkennung, 116.
93 P. Stekeler, Hegels Phänomenologie 1, 58f.
94 Vgl. A. Honneth, Kampf um Anerkennung, 7.
95 Vgl. ebd., 107-225.
96 Vgl. ebd., 134.
97 Vgl. A. Bohmeyer, Jenseits der Diskursethik, 147f.
98 Vgl. hierzu A. Honneth, Umverteilung als Anerkennung. Eine Erwiderung auf Nancy Fraser, in: ders. / Fraser, N. (Hg.), Umverteilung oder Anerkennung? Eine politisch-philosophische Kontroverse, Frankfurt a. M. 2003, 129-224, insbesondere 162-177.
99 G. Luf, Überlegungen zur Theorie der Anerkennung in der gegenwärtigen Rechtsphilosophie, in: Schild, W., Anerkennung. Interdisziplinäre Dimensionen eines Begriffs (Studien zum System der Philosophie; 5), Würzburg 2000, 73-90, hier 73.
100 Vgl. M. Seel, Anerkennung und Aufmerksamkeit. Über drei Quellen der Kritik, in: ders., Aktive Passivität. Über den Spielraum des Denkens, Handelns und anderer Künste, Frankfurt a. M. 2014, 177-201, hier 194.
101 Vgl. A. Honneth, Verwilderungen 2011, 38.
102 Vgl. ders., Axel, Kampf um Anerkennung 1994, 153-172; A. Bohmeyer, Jenseits der Diskursethik, 149ff.; Th. Bedorf, Verkennende Anerkennung. Über Identität und Politik, Berlin 2010, 48ff.
103 A. Honneth., Liebe und Moral. Zum moralischen Gehalt affektiver Bindungen, in: ders., Das Andere der Gerechtigkeit. Aufsätze zur praktischen Philosophie, Frankfurt a. M. 2000, 216-236, hier 235f.
104 Vgl. ders., Kampf um Anerkennung, 68.
105 Ebd., 158.
106 Vgl. ders., Leiden an der Unbestimmtheit. Eine Reaktualisierung der Hegelschen Rechtsphilosophie, Stuttgart 2001, 102ff.
107 Vgl. ders., Anerkennung und moralische Verpflichtung, in: ZPhF 51 (1997) 25-41, hier 37.
108 Vgl. ders, Integrität und Missachtung. Grundmotive einer Moral der Anerkennung, in: Merkur 501 (1990) 1043-1054, hier 1049.
109 Vgl. ebd., 1049f.
110 Vgl. K.-O. Maiwald, Die Liebe und der häusliche Alltag. Überlegungen zu Anerkennungsstrukturen in Paarbeziehungen, in: Honneth, A. / Voswinkel, St. / Lindemann, O. (Hg.), Strukturwandel der Anerkennung. Paradoxien sozialer Integration in der Gegenwart, Frankfurt a. M. 2013, 155-183, hier 161.
111 A. Honneth, Kampf um Anerkennung 1994, 154.
112 Vgl. ders., Umverteilung als Anerkennung 2003, 164f.
113 Vgl. K.-O. Maiwald, Die Liebe und der häusliche Alltag, 163.
114 Vgl. A. Honneth, Kampf um Anerkennung 1994, 173-195; A. Bohmeyer, Jenseits der Diskursethik, 151ff; Th. Bedorf, Verkennende Anerkennung, 51-57.
