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II.

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Vor dem Salon kündete eine über wolkenfreiem Himmel strahlende Sonne einen angenehmen Mainachmittag an, sodass es viele Besucher nach dem Stück, dem wenig Applaus beschieden war, in das nahe liegende Kaffeehaus zog. Der junge Mann hingegen stand unschlüssig zwischen den Säulen des klassizistischen Baus und wusste nicht recht, ob er sich dem allgemeinen Sog anschließen sollte oder nicht. Er könnte auch durch den Park schlendern, vielleicht am Ufer der Saale entlang, oder auf direktem Weg über Schkopau und all die kleinen Dörfer zurück nach Halle reiten. Aber keine der Möglichkeiten schien ihn wirklich zu überzeugen. Hätte ihn doch nur sein Bruder begleitet, dann würde er nun nicht so verlassen herumstehen. Aber Wilhelm war zu bequem gewesen, um Halle zu verlassen und an einem so frühlingshaften Tag über die staubige Landstraße bis nach Merseburg zu reiten.

Inzwischen waren die meisten Theatergäste aus dem Salon getreten und hatten sich über den Park verstreut, führten Damen spazieren oder redeten bei Kuchen und leichtem Wein über das gesehene Schauspiel. Der junge Mann sah sich um und stellte fest, dass es einem anderen genauso ging wie ihm. Dieser Jemand, von strammer, wenn auch schlanker Statur, trat von einem Fuß auf den anderen und schien ganz offensichtlich auf jemanden zu warten. Als sich ihre Blicke kreuzten, nickte ihm der andere freundlich zu. Der junge Mann erwiderte den Gruß, und dadurch ermuntert, kam der Fremde auf ihn zu.

»Gestatten Sie, dass ich mich Ihnen so plump bekannt mache«, erklärte er ohne Umschweife und streckte dem jungen Mann die Hand entgegen. »Mein Name ist Heinrich von Botfeld.«

Froh über eine willkommene Unterhaltung ergriff der junge Mann die ihm dargebotene Hand und nannte nun auch seinen Namen: »Joseph von Eichendorff.«

»Verzeihen Sie, dass mir dieser Name nicht geläufig ist. Sie stammen nicht aus dieser Gegend?«

Eichendorff nannte den oberschlesischen Ort Lubowitz bei Ratibor und fügte, da dieser Botfeld unbekannt war, hinzu: »Mich hat das Studium hierher verschlagen.«

Damit war das Zauberwort gefallen, denn dort, wo sich junge Leute als Kommilitonen erkennen und noch dazu als solche derselben Fakultät, werden sie sich schnell vertrauter. So plauderten auch diese zwei Studenten bald ganz versonnen über den neuesten Roman August Heinrich Julius Lafontaines und den letzten Krawall in dem Gasthaus Drei Könige, wo sich ein Hallenser Bürger mit einem Studenten aus Stendal angelegt und ein blaues Auge kassiert hatte. Er hatte noch Glück gehabt, dass kein Degen gezogen worden war! Die Stadt Halle lag eindeutig in der Hand der Studenten, die aus aller Herren Länder hierher kamen, um zu lernen, vor allem aber auch, um fernab der Heimat in Ausgelassenheit und Freiheit zu leben. Die Bürger mochten sich über das haltlose Treiben der Studiosi mokieren, wie sie wollten. Zuletzt waren sie doch auf die jungen Herren angewiesen, denn seit dem schleppenden Niedergang der heimischen Wollfabriken und Spinnereien waren es die Studenten und Garnisonssoldaten, die das Geld in die Stadt brachten. Sie waren Mieter, Wirtshausgäste und Flaneure, die über Lust und Geld genug für allerlei Zeitvertreib verfügten. Und schließlich waren sie die Anwärter auf die attraktiven Posten in der preußischen Verwaltung, bei den Gerichten des Landes und in den Regierungsräten. Letztlich galt es bei all der Freilebigkeit doch, sich für eine behagliche Zukunft zu qualifizieren. So hatten auch die beiden jungen Herren mehrere Seminare der Jurisprudenz belegt und wunderten sich nun, dass sie sich noch nicht bei dem alten Professor Schmaltz begegnet waren, und amüsierten sich so sehr über dessen Schrulligkeiten, dass sie darüber glatt die Zeit vergaßen.

