Читать книгу Briefe in die Heimat von 1941 bis 1944/45 - Berthold von der Eltz - Страница 17

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Es folgt der Brief vom blinden Papa Paul. Geschrieben auf seiner von ihm erfundenen Blinden-Schreibmaschine:

Sobernheim(2)

Erblindet!

Vor zwanzig Jahren hat mein Augenleiden begonnen. Ich stand damals an der Westfront beim AK. Inf. Reg. 60. Im Februar 1915, musste ich mich wegen einer beidseitigen Augenentzündung in ärztliche Behandlung begeben. Doch bald stellte sich das alte Leiden mit erneuter Heftigkeit wieder ein und ist trotz Behandlung in einer Augenklinik, wenn auch mit einer vorübergehenden leichten Besserung, nicht mehr verschwunden. Das auch nach dem Krieg fortdauernde Augenleiden war mir so zur Gewohnheit geworden, sodass ich irgendwelche Folgen nicht befürchtete, auch dann nicht, als sich vorübergehende Trübungen einstellten. Erst als der Arzt mir den weiteren Verlauf der Krankheit andeutete, erkannte ich die Schwere des Leidens. War es denn möglich? Sollte ich wirklich …? Ich konnte das Wort »Blind« nicht denken und so sehr ich nicht auch an die letzte Hoffnung klammerte, nahm das Schicksal doch seinen Lauf.

Im Februar 1929 war ich völlig erblindet. Die nun plötzlich eingetretene Hilflosigkeit und die Erkenntnis der unabwendbaren Tatsache, brachte eine derart niederschmetternde Gemütsbewegung mit sich, dass ich, als nun auch noch die Ablehnung meines Versorgungsantrages als Kriegsgeschädigter eintraf, durch eine heftige Nervenentzündung wochenlang ans Bett gefesselt wurde. Es dauerte jahrelang, bis ich mit wiederkehrender Beruhigung der Nerven auch das seelische Gleichgewicht wieder fand. Damit erwachte aber auch gleich neuer Lebensmut in mir und der Wille zur Arbeit. Das war allerdings kein leichtes Beginnen, denn das Konzentrieren meiner Gedanken auf einen bestimmten Gegenstand verursachte mir immer wieder, wenn auch vorübergehend, heftige Kopfschmerzen. Doch mit der Zeit trat auch hier eine leichte Besserung ein und es war mit stets eine große Freude, wenn ich wieder so eine kleine Arbeit zuwege brachte. Das war natürlich nicht so einfach und manch blauer Fingernagel war Zeuge davon, dass aller Anfang schwer ist.

Mehr als einmal habe ich die Zähne zusammengebissen, mit einem Seufzer den Schmerz fortgewischt und mit der Zeit den Nagel auf den Kopf zu treffen gelernt. Was ich früher in meinen Feierabendstunden bastelte, das wollte ich jetzt noch fertigbringen. Dabei erwies sich natürlich die Beschaffung einzelner Hilfswerkzeuge als unbedingt notwendig, die ich mir erst selbst ersinnen und anfertigen musste.

Wo ein Wille ist – findet sich auch ein Weg! Trotzdem schien es sehr gewagt, als ich, als früherer Buchhalter, den kühnen Plan zu dem auf den Fotografien gezeigten Anbau (Vorbau) am Haus, fasste. Das war für mich eine ebenso interessante wie schwierige Aufgabe, denn den Entwurf wie auch die Berechnung der einzelnen Teile, konnte ich natürlich nicht zu Papier bringen, sondern ich musste mir die einzelnen Maße und Teile im Kopf zurechtlegen und ins Gedächtnis einprägen. Dann aber ging es unverzüglich mit Eifer an die Arbeit. Der Bau des Betonsockels verursachte mir einige Schwierigkeiten, da durch das fortwährende Abtasten des Betons, meine Fingerspitzen blutig und wund geworden waren und diese Arbeit infolgedessen nur langsam vor sich ging. Die Zurichtung des Holzgerüsts ging unter Benutzung meiner Hilfsvorrichtungen sicher vorwärts und es war für mich eine ungemein große Freude, als beim Zusammensetzen die einzelnen Teile fast auf den Millimeter genau zueinander passten.

Wenn ich das Herumhantieren und Balancieren auf den Balken mit einer gewissen Sicherheit und Ruhe ausführte, so muss ich das neben äußerster Vorsicht wohl in erster Linie meiner frühen turnerischen und sportlichen Betätigung zuschreiben. Hinzu kommt noch die Schwindelfreiheit, da ich als Blinder die Höhenunterschiede nicht empfinde. Ohne irgendwelchen Zwischenfall, wuchs der Bau empor und ich hatte das bestimmte Gefühl, als würde ich durch eine unsichtbare Hand geführt. Auch die selbst gefertigten Fenster und Türen, passten genau und in etwa fünf Monaten hatte ich den Bau ohne fremde Hilfe vollendet.

Vielleicht wäre ich noch schneller damit fertig geworden, wenn nicht die immer wiederkehrenden Nervenkopfschmerzen und die damit auftretenden Entzündungen der Augen, ab und zu eine Unterbrechung der Arbeit gefordert hätten. Solange ich mich jedoch auf die eine oder andere Weise noch nützlich machen kann, werde ich mein Schicksal auch fernerhin lebensmutig zu tragen wissen.

Paul

Papa Paul baute trotz völliger Erblindung einen geschlossenen Vorbau ans Haus.

Briefe in die Heimat von 1941 bis 1944/45

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