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Dank Signalverstärker gibt es im kompletten Gebäude Internetanschluss. Vidar hat mir das WiFi-Passwort dafür verraten. Ich habe mich mit meinem Notebook auf einem der beiden durchgesessenen grauen Sofas im Wohnzimmer eingeigelt. Während der trübe Vormittag mit der Zähflüssigkeit von kaltem Sirup in den Nachmittag hinübergleitet, vervollständige ich die Liste von Jobangeboten aus dem Internet, die ich bei Siri angefangen habe. Ab Montag will ich mich auf die Suche machen. Die Chancen, auf die Schnelle eine Arbeit aufzutreiben, sind nicht überragend, dennoch bleibt mir nichts anderes übrig, als sie zu nutzen.

Der eigentliche Grund, weshalb ich nach Oslo gekommen bin, liegt momentan auf Eis. Es macht keinen Sinn, in dieser Stadt einen Mann zu finden, von dem man kaum mehr als den Namen weiß, wenn man noch nicht einmal ein Basislager hat, in das man sich zurückziehen kann.

Ich halte meine Hoffnung aufrecht, dass Geir sich im Lauf des Tages aus seiner Wohnung herausbewegt. Vielleicht legt er ja ein gutes Wort für mich ein, das die anderen wider Erwarten umstimmt. Aber seine Tür bleibt weiterhin geschlossen.

»Ist nichts Ungewöhnliches«, erklärt Vidar mir. Der Abend ist angebrochen, und er hat mich zum Essen eingeladen, vorausgesetzt, dass ich ihm beim Schnippeln helfe. »Manchmal vergräbt er sich da drin für ein paar Tage am Stück. Meistens, wenn er ein Bild schon fast fertig hat und am liebsten vom Aufwachen bis zum Einschlafen daran herumfeilen möchte. Dann schleppt er es aus seinem Atelier in sein Zimmer – egal, wie groß oder sperrig es ist.« Er wirft mir ein paar frische Kartoffeln in die Spüle, damit ich sie vor dem Schneiden wasche. »Aber hin und wieder ist er auch einfach nur depri«, fährt er fort. »Bunkert sich was zu essen und taucht bloß auf, um aufs Klo zu gehen. In beiden Fällen lässt man ihn am besten in Ruhe, bis er von selbst wieder aus seiner Höhle gekrochen kommt.«

Von Vidar habe ich in den letzten Stunden ein wenig mehr über die Wohngemeinschaft in dem Altbau im Bezirk Grünerløkka erfahren, in den es mich letzte Nacht verschlagen hat.

Laut Vidar war Geir der Nukleus, um den herum die Wohngemeinschaft entstand. Die beiden, die ich heute Morgen in der Küche kennengelernt habe, sind seine Freunde und frühere Kommilitionen aus dem Kunststudium. Vidar ist der Frontmann einer Death Metal Band namens Cimmeria, von der ich noch nie etwas gehört habe. Bisher haben sie erst ein paar EPs und eine CD veröffentlicht, und sie spielen, wo auch immer sich eine Gelegenheit ergibt, selbst wenn sie dafür mit einem ausgeliehenen Bus zu irgendeinem obskuren Open Air an der russischen Grenze touren müssen, zu dem die eine Hälfte der Besucher eigentlich wegen Blues aufgetaucht ist, und die andere, um sich ungestört in ihren Zelten besinnungslos zu besaufen. Aber sie haben es immerhin schon mal dazu gebracht, als Vorband für Kvelertak aufzutreten. Vidar betrachtet diesen Gig als Ritterschlag und Meilenstein in der Bandgeschichte.

Geir hat nicht weit von hier an der Kunstakademie im Fossveien Malerei studiert. Dieses Haus gehörte seinem Vater. Als er starb, erbte es Geir, während sein Bruder Lars das Autogeschäft ihres Vaters in Sandefjord erhielt. Geir vermietete Wohnungen im Haus an gute Freunde wie Vidar. Sein früherer Kommilitone stieg auch als Erster in das Projekt ein.

»Anja hat er ebenfalls auf der Kunstakademie kennengelernt«, erzählt Vidar mir, während ich die Kartoffeln für den Eintopf klein schneide. »Sie war eine seiner Kommilitoninnen in der Malereiklasse. Aber im Gegensatz zu ihm hat sie sich über die Jahre hinweg auf Performance-Art eingeschossen.«

Ich erfahre von Vidar, dass Anja sich ihre Wohnung im obersten Stock des Hauses mit ihrer Partnerin teilt, einer Südkoreanerin namens Yuna Cho, die ich bisher noch nicht kennengelernt habe. Yuna hat ebenfalls bildende Kunst studiert, allerdings nicht in Oslo, sondern in Bergen. Sie unterrichtet an der Kunstakademie, im Gegensatz zu Anja jedoch als ständige Mitarbeiterin. Die beiden haben eine eigene Küche auf ihrer Etage, trotzdem benutzen sie meistens die Küche ein Stockwerk tiefer, in der Vidar, Anja und ich uns heute Morgen getroffen haben. Der heimelige, nicht besonders helle Raum, dem wie in einem asiatischen Lebensmittelgeschäft der exotische Geruch von Cumin, Kardamom und Koriander anhaftet, ist zusammen mit dem Wohnzimmer daneben der Mittelpunkt der WG.