115 G. Luf, Überlegungen zur Theorie der Anerkennung, 74.
116 Vgl. A. Bohmeyer, Jenseits der Diskursethik, 152.
117 A. Honneth, Kampf um Anerkennung 1994, 178.
118 G. Luf, Überlegungen zur Theorie der Anerkennung, 75.
119 Ebd.
120 Vgl. ebd., 75f.
121 Vgl. Th. Bedorf, Verkennende Anerkennung, 57.
122 G. Luf, Überlegungen zur Theorie der Anerkennung, 76.
123 A. Honneth, Kampf um Anerkennung 1994, 178.
124 Ebd., 185.
125 Ebd., 185f.
126 Vgl. G. Luf, Überlegungen zur Theorie der Anerkennung, 77.
127 Vgl. A. Honneth, Kampf um Anerkennung 1994, 188f.
128 Ebd., 282f.
129 G. Luf, Überlegungen zur Theorie der Anerkennung, 78
130 A. Honneth, Kampf um Anerkennung 1994, 183f.
131 Vgl. ebd., 184f.
132 Ch. Taylor, Multikulturalismus und die Politik der Anerkennung, Frankfurt a. M. 22012, 11-66, hier 28.
133 A. Honneth, Unsichtbarkeit 2003, 23.
134 Vgl. hierzu ders., Verdinglichung. Eine anerkennungstheoretische Studie, Frankfurt a. M. 2005, insbesondere 46-61.
135 Ebd., 60 Fn. 19.
136 Ebd., 60.
137 „Das Sich-Hineinversetzen in die Perspektive der zweiten Person verlangt den Vorschuß einer Form von Anerkennung, die in kognitiven oder epistemischen Begriffen nicht vollständig zu erfassen ist, weil sie stets ein Moment der unwillkürlichen Öffnung, Hingabe oder Liebe enthält.“ Ebd., 51.
138 Ebd., 60 Fn. 19.
139 Ders., Zwischen Aristoteles und Kant. Skizze einer Moral der Anerkennung, in: ders., Das Andere der Gerechtigkeit. Aufsätze zur praktischen Philosophie, Frankfurt a. M. 2000, 171-192, 190.
140 Vgl. ders., Kampf um Anerkennung 1994, 196-210; A. Bohmeyer, Jenseits der Diskursethik, 152ff; Th. Bedorf, Verkennende Anerkennung, 57-63.
141 A. Honneth., Kampf um Anerkennung 1994, 196.
142 Ebd., 196.
143 Ebd., 197.
144 Ebd., 198.
145 Ebd., 198f.
146 Ebd., 199ff.
147 Ebd., 199.
148 Vgl. ebd., 200f.
149 Ebd., 201.
150 Ebd., 202; vgl. hierzu auch sehr differenziert H. Joas, Sakralität.
151 Vgl. ebd., 203.
152 Ebd., 205f.
153 Ebd., 210.
154 Th. Bedorf, Verkennende Anerkennung, 58.
155 Vgl. H. Röhr, Anerkennung – Zur Hypertrophie eines Begriffs, in: Ricken, N. / ders. / Ruhloff, J. u. a. (Hg.), Umlernen, München-Paderborn 2009, 93-108, hier 100.
156 Vgl. hierzu Th. Bedorf, Verkennende Anerkennung, 70ff., 75f.
157 A. Honneth, Kampf um Anerkennung 1994, 182.
158 Ders., Unsichtbarkeit, 27.
159 Ebd.
160 Th. Bedorf, Verkennende Anerkennung, 76.
161 Martin Seel weist in diesem Zusammenhang mit dem Begriff der „Aufmerksamkeit“ darauf hin, dass eine unnötige Trennung von Anerkennung und Erkennen nicht hilfreich ist. Damit verbindet er seine These, das Anerkennen und Erkennen in genetischem und systematischem Sinn zusammen einhergehen (184), dass es kein primäres Weltvertrauen ohne Anerkenntnis und Erkenntnis geben kann (188). Dies begründet er beispielhaft an Überlegungen zu drei Aspekten der Anerkennung. Im intersubjektiven Bereich nähert er sich über die Missachtung an: Damit Subjekte überhaupt bemerken können, dass eine Missachtung erfolgt ist zumindest rudimentäre Kenntnis, rudimentäres Wissen davon erforderlich, was es bedeutet sozial anerkannt zu sein (195). Ebenso im Bereich der Selbstachtung, also in der rechtlichen Anerkennungssphäre: auch hier stellt die Fähigkeit zu erkennen und so auch anzuerkennen, welches die für ein Subjekt bejahenswerten Antriebe und Bestrebungen sind, die Grundlage für ein Selbstverhältnis dar (195). Den letzten Aspekt benennt Seel als den „ästhetischer Anerkennung“. Hier geht es darum, dass Anerkennungsbeziehungen auf die objektive Welt ausgedehnt werden, um der Einmaligkeit der Welt, den Besonderheiten der übrigen Dinge des Lebens eine nichtinstrumentelle Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Auch in dieser ästhetischen Anerkennung, in der Ereignisse um ihrer selbst willen geschätzt werden, spielt die kognitive Dimension eine tragende Rolle, da hierfür ein entwickeltes ästhetisches Bewusstsein und die Fähigkeit zur Abstandnahme von jeder begrifflich-propositionalen Fixierung des Gegenstandsbereichs nötig ist (197f.). Mit seinen Anmerkungen geht es Seel nicht um eine grundsätzliche Kritik Honneths, sondern um eine Justierung des Anerkennungsbegriffs Honneths bzw. dessen Überlegungen zum Verhältnis von Anerkennen und Erkennen. Seel führt deswegen auch den Begriff der Aufmerksamkeit ein, den er für das „übergreifende Kriterium der Bewertung von Anerkennungsverhältnissen“ (201) hält, da Anerkennung in ihrem Kern Aufmerksamkeit ist. „Sie ist Wahrnehmungsfähigkeit, durch die Personen in ein selbstbestimmtes Leben finden und sich, sofern sie ihnen erhalten bleibt, in ihm halten können. Sie ist es in dreifacher Hinsicht: gegenüber anderen, gegenüber sich selbst und gegenüber den Umgebungen ihres Lebens.“ (200). Vgl. M. Seel, Anerkennung und Aufmerksamkeit, insbesondere 197ff.
