Читать книгу Alles auf ex - Bernhard W. Rahe - Страница 3

Die Entlassung

Оглавление

Es war zehn Uhr fünfzehn.

Die Minuten krochen träge dahin, die Gedanken drehten sich im Kreis. Sein Blick huschte flüchtig über die straff gespannte Bluse der Sekretärin. Dann tasteten sich seine nervös umherirrenden Augen zum Computerbildschirm, schließlich hinab zu den schlanken, leicht gebräunten Beinen, die sie vermutlich am Morgen rasiert hatte. Kein Härchen, kein weicher Flaum, glatte braune lange Beine. Seine Aufmerksamkeit glitt in die Aktenordner, und wieder hinauf zum roten Mund mit dem eingeübten Vorzimmergrinsen, welches ihm nicht privat galt, sondern nur eine Leihgabe für die Wartenden war. Die Mittdreißigerin wälzte irgendwelche Akten, wartete auf einen Ausdruck, den der eigenwillige Drucker zurückhielt und nicht ausspucken wollte. Sie schaute für einen Moment zu ihm hinüber und begann mit einem höllischen Tempo auf die Tastatur einzuhacken. Von Zeit zu Zeit klingelte das Telefon. Sie nahm ab, gab höflich Auskünfte und verleugnete mehrere Male mit Bravour den Chef, der im Nebenzimmer mit offenbar wichtigeren Dingen beschäftigt war. Ihre Stimme hatte einen rauchigen Unterton.

Der Prokurist griff in die linke Jackettasche und zog seinen altmodischen aber geliebten Moleskine Planer hervor. Er schlug die Seite des 27. Oktober auf. Dort erinnerte ein roter Punkt an den Termin, der durch die lähmende Warterei schon fast keiner mehr war. Genau um zehn Uhr am heutigen Tage würde sein Arbeitsvertrag ablaufen, das wusste er. Im Oktober vor vier Jahren hatte seine vertraglich fixierte Karriere in diesem Unternehmen begonnen. Zuvor hatte er es bei der Konkurrenz geschafft, den Verkauf um 7,4 Prozent zu steigern, und das war für einen mittelgroßen Betrieb sicher keine Kleinigkeit. Dann kam das Angebot von seinem jetzigen Chef, bei ihm in der Firma einzusteigen. Es fing schließlich traumhaft an. Verkaufssteigerungen und beste Bilanzen – Gehaltserhöhungen, Einladungen, neue wichtige Kontakte, bedingte Entscheidungsgewalt und schließlich Prokura.

Nun saß er hier in diesem Büro, kam sich vor wie ein Mitarbeiter aus der Produktion, den man beim Klauen erwischt hatte. Er wartete, wurde immer unruhiger, schwitzte sich in diesen Minuten sein Selbstvertrauen aus den Knochen. Das schien wohl die Taktik in dieser Seelensauna zu sein, derer sich ein Chef bediente, wenn er in den psychologisch orientierten Seminaren für Mitarbeiter und Menschenführung aufgepasst hatte.

Das Tastaturengeklapper und die Verleumdungen hörten endlich auf. Die Dame am Schreibtisch drehte sich schwungvoll zu ihm herüber. Sie sah aus wie ein Model aus einer Modezeitschrift.

"Also, es tut mir wirklich leid, dass der Chef Sie so lange warten lässt; aber er hat mir aufgetragen, jeden warten zu lassen, auch wenn es einer der Auftraggeber sei."

Der Prokurist sagte nichts, erhob sich, schaute irritiert auf seine Rolex GMT Master II mit Edelstahlgehäuse. Es war zehn Uhr dreißig. Darüber konnte selbst der hohe Preis dieses Zeitmessers nicht hinwegtäuschen. Die Zeit ging ihren Gang und war kostbarer als die Uhr. Von Minute zu Minute wurde ihm unbehaglicher; er war es nicht gewohnt, auf der "Wartebank" zu sitzen.

"Bitte, läuten Sie doch mal kurz durch, vielleicht hat der Chef den Termin mit mir vergessen."

