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Оглавление1. Brief vom 26. Juli 2019
Anlage
Leben – eine privilegierte Architektur der Natur, Mythos, Zauber, Wege und Wirken der irdischen Evolution
Leipzig, 26. Juli 2019,
zu öffnen am 26. Juli 2038
Mein lieber Enkelsohn,
heute, das heißt, wenn du diesen Brief aus meiner zeitlichen Perspektive in der Zukunft öffnest, werden Oma Steffi und deine ältere Cousine Elisa Geburtstag feiern. Deine Großmutter könnte an diesem Tag, falls sie noch auf der Welt weilen sollte, stolze 86 Jahre alt werden. Die Enkeltochter Elisa dürfte dann mit ihren 34 Jahren längst zu einer attraktiven selbstbewussten jungen Frau erblüht sein. Als ihr Großvater bin ich zuversichtlich, dass sie zu diesem Zeitpunkt ihr Leben in den Griff bekommen haben wird. Doch diese familiären Dinge möchte ich nur am Rande erwähnen. Das Anliegen meines Briefes betrifft ein Thema, das ich mit dir gern persönlich besprochen hätte.
Junge, ich weiß nicht, wie du in 19 Jahren mental ticken könntest und ob du dir dann noch ein paar lebendige Erinnerungen an deinen Opa bewahrt haben wirst. Welche Dinge mögen dich im Alter von 22 Jahren bewegen, wofür wird dein Herz brennen oder schlagen und was magst du für ein Mensch geworden sein? Trotz mancher Unwägbarkeiten wage ich es, diese Zeilen an dich zu schreiben, denn ich möchte dir als ein kleines intellektuelles Vermächtnis eine Betrachtung zum Werden und Vergehen unserer Welt zukommen lassen. Freilich könnte es sein, dass du auf solche Gedanken keinen Wert legst. Möglicherweise favorisierst du sportliche, naturorientierte, musikalisch bestimmte oder sonstige ubiquitäre Lebensinhalte? Vielleicht aber lebst du gedanklich auch vorzugsweise in den oft bildungsferneren Welten sozialer Medien?
Mir ist bewusst, dass ich der Spezies eines analogen Bildungsbürgers zuzuordnen bin. Diese menschliche Unterart ist im digitalen Zeitalter massiv vom Aussterben bedroht. Je nachdem, wie man geistig und intellektuell aufgestellt ist, mag man das nun für überfällig halten, lediglich mit den Schultern zucken oder eventuell auch ein bisschen bedauern. Es kann sein, dass die soziokulturelle Evolution für diese bedrohte archaische Unterart des zivilisierten Menschen ein paar gesellschaftliche Nischen findet. Dort könnten diese Geschöpfe dem als unerbittlich geltenden digitalen Zeitgeist vielleicht noch eine Weile die Stirn bieten. Aussterben an sich muss aber nicht als Schande empfunden werden. So ein Pech kann schließlich jede Spezies ereilen. Meistens wirft man den Vertretern ausgestorbener Arten vor, unflexibel und reformunwillig zu sein sowie wenig innovativ auf Veränderungen zu reagieren. Nun ja, das mag stimmen oder auch nicht richtig sein, denn die Beurteilung eines derart komplexen Sachverhaltes resultiert aus der Perspektive oder dem Blickwinkel im Auge des Betrachters.
Bei dem Gedanken an den vom Aussterben bedrohten analogen Bildungsbürger fallen mir die Dinosaurier ein. Diese faszinierende Tiergruppe ist ja am Ende des Mesozoikums bedauerlicherweise ausgestorben. Ob das nun verschuldet oder unverschuldet passiert ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Doch ungeachtet ihres tragischen evolutionären Schicksals leben die Dinosaurier und die untergegangene biologische Wunderwelt des Erdmittelalters in den Köpfen und Herzen der Menschen fort. Ich finde, dass diese Tatsache für ausgestorbene Individuen schon eine bemerkenswerte Leistung darstellt. Warum also sollte dein Großvater mit seinen antiquierten intellektuellen Überzeugungen und als überholt geltenden analogen Ansichten nicht auch so einen Status in deinen Erinnerungen erlangen können? Ich hoffe, dass eines Tages die Zeit dafür kommen wird und dich zu entsprechenden Einsichten und Erkenntnissen bringen könnte.
Mein Junge, dieser Brief hat einen Hintergedanken oder nennen wir die Angelegenheit, besser gesagt, Botschaft. Er soll dich für Ereignisse auf unserem Planeten sensibilisieren, die vor langer Zeit stattgefunden haben, also längst zur Geschichte geworden sind. Wissen um geschichtliche Vorgänge und ein Nachdenken darüber sind erforderlich, um Vorstellungen zu entwickeln, wie die Entwicklung fortschreiten könnte. Ich hoffe, dass du in 19 Jahren zu einem weitläufig gebildeten jungen Mann herangewachsen sein wirst und dich auf dem besten Weg zu einem qualifizierten Verständnis von der Welt und den Menschen befindest. Das mag freilich eine Wunschvorstellung von mir sein. Doch warum sollten manchmal nicht auch Wünsche von analogen menschlichen „Dinosauriern“ in der Zukunft in Erfüllung gehen?
Der Mythos und der Zauber der irdischen Evolution haben mich seit jeher fasziniert und begeistert. Es ist doch aufregend zu erfahren, woher man gekommen ist und wohin man gehen könnte. Ich glaube, oder besser gesagt, ich hoffe, dass du mein Interesse an dem Thema teilen wirst. In dem Traktat „Leben – eine privilegierte Architektur der Natur“ habe ich mir zur Naturgeschichte unserer Welt und deren Zukunft ein paar Gedanken gemacht. Du wirst sie so komprimiert in keiner Rubrik eine Suchmaschine im Internet finden. Man kann zu diesem oder jenem Aspekt sicherlich ein paar andere Ansichten haben. Ich halte es aber für wichtig, dass ein junger Mann wie du überhaupt über das Woher, Wohin und Warum evolutionärer Prozesse nachdenkt. Leuten, die sich darüber überhaupt keine Gedanken machen, dürfte ein Stück geistiger Standortbestimmung im Leben fehlen!
Zum Schluss des Traktates habe ich meine Gedanken ein bisschen poetisch verklärt. Es kann sein, dass du diese Passagen wegen einer gewissen Melodramatik als unzeitgemäß empfinden wirst. Sieh es mir nach oder halte es meiner fehlenden digitalen Nüchternheit oder unangemessenen analogen Euphorie zugute. Es mag sein, dass in mir etwas von einem Dichter gesteckt hat. Das habe ich aber niemandem verraten und davon hat auch niemals ein Mensch Notiz genommen.
Falls du mit meinen Gedanken nichts anfangen kannst, dann musst du sie eben in den Papierkorb befördern. Das täte mir zwar ein bisschen leid für mich, aber auch für dich. In diesem Fall habe ich als Großvater in der Angelegenheit halt Pech gehabt. Das Leben ist nun mal äußerst facettenreich und die Menschen mit ihren Interessen, Neigungen und Vorlieben sind es auch. Daher mag es immer wieder Überraschungen und Enttäuschungen sowie unerwartete Entwicklungen und nicht zuletzt auch bittere Erfahrungen geben. Ein Großvater muss das akzeptieren und auch aushalten können, selbst wenn ihm das nicht gefallen und manchmal sogar schwerfallen sollte!