162 Vgl. Th. Bedorf, Verkennende Anerkennung, 70f.
163 Vgl. hierzu A. Honneth, Verdinglichung 2005.
164 Ebd., 68.
165 Vgl. ebd., 87f., 93.
166 Th. Bedorf, Verkennende Anerkennung, 72.
167 Ebd., 72f.
168 Vgl. hierzu St. Cavell, Wissen und Anerkennen, in: ders., Die Unheimlichkeit des Gewöhnlichen und andere philosophische Essays, Frankfurt a. M. 2002, 34-75.
169 A. Honneth, Verdinglichung 2005, 60.
170 Vgl. ebd., 60.
171 Vgl. ebd., 38, 42.
172 Ebd., 39.
173 Vgl. N. Balzer, Spuren der Anerkennung. Studien zu einer sozial- und erziehungswissenschaftlichen Kategorie, Wiesbaden 2014, 156.
174 Vgl. G. Luf, Überlegungen zur Theorie der Anerkennung, 74.
175 Vgl. M. Bär, Mensch und Ebenbild Gottes sein. Zur gottebenbildlichen Dimension von Mann und Frau (EThSt; 101), Würzburg 2011.
176 Vgl. K. Lehmann, Über das Verhältnis der Exegese als historisch-kritischer Wissenschaft zum dogmatischen Verstehen, in: Pesch, R. / Schnackenburg, R. (Hg.), Jesus und der Menschensohn. Festschrift für Anton Vögtle, Freiburg i. B.-Basel-Wien 1975, 421-434, hier 426f.
177 Vgl. F. Siegert, Anthropologisches aus der Septuaginta, in: Mittmann-Richert, U. / Avemarie, Fr. / Oegema, G. S. (Hg.), Der Mensch vor Gott. Forschungen zum Menschenbild in Bibel, antikem Judentum und Koran. Festschrift für Hermann Lichtenberger, Neukirchen-Vluyn 2003, 65-74, hier 65.
178 Vgl. ebd.
179 Chr. Frevel, Gottesbildlichkeit und Menschenwürde. Freiheit, Geschöpflichkeit und Würde des Menschen nach dem Alten Testament, in: Wagner, A. (Hg.), Anthropologische Aufbrüche. Alttestamentliche und interdisziplinäre Zugänge zur historischen Anthropologie (FRLANT; 232) Göttingen 2009, 255274, hier 269.
180 Vgl. K. Koch, Imago Dei – Die Würde des Menschen im biblischen Text, in: Berichte aus den Sitzungen der Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften e.V. 18 (2000) Hamburg-Göttingen 2000, 16.
181 Vgl. W. Groß, Gen 1,26-27; 9,6: Statue oder Ebenbild Gottes? Aufgabe und Würde des Menschen nach dem hebräischen und dem griechischen Wortlaut, in: Menschenwürde (JBTh: 15), Neukirchen-Vluyn 2001, 11-38, hier 35.
182 Vgl. ebd., 36f.
183 Vgl. K. Koch, Imago Dei, 16.
184 Vgl. W. Groß, Gen 1,26.27;9,6: Statue oder Ebenbild, 37.
185 Vgl. U. Wilckens, Theologie des Neuen Testaments 2,2: Die Theologie des Neuen Testaments als Grundlage kirchlicher Lehre. Der Aufbau, Neukirchen-Vluyn 2009, 269.282.
186 Vgl. Chr. Markschies, Art. Gottebenbildlichkeit II: Christentum, RGG4 3, Tübingen 2000, 1160-1163, hier 1160.
187 Vgl. J. Eckert, Christus als „Bild Gottes“ und die Gottebenbildlichkeit des Menschen in der paulinischen Theologie, in: Frankemölle, H. / Kertelge, K. (Hg.), Vom Urchristentum zu Jesus. Festschrift für Joachim Gnilka, Freiburg i. B.-Basel-Wien 1989, 337-357, hier 341.