"Das ist nicht möglich, ich selbst habe ihn noch an diesem Morgen daran erinnert. Er hat sehr wichtige Geschäfte zu erledigen; gedulden Sie sich bitte noch ein paar Minuten, er wird sicher gleich für Sie da sein."

Der Prokurist erwiderte nichts auf diese Worte, die im Grunde genommen nur vorgefertigte Redewendungen und alltägliche Phrasen der Beruhigung waren. Auch er selbst handelte dauernd mit diesen tröstenden, charakterlosen und barmherzigen Lügen. Alles nur Worte. Er schaute sich ein wenig im Vorzimmer des Chefs um. Die ganze Einrichtung, die Büromöbel waren funktional und in lässigem Schwarz, Weiß und Grau gehalten. An einer Wand hing ein Druck von Andy Warhol, die schöne Marilyn mit ihren gebleichten Haaren, Wasserstoffsuperoxyd. Ihre tiefe Schwermut verbergend, diese nur für Insider erkennbar.

Die Sekretärin war die linke Hand des Chefs, sie verbrachte hier zwischen neun und zehn Stunden am Tag und passte in diese synthetische Bürolandschaft. Schlank, emanzipiert – ein wenig unreflektiert, die Motorik eher in Abendkursen angeeignet – resolut, modisch gekleidet und geschminkt. Sie erinnerte ihn an eine Figur aus Bronze. Sie musste einen eigenen Maskenbildner haben, dachte er. Sicher war sie keine Mutter von drei oder gar vier Kindern, die am Abend auch noch im Dunst von Kohl und Braten, eingepfercht in ihrer kleinen Mietwohnung, schuftete, um ihren lebenshungrigen Ehemann mit kulinarischen Genüssen vollzustopfen. Damit er ruhiger, träge und fett wurde und ja nicht fremdging. Liebe geht schließlich durch den Magen. Sie aber gehörte zu jenen Damen, die gern einmal ein oder zwei Überstunden machten, um dann später mit dem Chef zusammen – mit halb geöffneter Bluse und seitenverkehrt angezogenem Slip – die Büroetage verließen. Wie dem auch sei, es ging ihn, den Prokuristen, nichts an, schließlich hatte jeder ein Recht auf die kleinen Freuden des Lebens. Er trat an das Fenster heran, schaute verträumt und abwesend in den Himmel, der völlig klar war, klarer als die Gedanken, die ihm im Kopf herumgingen. Unter dem Himmel waren die vielen Dächer der Häuser zu sehen. Immerhin befand er sich in der achtzehnten Etage eines architektonisch nicht unspektakulären Bürokomplexes. Von dort aus schaute er in den fortgeschrittenen Morgen hinein. Einer jener Morgen in der Stadt, ein alltäglicher Großstadtmorgen, den keiner der emsigen Ameisen wirklich zur Kenntnis nahm. Wer Glück hatte, war in einem Arbeitsprozess eingebunden und noch behaglicher konnte sich jener schätzen, dessen lebenserhaltende Verdrängungsmechanismen reibungslos und ohne Verwerfungen funktionierten.

Endlich öffnete sich die schalldichte, mit dickem Leder verkleidete Tür des Chefzimmers. Der Boss persönlich trat heraus. Ein kleiner, untersetzter Mann, so um die fünfzig, mit grauen Schläfen, dünnem Haupthaar und schuppiger Haut auf der Glatze. Ein Typ wie Danny DeVito. Sein Anzug war maßgeschneidert, sicher aus zwei Gründen: einmal aus Statusgründen und zum Zweiten wegen der unförmigen, vom Wohlstand gebrandmarkten Figur, die er nur unzulänglich verbergen konnte. Die Erscheinung des Chefs war absurd.