Herzliche Grüße in die Zukunft!
Opa
Anlage
Leben – eine privilegierte Architektur der Natur, Mythos, Zauber, Wege und Wirken der irdischen Evolution
Leben, eine privilegierte Architektur der Natur, Mythos, Zauber, Wege und Wirken der irdischen Evolution
Vor etwa 4,6 Milliarden Jahren leuchtete am inneren Rand des Orion-Arms der Galaxie, der die Menschen später den Namen Milchstraße gegeben haben, ein ziemlich gewöhnlicher Stern auf der Hauptreihe des Hertzsprung-Russel-Diagramms auf. Die gelbe Sonne vom Spektraltyp G 2/V war auserkoren, um wenig später auf dem dritten Trabanten des solaren Systems einen beispiellosen evolutionären Prozess in Gang zu setzen. Die biologische Evolution hat die Entwicklung des Planeten fortan all die Erdzeitalter hindurch nachhaltig verändert. Dieses Szenario hält bis heute an und selbst in der Zukunft wird die Handschrift der Evolution neben dem Wirken des Menschen das Antlitz der Erde mit ihrer gestalterischen Kraft prägen.
Entstehung des Planeten Erde vor ca. 4,5 Milliarden Jahren
Erdzeitalter:
Hadaikum
Archaikum
Proterozoikum
*
Kambrium/Ordovizium/Silur/Devon/Karbon/Perm
*
Trias/Jura/Kreide
*
Paläozän/Eozän/Oligozän/Miozän/Pliozän/Quartär
*
*
Zukunft
(wie auch immer die sich die gestalten mag)
Die Evolution ist ein eigenwilliger Teil des kosmologischen Prozesses, der sich nicht zwangsläufig in Gang setzt. Nicht zu jeder Zeit und an auch nicht an jedem Ort eines Universums wird ihr dafür eine Bühne bereitet sein. Die biologische Evolution, wo und wann auch immer sie Leben entstehen lässt und dessen Entwicklung vorantreibt, muss als ein kostbares Privileg der Natur verstanden werden. Die Architektin und Baumeisterin des Lebens ist ein hochkomplexer Experimentator, der fleißig, beharrlich, lernfähig und geduldig daherkommt. Manchmal wird sie von einer erstaunlichen Kühnheit getrieben und bringt zuweilen Schöpfungen hervor, die von wundervoller Genialität inspiriert sind. Hin und wieder scheint die Evolution aber auch vergesslich und oberflächlich zu sein und mitunter sogar in einfallslose Plakativität und stupide Replikation zu versinken. Diese evolutionären Blackouts lassen Verwunderung und Befremden aufkommen und nähren Zweifel an der Perfektion der Architektin des Lebens. Doch gerade das Spannungsfeld zwischen gestalterischer Vollkommenheit und evolutionärer Fehlleistung, von dem Unmengen fossiler Hinterlassenschaften zeugen, macht den Prozess der Selbstorganisation der belebten Materie so spannend, dramatisch und interessant.
Die Wege, die die Evolution auf ihrer ständigen Suche nach Vollkommenheit und Perfektionierung beschreitet, sind vielfältig. Sie werden von mannigfaltigen Trümmerfeldern des Lebens gesäumt. Manche Entwürfe scheinen rasch skizziert und schnell wieder verworfen zu werden. Andere Baupläne erweisen sich dagegen als wahrhaft fundamental, sodass sie Hunderte von Millionen Jahren überdauern. Es gibt solide Visionen und wenig geeignete Ansätze, Erfolgsrezepte und fatale Irrtümer, lange Zeiten evolutionärer Untätigkeit und stürmische Epochen biologischer Entwicklung. Die Evolution versucht, Bewährtes zu bewahren, aber sie verwirft auch bedenkenlos ungeeignete Konzepte. Vor allem jedoch variiert und verändert sie biologische Architekturen mit unterschiedlicher Geschwindigkeit und wechselndem Erfolg im Strom der Zeit. Ihre Geschichte gleicht einem epischen Ringen zwischen originärer Schöpfung, ständiger Neuerfindung, permanenter Optimierung und Anpassung sowie biologischer Auslöschung, frühem Artentod und gnadenlosem Untergang von einst verheißungsvoll kreierten biologischen Schöpfungen.
Um ihre Prozesse in Gang setzen zu können, bedarf die Evolution einer bestimmten kosmischen Konstellation. Ein Universum, in dem die Naturkonstanten und Naturgesetze so fein abgestimmt sind, dass Elemente höherer Ordnungszahlen und komplexe chemische Verbindungen entstehen können, ist eine unverzichtbare Voraussetzung für die Erschaffung von Leben. Das kann die Natur nur gewährleisten, wenn die Stärken der vier fundamentalen Kräfte
starke Kernkraft
schwache Kernkraft
Elektromagnetismus
Gravitation
im Verhältnis zueinander Werte haben, die die Existenz stabiler Atomkerne und Elemente sowie großräumige, differenzierte kosmische Strukturen ermöglichen. Dabei kommt der Feinstrukturkonstanten Alpha () eine Schlüsselrolle zu. Alpha ist dimensionslos und bestimmt die Stärke der elektromagnetischen Kraft. Außerdem ist auch die Gravitationskonstante von Bedeutung, über deren mögliche lokale und zeitliche Schwankungen im Standarduniversum die Wissenschaftler bis heute philosophieren!
Doch wie auch immer sich die Stärken der physikalischen Grundkräfte zueinander in einem Universum verhalten mögen, die Evolution benötigt für ihr Wirken noch eine Reihe weiterer astrophysikalischer Voraussetzungen. Es bedarf vor allem einer Galaxie mit einem hinreichend hohen Alter, damit im interstellaren Gas und im Staub der Sterne die erforderlichen Bausteine des Lebens in ausreichender Häufigkeit vorhanden sind. In einer solchen Galaxie muss ein Hauptreihenstern existieren, dessen Spektraltyp und Größe mehrere Milliarden Jahre lang eine mehr oder weniger gleichmäßige Kernfusion ermöglichen. Diese Sonne sollte zumindest in ihrem Strahlungsverhalten möglichst stabil und wenig veränderlich sein. Eine weitere unabdingbare Voraussetzung ist die Anwesenheit eines Planeten, der eine geeignete Masse, Rotation, Atmosphäre und ein nennenswertes Magnetfeld aufweist. Darüber hinaus muss die stabile Umlaufbahn des Trabanten innerhalb der habitablen Zone des Sterns liegen.
