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5 Mutter, Vater & Steve Roper

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Als Schröder schließlich mit seinem knatternden Bogart davongefahren war, humpelte ich mit meinem mißhandelten Moped in die Garage. Ich stand lange da und überlegte, ob ich es zur Wand schleppen oder bis zum Arbeitstisch ziehen sollte. Nach einer Weile merkte ich, wie erschöpft, aufgewühlt und todmüde ich war, ich war nicht einmal mehr in der Lage, mich zu entscheiden. Ich ließ es also mitten in der Garage fallen und machte das Licht aus.

Die Garagentür fuhr mit einem leisen Brummen zu, ich stand draußen, drückte auf den Knopf und schaute in den schwarzen Garten. Ich sah nichts, und ich dachte auch nichts. Als das Schloß mit einem leisen Klick zufiel, ging ich die Treppe zur Haustür hoch.

Schröder hatte auf der Heimfahrt eine Menge Unsinn geblubbert, ich hatte nicht zugehört. Mit keinem Wort hatte er gesagt, es tue ihm leid, daß er mich umgenietet und mein Moped zu Schrott gefahren hat, mich zu einem Einbruch verleitet und jeder Menge Schocks ausgesetzt hatte. Nicht einmal ein kleines Dankeschön hat er rausgebracht, dafür daß ich ihm geholfen hatte, den Skiftesväg zu finden.

Als sein elender Lieferwagen davongedonnert war, kamen mir die Ereignisse des Abends noch unglaublicher vor. Ich fragte mich, ob ich alles vielleicht nur geträumt hatte, aber die Erinnerung an das leichenblasse Gesicht mit dem Walroßschnurrbart war nur zu erschreckend deutlich. So was kann man sich nicht einfallen lassen. Eines ist sicher, dachte ich, ich werde heute nacht schreckliche Alpträume haben. Was für ein Glück, daß Mama und Papa nicht zu Hause sind, die hätten mir gerade noch gefehlt.

Im Flur zog ich die Jacke und meine aufgeschlitzten Dobber-Jeans aus.

Was für eine Knalltüte, dachte ich.

Im Badezimmer machte ich Schröders alberne Schleife auf. Der Verband klebte natürlich an meinem zerschundenen Knie fest, und ich mußte ihn vorsichtig Stück für Stück ablösen. Das tat nicht nur schrecklich weh, es fing auch wieder an zu bluten.

Schröder ist kein bißchen mehr Arzt als ich, dachte ich sauer.

Ich nahm etwas Watte und säuberte das Knie noch mal mit einer desinfizierenden Flüssigkeit, aber es war ein etwas moderneres Fabrikat als Schröders eklige, alte braune Flasche. Ganz hinten im Badezimmerschrank fand ich eine Packung mit einem Verband. Ich machte ihn mit vier Leukoplaststreifen fest.

Den grünen Armeeverband (er war bestimmt schon vor dem ersten Weltkrieg verpackt worden) stopfte ich in die Mülltüte, und die trug ich sofort zur Mülltonne am Gartentor.

Es hatte wieder zu regnen angefangen. Ich blieb stehen und schaute zu einer der Straßenlaternen. Vor dem milchweißen Glas sah der Regen aus wie schnelle, graue Striche, und manchmal warfen die raschelnden Herbstblätter der Birke daneben Schatten auf den naßglänzenden Asphalt.

Schröder, dachte ich. Was für ein Name. Raymond Schröder.

Ich schloß die Haustür sorgfältig ab. Das erschreckende Gesicht des Walrosses tauchte immer wieder vor meinem geistigen Auge auf. Dann machte ich mir zwei große Brote mit Leberwurst und saurer Gurke und goß mir ein großes Glas Milch ein. Während ich aß, suchte ich im Telefonbuch den Namen Schröder. Da war es.

Es gab anderthalb Spalten mit Schröder, aber keiner hieß Raymond mit Vornamen. Nicht mal einen „R. Schröder“ gab es. Dafür aber zwei Roland, einen Ralf und drei Rune Schröder.

Er hat mich natürlich angelogen, dachte ich. Oder er hat kein Telefon, das würde mich auch nicht wundern.

Nachdem ich die Brote gegessen und die Milch getrunken hatte, wurde ich schrecklich müde. Ich kontrollierte noch mal alle Fenster und Türen, und dann ging ich ins Bett. Ich konnte natürlich nicht einschlafen. Ich versuchte, an schöne Sachen zu denken – Handball zum Beispiel. Aber das war ja auch nicht schön, weil mir einfiel, daß ich bei dem Spiel gegen Bergshamra nicht würde mitspielen können wegen dem verfl... elenden Schröder. Schröder... Ich konnte mich anstrengen, wie ich wollte, meine Gedanken gingen immer wieder zurück zu allem, was passiert war, und in der Dunkelheit hinter den Augenlidern leuchtete immer wieder dieses angsteinflößende, leichenblasse Gesicht mit dem Walroßschnauzbart. Immer wieder liefen Zeitraffer des ganzen Abends vor mir ab.