188 Vgl. L. Thunberg, Der Mensch als Abbild Gottes – Die östliche Christenheit, in: McGinn, B. / Meyendorff, J. / Leclercq, J. (Hg.), Geschichte der christlichen Spiritualität 1: Von den Anfängen bis zum 12. Jahrhundert, Würzburg 1993, 299-317, hier 299f.
189 Vgl. E. Dassmann, Menschenrechte und Menschenwürde in frühchristlicher Zeit (JBTh; 15), 2000, 151-179, hier 153. In einer von Yves Congar besorgten Auflistung finden sich alle explizit mit der Schöpfungsgeschichte befassten Autoren, worunter sich beinahe alle bekannten Namen der frühen Kirche finden. Vgl. Y. Congar, Le thème du Dieu Créateur et les explications de l’Hexaéméron dans la tradition chrétienne, in: De Lubac, H., L’Homme devant Dieu: Mélanges offerts au Père Henri de Lubac I. Exégèse et patristique, Paris 1963, 189-222, hier 215-222.
190 Vgl. L. Thunberg, Der Mensch als Abbild Gottes, 301.
191 Vgl. G. T. Armstrong, Die Genesis in der Alten Kirche. Die drei Kirchenväter (BGBH; 4), Tübingen 1962, 8-15.
192 Vgl. ebd., 12.
193 Vgl. K. Koch, Imago Dei, 16.
194 Vgl. W. Groß, Die Gottebenbildlichkeit des Menschen im Kontext der Priesterschrift (ThQ; 161) 1981, 244-264.; wiederveröffentlicht in: ders., Studien zur Priesterschrift und zu alttestamentlichen Gottesbildern (SBAB; 30), Stuttgart 1999, 11-36, hier 12.
195 Vgl. G. T. Armstrong, Genesis, 54-56.
196 Vgl. ebd., 60f.
197 Vgl. ebd., 70f.
198 Vgl. St. Otto, Gottes Ebenbild in der Geschichtlichkeit. Überlegungen zur dogmatischen Anthropologie, München 1964, 59.
199 Vgl. Chr. Markschies, Gottebenbildlichkeit, 1160f.
200 Vgl. R. M. Grant, Gnostische Spiritualität, in: McGinn, B. / Meyendorff, J. / Leclercq, J., Geschichte der christlichen Spiritualität 1: Von den Anfängen bis zum 12. Jahrhundert, Würzburg 1993, 71-87, hier 84f.
201 Vgl. J. Jervell, Imago Dei. Gen 1,26f. im Spätjudentum, in der Gnosis und in den paulinischen Briefen, Göttingen 1960, 122ff.
202 Vgl. St. Otto, Gottes Ebenbild, 83ff.
203 Ebd., 84.
204 Vgl. L. Thunberg, Der Mensch als Abbild Gottes, 305.
205 Vgl. G. T. Armstrong, Genesis, 77f.
206 Marc II 4,4.
207 Vgl. G. T. Armstrong, Genesis, 100.113.117.
208 Vgl. ebd., 118.126f.; Irenäus, Prax 12,4.
209 Vgl. St. Otto, Gottes Ebenbild, 87ff.
210 Vgl. B. McGinn, Der Mensch als Abbild Gottes II: Die westliche Christenheit, in: ders. / Meyendorff, J. / Leclercq, J. (Hg.), Geschichte der christlichen Spiritualität 1: Von den Anfängen bis zum 12. Jahrhundert, Würzburg 1993, 317-334, hier 318.
211 Vgl. St. Otto, Gottes Ebenbild, 89f.
212 Vgl. B. McGinn, Der Mensch als Abbild Gottes, 324f.
213 A. Augustinus, Über den Wortlaut der Genesis. De Genesi ad litteram libri duodecim, übers. v. C. J. Perl, Paderborn 1961-1964, 101.
214 Vgl. E. Reinmuth, Anthropologie des Neuen Testaments, Tübingen-Basel 2006, 218.
215 2 Kor 4,4.
216 Vgl. Origenes, Homilie zu Genesis, 1, 16, in: ders., Die Kommentierung des Buches Genesis. Eingeleitet und übersetzt von Karin Metzler (Werke mit deutscher Übersetzung 1/1), Freiburg i. B. 2010.
217 Vgl. L. Thunberg, Der Mensch als Abbild Gottes, 309ff.
218 Ebd., 306.