Doch es gibt noch mehr astrophysikalische Erfordernisse für die Entstehung und Entfaltung des Lebens. Im nahen Umfeld des Sternensystems von einigen Dutzend Lichtjahren sollten sich mehrere Milliarden Jahre lang keine lebensfeindlichen Prozesse wie Nova- und Supernova-Szenarien oder Gamma-Strahlenausbrüche ereignen. Darüber hinaus darf in dem Sonnensystem das Impakt-Geschehen nicht zu intensiv und langandauernd sein. In galaktischen Zentralgebieten mit hungrigen schwarzen Singularitäten und einer turbulenten chaotischen Himmelsmechanik werden das Leben und seine Evolution keine guten Karten haben. Angesichts der vielfältigen kosmischen Randbedingungen ist es schon erstaunlich, dass Leben im Weltall überhaupt entstehen konnte. Dass es sich auch zu höheren Formen entwickeln würde, mag wie ein Wunder erscheinen.
Vor 4,5 Milliarden Jahren schienen im System einer gelben Sonne vom Spektraltyp G 2/V am inneren Rand des Orionarms der Milchstraße die vielfältigen kosmischen Rahmenbedingungen weitgehend erfüllt gewesen zu sein. Es war der dritte Planet der noch jungen solaren Welt, der sich im Laufe der Zeit zu einem grandiosen Schauplatz für das Wirken des Schöpfertums der Evolution und die Entfaltung ihrer Wunderwerke entwickeln sollte.
Die Ausformung des Systems Erde-Mond in einer Entfernung von reichlich acht Lichtminuten vom Zentralgestirn könnte nach dem Einschlag von Theia, einem etwa Mars großen Protoplanten, im Hadaikum stattgefunden haben. Nach diesem gewaltigen Impakt-Ereignis verdichteten sich die herausgeschleuderten Magma-Massen zu einem Trabanten, der den Planeten Erde fortan begleiten würde. Durch das Ereignis beschleunigte sich die Erdrotation. Der Tag verkürzte sich auf ungefähr zehn Stunden. Der junge entstandene Mond muss damals viel größer als heute am fahlen feuerfarbenen Himmel geleuchtet haben, weil er die Erde auf einer engeren Umlaufbahn umkreiste. Am Ende des ersten Erdzeitalters, dem Hadaikum, hatte sich der Planet vermutlich so weit abgekühlt, dass die sich in der Atmosphäre angereicherten Wassermassen abregnen konnten. Infolgedessen begann sich auf der Oberfläche des Planeten ein gewaltiger Ozean auszubreiten.
Zu Beginn des Archaikums vor etwa 3,8 Milliarden Jahren fand in einer stickstoffreichen schwefeligen Atmosphäre ohne Sauerstoff zunächst eine chemische Evolution statt. Heftige Gewitter und eine intensive Gamma-Strahlung schufen unter einem fortwährenden kosmischen Bombardement von Asteroiden, Kleinplaneten und Kometen die erforderlichen Voraussetzungen für die Entstehung des Lebens. Kurze Zeit später scheint sich das Leben auf der Erde dann tatsächlich etabliert zu haben. 3,5 bis 3,7 Milliarden Jahre alte fossile Spuren lassen das zumindest vermuten.
Am Anfang der evolutionären Geschichte auf der Erde standen Einzeller wie Bakterien und Archaeen sowie die mysteriösen Viren. Bei den Viren sind sich die Biologen aufgrund des fehlenden Stoffwechsels bis heute allerdings nicht einig, ob diese überhaupt dem (normalen) Leben zuzurechnen sind.
Nach diesem Schöpfungsakt verharrte die Evolution im Urozean jedoch 1,5 Milliarden Jahre lang in einer unbegreiflichen Starre und Untätigkeit. Es ist bis heute rätselhaft, warum sie so lange gebraucht hat, um nach den ersten erfolgreichen Schritten das Alphabet der Biochemie mit DNS, RNS, Proteinen und Nukleotiden zu buchstabieren und die Dynamik genetischer Veränderungen zu begreifen. Warum nur hat die Evolution so viele Millionen Jahre innegehalten, ohne wirksam und nennenswert zu experimentieren, zu probieren und zu perfektionieren? Nun, der Grund für diesen langen evolutionären Dornröschenschlaf wird wohl für immer ihr Geheimnis bleiben!
Die evolutionäre Schöpfungspause endete zu Beginn des Proterozoikums. Vor etwa 2,5 Milliarden Jahren entstanden mit den Eukaryoten die ersten komplexen Vielzeller und Ahnen jeglichen höheren Lebens auf der Erde. Gleichzeitig ereignete sich Dramatisches! Durch die Fotosynthese der Cyano-Bakterien und später von Algen gelangte nach und nach mehr Sauerstoff in die Atmosphäre. Er vergiftete zunehmend die Lebensgrundlage der marinen Einzeller und raffte die Pioniere des Lebens dahin. Der trotz weltweiter Oxidationsprozesse ansteigende Sauerstoffgehalt in der Atmosphäre und die sich bildende Ozonschicht eröffneten der Evolution neue Perspektiven. Sie entwickelte vor 1,2 Milliarden Jahren die Mehrzelligkeit der Pflanzen und reichlich 400 Millionen Jahre später jene der Tiere. Daneben erschuf sie das geheimnisvolle Reich der Pilze. Schließlich sorgte sie dafür, dass mit der sexuellen Fortpflanzung und der Zellspezialisierung der Tod des Individuums in die biologische Welt Einzug hielt. Aber auch tief unter der Erdoberfläche fanden Prozesse statt, die für das Leben bedeutsam waren.
Die Entstehung des Minerals Perowskit verstärkte vor reichlich drei Milliarden Jahren die Umwälzungsvorgänge im Erdmantel. Der daraufhin einsetzende Vulkanismus begünstigte das Anwachsen der kontinentalen Landmassen. Vor etwa einer Milliarde Jahren war der Erdkern schließlich so weit abgekühlt, dass er im Zentrum erstarrte. Dadurch wurden die Konvektionsmuster in der flüssigen äußeren Schale des Erdkerns regelmäßiger und begannen ein Magnetfeld zu erzeugen. Dieses Feld schirmte die kosmische Strahlung und den Partikel-Strom des Sonnenwindes ab und ermöglichte dem Leben künftig die Eroberung des Festlandes. Die stille und nachhaltige Veränderung des Lebens im Ozean vollzog sich unter schwierigen globalen Bedingungen. Am Anfang des Proterozoikums schlugen vermutlich die letzten großen Asteroiden auf der Erde ein. Danach herrschte lange Zeit ein kühles Klima. Die irdische Plattentektonik formte den Superkontinent Rodinia, der zeitweilig von mächtigen Gletschern bedeckt war. Der Ozean Monrovia, der den Kontinent umspülte, scheint vor 700 bis 800 Millionen Jahren selbst am Äquator bis zu zwei Kilometern tief gefroren gewesen zu sein. Doch trotz dieser unwirtlichen globalen Bedingungen reiften im letzten Abschnitt des Präkambriums, der Ediacara-Epoche, gewaltige evolutionäre Veränderungen heran, die sich im darauffolgenden Erdzeitalter beeindruckend entfalten sollten.