Der Prokurist dagegen war schlank, sportlich, jung, leistungsfähig, Tennis spielend und innerhalb von einigen wenigen verlogenen Minuten auf die Straße gesetzt, zum Arbeitslosen degradiert – und Punkt. Noch wusste er es nicht, nein, er ging eher einer weiteren Vertragsverlängerung entgegen. Wähnte sich im Glück. Vielleicht ein wenig entnervt von den endlos langen Minuten des Wartens, aber die Gehaltserhöhung würde dieses momentane Gefühl schnell verwischen und Geschichte werden. So war es ihm bislang immer in seinem erfreulichen Leben ergangen. Viel Arbeit, eine gehörige Portion Gespür und obendrauf das Glück eines vom Geschäftsleben entfremdeten Hans Dampf in allen Gassen. Mit sechs Tausendern im Monat konnte man viel Stress und Verantwortung kompensieren.

Drei Jahresurlaube, einen auf den Malediven, den zweiten irgendwo in einem Skinest in den französischen Alpen, und schließlich zur Krönung, den dritten mit irgendeiner Hure in Spanien oder Griechenland. Dann waren da noch die vielen kleinen Statussymbole, die ein verwöhnter Junggeselle um sich herum anhäufte. Dass sein Vater die Firma versoffen hatte und die Mutter in der Psychiatrie dahinvegetierte, war schon in der Gegenwart Vergangenheit.

Das teure Apartment, ein nahezu neuer Porsche, eine stets gefüllte Hausbar, ein leerer Kühlschrank, vorbestellte Tische in den besten Restaurants der Stadt. Ein Abendessen mit einer seiner Freundinnen, von denen er keine wirklich liebte, war wichtig, um den Kompensationsdruck loszuwerden. Er ließ Energie in der Firma, die holte er sich woanders wieder zurück. Was war die Liebe in einer Welt des Erfolges und des Überflusses? Liebe, für ihn etwas Unfassbares, Antimaterielles, etwas Gegenstandsloses. Wichtig nur für diejenigen, die sie brauchten, um sich über ihre kleinen Mängel und Unfähigkeiten hinwegzutäuschen. Die wahre Liebe hatte Zeit. Für den Prokuristen war sie verzichtbar, denn Erfolg erschien ihm in dieser Lebensphase wichtiger.

Der Chef machte eine einladende Handbewegung. Trotz seines maßgeschneiderten Anzuges sah er erstaunlich kläglich aus in diesem Edelsack. Die Hose wurde unter einer Knitterweste von Hosenträgern gehalten. Er hob den massigen und fettglänzenden Kopf; seine Motorik war die eines behäbigen blöden Tieres. Kraftvoll, aber dumm, dennoch großspurig.

"Mein Lieber, bitte, kommen Sie herein. Sie trinken einen Kaffee?"

Er wartete die Antwort nicht ab, redete, sein Tempo vorgebend, gleich weiter. "Es tut mir unendlich leid, dass ich Sie so lange habe warten lassen, aber Sie kennen das ja, mein Lieber, immer kommen wichtige Dinge dazwischen. Die viele Arbeit, das Geschäft – es ist nicht einfach – und dann die endlosen Termine auf den Punkt genau einhalten müssen, leider geht das nicht immer".

Der Prokurist kannte das Arbeitszimmer seines schmierigen Bosses, er hatte schon oft an dem großen gläsernen Schreibtisch, dem "Dicken" gegenübergesessen und auch heute nahm er den widerlich stechenden und säuerlichen Schweißgeruch wahr, der nichts mit männlichen Hormonen gemein hatte, eher mit den Stinkdrüsen eines Skunks. Oft hatten sie neue Verkaufsstrategien besprochen. Seine Taktiken, nicht die des Chefs. Der Boss kannte sich mit solchen Dingen nicht sonderlich aus, sein Bereich war die Gesamtleitung des Betriebes, das Einholen von Aufträgen aus dem In und Ausland.

Der Prokurist wunderte sich immer wieder darüber, wie ein Mann mit einer derart unsportlichen Figur und jener abscheulichen Schweißabsonderung, die unter seinem teuren Jackett hervorquoll, lohnende und gute Beziehungen bis in den letzten Winkel der Welt pflegen konnte. Die Luft erfüllte sich mit Spannung, dieser Mann hatte offenbar wieder Großes mit seinem erfolgreichen Mitarbeiter vor.

