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2 Mit Bogart zum Skiftesväg

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Natürlich hätte ich klipp und klar nein sagen und nach Hause humpeln müssen. Ich meine, ich wußte ja überhaupt nicht, was dieser Raymond Schröder für ein Kerl war. Und die Welt ist ja voll von Verrückten, und man kann sich nicht einfach auf die Leute verlassen. Ich wäre auch irgendwie nach Hause gekommen – so hilflos war ich nun auch wieder nicht. Und doch habe ich es nicht gemacht. Das war sehr merkwürdig. Ich war total überzeugt davon, daß ich diesem Irren absolut nicht helfen wollte. Er hatte mich ja fast totgefahren und benahm sich wie der Knallkopp des Jahrhunderts. Und doch – tja...

Was ist man doch komisch, dachte ich.

(Und da hatte ich völlig recht.)

Schröder drehte sich um und flatterte davon.

Die Absätze klackerten auf dem Asphalt, und die Zigarette wippte, wenn er schnaubend daran zog.

Ich kletterte von der Ladefläche und testete mein Knie. Es tat immer noch weh, aber ich mußte doch zugeben, daß es mit seiner Bandage besser war. Es war warm und angenehm. Ich ging um die offene Tür herum, um zu sehen, wo er hingegangen war. Er hatte mein Moped geholt... Mit beiden Armen hoch über dem Kopf trug er es und kam mit riesigen Schritten wieder auf mich zu. Er grinste mich irgendwie komisch an, und dann warf er das Moped einfach hinten in den Wagen. Es krachte, polterte und klirrte.

„O je“, sagte er ruhig, „das war mein wundervoller Sonnenschirm.“

„Was machst du denn!“ schrie ich. „Also jetzt reicht es wirklich!“

„Kevin“, sagte er und seufzte. „Wir haben keine Zeit, hier rumzustehen und zu streiten. Du willst doch so schnell wie möglich nach Hause – und ich werde euch alle nach Hause fahren, dich, dein ramponiertes Knie und dein dahingeschiedenes Moped. Aber zuerst mußt du mir helfen, diesen gottverdammten Skiftesväg zu finden, wie gesagt. Ich bin ein bißchen unruhig, verstehst du, aber jetzt, wo ich dich getroffen habe, bin ich schon viel ruhiger.“

Ruhiger?!“

„Ja, nicht mehr so einsam und verlassen unterm Sternenzelt. Und zwei sind ja immer besser als einer, nicht?“ Er schlug die hinteren Türen zu und schob mich zur Vordertür. „Ich versprech dir’s. Es dauert nicht lange. Paß auf deinen Hintern auf!“ rief er und schlug die Tür hinter mir zu, lief um die platte Schnauze des Autos herum und kletterte hinter das Steuer.

Ich habe noch nie in meinem Leben in einem so unordentlichen, versifften und stinkenden Auto gesessen. Der Boden sah aus wie eine Zirkusmanege – er war fast völlig von zerkrümelten Kippen bedeckt. Auf der Ablage vorn lagen jede Menge zerknüllte Zigarettenpäckchen von der gleichen Sorte, wie er sie in der Manteltasche gehabt hatte, sie hießen Gitanes. Da lagen außerdem drei leere Coladosen und ein Telefonbuch (Gelbe Seiten, Teil 1). Hinter dem Steuer lag ein Berg mit Zeitungen, gegen das Fenster gestapelt und von einem großen, schwarzen Feldstecher gekrönt. Die Fahrerkabine war von der Ladefläche durch eine Wand abgetrennt, die wie eine grob zugehauene Spanplatte aussah. Was sie auch war...

Schröder drehte den Zündschlüssel, und der Motor sprang mit einem ohrenbetäubenden knatternden Krach an. Ich verstand überhaupt nicht, wie der John-Vollem-Song das hatte übertönen können – es klang wie drei Bagger auf einmal.

„Skiftesväg!“ schrie Schröder und schob die Zigarette zwischen den Zähnen von einem Mundwinkel in den anderen.

„Das ist ein Stück von hier“, sagte ich.

„Was hast du gesagt?!“

„Das ist ein Stück von hier!“

„Na so was aber auch“, sagte er erstaunt. „Ist die Straße denn nicht hier in Täby?“

„Doch, aber am anderen Ende.“

„Ich habe gedacht, das hier ist das andere Ende. Sehr merkwürdig. Ich hatte das Gefühl, immer im Kreis gefahren zu sein und sehr weit.“

„Wo wohnst du denn?“

„Ähm... dort irgendwo“, murmelte er, nahm die Zigarette aus dem Mund und wedelte undeutlich in meine Richtung. Als er das machte, fiel Asche auf den Sitz zwischen uns, und er schaute überrascht die Zigarette an, als ob er vergessen hätte, daß er rauchte. Er kurbelte das Fenster runter und warf die Kippe raus. „Okay, wie soll ich fahren?“

„Zuallererst mußt du wenden“, sagte ich spitz.