Im Kambrium (vor 541 bis 488 Millionen Jahren) überraschte die Architektin und Baumeisterin des Lebens die biologische Welt mit unerwarteten Innovationen und Inspirationen. Mit einem Schlag tauchten innerhalb kurzer Zeit nahezu alle heute bekannten Tierstämme auf. Die evolutionären Ideenblitze der kambrischen Radiation lösten eine explosive Entwicklung des irdischen Lebens aus. Zwar hatten nicht alle evolutionären Innovationen des Kambriums Bestand, aber die Erfindung des Außenskeletts, die zu den Gliedertieren führte, und die eines inneren Skeletts, die die Wirbeltiere hervorbringen sollte, bedeuteten faunistische Weichenstellungen. Im Kambrium entstand auch ein völlig neues biologisches Existenzschema. Fortan waren in der irdischen Fauna Räuber und Beute zu unterscheiden. Diese biologischen Antipoden sollten in den folgenden 500 Millionen Jahren in einen nicht enden wollenden evolutionären Aufrüstungswettstreit eintreten und vielfältige Angriffs- und Verteidigungswaffen entwickeln und perfektionieren.
Auch in den darauffolgenden Epochen des Paläozoikums (Erdaltertum), vom Ordovizium bis zum Perm, entwarf die Evolution intelligente Baupläne und schuf emsig, einfallsreich und unermüdlich großartige Stammbäume. Dabei hauchte sie so mancher bemerkenswerten Art Leben ein und gab ihrem Dasein eine Perspektive in einer biologischen Zukunft.
Im Ordovizium gedieh das Leben noch nahezu ausschließlich im Ozean. Es entstanden gewaltige Kopffüßer wie die Trilobiten und die ersten Fische. Im Silur begannen komplexer gebaute Gefäßpflanzen, Gliederfüßer und Weichtiere das Land für das Leben zu erobern. Der Landgang der Organismen in die noch sauerstoffarme Zone des Festlandes setzte sich im Devon fort. Gleichzeitig entfaltete sich in den Meeren, Flüssen und Seen eine ungeheure Vielfalt von Fischen. Im Karbon, dem großen Zeitalter der Amphibien, konnte sich das Leben schließlich fest an Land etablieren. Dank der Erfindung des hartschaligen Eies wurden die Reptilien von der Bürde einer an das Wasser gebundenen Fortpflanzung befreit. Erstmals bedeckten ausgedehnte Wälder aus Bärlapp-Gewächsen, Schachtelhalmen und Farnen die Kontinente. Aufgrund des hohen Sauerstoffgehaltes der Atmosphäre von über 30 % gelang es den Insekten, erstaunliche Riesenformen zu entwickeln. Im darauffolgenden Perm-Zeitalter vereinigten sich die Landmassen erneut zu einem Superkontinent. Die Bildung von Pangaea hatte globale Folgen für das Klima. An den Rändern des Kontinents war das Klima feucht und warm, sodass dort subtropische und tropische Bedingungen herrschten. Im Innern der Landmasse aber erstreckten sich lebensfeindliche Wüsten aus Felsen, Sand, Schnee und Eis.
Die Evolution verlief bereits im Erdaltertum keineswegs geradlinig, unbehelligt und ungestört. Es gab katastrophale Ereignisse mit weltweiten Auswirkungen, die zu Massensterben, Artenvernichtung und der Auslöschung ganzer Gattungen führten. Solche Vernichtungs-szenarien sind für das Ende des Ordoviziums, im unteren Devon und am Ende des Perms nachgewiesen.
Die Katastrophe am Ende des Perm-Zeitalters war die größte Apokalypse, die das irdische Leben in seiner Geschichte von etwa 3,5 Milliarden Jahren heimgesucht hat. Vor ungefähr 250 Millionen Jahren ist das höhere Leben auf dem Planeten beinahe ganz vernichtet worden. Etwa 95 % der maritimen Arten und ungefähr 75 % der landlebenden Spezies wurden in wohl nur 100.000 Jahren ausgelöscht. Als Ursachen für das Katastrophenszenario am Ende des Perms werden von der Wissenschaft verheerender Vulkanismus oder der Einschlag eines sehr großen Asteroiden diskutiert. Doch was auch immer die Vernichtungsorgie ausgelöst haben mag, das Leben und die Evolution auf der Erde erlitten durch das Perm-Ereignis einen existenziellen Niederschlag. Das Massensterben am Ende des Perms stellte die Zukunft des höher organisierten Lebens auf dem Planeten infrage. Ob sich die Evolution jemals von dieser Katastrophe würde erholen können, schien ungewiss zu sein! Nun, der weitere Fortgang der evolutionären Prozesse ist bekannt. Das Schöpfertum der Evolution wurde am Ende des Perms nicht abrupt beendet. Die Evolution ließ sich von der Zeit nicht auszählen und zur Geschichte machen! Sie zeigte hervorragende „Nehmerqualitäten“, stand auf, besann sich auf ihr Schöpfertum und rettete das höhere Leben auf der Erde vor der Vernichtung. Im Mesozoikum (Erdmittelalter) sollten ihre Inspirationen, Innovationen und kreativen Ideen eine wunderbare Blüte und Renaissance erleben.
Was nach dieser tiefen evolutionären Zäsur auf einer warmen, überwiegend eisfreien Erde entstand, waren beeindruckende Floren und Faunen, die mit Begriffen wie erstaunlich, fantastisch, dynamisch, kolossal, gigantisch nur unvollständig beschrieben werden können. Das Erdmittelalter war zu Lande, zu Wasser und in der Luft die große Zeit der Reptilien und die Wiege der Vögel. Es ist auch das Zeitalter der weltweiten Ausbreitung der Nadelbäume und des evolutionären Siegeszuges der Blütenpflanzen. Die Welt der mesozoischen Troika Trias/Jura/Kreide wurde von einer bewunderungswürdigen Schöpfungskraft, einem großartigen Erfindungsgeist und dem komplexen Gestaltungswillen der Evolution geprägt. Auch das vierte Massensterben am Ende der Trias konnte die evolutionären Prozesse nicht nachhaltig zum Stillstand bringen. In einer ausufernden Experimentierfreude und beinahe liebevoller Ausgestaltung erschuf die Evolution in der Ordnung der Reptilien Art um Art; von nur wenigen Zentimetern großen Geschöpfen bis hin zu wahren Kathedralen aus Fleisch und Blut. Die Dinosaurier gerieten dabei zu ihrem Meisterstück. Wer weiß, wie sich diese Gattung noch entwickelt hätte, wenn sie evolutionär weiterperfektioniert worden wäre?
Doch dann beendete der Einschlag eines 15 bis 20 km großen Asteroiden vor 65,8 Millionen Jahren die erdmittelalterliche Schöpfungsphase der Evolution und löste ein fünftes Massensterben aus. Das Impakt-Ereignis am Ende der Kreidezeit war für das höhere Leben auf der Erde zwar einschneidend, bedrohte es aber nicht grundsätzlich in seiner Existenz. Gleichwohl erfolgten dadurch eine evolutionäre Zäsur und Neuorientierung, die sich für die Entwicklung des Lebens als richtungsweisend erwiesen.