Der Prokurist kam der Aufforderung nach, Platz zu nehmen, und lehnte sich entspannt in den weichen Ledersessel einer Sitzgruppe zurück. Eine Sitzgruppe, in der meist vertrauliche Gespräche stattfanden oder aber, dieses wussten nur wenige, gelegentlich sogar engere Kontakte zu den Mitarbeiterinnen dieser Etage geknüpft und gepflegt wurden. Die getrockneten hellen Flecken interpretierte die Reinigungskraft vermutlich als Müllermilch, wenn sie naiv genug war.

Langsam öffnete sich die Tür, die Sekretärin trat mit einem Tablett Kaffee in den Raum. Sie stellte alles auf den Tisch, schenkte das pechschwarze aromatische Getränk ein, arrangierte die Tassen; sie wusste offensichtlich wie man sich in der Chefetage zu benehmen hatte. Dann ließ sie noch einen ihrer obligatorischen Sprüche im Raume stehen, der sich dann mit dem Kaffeeduft vermischte. Danach verließ sie das Zimmer mit schwingenden Hüften und raschelnden Seidenstrümpfen. Du geiles Luder, dachte der Prokurist, ich krieg dich auch noch. Er musste bei diesem Gedanken lächeln.

Den Grund dieser kleinen Audienz beim Chef taxierte der Prokurist in Richtung Karriere. Eventuell würde er als Teilhaber in die Firma einsteigen können. Alles wäre möglich. Er dachte spontan, aber nicht treffsicher genug, an die Weiterführung des bereits auf Hochtouren laufenden Rationalisierungsprogramms, an dessen Gelingen und Erfolg er selbst maßgeblich beteiligt war. Die Produktion hatte sich in den letzten Monaten sehr verändert. Anstelle von teuren Arbeitskräften, die ständig zu spät kamen, unter Alkoholeinfluss standen oder mit gelben Scheinen herumwedelten, ständig pinkeln wollten, rauchen oder essen mussten, waren computergesteuerte Maschinen getreten. Roboter, ökonomische Blechhaufen, gehorsame Elektronenhirne, die ihre Metallkörper nicht ständig zu zeitaufwendigen Bedürfnissen zwangen und weitaus effizienter und leistungsfähiger waren. Und dann hatte er, der Prokurist, allem noch die Krone aufgesetzt und ein logistisches Spezialprogramm zur Steigerung der Produktion und des Verkaufs in der Tochterfirma erarbeitet und damit weitere fünf Prozent herausgeholt. Nun, das war sicher der Grund, warum er nun Kaffee schlürfend im Ledersessel saß und in sich hineinlachend die Zeit genoss. Er würde weitere Lorbeeren für seine gute Mitarbeit kassieren. Jetzt gleich – auf ex!

Der Chef setzte sich in einen der Sessel und hatte Probleme, eine halbwegs bequeme, seiner grotesken Anatomie entsprechende Sitzhaltung zu finden. Sein Anzug knitterte, legte sich in eine Reihe brutaler Falten in der Schrittgegend. Der Mann wurde tatsächlich feierlich, was sonst nicht seine Art war. Er rieb sich die Hände, ein Geräusch wie Schleifpapier auf Holz stand im Raum. Im Allgemeinen kam er immer gleich auf den Punkt. Nervosität stand in seinem Gesicht und fand Ausdruck in einem sinnlosen Fingerspiel. Er suchte offenbar nach Worten, überlegte einige Sekunden lang, holte mit seinem linken Daumen den Schmutz des rechten Mittelfingers ans Tageslicht und kam dann endlich zur Sache. Seinen Kaffee hatte er kalt werden lassen.

"Lieber Herr Prokurist, Sie haben immer ausgezeichnete Arbeit für meine Firma geleistet, ich weiß das zu würdigen, und", er ergänzte, "ich lasse mich nicht lumpen, das wissen Sie. Ihr Vertrag ist abgelaufen, das ist Ihnen doch offenbar, oder?"

Er horchte seinem eigenen Vortrag, spürte noch das Schwingen der Worte im Raum und erwartete eine spontane Reaktion seines Gegenübers. Diese kam aber nicht. Es vergingen einige Sekunden der Sprachlosigkeit.