Der Zusammenstoß, der Flug durch die Luft, der Asphalt, der auf mich zugerast kam (und wenn ich daran dachte, verknotete sich mein Magen zu einem winzigkleinen Klumpen – wenn ich Pech gehabt hätte, wenn ich ein paar Millimeter daneben gelandet wäre, wenn ich – nicht auszudenken), Schröder, sein Baggerauto Bogart und immer wieder der Walroßschnauzbart...

Meine Eltern kamen erst um halb eins nach Hause. Halb eins!! Typisch. Beim Weggehen hatten sie gesagt, sie würden spätestens so „gegen elf“ wieder zu Hause sein. Ja, ja. Es war kein Verlaß auf sie, wie immer. Ich hatte gehofft, daß sie mich nicht wecken würden, aber da hatte ich kein Glück.

Schröder hätte gesagt, daß sie „einen gottverdammten Höllenaufstand“ machten, und da hätte er vollkommen recht gehabt. Und nur, weil ich völlig vergessen hatte, daß das Moped ja mitten in der Garage lag.

Das Haus liegt an einem Hang über der Straße und dementsprechend auch die Garage. Und mein Vater hat natürlich so eine Fernbedienung für die Garagentür. Er liebt es, in seinem Auto zu sitzen und zuzuschauen, wie die Garagentür auf- und zugeht.

Natürlich benützte er auch an diesem Abend seine Fernbedienung, als sie nach Hause kamen. Die Garagentür brummte auf, und er fuhr direkt hinein. Und da es nach oben geht, bis man mit einem kleinen Anlauf über die Schwelle fährt, sah er nicht, daß mitten in der Garage etwas lag – bis er übers Hinterrad fuhr.

Jetzt war mein italienisches Moped total hinüber, vorne und hinten.

Erst waren sie bloß wütend auf mich, aber als sie sahen, daß auch das Vorderrad zerknautscht war, bekamen sie einen Riesenschrecken. Sie stürzten ins Haus und riefen meinen Namen, daß es nur so dröhnte.

„Ich... ähm... bin gegen einen Baum gefahren“, sagte ich schläfrig, völlig leer im Kopf. Ich war nämlich tatsächlich eingeschlafen, und ich hatte keine Alpträume gehabt.

„Einen Baum?!“ brüllte mein Vater. „Was für einen Baum?!“

„Ähm... also unten bei Mamas...“

„Bei der Würstchenbude?“

„Genau“, nickte ich eifrig.

„Da sind doch gar keine Bäume! Ein großer Fußballplatz, unendliche Rasenflächen, breite Wege, ein paar niedrige Büsche, aber da sind doch keine Bäume!“

„Doch, ein paar...“

„Und du hast es also fertiggebracht, gegen einen zu fahren?“

„Ja. Ich... ich habe gerade in eine andere Richtung geschaut... und... irgendwie...“

So ging das bestimmt eine volle Stunde. Schließlich konnte ich sie beruhigen und darauf hinweisen, daß sie am Morgen aufstehen und arbeiten gehen müßten und es somit das beste wäre, wenn sie schlafen gingen, damit sie am Morgen nicht so verpennt wären.

Aber das waren sie trotzdem. Sie gähnten beim Frühstück um die Wette und sahen völlig verquollen und müde aus. Meine Mutter nahm drei Kopfschmerztabletten vor dem Kaffee, und das ließ darauf schließen, daß nicht nur ich an ihrem Zustand schuld war.

Sie fanden, es sei besser, wenn ich nicht in die Schule ginge. Ich protestierte nicht. Ganz im Gegenteil.

Ich freute mich riesig darauf, zu Hause zu bleiben. Es war genau das, was ich nach dem Irren Schröder brauchte, dachte ich. Ich mach es mir richtig gemütlich – Zimtschnecken und das Comic mit Steve Roper, Mike Nomad und Johnny Hazard. (Die Comicsammlung gehört meinem Vater, und wenn er zu Hause ist, darf ich sie höchstens mit weißen Handschuhen anfassen.) Dann würde ich mir John Vollems letzte CD anhören und mir irgendein Video reinziehen. Und dann wieder Zimtschnecken und zum Mittagessen Pommes und Würstchen.

Nach vielem Hin und Her stiegen sie schließlich in unseren zitronenfarbenen Cittra und fuhren mit Vollgas davon – sie waren natürlich zu spät dran.

Wunderbar, dachte ich. Jetzt hole ich die Zeitung rauf, taue die Zimtschnecken auf und lege mich auf das Sofa im Wohnzimmer, wo ich sonst nie liegen darf.

Ich kam nicht weiter, als die Zimtschnecken aus der Tiefkühle zu holen.

Ein Kuß als Belohnung

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