„Weil das hier eine Einbahnstraße ist, was?“ sagte er grinsend. Ich nickte und freute mich, denn offenbar hatte er die Spitze verstanden, trotz des knatternden Motors. „Mhm, du hast ja so recht.“ Er nickte. „Aber es war verdammt dunkel und – ich habe fast den Eindruck, als ob es heller geworden wäre.“

„Das ist nur, weil du die Sonnenbrille nicht mehr aufhast“, sagte ich.

„Meinst du? Ach so... ja, ja. Aber ich liebe sie, verstehst du. Die Welt ist irgendwie besser mit Sonnenbrille, viel schönere Farben. Fast wie im Kino – More Feeling. Und außerdem heißt sie Ray Ban, und da mußte ich sie doch haben, verstehst du? Ray Ban Raymond!! Da-da-da-da!!“

Du liebe Zeit, dachte ich, geht’s denn noch peinlicher. Warum habe ich nur nicht nein gesagt? Warum habe ich ihn nicht gezwungen, mich einfach nach Hause zu fahren. Es ist zwar niemand da, meine Eltern würden erst gegen elf wieder nach Hause kommen, aber ich hätte ja bei den Nachbarn klingeln können. Wie kann man bloß so dumm sein.

„Und hier?“

„Links.“

„Yees, boss!“ Er steckte die Hand in die Manteltasche und angelte wieder das Zigarettenpäckchen heraus. Er hat doch gerade eine Kippe rausgeworfen, muß er denn schon wieder eine rauchen? Ich muß gleich kotzen, die stinken ja wie Harri. „Rauchst du?“ fragte er und steckte eine Gitane zwischen die Lippen.

„Nee“, sagte ich und schüttelte voller Abscheu den Kopf.

„Elender Langweiler“, sagte er und wühlte in dem Zeugs auf der Ablage. Schließlich fand er ein weißes Feuerzeug und zündete seine Zigarette an.

„Rauchen ist gefährlich“, sagte ich und drehte demonstrativ das Fenster herunter.

„Natürlich ist es saugefährlich!“ schrie er. „Es ist der totale Wahnsinn! Aber es ist auch gefährlich, auf einem Moped durch die Gegend zu knattern und laute Rockmusik zu hören. Oder etwa nicht?! Verfluchte Hacke. Null Stil haben sie, die jungen Leute heutzutage. Ihr rennt rum und joggt euch den Arsch ab, ihr raucht nicht und trinkt nicht und vögelt nicht, und fluchen tut ihr wahrscheinlich auch nicht. Was macht ihr eigentlich?“

„Ich jogge nicht“, sagte ich achselzuckend.

„Gut!“ Er nickte energisch. „Sehr gut. Joggen kann man immer noch, wenn man alt ist.“

„Ich spiele Handball“, sagte ich trotzig.

„Handball?!“ er schaute mich kurz an. „Groß bist du ja. Was spielst du?“

„Rechts außen.“

„Aha. Tja, mit rechts außen oder irgendwelchen Toren ist es wohl nichts in der nächsten Zeit – mit dem Knie.“

„Genau!“ Ich versuchte, so viel Vorwurf, wie ich nur konnte, in die Stimme zu legen, aber er tat so, als merkte er nichts.

„Aber was soll’s – that’s life!“ Er blies eine Rauchwolke aus, holte tief Luft und sang mir knarzender Stimme: „Ridin’ high in april, shot down in may!“ Er brach plötzlich ab und schaute mich direkt an. „Du hast doch hoffentlich schon mal Sinatra gehört?“

„Bieg da vorne nach links ab“, sagte ich und starrte auf die Straße. „Dann ein Stück geradeaus. Warum mußt du denn zum Skiftesväg?“

„Weil ich jemanden kenne, der da wohnt.“

„Aha. Und?“

„Tja, das werden wir sehen. Sie ist nicht zu Hause, verstehst du?“

„Nee“, sagte ich verwirrt.

„Ja, zum Teufel auch!“ rief er aus und lachte.