"Wie meinen Sie das, ich kann Ihnen offen gestanden nicht ganz folgen? Mein Vertrag ist abgelaufen, das ist mir bekannt, aber ich weiß nicht, worauf Sie hinauswollen."

"Sie haben recht, wie sollten Sie es auch wissen. Es ist folgendermaßen“, er holte tief Luft, "ich kann Ihren Vertrag nicht verlängern."

Das war alles, sechs Worte, sie waren raus, standen bitter und gemein im Raum, fraßen sich in sein Hirn. Der Prokurist blieb stumm, er wartete auf eine Erklärung. In seinem Unterbewusstsein suchte er systematisch nach irgendwelchen markanten Punkten, die vielleicht in den vier Jahren unbemerkt geblieben waren.

Er tastete seine gedanklichen Speicher ab, suchte nach Fehlern, die ihm eventuell unterlaufen waren.

Es gab keine Knackse in seiner sauberen beruflichen Laufbahn, nur Leistungen. Gesteigerte Verkaufszahlen, von ihm geforderte Umstrukturierungen angesichts nachdrücklicher Einsparungen und das trotz gesteigerter Produktion. Einige entlassene Mitarbeiter, eingesparte Arbeitskräfte. Also Erfolge!

"Sie wollen meinen Vertrag nicht verlängern, warum können Sie das nicht tun, was ist der Grund?"

"Herr Bendt, Sie sind ein vorbildlicher Mitarbeiter, selbstbewusst, ein guter Kollege, ein prima Prokurist. Es gibt nichts, was Ihnen vorzuwerfen wäre; nur...", er holte wieder tief Luft, dabei pfiff es aus seinen Bronchien wie bei einem Asthmatiker. "Ich habe mich gestern entschlossen, Ihre Rationalisierungsvorschläge weiter voranzutreiben, nun auch in den oberen Etagen. Kurz gesagt, ein neuartiger Großcomputer wird die Arbeit der zweiten Leitungsebene künftig unterstützen." Der Prokurist war inzwischen wütend aufgesprungen.

"Sie wollen mich gegen einen verdammten Computer austauschen, einfach wegrationalisieren, wegen eines Haufens Blech und Silikon?"

Das Gesicht des Chefs verzog sich zu einer verquollenen Lügenmaske.

"Hören Sie doch mal zu, ich bitte Sie, das nicht falsch zu verstehen. Mein Sohn hat vor zwei Jahren sein Studium abgeschlossen. Er war für einige Monate in Amerika, um dort Erfahrungen zu sammeln und wird Ihren Job übernehmen, er ist Wirtschaftsingenieur und Computerfachmann. Niemand vergleicht Ihre Arbeit mit der eines Computers. Aber Sie müssen bitte verstehen, jeder Mitarbeiter kostet meinem Unternehmen enorm viel Geld und meine Firma ist ein Familienbetrieb. Mein Sohn wird das Geschäft einmal übernehmen. Ich werde mich für Sie verwenden, es gibt unter Umständen eine Möglichkeit, bei der Konkurrenz ..."

"Geben Sie sich keine Mühe, ich brauchte niemals Almosen. Machen Sie meine Papiere fertig. Sie haben ja selbst gesagt, mein Vertrag ist abgelaufen, dann ziehen Sie auch die Konsequenzen."

Das Gespräch war jäh beendet, wenn auch nicht alles gesagt war. Er konnte die Verlängerung des Vertrages nicht erzwingen, das wusste er. Hier wurde nur ein Arbeitsverhältnis nicht ausdehnt, so einfach war das.

Kein neuer Abschluss, kein Aufstieg auf der Karriereleiter mehr, was nun kam, war beklemmende Leere.

Der Prokurist fühlte sich plötzlich wie erstarrt. Zum ersten Mal seit vielen Jahren war er verunsichert, nicht mehr erfolgreich und souverän. Warum nur hatte er nicht früher um eine Verlängerung des Vertrages gebeten? Warum hatte der Chef nicht ein Wort darüber verloren? Er, der Erfolgreiche, hatte sich getäuscht, einen kolossalen Fehler gemacht und in all den Jahren in trügerischer Sicherheit gelebt.