Erst ein verhaltenes Räuspern und das kaum wahrnehmbare Rauschen eines Kleides brachten die beiden Männer von ihrem Gespräch ab. Da war sie wieder, diese märchenhafte Rothaarige, die Eichendorff im Theater aufgefallen war und die ihm nun als Botfelds Schwester Undine vorgestellt wurde. Er wollte ihr noch einmal so unverhohlen in die Augen sehen, doch auch als er sich zur Begrüßung vor ihr leicht verneigte, hielt sie den Blick dezent gesenkt. Hatte sie sich zuvor im Theater unbeobachtet gefühlt und offen ihr Gesicht gezeigt, hielt sie sich nun sittsam zurück, was Eichendorff umso reizvoller vorkam.

Als Botfeld vorschlug, gemeinsam das Kaffeehaus aufzusuchen, stimmte Eichendorff mit Freuden zu. Auf dem Weg durch den Park versuchte er, Undine näherzukommen, sie in ein Gespräch zu verwickeln, aber Botfeld, der wohl den neuen Bekannten in blinder Freundlichkeit zu unterhalten versuchte, nahm ihn mit einer ausschweifenden Aufzählung aller familiären Höhepunkte der Botfelds völlig in Beschlag. Außerdem schien Undine keinen übergroßen Wert auf die Gesellschaft Eichendorffs zu legen, sondern ging schweigend am Arm ihres Bruders neben den Männern her, und nachdem sie auf der Terrasse Platz genommen hatten, blickte sie von der Gesellschaft weg in den Park hinaus, sodass Eichendorff kaum mehr als ihre Haube zu Gesicht bekam. Botfeld hatte sich nun ganz in den unglaublichen Ereignissen seiner großartigen Ahnen verloren und Eichendorff fehlte es an Mut und Geschick, durch einen gekonnten Einwurf das Gespräch wie von selbst auf die stille Frau zu lenken, deren freundlicher, doch distanzierter Blick ihn ab und zu im Vorbeifliegen streifte, aber doch nie völlig traf.

Während Eichendorff zu allem, was ihr Bruder von sich gab, fleißig nickte, betrachtete er Undine unablässig aus den Augenwinkeln. Ihr Gesicht war unbewegt und verschlossen, gelangweilt ohne Zweifel. Ihr Temperament aber, das Eichendorff ganz sicher in ihr vermutete, lag tief verborgen irgendwo unter dem dunklen Baumwollkleid und hinterließ nun keine sichtbare Spur mehr auf ihrem Gesicht.

So verging fast eine Stunde, in der Undine eisern schwieg, ihre Schokolade nippte und lieber den Schlosspark in seiner farbenfrohen Blumenvielfalt als den Unbekannten betrachtete. Und so gab sich Eichendorff notgedrungen mit Botfeld zufrieden, beide kamen nach all den vorangegangenen Botfelds schnell wieder auf die Universität und das Gewühl der zwölfhundert Studenten zu sprechen und begründeten bei bitterem Merseburger Schwarzbier, von dem Eichendorff schon in Halle gehört hatte, ein freundschaftliches Verhältnis. Pfeife rauchend ließen sie den späten Nachmittag ausklingen. Bei der Verabschiedung schließlich, die vonseiten der Geschwister von Botfeld ähnlich wie die Begrüßung unterschiedlich herzlich ausfiel, lud Botfeld Eichendorff dringlichst für den nächsten Samstag auf eines der familiären Güter im nahen Geusau ein, was dieser dankend annahm.

Auf dem Heimweg nach Halle hatte Eichendorff genug Zeit, um über das Erlebte nachzudenken und sich Kommendes auszumalen, wobei sich immer wieder das Antlitz Undines in seine Gedanken schlich. Dabei hatte Botfeld nicht einmal erwähnt, ob Undine überhaupt in Geusau sein würde, es gab also keinerlei Gründe für Eichendorff, irgendetwas zu hoffen. Vor allem, wo sich Undine ihm gegenüber so reserviert verhalten hatte. Seufzend kam Eichendorff zu dem Schluss, dass die Frauen des Merseburger Landes geheimnisvoll, aber auch furchtbar kompliziert seien.

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