Читать книгу Alles auf ex - Bernhard W. Rahe - Страница 5
Im Apartment
ОглавлениеEs ergab sich tatsächlich etwas. Denn schon als er den Schlüssel zu seiner Wohnung in das Schloss steckte, hörte er das Schrillen des Telefons. Er hetzte in den Wohnraum und nahm genervt ab. "Ja, wer ist da?"
Sie war es, die Ungeliebte, er hatte das erwartet. Wie sollte es auch anders sein, es war schließlich Mittagszeit – und Freitag. Dann rief Ellen immer an, um die verschwenderischen Unternehmungen für das Wochenende zu besprechen. Musste sie gerade jetzt anrufen, wo er sich auf ein Bad gefreut hatte und nicht stundenlang telefonieren wollte? Irgendwann würden nicht nur die Geschenke entfallen, sondern auch sie selbst, er würde ihr den Laufpass geben müssen.
"Hier ist Ellen!", schrillte es aus dem Hörer. "Hast du eine Minute Zeit, Rouv?"
"Eine Minute schon", sagte er nicht gerade freundlich, "was gibt es denn so Wichtiges? Ich muss bald in die Firma zurück, ich habe nicht viel Zeit, Ellen." Die zweite Lüge, bemerkte er still!
"Ich mach' es kurz, wir sind heute eingeladen bei einer Freundin von mir, sie hat ein süßes kleines Landhaus am Rande der Stadt. Ihr Mann ist befördert worden, sie wollen ein großes Fest geben, ist das nicht toll, du hast doch Lust?"
Der Prokurist überlegte, nicht zu lange. Hatte er Lust?
"Na, was ist, Rouv? Wir machen einen drauf, es werden interessante Leute da sein, du solltest da nicht fehlen."
Verdammt noch mal, sie fing wieder an zu drängen.
Er presste die Lippen zusammen. "Hör zu, Liebling, ich weiß noch nicht, ob ich es schaffe, wir haben im Moment viel zu tun mit dem Englandauftrag, du kannst schon vorfahren, und ich komme dann nach, einverstanden?" Er wartete nicht auf eine Antwort, sondern fügte hinzu: "Du sagst mir die Adresse, und ich komme dann etwas später nach. Wo ist es denn?"
Es dauerte ein paar Sekunden, bis sie antwortete, scheinbar musste sie schlucken. Sie ging selten ohne männliche Begleitung auf eine Party. Außerdem zwängte sie sich nicht gern mit einem ihrer geschenkten Modelkleider in den kleinen Fiat hinein, obwohl der Porsche auch nicht sonderlich größer im Innenraum war. Ihr blieb natürlich keine andere Wahl.
"Okay, wann wirst du ungefähr nachkommen?"
"Ach, ich meine, so gegen neun oder halb zehn, eher aber früher."
Sie musste es schlucken, wenn sie überhaupt zu dieser Party wollte. Der Prokurist notierte schnell die Adresse auf den Zeitungsrand. Er wusste, dass er sich die Fete eventuell verkneifen würde. Ihm war nicht danach, eine Beförderung zusammen mit seinem Rausschmiss zu feiern. Sollten sie doch die Beförderung in Whisky und Sekt ersaufen, er würde zunächst den Abend daheimbleiben, möglicherweise zu später Stunde in eine Bar gehen, dort, wo man ihn nicht kannte.
Das Telefongespräch war beendet, er hatte den Hörer aufgelegt. "Eine Beförderung feiern", lachte er laut und angewidert auf. Gerade jetzt. Er, zum Arbeitslosen degradiert, sollte sich nun darüber freuen, dass ein anderer eine weitere Erfolgssprosse erklommen hatte. Am Montag würde er sich damit anfreunden müssen, eine Null zu sein und auf das Arbeitsamt zu gehen und einen Antrag auf Arbeitslosengeld zu stellen. Das erste Mal in seinem Leben. Dann sollte er sich unbedingt einige Zeitungen besorgen, um die Stellenangebote zu studieren. In der heutigen Zeit waren Topmanager und Starverkäufer wie er gefragt. Es würde keine Probleme geben bei der Suche nach einem neuen angemessenen Job in irgendeiner Chefetage. Wenn doch? Er hatte in einem Monat so an die zweitausendfünfhundert Euro laufende Verpflichtungen, Ausgaben, von denen er nur die Bankbestätigung sah. Mit dem Arbeitslosengeld konnte es bedrohlich knapp werden, befürchtete er.