Die schwere Tür fiel dumpf und mächtig hinter ihm in den Rahmen hinein, als verschlösse sich für immer ein Schrein. Dahinter versank die Sekretärin mit ihrem verbindlichen Lächeln und ihren Phrasen. Der Chef hing vermutlich schon wieder am Telefon und scherte sich einen Dreck um den Prokuristen.

Der frisch Entlassene stand einige Sekunden wie eine unterkühlte Rauchschwade benommen im Korridor, ging dann langsam auf die Treppe zu, die Stufen hinunter und je tiefer er stieg, umso mehr verließ ihn das Gefühl, auf sicherem Boden zu gehen.

Der Prokurist durchschritt den langen Flur, den er unzählige Male betreten hatte. Wie fremd plötzlich alles war... Er sah auf die vielen Türen. Er entdeckte hier und dort Dinge, Schrammen und Schnitzer, alles Merkmale, die er bisher nicht bemerkt hatte. Sinnlose, banale Dinge; seltsam, dachte er, dass sie ihm gerade jetzt auffielen. Er versuchte nachzudenken, wenigstens die letzten Meter, die ihn von seiner Bürotür trennten, er wollte für wenige Atemzüge Klarheit erlangen. Es war nicht möglich, die Anarchie in seinem Kopf zu ordnen.

An der Bürotür stand in großen Buchstaben: PROKURIST, darunter sein Name, den bald jeder in dieser Firma vergessen haben würde. Ein unwichtiger Name, wie viele andere Schriftzüge einfach zu entfernen von der Oberfläche des Glases, leicht durch einen anderen auszutauschen. Alles erwies sich letztendlich als vergänglich und ersetzbar, auch er selbst. Er war nur eine Aneinanderreihung von Buchstaben auf einer Bürotür, solange während wie ein Augenauf- oder Niederschlag.

Er öffnete die Tür, langsam und bedächtig. Was vor wenigen Minuten noch selbstverständlich, einfach Bestandteil seines Lebens gewesen war, trat vor der neuen Realität zurück und versank im endgültigen Raum der Vergangenheit. Er war praktisch nicht mehr berechtigt, einen Aktenordner zu öffnen und hineinzuschauen oder eine Unterschrift zu leisten. Sein Namenszug zerfiel zu Staub in diesen Minuten und hatte keine Wichtigkeit mehr. Aus, einfach vorbei!

Er ging an den Schreibtisch, öffnete die verschlossene Schublade und entnahm nur seine privaten Dinge. Gegenstände, die er irgendwann einmal mit in die Firma gebracht hatte. Einige Füllfederhalter, dokumentenechte Minen, einen wissenschaftlichen Taschenrechner und, er hatte nicht mehr daran gedacht, das Bild von einer Freundin, mit der er seit Monaten nicht mehr zusammen war. All diese Gegenstände, auf die sich das Leben und die Arbeit in diesem Raum reduziert hatten, schob er vom Schreibtischrand hinunter in den geöffneten Lederkoffer, wie man Essensreste von der Tischkante in den Mülleimer befördert. Er klappte ihn andächtig zu und ging.

Wie in Trance schloss er die Tür hinter sich. Oft war diese in Hektik, zwischen Geschäftsabschlüssen in Millionenhöhe, hart ins Schloss gefallen. Diesmal war das anders, die Glasscheibe zitterte nicht geräuschvoll im Rahmen.

Die Papiere würde man ihm in die Wohnung schicken, auch ein Arbeitszeugnis. Ein gutes Zeugnis mit auskristallisierten Belobigungen. Eingesparte Mitarbeiter der Leitungsebene erhielten wenigstens diesen einen Zuspruch.

Die Einhaltung der Kündigungsfrist interessierte den Prokuristen nicht mehr. Ein Zeugnis, das vor Lob und Anerkennung nur so troff, würde man ihm ausstellen.

Alles auf ex

Подняться наверх