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Auf der Straße

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Vor dem Bürohochhaus, an der breiten Hauptstraße stehend, dachte er über seine neue Situation nach. Er versuchte, sich ein Bild von der nahen Zukunft zu machen. Zunächst würde er ruhig bleiben und die Beziehungen, die er hatte, langsam nähren und von neuem aufleben lassen. Eine Verabredung, ein Essen in einem erstklassigen Restaurant in der Stadt. Ein Treffen mit einem alten Geschäftsfreund.

Gab es überhaupt einen Freund? Er dachte plötzlich angestrengt über diese Frage nach und wurde unsicher. Partys, gemeinsame Urlaube, ein Leben aus neuen Verpackungen, geschöpft aus dem Vollen, mit allerlei Freunden und Bekannten, die gab es genug. Aber waren auch echte Freunde dabei? Ihm dämmerte und das zum ersten Mal, solange er denken konnte, das nun, wo seine beruflichen Erfolge nichts mehr taugten, ein guter Freund mit viel Vitamin B sehr wichtig sein könnte.

Ihm war heiß, die Luft war mit Abgasen erfüllt. Er löste seine Krawatte, öffnete den obersten Knopf seines Hemdes und versuchte, sich zu entspannen. Drei Straßen weiter war ein kleines Café, ein gutes mit Stil und Flair. Der Prokurist beschloss, dort einen Cognac und einen Kaffee zu trinken. Am Straßenrand ließ es sich nicht gut über die Zukunft nachdenken, wenngleich viele Menschen dieses zu tun gezwungen waren. Diese Subjekte, so dachte er, rannten hinter ihrer Zukunft her, ohne zu wissen, dass sie längst keine mehr hatten.

Der Porsche blieb in der Tiefgarage, es lohnte sich nicht, ein paar hundert Meter weit mit dem Wagen zu fahren. In dem Café saßen einige Gäste allein, aber auch zu zweit oder dritt miteinander plaudernd. Scheinbar sprachen sie über Banalitäten und Dinge, über die man jeden Tag und zu jeder Zeit sprechen konnte, wenn einem die

Welt nur langweilig genug erschien.

Der Prokurist setzte sich an einen freien Fenstertisch; er saß gern am Fenster, den Blick auf die Eingangstür und die Theke gerichtet. So konnte er sehen, was in dem Laden vorging. Eine Angewohnheit von ihm, die Leute und die Kellnerin an der Theke bei ihrer Arbeit zu beobachten.

Eine hübsche Bedienung mit etwas nachlässig hochgestecktem Haar und einer kleinen weißen Schürze über ihren straff an den Hüften anliegenden Rock gebunden. Sie kam an den Tisch, begrüßte ihn so, wie sie Stammgäste, die ihr gefielen, begrüßte. Nett, höflich, mit der Spur eines privaten Lächelns und einem persönlichem Interesse gewürzt.

"Nanu, Herr Prokurist, haben Sie schon Mittagspause?", fragte sie gespielt interessiert.

"Ja", log er, "ich habe sie heute vorgezogen", und setzte hinzu. Sie wissen, wichtige Termine, die man nicht umlegen kann."

Sie nickte verständnisvoll und aufgeklärt, nahm seine Bestellung entgegen. Einen Kaffee und einen doppelstöckigen Cognac. Die Hübsche verschwand wieder.

Er hatte ihr soeben eine Antwort gegeben, die erste Lüge an diesem Tag, die unmittelbar mit seiner Entlassung zu tun hatte. Ebenso hätte er sagen können, dass er gerade arbeitslos geworden sei und sich jetzt kräftig einen ansaufen wolle und ob sie ihm dabei nicht Gesellschaft leisten wolle. Und das er vierzigtausend Euro Schulden am Hals habe und es gut wäre, wenn sie ihn einladen würde. Dann könnte er noch suggestiv hinzufügen, dass sie ihn sicher verstehen würde, denn er habe einen Porsche abzuzahlen, ein teures Apartment und teure Urlaube und eine Rolex und Frauen und schließlich die Schnauze voll von allem. Dann könnte er aber noch freundlich – vielleicht ein wenig ironisch – ergänzen, dass sie keine Angst haben müsse, er würde seine Zeche schon in bar bezahlen. Und, wenn er nicht so indisponiert wäre, hätte er sie gern noch flachgelegt. Außerdem gab es eine Laufmasche an ihrer linken Wade im Strumpf.