Der Prokurist ging an seine Hausbar und langte nach einer Flasche Whiskey. Er goss sich einen Doppelten ein, ging in das Bad, ließ Badewasser einlaufen und nahm sich vor, in der Wärme des Wassers über alles nachzudenken. Am Glas nippend ging er zum Fenster und schaute auf die Stadt. Sein Apartment befand sich in der zwölften Etage eines hypermodernen und luxuriösen Hochhausgebäudes. Dort war die Anonymität so groß, dass der eigene Nachbar sterben konnte und erst der Verwesungsgeruch daran erinnern würde, dass da noch jemand in der Nähe war. Vielleicht würden die Türen, die kleinen Ritzen, erst den Verrat üben, unter Umständen noch vor der Skelettierung der Leiche.
Die Aussicht war traumhaft, überwältigend. Oft hatte er auf die Stadt geschaut, mit einer Frau im Arm. Ein Glas Sekt in der Hand, leicht oder gar nicht bekleidet. Den hübschesten Frauen die Skyline der nächtlichen Pumpstation von Hass und Liebe gezeigt. Und er hatte es den Frauen gehörig besorgt. Die Stadt, seine Stadt, mit den vielen Schloten, die immer rauchen mussten, damit alle Arbeit hatten – auch er. Sein Schlot rauchte nun nicht mehr, es kam nur noch heiße, verbrauchte Luft.
Er stellte seinen Cognac auf der Kristallglasplatte des Stahlrohrtisches ab und ging in das Bad, um nach dem Badewasser zu sehen. Die Wanne war bis an den Rand vollgelaufen. Wieder klingelte das Telefon, er nahm nicht ab. Sicher war es noch einmal Ellen. Er kannte ihre penetrante Art. Wenn ihr etwas nicht in den Kram passte, rief sie öfters bei ihm an und versuchte, sich doch noch durchzusetzen, obgleich sie damit heute keine Chance haben sollte.
Die Wohnung war unaufgeräumt, die Reinigungshilfe war seit fünf Tagen krank, er hatte nie Zeit, die Wohnung durchzusaugen, die Blumen zu gießen, Wäsche zu waschen und die Sachen in die Schränke einzuräumen. Nun war das anders, er hatte Zeit, das ganze verdammte, vielleicht sogar nach Verwesung stinkende Haus, durchzusaugen. Er rechnete im Kopf nach, was die Reinigung seiner Wohnung kostete. Er gab der Frau Acht Euro die Stunde. Es durften so an die Einhundertzwanzig Euro im Monat sein. Immerhin für einen Arbeitslosen, der auf dem absteigenden Ast war, reiner Luxus und nicht mehr bezahlbar. Vor sechs Stunden noch ein gelangweiltes Öffnen und Schließen der Geldbörse, nun ein nervöses Zucken in seinem Gesicht. Schluss, dachte er, die Frau braucht nicht wiederzukommen, ich muss das Geld für wichtigere Dinge haben.
Das Badewasser war genau richtig. Er prüfte mit dem Zeigefinger nochmals die Temperatur, entkleidete sich, warf seine Sachen in eine Ecke des Bades, tauchte unter im Schaum. Er dachte an Sonne und atlantische Brandung, versuchte sich zu entspannen. Er träumte von den Restaurants und Hotels, sah die vielen attraktiven Frauen, die er ohne große Anstrengungen flachlegen konnte. Es gab ein Präparat, auf das sie abfuhren und dieses bestand aus mit Zahlen bedrucktem Papier inklusive Wasserstreifen. Und er lachte, sprach in sich hinein. Ein seltsames Freudenhaus ist unsere Welt schon. Die Prostitution beginnt schon am Briefkasten, beim Bäcker, vielleicht beim Gemüsehändler oder wo immer man mit Menschen zu tun haben konnte. Wenn einer Geld sah, dann warf er sich seinem Gönner an den Hals. Egal, ob Mann oder Frau. Das Geld, die größte Droge der Welt. Mit Geld konnte man die Puppen und vieles andere tanzen lassen und das hatte er in der Vergangenheit weiß Gott durchgezogen. Ohne Skrupel, mit einer hartnäckigen, fast lähmenden Begeisterung und Ausgelassenheit. Nun kam er sich vor wie ein Gewohnheitstrinker an seinem ersten Entzugstag. Verdammt beschissen und ausgelutscht wie ein altes Kaugummi.