„Was für ein Glück, daß du heute abend mit mir zusammengestoßen bist!“

Zusammengestoßen? Du hast mich fast totgefahren!“

„Na, so schlimm war es auch wieder nicht. Ein Unglück passiert so leicht im Leben. Und wenn du nicht so schrillen Rock‘n Roll gehört hättest, dann hättest du Bogart kommen gehört.“

„Bogart?“

„Ja, er heißt so“, sagte er mit einem breiten Grinsen und gab dem Steuer mit übertriebener Zärtlichkeit einen Klaps. „Der gute alte Humpy Bogart...“

„Es war kein Rock’n Roll“, sagte ich verächtlich. „Es war John Vollem.“

„Nie gehört“, sagte er und schüttelte den Kopf. Er sah so schrecklich überlegen aus, daß ich Lust bekam, ihm die Zigarette in den Mund drücken.

„Wundert mich kein bißchen“, sagte ich sauer.

„Du solltest lieber Sinatra hören.“

„Und du mußt mir eine neues Moped kaufen.“

„Äh, das kriegen wir schon geregelt. Du bist doch hoffentlich versichert?“

„Na klar bin ich versichert.“

„Na also! Dann muß die Versicherung bezahlen! Geschieht ihnen recht! Die haben jede Menge Kohle, und die nehmen so ein Schweinegeld für ihre beschissenen Versicherungen, und dann versuchen sie immer zu kneifen, wenn etwas passiert. Lumpen und Betrüger, das ganze Pack! Das einzige, was sie sich versichern, ist, daß sie eine Menge Geld verdienen.“

„Ja, aber es war doch deine Schuld“, sagte ich und fragte mich, ob er wirklich so dumm war oder sich über mich lustig machte. „Was heißt denn Schuld??? Tja...“ Er zuckte mit den Schultern und drehte das Fenster herunter. „Deine Schuld, meine Schuld – wer weiß das schon?“ sagte er und schnippte die Kippe mit Daumen und Zeigefinger aus dem Fenster. „Vielleicht war ja auch der liebe Gott schuld oder das Straßenbauamt. Der totale Wahnsinn, da Einbahnstraßen –“

„Bieg da vorne nach rechts ab!“ unterbrach ich ihn.

„Yeah! Rait on, man!“

„Was für eine Hausnummer ist es denn?“ fragte ich und versuchte, ein bißchen erwachsen und reif zu sein, nachdem er es offensichtlich nicht war.

„Wie? Was für eine Hausnummer?“ fragte er verblüfft.

„Im Skiftesväg natürlich. Die Adresse. Nummer wieviel?“

„Ach so. Keine Ahnung. Aber es ist eine rotes Haus.“

Ich seufzte tief. Ein rotes Haus? dachte ich. Du liebe Zeit, der Skiftesväg ist eine lange gewundene Straße mit Bäumen und hunderten von Reihenhäusern, die alle gleich aussehen.

„Es gibt mindestens hundert rote Häuser im Skiftesväg“, sagte ich müde und legte mein linkes Bein zurecht. „Auf der einen Straßenseite sind alle Häuser rot, und sie sehen alle genau gleich aus.“

„Na so was?“ sagte er, und es klang erstaunt. „Das hat sie nicht gesagt. Sind es Reihenhäuser?“

„Doppelreihenhäuser.“

„Ist das ein Unterschied?“

„Natürlich“, sagte ich selbstsicher, aber ich merkte, daß ich überhaupt nicht wußte, welcher. Deshalb sagte ich schnell:

„Und der Skiftesväg ist sehr lang und windet sich kreuz und quer durch ganz Ella Park.“

„Ella was?“

„Ella Park.“

„Wer ist das denn?“

„Der Stadtteil heißt so.“

„Ach so. Ja, sie wohnt ganz am Anfang vom Skiftesväg... Es kommt natürlich darauf an, aus welcher Richtung man kommt, aber don’t worry, Junge. Ich bin sicher, daß sie aus dieser Richtung gemeint hat. Wir finden das schon, wirst gleich sehen“, sagte er unbekümmert.

„Und wie, wenn ich fragen darf? Wenn du nicht weißt, welche Hausnummer es ist? Willst du bei jedem Haus anhalten und das Namensschild auf dem Briefkasten lesen?“

„Mußt du immer versuchen, giftig zu sein? Laß es, du schaffst es doch nicht. Aber nur keine Angst, wir finden es schon. Sie ist nämlich nicht zu Hause, verstehst du.“

„Nee. Und?“

„Ich bin überzeugt, daß heute abend im Skiftesväg nicht sehr viele Leute nicht zu Hause sind“, sagte er und kratzte wieder seine Bartstoppeln.

Ein Kuß als Belohnung

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