Unsinn, dachte er. Sie sollte schließlich lächeln, nur für ihn und nicht wegen so einer blöden Realität ihr hübsches Näschen rümpfen. Die Lüge war, so dachte er, ein wichtiger Bestandteil im Dasein eines erfolgreichen Menschen, also machte er Gebrauch von diesem ungeschriebenen Gesetz. Wer Trüffel im Leben finden wollte, der musste zuweilen auch ein Schwein sein können. Schließlich waren doch die meisten in ihrer verlogenen Welt glücklich, gab er sich selbst zur Antwort.

Die hübsche Bedienung, sie hatte einen birnenförmigen Hintern, stellte er fest, erschien wieder am Tisch, brachte die bestellten Getränke und wollte gleich abkassieren mit der Begründung, dass sie bald Feierabend habe. Er lächelte und dachte, du hübsche Hexe, wenn ich jetzt nicht arbeitslos hier säße, hätte ich dich heute Abend zum Essen eingeladen und flachgelegt, aber mir steht nicht der Kopf danach. Er war angeschlagen, zerrte seine Geldbörse aus der Jacke und gab ihr ein Trinkgeld. Sie dankte, schenkte ihm ein Fünfeurolächeln und ging mit ihren abgeschrägten Sohlen davon.

Er, der Prokurist, ein Mann der spontanen Entscheidungen, einer, der mit dem Risiko quasi auf Du und Du war, hatte seinem Chef nicht die Meinung gegeigt, ihm nicht den verdammten Kaffee in die Visage geschleudert, ihn nicht beiläufig an den ranzigen Achselschweiß erinnert? Warum war ihm nicht einmal die Frage nach der Telefonnummer bei der Konkurrenz über die Lippen gekommen, warum diese Scheu – oder war es Enttäuschung, Verwunderung, Panik?

"Bringen Sie mir bitte noch eine Tasse Kaffee und einen doppelten Cognac."

Die Frau an der Theke hatte seinen Fingerzeig bemerkt und machte sich gleich geräuschvoll am Kaffeeautomaten zu schaffen. Zischend entwich Wasserdampf aus einem Ventil. Die Ablösung der Hübschen sah und hörte alles. Der Prokurist dachte über den Tag nach und schaute dabei versonnen auf die Straße. Was könnte er nun tun und wie würden sich die nächsten Stunden seines Lebens gestalten. Nur cool bleiben, ausspannen und dann in Ruhe, ohne Panik in die Zukunft schauen. Alles genau planen und nur keine Fehler machen. Der Wagen müsste zur Inspektion, eine Ausgabe von rund achthundert Euro. Unmöglich, die Inspektion sollte warten, legte er fest. Der Wagen konnte nicht auseinanderfallen, wenn eine einfache Überprüfung ausgelassen würde. Der nächste Punkt. Die hohen Mietkosten für das Apartment, der Winterurlaub, die teuren Geschenke für seine ungeliebte Freundin. Diese netten und kostspieligen Beigaben sollten in Zukunft entfallen. Das Apartment blieb vorläufig sein Domizil!

Er leerte mit einem Ruck das Glas, schaute in den Schwenker, in ihm spiegelte sich das Licht der Kerze auf dem Tisch. Es ging auf zwei Uhr Mittag zu; er stand spontan auf, spürte ein leichtes Schwanken unter den Füßen, warf einen Zwanzigeuroschein auf den Kunstmarmortisch, verließ das Café. Es ergab einfach keinen Sinn, sich mit Koffein und Cognac vollzupumpen. Das wäre sicher kein sinnvoller Beitrag, der Sache Herr zu werden. Er beschloss, den Wagen aus der Tiefgarage zu holen und nach Hause zu fahren.

Ein heißes Bad nehmen, eine halbe Stunde Musik aus dem CD-Player saugen. Dann sollte sich alles Weitere für den nahen Nachmittag und den kommenden Abend ergeben. Wie lange war er früh aufgestanden, um sich für die Firma Tage und halbe Nächte lang den Arsch aufzureißen. Die Quittung für seine jahrelangen Anstrengungen lag jetzt grinsend auf dem Tisch.

Die Zeit der Entbehrungen und Überstunden – schlagartig beendet.

Nun war er endlich mal dran. Einen verdammten Grund zum Feiern gab es auf diesem durchgedrehten pompösen Planeten immer.

Also, auf in das Schutz bietende luxuriöse Apartment.

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