Nach dem Baden fühlte er sich besser, eine kalte Dusche ließ neues Leben in seinen Körper sprudeln und spannte die Haut. Sauerstoff füllte seine durchtrainierten Muskeln. Am Samstagmorgen war ein Tennismatsch mit Freunden angesagt. Tennis war für ihn ein schöner Sport, elegant, abwechslungsreich und nicht so unterentwickelt wie Fußball. Er hasste Fußball. Sein Vater hatte ihn immer zum Fußball geschickt, sogar in einen Verein gesteckt. Dort erwies sich der junge Bursche als völlig unbegabt, mit zwei linken Füßen und lauter Zehen dran. Für den alten Herren brach eine kleine Welt zusammen. Das war aber nicht der Grund dafür, dachte der Prokurist, dass sich der Alte totgesoffen hatte. Überhaupt war der Prokurist als Kind nicht sehr sportlich gewesen, heute sah das anders aus. Die Gesellschaft, in der er agierte, forderte einfach, dass man sich mit Tennis, Segeln, Drachenfliegen, Fallschirmspringen und anderen Sportarten erfolgreich auseinandersetzte. Er tat es, passte sich den Zwängen der Gesellschaft an; und er fühlte sich heimisch in ihr. Kritik oder Zweifel hatte er in den vielen Jahren nicht empfunden. Harte Arbeit, große Verantwortung, Tennis, Partys, Frauen. Wer was leistete, konnte sich auch manche Dinge erlauben. Leistungsgesellschaft! Die Party am Abend würde er tatsächlich auslassen, trotz seiner soeben wiedergewonnenen Frische und Straffheit. Ihm war nicht danach, unter vielen Menschen zu sein. Aber es war nicht sein Ding, ein Fest zu streichen.
Über der Stadt dämmerte es nun; die dunklen Rauchschwaden der Schlote stiegen in den jungen Abendhimmel hinein und verschwanden irgendwo in der herannahenden Dunkelheit. Die Dämmerung kam und raubte dem Tag das geschäftige Treiben und die hellen Kinderstimmen aus den Hinterhöfen. Die Konturen wurden weich. Der Prokurist goss sich einen Whiskey ein, setzte TV und DVD-Player in Betrieb. Nun lag die ganze Welt in bunten Bildern vor seinen Füßen. Und wenn Bilder die Laune negativ beeinflussten, wurden sie auf Knopfruck fortgeschickt. Wer wollte sich schon das Elend in der Welt ansehen, die verhungernden Kinder, vor der Kamera liquidierte Flüchtlinge, Kopfschuss, Blut und aus. Nein. Augenblicklich setzte sich auf der Mattscheibe das Bild eines Helden potenzieller Kriegsverherrlichung zusammen und bewegte sich, mit schweren Waffen ausgerüstet, auf seine eingeredeten Feinde zu. Was dann folgte war wie im richtigen Leben. Purer Mord, legitimiert durch einen sinnlosen Krieg, mit gesegneten Waffen. Herausgeblasene Gehirne, die nie über ihre Feinde nachgedacht hatten. Gehirne, die auf Mord programmiert waren und ihre Widersacher nicht einmal kannten. Der vermeintliche Held kehrte geehrt, gefeiert und mit wehenden bunten Fahnen aus dem Dschungel zurück, in der Hoffnung, wieder zu seiner Familie zu gelangen und mit den blutverschmierten Händen über den noch weichen Schädel seines Nachwuchses zu streichen.
Der Prokurist hatte nie über solche Dinge nachgedacht. Schließlich stellten diese Filme die Welt verzerrt und unwirklich dar. Filme, die dabei halfen, Aggressionen abzubauen und Schlimmeres zu verhindern. Die Verherrlichung wollte er nicht sehen. Wie war es doch leicht, mit Whisky umnebelten Kopf die Welt neu zu definieren und die Langeweile zu vertreiben, während Hightech-Waffen immer wieder neue Tode kreierten. Auch Waffen waren erfolgreich, je höher ihre Treffrate war, desto mehr schwärmten die Mörder von ihnen. Er hörte das leise Ticken unter seinem Kopfkissen noch nicht, er war zu sehr mit sich selbst beschäftigt und Intelligenz musste zwangsläufig nicht immer zur Erkenntnis führen.
Als der Film zu Ende war und der Held ungeschoren davongekommen, mit mehreren hundert Toten auf seinem inaktiven Gewissen – heimkehrte, zog der Prokurist sich an. Er stieg in Jackett und Schuhe. Er verspürte Hunger. Bevor er die Bar ansteuerte, wollte er noch irgendwo eine Kleinigkeit zu sich nehmen. Der Whisky hatte ihm zunächst den Appetit genommen, aber jetzt knurrte der Magen sehr und forderte Tribut. Alkohol, ein Spender und gleichermaßen auch Vernichter von Hunger und Übersättigung. Dieser Stoff, der neben Besoffenheit eine gehörige Portion Arglosigkeit und Scheißegal-gefühl verabreichte.