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5. 1939-Jahr des Aufbruchs

1939 war nicht nur das ereignisreichste Jahr in meiner Kindheit. Im Verlauf dieses Jahres erweiterte sich auch das Feld meiner kindlichen Lebenserfahrung ganz substanziell. Die Welt und das Weltgeschehen drangen ein in den Umkreis meiner Erlebnisse und erweiterten den kindlichen Horizont über die Angelegenheiten der Familie hinaus. Das öffentliche Leben und die geschichtliche Wirklichkeit wurden zu wahrgenommenen Faktoren.

Das Jahr begann mit einem freudigen Familienereignis. Am 31. Januar wurde mein Bruder Albert geboren. Der Vater holte bei dieser Gelegenheit die Großmutter ins Haus, um den Haushalt zu führen. Sie kam und erzählte, sie habe beim alten Schloss noch den Storch gesehen, nachdem er das Kindle gebracht hatte. Ich glaubte so etwas schon lange nicht mehr. Die Großmutter: das war doch naiv von ihr, so etwas noch zu erzählen. Als die Mutter dann im Kindsbett lag, wurde ich krank und musste im Bett bleiben und verbrachte die Zeit im Bett neben ihr. Als Frau Schiefer, die Hebamme, kam, baute sie immer als erstes aus Kissen einen Sichtschutz auf zwischen der Mutter und mir und hieß mich schlafen. Ich schlief natürlich nicht, sondern „gickelte“ heimlich und sah, wie sie sich mit den Brüsten der Mutter beschäftigte und ihrem Geschlecht. Ich entdeckte verbotenerweise und überhaupt das einzige Mal in ihrem Leben ihre Intimsphäre, und ich konnte mir denken, dass die Geburt des Kindes damit zu tun hatte.

Für mich persönlich war in diesem Jahr zunächst bedeutsam, dass ich an Ostern endlich in die Schule kam. „Dumm gejährt", hieß es, denn ich war ja fast schon 7 Jahre alt, also aufgrund der damals gültigen Einschulungsregeln fast 1 Jahr älter als die meisten Mitschüler. Mein erster Lehrer war Himmelsbach. Er kannte mich schon lange durch Karline, die er mit seiner Frau, der Tochter des ehemaligen Wilde-Mannwirts, regelmäßig besuchte, und er nannte mich zwar weiter Bernhärdle wie sie. Aber er war für mich als Lehrer ein Fremder. Und er ging unfreundlicher mit mir um als mit gewissen Lieblingsschülern. Er war streng mit mir. Zur richtigen Erziehung gehörte für ihn der Rohrstock. Wegen mangelhafter Schönschreibleistungen erhielt ich von ihm schon in den ersten Wochen unvergessliche 4 Tatzen, 2 auf jede Hand. Es tat so weh, dass ich den ganzen Vormittag nicht mehr schreiben konnte. Und auch mein erstes Schulzeugnis, das ich von ihm bekam, war ganz und gar mittelmäßig. Ich hatte keine einzige 2. Gleich zu Beginn lernte man die schwierige Sütterlinschrift, etwas später dann die lateinische Normalschrift und beim Lesen die Druckschrift, die am einfachsten war.

Trotz allen Frustrationen ging ich gerne zur Schule. Bei den späteren Lehrern ging es mir dann allerdings auch besser, und ich hatte viel bessere Noten. Die Schule war natürlich vom ersten Tag an eine ganz neue Erfahrung: vor allem waren da neue Kameraden und dann dieser Stunde für Stunde geregelte Vormittag. Indes ging es da nicht nur darum, lesen,schreiben und rechnen zu lernen, sondern auch richtig „Heil Hitler“ zu sagen statt „Guten Tag“ oder „‘s Gott“ (= Grüß Gott!) und dazu den Arm richtig zu heben! Das gehörte zum guten Benehmen. Man konnte sich in der viel zu engen Schulbank mit den Klappsitzen den ganzen Vormittag hindurch kaum rühren, musste aber trotzdem still sitzen. Im Unterricht sollte man eigentlich nur zuhören. Strecken und etwas sagen durfte man nur, wenn man auch wirklich etwas wusste. Man hatte auf jeden Fall immer das zu tun, was der Lehrer sagte. Er war die alles wissende und alles entscheidende Person. Richtig oder falsch, gut oder böse, schön oder hässlich, was das jeweils war, das sagte er.

Kindheitserinnerungen aus Meersburg

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