Irgendwie kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Evolution – wenn sie sich denn personifizieren ließe – über die Vernichtung ihres großen Arsenals an Sauropoden- und Theropoden-Bauplänen am Ende der Kreidezeit schon ein wenig betrübt gewesen sein mag! Doch was blieb der Evolution anderes übrig, als die von einem kosmischen Zufallsereignis geschaffenen Fakten zu akzeptieren und sich einem Neubeginn unter veränderten Bedingungen zu stellen! Sie hatte das nach dem vorangegangenen globalen Massensterben schließlich schon mehrfach tun müssen. Die Evolution besann sich auf ihr Schöpfertum, entwarf neue innovative Baupläne und besetzte frei gewordene Nischen des Lebens mit originellen Kreationen. Allerdings sollten die mesozoischen Dimensionen auf dem Land und in der Luft nicht mehr erreicht werden.
Die Katastrophe am Ende der Kreidezeit öffnete das evolutionäre Tor zur großen Zeit der Säugetiere, die im folgenden Paläogen und Neogen eine unerwartete Blüte erlebten. Der Aufstieg der lebend gebärenden Fellträger resultierte vermutlich aus der Tatsache, dass sie warmblütig und nachtaktiv waren sowie ein verfeinertes Hör- und Sehvermögen besaßen und einen verbesserten Geruchssinn entwickelten. Die Evolution hatte die Ordnung der Säugetiere etwa 100 Millionen Jahre lang vergleichsweise stiefmütterlich behandelt. Vom Paläozän bis zum Pliozän schien es über 60 Millionen Jahre lang, dass die Geschichte des Lebens von der Evolution mit einer großartigen Blüte der Säugetiere einfach fortgeschrieben werden sollte. Doch dann begannen sich am Ende des Pliozäns vor über drei Millionen Jahren unerhörte Dinge zu ereignen. Nach und nach stiegen bestimmte Primaten von den schützenden Bäumen und begannen Verstand, Werkzeuge und eine Kommunikation mithilfe einer Sprache zu entwickeln.
Der Aufstieg der vernunftbegabten Primaten gestaltete sich am Anfang durchaus mühselig und beschwerlich. Die ersten Homininen waren zweifellos mehr Beute denn Jäger und hatten alle Hände voll zu tun, das Überleben ihrer Arten in einer gefährlichen und rauen Umwelt zu sichern. Zunehmende globale Vereisungen gestalteten die Lebensbedingungen in den nördlichen Breiten unwirtlich und lebensfeindlich. Sie beeinflussten auch das Klima in der afrikanischen Wiege der Menschheit nachhaltig. Den Fossilien-Funden zufolge scheint Ostafrika das bevorzugte Experimentierfeld der Evolution in Richtung Menschwerdung gewesen zu sein. Immerhin brauchte die Evolution mindestens fünf Millionen Jahre und zahlreiche Ansätze, um aus den Vorfahren der Menschenaffen über Affenmenschen, Vormenschen und Nebenmenschen vor etwa 2 Millionen Jahren schließlich Frühmenschen zu erschaffen. „Homa ergaster“ soll die erste Menschenform gewesen sein, die den afrikanischen Kontinent verließ und als aufrecht gehender Hominine Europa und Asien für mehrere 100.000 Jahre besiedelte. Die Evolution gab sich damit aber nicht zufrieden. Sie perfektionierte ihre Schöpfungen weiter und es erfolgten weitere Auswanderungswellen. Vor 200.000 Jahren entstanden in Asien und Europa als evolutionäre Antwort auf die dortigen eiszeitlichen Bedingungen die Neandertaler und Denisovianer. Etwa zur gleichen Zeit erschuf die Evolution in Afrika den modernen Menschen homo sapiens sapiens. Die evolutionär gelungenste Form einer vernunftbegabten Spezies besiedelte in weniger als 60.000 Jahren Europa, Asien, Australien und beide amerikanischen Kontinente. Dabei verdrängte die Art allmählich offenbar auch die anderen Homininen. Nach dem Ende der letzten Eiszeit stieg der moderne Mensch schließlich in weniger als 12.000 Jahren zum Herrn des Planeten Erde auf.
Vielleicht hätte das evolutionäre Experiment „Vernunft“ auch in anderen Bauplänen des Lebens verwirklicht werden können. Am Ende des Mesozoikums wären dafür möglicherweise Raptoren infrage gekommen, wenn der Evolution mehr Zeit zur Verfügung gestanden hätte. Darüber hinaus gibt es auch einige vielversprechende evolutionäre Ansätze bei rezenten Arten wie beispielsweise Delfinen oder den Menschenaffen. Doch der Mensch mit seinen vielfältigen globalen und oft zerstörerischen Aktivitäten dürfte der biologischen Evolution für weitere Experimente in Sachen „Vernunft“ und „Verstand“ weder Zeit noch Raum lassen.
Im Gegenteil, dem homo sapiens wird vorgeworfen, durch seinen Aufstieg an die Spitze der irdischen Fauna ein schleichendes sechstes Massensterben ausgelöst zu haben. Diese Sichtweise mag im Kern berechtigt sein, doch kann die Situation mit den Szenarien bei früheren Katastrophen nicht gleichgesetzt werden. Die fortschreitende Zerstörung der irdischen Biosphäre und der unwiederbringliche Verlust von Biodiversität sind der vernunftbegabten Spezies bewusst. Zunehmendes ökologisches Denken führt dazu, dass die Menschheit durchaus bemüht ist, nachteilige Folgen menschlicher Aktivitäten bei der Eroberung und Ausgestaltung von Lebensräumen zu begrenzen. Ob diese Anstrengungen und Initiativen ausreichen oder wirksam genug sein werden, um das beschworene sechste Massensterben zu verhindern, ist jedoch mehr als fraglich. In Anbetracht des ungebremsten Bevölkerungswachstums scheint den Menschen nämlich die Zeit für einen effizienten Schutz der Biosphäre des Planeten und der Erhaltung ihrer Diversität mehr und mehr davonzulaufen. Die fatalen Folgen und bitteren Konsequenzen dieser bedenklichen Entwicklung werden allerdings erst künftige Generationen im vollen Umfang zu spüren bekommen. Für die Menschen der Gegenwart bleibt nur zu hoffen, dass die Nachgeborenen unsere Überheblichkeit, Fehler, Ignoranz und Untätigkeit nicht verfluchen werden!
Das gelungene evolutionäre Experiment der Erschaffung einer Spezies, die über einen Verstand verfügt und zur Vernunft befähigt ist, wirft viele Fragen auf. Erstmals in der langen evolutionären Geschichte des Lebens auf der Erde könnte ein Kind der Evolution auf den Gedanken kommen, seiner Schöpferin ins „Handwerk“ zu pfuschen und die weitere evolutionäre Entwicklung mitbestimmen zu wollen. Sollte man diesen Gedanken als eine schöpferische Posse abtun, eine evolutionäre Panne betrachten oder als einen Geniestreich in einem mehr oder minder zwangsläufigen Prozess verstehen? Wie auch immer man diese Frage beantworten mag, die Entstehung einer zur Selbsterkenntnis und zum höheren Denken befähigten Art eröffnete ein neues evolutionäres Szenario. Die Evolution hat damit Abläufe in Gang gesetzt, die nicht mehr allein ihren Regeln und Gesetzen unterliegen.