Vidar wohnt ebenfalls auf dieser Etage, gleich gegenüber von dem Zimmer, das gerade freisteht. Darunter hat Geir seine Wohnung, zusammen mit einem weitläufigen Atelier, das fast den gesamten ersten Stock ausfüllt. Das Erdgeschoss ist der einzige Bereich des Hauses, der nicht zu der Wohngemeinschaft gehört. Geir hat es an einen Betreuungsverein für Menschen mit psychischen Problemen vermietet. »Die Arche« hat dort ihre Büroräume und ein Café als Begegnungsstätte eingerichtet.

»Ist ein ziemlich bescheuerter Name, was?«, grinst Vidar und wirft die Kartoffeln, die ich ihm geschält und klein geschnitten habe, in einen Topf mit Salzwasser auf dem Herd. »Erst war ich ja nicht so begeistert. Dachte mir, wer weiß, was da für Figuren ein und aus gehen. Aber es ist Geirs Haus, also war es seine Entscheidung. Und wir kommen gut mit ihnen aus – will sagen, wir kriegen kaum was von ihnen mit.«

Er greift sich eine Zwiebel, um sie kleinzuschneiden, hält aber mit dem Messer in der Hand inne und mustert mich mit gefurchter Stirn, als wäre ich ein Rätsel, dessen Lösung sich ihm entzieht. »Eines verstehe ich nicht. Geir hat immer großen Wert darauf gelegt, dass hier nur Leute zusammenleben, die sich gut kennen. Wir alle machen etwas Kreatives. Wir ziehen uns gegenseitig hoch. Jeder von uns weiß, was das für Kämpfe sind, wenn man versucht, etwas auf die Beine zu stellen und auch noch davon leben will, selbst wenn’s nur zu einem Teil gelingt.« Er deutet von der anderen Seite des Tisches aus mit dem Messer auf mich. »Also warum hat Geir plötzlich jemanden wie dich angeschleppt?«

Ich will ihm nicht erzählen, wie Geir mir mit Asbjørn geholfen hat. Eins würde zum anderen führen, und auf einmal würde ich über Siri und Atle sprechen. Über den Grund, warum ich nach Oslo gekommen bin. »Keine Ahnung«, sage ich.

»Steht er auf dich?«

Ich schüttle energisch den Kopf. »Ganz bestimmt nicht.« Aber was weiß ich schon?

Ein lautes, schmatzendes Geräusch ertönt, als Vidar die Zwiebel in zwei Hälften teilt. »Na, irgendwas wird er sich gedacht haben. Ich kenne ihn lange genug. So spontan ist er nicht.«

»Das musst du ihn selbst fragen«, erwidere ich, und Vidar lässt es damit bewenden.

Der Eintopf ist bald fertig und schmeckt gar nicht mal so schlecht. Es kommt mir vor, als sei es Ewigkeiten her, dass ich etwas Vernünftiges in den Magen bekommen habe, dabei liegt Siris selbstgemachte Pizza von gestern Abend noch gar nicht so lange zurück. Aber zu viel ist inzwischen passiert. Die kurze Zeit unseres Wiedersehens seit meiner Ankunft in Oslo könnte Jahre zurückliegen, so ausgebleicht und an den Rändern eingerissen sind die Erinnerungen bereits.

Den ganzen langen Sonntag über hat niemand Geir zu Gesicht bekommen. Ich fülle eine Schale mit Eintopf und gehe mit ihr ein Stockwerk tiefer. Vielleicht will er ja etwas essen, und ich will ihm gerne erzählen, wie die Reaktion seiner Mitbewohner auf mein Auftauchen ausfiel.

Die breite Metalltür gleich am unteren Treppenabsatz muss der Eingang zu seinem Atelier sein. Ich klopfe an die andere Tür ein paar Meter weiter, eine einfache Tür aus dunklem Holz wie in den restlichen Etagen. Erst bleibt es still, und ich frage mich schon, ob Geir vielleicht gar nicht zuhause ist. Doch dann höre ich seine Stimme, dumpf und ungehalten.

»Ja? Was ist?«

»Ich bin’s. Sara. Ich … ich hab dir etwas zu essen mitgebracht. Vidar und ich haben gekocht.« Ich ertappe mich dabei, wie ich die Schale hochhalte, beinahe als wäre die Tür eine Art halbdurchsichtiger Spiegel wie in einem Verhörraum bei der Polizei, und als könne er das Essen dann besser in Augenschein nehmen.

Wieder herrscht Stille hinter der Tür. Ich überlege, wieder nach oben zu gehen und das Essen für ihn in den Kühlschrank zu stellen, als ich leise Schritte höre und die Tür sich öffnet.

»Komm rein«, sagt Geir knapp.

Raubtierstadt

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