Seit etwa 100.000 Jahren wird die biologische Evolution der Homininen durch eine Entwicklung überlagert, die zunehmend an Dynamik gewinnt. Es handelt sich um die soziokulturelle Evolution der menschlichen Gesellschaft. Anfänglich war diese Dynamik gesellschaftlicher Entwicklung noch unbedeutend, doch in den letzten 10.000 Jahren hat sie sich zu der bestimmenden Komponente in der Entwicklung der Menschheit entwickelt. Die biologische Evolution der Gattung homo sapiens ist jedoch keineswegs beendet, denn sie setzt sich nach wie vor fort. Allerdings wirken ihre Mechanismen in einer Zeitskala von einigen Zehntausend bis Hunderttausend Jahren. Die soziokulturelle Evolution vollzieht sich dagegen in Jahrzehnten oder Jahrhunderten und scheint sich weiter zu beschleunigen. Damit läuft dieser evolutionäre Prozess etwa drei Größenordnungen schneller ab als biologische Anpassungen. Insofern tritt die biologische Optimierung der Art in einem überschaubaren Zeitmaßstab hinter die weitere Ausgestaltung gesellschaftlicher und zivilisatorischer Prozesse zurück. Für die evolutionäre Entwicklung der Menschheit ist es nicht wichtig, was der Art in einer Million Jahren widerfahren könnte. Für die Weiterentwicklung und das Fortbestehen der Kultur der Art homo sapiens sapiens sollten vielmehr die nächsten 5.000 bis 10.000 Jahre entscheidend sein. Wohin aber könnte die soziokulturelle Evolution die Menschheit führen? Freilich lassen sich dazu nur Spekulationen anstellen. Seriöse Prognosen sind bekanntermaßen, insbesondere, wenn sie die Zukunft betreffen, schwierig. Diese frappierende Erkenntnis eines Witzboldes wird Mark Twain oder Karl Valentin zugeschrieben. Sie sollte einen Visionär eigentlich davon abhalten, sich darin zu versuchen. Doch ohne sich in Details verlieren zu wollen, scheinen aus heutiger Sicht wohl drei grundsätzliche Szenarien denkbar zu sein. Dabei tut es nichts zur Sache, dass diese gedanklichen Ansätze einem Science-Fiction-Roman entsprungen sein könnten.
Szenario 1 (eine Endzeit-Version)
Auf der Erde findet eine weitgehend irreversible Zerstörung der Biosphäre mit katastrophalen Folgen für die globale Umwelt und die Lebensqualität der Menschen statt. Darüber hinaus haben sich die wichtigsten irdischen Ressourcen durch Raubbau total erschöpft und sind zu zivilisatorischen Streitobjekten geworden. Diese Prozesse lösen gesellschaftliche Konflikte aus, in deren Folge es zu einer verheerenden globalen Auslöschung von Leben, der Vernichtung zivilisatorischer Errungenschaften sowie einer Zerstörung der Umwelt, einschließlich der Atmosphäre, kommt.
Für eine weltweite Vernichtungsorgie von höherem Leben kommen auch kosmische Ursachen wie ein kolossales Impakt-Ereignis mit einem großen Asteroiden, eine nahe Supernova oder ein Treffer durch einen verheerenden Gamma-Blitz infrage. Schließlich ist auch eine apokalyptische Pandemie als Auslöser für einen drastischen Niedergang der menschlichen Zivilisation denkbar.
Wenn die Gattung homo sapiens diese evolutionäre Zäsur biologisch überstehen sollte, könnten sich archaisch anmutende, nachzivilisatorische Kulturen entwickeln. Sie werden über keine Hochtechnologien verfügen, keine nennenswerte wissenschaftliche Forschung betreiben und geistig-kulturell wohl überwiegend im Dunkel fatalistischer Religiosität versinken. In diesem „Endzeit-Szenario“ wird die soziokulturelle Evolution der Menschen auf einem sehr niedrigen Niveau verharren, wobei praktisch keine oder nur sehr ungewisse Perspektiven für einen erneuten soziokulturellen Aufschwung des homo sapiens bestehen. Das Risiko des Aussterbens der Art infolge von Krankheiten, Seuchen, Nahrungsmangel und abnehmender Fertilität dürfte in diesem Endzeit-Szenario beträchtlich sein. Angesichts der ausweglos erscheinenden zivilisatorischen Situation könnte die biologische Evolution über kurz oder lang wieder das Geschehen in einer sich vielleicht langsam erholenden Biosphäre des Planeten bestimmen. Wahrscheinlich wird sie dann, wie sie es auch früher schon nach anderen Massensterben auf der Erde getan hat, einen evolutionären Neustart des biologischen Lebens beginnen.
Szenario 2 (Variante „lichte Zukunft“)
Die Menschen können die soziokulturelle Evolution so steuern, dass die globalen Disproportionen in Bezug auf die Verteilung der Ressourcen (vor allem Wasser, Rohstoffe, fruchtbare Böden, Nahrungsquellen) verantwortungsbewusst und ökologisch vertretbar auf ein Maß allgemeiner Akzeptanz eingeschränkt werden. Darüber hinaus gelingt es durch einen fairen Handel sowie durch Transfer- und Ausgleichsmaßnahmen, weltweit annähernd gleiche Lebensverhältnisse herzustellen. Voraussetzung für das Gelingen einer solchen globalen Interessenübereinkunft ist jedoch die wirksame Begrenzung des ungehemmten Bevölkerungswachstums. Die demografische Fehlentwicklung ist nämlich die Hauptursache für die meisten zivilisatorisch bedingten und verursachten Übel (z. B. Raubbau, Massentierhaltung, Überfischung, Umweltverschmutzung, fehlende klimaneutrale Energieversorgung usw.). Neben der Abwendung der demografischen Katastrophe kann auch die soziale Frage (Gegensatz zwischen arm und reich) vom Grundsatz her gelöst werden.
Die technologische und wissenschaftliche Entwicklung schreitet weiter voran. Es wird zunehmend qualifizierte Raumfahrt betrieben, die auch den Abbau von Rohstoffen auf dem Mond oder nahen Asteroiden ermöglicht. Vielleicht lässt sich die ökologische Situation auf der Erde weiter wirksam entspannen, wenn durch eine Art Terraforming die Kolonisierung des Planeten Mars ermöglicht werden kann. In diesem Zukunftsszenario sollte die soziokulturelle Evolution trotz einer gewissen Bandbreite von verbleibenden gesellschaftlichen Konflikten vielleicht zu einer gesicherten Perspektive der menschlichen Zivilisation führen.
Szenario 3 (eine vermutlich realistische Version)
Es findet zwar keine dramatische, jedoch eine schleichende Zerstörung der Biosphäre des Planeten statt. Darüber hinaus gelingt es auch nicht, die soziokulturelle Evolution so zu steuern, dass die weltweiten gesellschaftlichen und zivilisatorischen Gradienten und Spannungen auf ein akzeptables Niveau abgebaut und grundlegende ökologische Probleme gelöst werden. Die Welt zerfällt in arme, reiche und aufstrebende Regionen, die sich mehr oder minder konfrontativ gegenüberstehen. Streitobjekte sind vor allem die noch verfügbaren Ressourcen (vor allem Energie, Wasser, Bodenschätze, Nahrungsquellen). Dabei kommt es vermutlich zu einer gesellschaftlichen Abschottung zwischen den unterschiedlichen Regionen, die durch historische, religiöse, kulturelle und anderweitige zivilisatorische Gründe begünstigt und beeinflusst wird. Die spannungsgeladene globale gesellschaftliche Situation könnte durch weltweiten Terrorismus, global organisierte Kriminalität und permanente unkalkulierbare Migrationsströme weiter destabilisiert werden.
Hochtechnologien, Wissenschaft und Raumfahrt dienen vor allem der Privilegierung bestimmter Schichten und Kulturkreise in den reichen Regionen und nicht der Lösung der weltweiten gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Probleme. Die soziokulturelle Evolution dürfte dabei eine weite Auffächerung oder Aufspaltung zeigen. Bei dieser Entwicklung wird es zwangsläufig Gewinner und Verlierer geben. Die gegenwärtige globale Situation der menschlichen Gesellschaft scheint in manchen Aspekten den Anfängen eines solchen Szenarios zu entsprechen. Die skizzierte soziokulturelle Entwicklung wird letztlich global zu einem instabilen gesellschaftspolitischen Zustand führen. Der fragile zivilisatorische Status quo mit seinen vielfältigen gesellschaftlichen Spannungen und Disproportionen dürfte irgendwann in einer dramatischen Situation enden und zu einer radikalen Umgestaltung führen.
In deren Ergebnis könnten große Bereiche der herkömmlichen Zivilisationsstrukturen verändert oder ausgelöscht werden und schließlich verschwinden. Eine verbleibende, vermutlich elitäre Minderheit wäre dann unter veränderten Randbedingungen vielleicht in der Lage, die soziokulturelle Evolution neu zu definieren und sie konzeptionell verändert fortführen. Die nachfolgende zivilisatorische Entwicklung wird dann von der Vernunft der gestaltenden gesellschaftlichen Kräfte, den noch nutzbaren Ressourcen, dem Regenerationsvermögen der Biosphäre sowie unkalkulierbaren Randbedingungen abhängig sein. In diesem Fall muss von einem wie auch immer gearteten Neustart der soziokulturellen Evolution der menschlichen Art auf einem niederen Niveau ausgegangen werden.
Bei all den spekulativen Betrachtungen zu den Perspektiven der soziokulturellen Evolution müssen sich die Menschen aber auch bewusst sein, dass ihre evolutionäre Zukunft in vielerlei Hinsicht ungewiss ist und nicht allein durch menschliches Handeln bestimmt wird.
Wir reisen auf der Erde mit der Sonne in etwa 230 Millionen Jahren um das Zentrum der Galaxis. Dabei oszilliert das Sonnensystem alle 30 bis 40 Millionen Jahre Dutzende von Lichtjahren durch die galaktische Ebene. Unser Stern hat in seiner Existenz von 4,6 Milliarden Jahren wohl gerade einmal 20 galaktische Umrundungen zustande gebracht. Da diese Bahn keine Kepler-Ellipse ist, durchquert das Sonnensystem auch immer wieder unbekannte interstellare Regionen. Wir können nicht ahnen, was in den langen galaktischen Jahren irgendwo und irgendwann da draußen an Gefahren für das Leben auf der Erde lauert.
Die Sonne könnte in den Einflussbereich einer schwarzen Singularität geraten oder eine galaktische Zone mit einer nahen Supernova durchqueren. Astronomen haben herausgefunden, dass die Lokale Blase, in die das Sonnensystem eingebettet ist, mit der Nachbarblase Loop I kollidiert ist. Dabei soll es vor ca. 2,5 und 7,5 Millionen Jahren zu zwei Supernova-Ereignissen gekommen sein. Berechnungen zufolge sind damals zwei Sterne von etwa neun Sonnenmassen in einem Abstand von weniger als 300 Lichtjahren zur Erde als Supernova aufgeleuchtet. Wäre diese Distanz eine Größenordnung geringer gewesen, hätte die irdische Biosphäre diese kosmischen Ereignisse wohl nicht unbeschadet überstanden!
Aber auch die astronomische Zukunft des Sonnensystems scheint keineswegs sicher zu sein. So soll uns in 10.000 Jahren die Sonne Proxima Centauri mit drei Lichtjahren ziemlich nahekommen und der heute noch zehn Lichtjahre entfernte Zwergstern Ross 248 wird in 33.000 Jahren ebenfalls nurmehr drei Lichtjahre vom heimischen Sonnensystem entfernt sein. Die Annäherung dieser Sterne könnte die Bahnen der äußeren Planeten durcheinanderbringen.
Nach der Prognose der Wissenschaftler werden wir uns ohnehin in der nahen Zukunft eines Kometensturms aus der Oortschen Wolke zu erwehren haben. Na und mit der Stabilität der Merkur-Bahn ist es ja auch so eine Sache!
Freilich kann es auch irgendwo und irgendwann in den galaktischen Weiten zu einem vernichtenden Angriff einer überlegenen feindlichen Spezies kommen. So ein Gedanke darf nicht von vornherein als eine bloße Science-Fiction-Idee abgetan werden. Zumindest ist ein derartiges Szenario nicht völlig auszuschließen, schließlich wissen wir nichts über die Moralauffassung, die ethischen Vorstellungen und die Mentalität einer hoch entwickelten außerirdischen Intelligenz.
Aber tödliche Gefahren lauern auch unter der Oberfläche unseres Planeten Erde. So könnte der Ausbruch eines Supervulkans, wie beispielsweise desjenigen, der unter dem Yellowstone-Areal lokalisiert ist, kontinentale Verwüstungen verursachen, die das globale Klima auch langfristig umgestalten. Solche geophysikalischen Vorgänge würden gesellschaftspolitische Veränderungen nach sich ziehen und die zivilisatorischen Karten auf dem Planeten neu mischen.
Doch unabhängig von allen denkbaren Katastrophen und den Risiken der weiteren zivilisatorischen Entwicklung der Menschen wird die biologische Evolution ihr Wirken auf dem Planeten fortsetzen. Sie wird tun, was sie immer schon getan hat: Baupläne des Lebens entwerfen und biologische Architekturen verändern, anpassen und optimieren, Nischen besetzen und frei gewordene Lebensräume mit neuen Innovationen erobern. Vielleicht hat sie dabei noch ein paar wirklich geniale Einfälle!
Die geotektonischen Prozesse werden fortschreiten und vermutlich in 200 Millionen Jahren Erdteile und Inseln wieder zu einem Superkontinent vereinen. Dabei können Meere oder und Ozeane verschwinden, Bergketten versinken und neue Gebirge in den Himmel wachsen. Das globale Klima wird weitgehend von diesen Prozessen, vielleicht auch durch menschliche Aktivitäten, aber maßgeblich von der Sonne bestimmt werden. Insofern dürften transozeanische Strömungen und Vulkanismus, Wüsten und Wälder, Dürren und Dauerregen sowie Eiszeiten und Warmzeiten auch in Zukunft entstehen und vergehen und das Antlitz des Planeten formen und verändern. Eines Tages dürfte allerdings die Zeit kommen, in der die Sonne der Evolution auf der Erde endgültig das Handwerk legen wird. Dieser Prozess könnte bereits in 900 Millionen Jahren seinen Anfang nehmen, wenn die mittlere Temperatur auf dem Planeten über den für höheres Leben kritischen Wert von 30 °C ansteigt. Eine weitere Milliarde Jahre später prognostizieren die Experten einen Temperaturanstieg auf 100 °C. Dann werden die Ozeane bereits weitgehend verdampft sein und niedere Lebensformen nur noch in Nischen existieren. Schließlich wird das Aufleuchten der Sonne zu einem roten Riesenstern das Leben auf dem Planeten Erde endgültig auslöschen.
Die von der Evolution auf der Erde geschriebene Schöpfungs- und Entwicklungsgeschichte des Lebens könnte ihrer Schönheit und Einmaligkeit wegen aber zuvor zu einer himmlischen Legende geworden sein. Möglicherweise haben Sonnenwinde oder Sternenstürme die märchenhafte Geschichte vom Werden und Vergehen des irdischen Lebens dann längst in die galaktischen Weiten der Milchstraße verweht. Wer weiß, aber dort mögen vielleicht fremde Geschöpfe aus anderen Zeiten dem Raunen, Wispern und Flüstern des Alls lauschen:
„… es war einmal ein Archipel in Raum und Zeit, dem die Menschen den Namen Milchstraße gegeben hatten. Die große Balkenspirale mit über 150 Milliarden Sternen, einem Durchmesser von reichlich 120.000 Lichtjahren und einem Halo mit fast 200 uralten Kugelsternhaufen leuchtete eindrucksvoll am Himmel. Die majestätische Galaxie wurde von einem Dutzend Zwerggalaxien wie dem Dreiecks-Nebel, den Magellanschen Wolken und der diffusen Antlia-Formation begleitet.
In der Milchstraßen-Galaxie glühte einst zwischen den Spiralen Sagittarius und Perseus am inneren Rand des Orionarmes ein Stern vom Spektraltyp G 2/V. Die gelbe Sonne konnte dem Leben auf dem dritten Planeten ihres solaren Systems fast fünf Milliarden Jahre eine Heimstatt geben. In diesem langen Zeitraum erschuf die Evolution eine faszinierende Welt organischen Lebens. Trotz mehrerer Massensterben aufgrund von Katastrophen mit globalen Auswirkungen hat die Evolution das Leben auf dem Planeten Erde beschützt, umsorgt, bewahrt und nicht untergehen lassen. Der Architektin und Baumeisterin des Lebens ist sogar die Schöpfung einer mit Vernunft begabten Art gelungen. Diese Spezies hat eine beachtliche zivilisatorische Entwicklung genommen und scheint schließlich auch in die interstellaren Weiten aufgebrochen zu sein. Doch wer weiß, diese einzigartige Welt voller Leben wird in der Nova ihrer roten Sonne bestimmt längst untergegangen sein …?“
Astronomischen Prognosen zufolge soll sich die Milchstraße in etwa 1,5 Milliarden Jahren die große Magellansche Wolke einverleiben. Dann könnte die schwarze Singularität im Zentrum der Galaxie zu einem aktiven Quasar mit vielleicht Milliarden Sonnenmassen anwachsen. 2,5 Milliarden Jahre später wird der Beginn der Vereinigung zwischen der Milchstraßen- und Andromeda-Galaxie prognostiziert. Bei diesem Prozess dürfte eine riesige elliptische Sterneninsel entstehen. Diesem gewaltigen Archipel in Raum und Zeit haben die Menschen sogar schon den Namen Milkomeda gegeben. Ob sich angesichts dieser künftigen dramatischen Ereignisse am Himmel der lokalen Gruppe dann noch irgendjemand an die Legende vom Wunder des Lebens auf der Erde erinnern wird?
Die Zeit steht im Ruf, unerbittlich und gnadenlos zu sein, weil sie stets nur unaufhaltsam verrinnt und lediglich im Ereignishorizont eines Schwarzen Loches eine Weile angehalten werden kann. Die Zeit mag auf ihre Art aber auch gerecht sein, denn ein Menschenleben, die Lebensspanne einer Art, die Dauer eines Zeitalters, die Tage einer Sonne, ja sogar die Stabilität einer schwarzen Singularität und selbst die Existenz eines ganzen Universums mögen begrenzt sein und irgendwann ein Ende finden. Schlichtweg scheint ein jegliches seine Zeit zu haben. Aber kann die zeitliche Endlichkeit des Seins schlechthin den Menschen wirklich Trost spenden?
Wer weiß? Doch die Legende von der untergegangenen Schönheit des irdischen Lebens scheint auch irgendwann und irgendwo einen evolutionären Neubeginn zu verheißen. Vielleicht ist es ein Trost und Wunder zugleich, davon träumen zu dürfen!
Legende vom irdischen Leben
Einst leuchtete ein Archipel in Raum und Zeit,
den Legenden Milchstraße genannt hatten.
Die Galaxie war eine der schönsten weit und breit.
Ihr Glanz überstrahlte am Himmel die Schatten.
Die Spirale formte einen Balken von hoher Symmetrie,
im Halo tummelten sich Kugel-Haufen uralter Sterne,
die Magellanschen Wolken umkreisten die Galaxie,
der Andromeda-Nebel schimmerte matt in der Ferne.
Es glühte im Orion-Arm der Milchstraßenwelt
eine Sonne, von acht großen Planeten umgeben,
der dritte war für ein Wunder auserwählt,
denn dort entstand eines Tages das Leben.
Die Begegnung von Erde und Theia schuf den Mond,
die Elemente waren wie entfesselt auf Erden.
Die Erde wurde mit der Entstehung des Lebens belohnt,
die Evolution hegte und pflegte dessen Werden.
Die Architektin des Lebens ging einen mühsamen Weg,
Erfolge und Irrtümer säumten ihn in allen Zeiten.
Fossilien sind für die Suche nach Perfektion ein Beleg,
nur Veränderung vermag dem Leben eine Zukunft bereiten.
Gewaltige Katastrophen suchten die Erde heim.
Sie drohten das Wunder des Lebens zu vernichten,
doch die Evolution sollte nicht zu besiegen sein
und noch vollkommener ihre Werke verrichten
Die Evolution erschuf eine Wunderwelt voller Leben
und schließlich sogar eine Art mit Vernunft und Verstand.
Die Erde konnte dem Leben lange eine Heimstatt geben,
bis es in der Nova der roten Sonne verschwand.
Doch vielleicht wurden zuvor von Sonnenwinden
Spuren des irdischen Lebens in die Galaxie verweht.
Dort mögen sie vom Wunder des Lebens künden,
das irgendwann im Strom der Zeit vergeht.