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Оглавление2. Brief vom 24. August 2019
Anlage
Himmel und Erde und die Verbindung dazwischen Überlegungen zu einer kosmologischen Theologie
Leipzig, 24. August 2019,
zu öffnen am 1. Mai 2036
Hallo, mein Enkeljunge,
heute drängt es mich, dir ein paar Gedanken mitzuteilen, für die mir das Leben in gemeinsamen Gesprächen vielleicht nicht mehr ausreichend Zeit einräumen könnte. Freilich vermag ich nicht zu sagen, ob du in knapp 17 Jahren meine Beweggründe verstehen kannst oder meine Gedanken als Spinnereien eines wunderlichen alten Mannes abtun wirst. Na ja, ich wage es trotzdem, selbst wenn du aus der Zukunft auf mich und meine Vorstellungen mitleidig herablächeln solltest.
Das Traktat, das ich dir heute ans Herz legen möchte, beschäftigt sich mit dem Gott-Glauben und der Religion sowie einigen Aspekten zu deren geschichtlicher Deutung. Darüber hinaus habe ich mir erlaubt, einige (nicht ganz ernst gemeinte) Überlegungen zu einer kosmologischen Theologie anzustellen. Versteh’ mich bitte nicht falsch, ich möchte meine Überlegungen ausdrücklich nicht als glaubensfeindlich verstanden wissen. Das würde meinem Verständnis von Toleranz zuwiderlaufen. Als glaubenskritisch würde ich sie dagegen schon bezeichnen. Immerhin stelle ich mit meinen Betrachtungen zu Gott und zur Religion einen wie auch immer gearteten Glauben an ein übernatürliches Wesen zur Diskussion und letztendlich auch infrage. Und das völlig zu Recht, wie ich meine!
Das Argumentations-Papier „Himmel und Erde und die Verbindung dazwischen“ ist im Grunde genommen als eine Satire zu betrachten. Es versucht, naturwissenschaftliche Erkenntnisse mit religiösen Positionen in Übereinstimmung zu bringen. Das kann natürlich nicht wirklich gelingen, denn Vernunft und Glaube sind wie Feuer und Wasser, zwischen denen es keine Kongruenz geben kann. Dennoch habe ich die Mühe auf mich genommen, bestimmte religiöse Positionen und Vorstellungen mit astrophysikalischen Erkenntnissen und kosmologischen Fragestellungen abzugleichen. Dabei habe ich die Suche nach vermeintlichen Übereinstimmungen mit theologischen Deutungen sogar interessant und vergnüglich gefunden. Um den Witz und den spirituellen Schalk der Angelegenheit nachvollziehen zu können, bedarf es aber eines bestimmten naturwissenschaftlichen Wissens. Wem nicht bekannt ist, dass sich das Standarduniversum aufgrund der (nicht verstandenen) wachsenden Stärke der dunklen Energie ausdehnt und dieser Prozess vielleicht nur durch den gravitativen Einfluss von dunkler Materie aufgehalten werden kann, wird die Ironie in Kapitel 4 nicht verstehen können. Matti, ich hoffe, dass du mit zwanzig Jahren in der Lage sein wirst, diese und andere Pointen meines hier und da durchaus provokanten, aber auch schelmischen Traktates nachzuempfinden.
Zur Religion möchte ich vorab anmerken, dass sie eine sehr einfache Sicht auf die komplexen Lebensverhältnisse der Menschen darstellt. Sie nutzt vor allem die Sehnsüchte der Leute nach einem sie weise lenkenden übernatürlichen Wesen aus. Diese göttliche Entität soll ihnen sagen, was zu tun oder zu lassen ist. Wenn man sich mit Gott-Glaube und Religion beschäftigt, sollte man sich bewusst sein, dass diese Vorstellungen aus den Kindertagen der menschlichen Zivilisationen stammen. Damals hatten die Menschen die Wirklichkeit von Raum und Zeit und die Struktur des Standarduniversums mit seinen Myriaden von Sternenwelten, Milliarden Galaxien und zahlreichen schwarzen Singularitäten noch nicht erkannt. Sie glaubten tatsächlich, dass Naturgewalten wie Erdbeben, Stürme und Gewitter mit Blitz und Donner Ausdrücke eines göttlichen Zorns waren. Den Himmel ihres Herrn haben sie sich dabei ganz gegenständlich direkt über ihnen in den Wolken oder darüber vorgestellt.
Das Traktat von der kosmologischen Theologie soll dir deutlich machen, dass religiöse Gedankengebäude einer umfassenden naturwissenschaftlichen Betrachtung und Beurteilung nicht standhalten können. Die wissenschaftlichen Befunde, Erkenntnisse und Einsichten, die religiöse Überzeugungen infrage stellen, sind erdrückend. Daher kann ein göttliches Wesen in den Weiten des Standarduniversums keinen Platz haben. Der berühmte französische Mathematiker und Physiker Pierre Simon de Laplace hat diesen Sachverhalt erstaunlicherweise schon vor über 200 Jahren erkannt. Auf eine entsprechende Anfrage Napoleons soll er nämlich geantwortet haben, dass die Annahme eines Gottes eine ganz und gar überflüssige Hypothese sei.
Freilich halten viele Menschen auch zu Beginn des dritten Jahrtausends christlicher Zeitrechnung nach wie vor am Glauben an einen wie auch immer gearteten Gott fest. Davon solltest du dich aber nicht irritieren oder beeindrucken lassen. Religion scheint im gesellschaftlichen Leben der Menschheit im Großen und Ganzen dennoch eine Angelegenheit von gestern zu sein. Dass es heute (immer noch) ein lebendiges kirchliches Leben gibt, ist das Resultat von jahrhundertelangen gesellschaftlichen Entwicklungen, historischen Traditionen und soziokulturellen Gepflogenheiten. Sie wirken in Verbindung mit Defiziten im naturwissenschaftlichen Denken vieler Menschen mehr oder weniger nachhaltig fort. Der Zenit der soziokulturellen Wirksamkeit dieser Vorstellungen und Überzeugungen ist jedoch seit Langem überschritten. Religion und Theologie befinden sich zunehmend in einer intellektuellen und gesellschaftlichen Defensive. Kirchliche Dogmen und religiöse Glaubensvorsätze haben jahrhundertelang von der Unwissenheit ihrer Anhänger profitiert. In einem zunehmend von der Wissenschaft und rationalem Denken geprägten Zeitalter werden sie eines (zwar wohl noch fernen) Tages nur noch ein gesellschaftliches Nischendasein fristen können!
Diese Prognose mag heute vielen Menschen noch unvorstellbar erscheinen, doch der Prozess der Säkularisierung wird in der fortschreitenden soziokulturellen Evolution nicht aufzuhalten sein. Der Wandel in der Bewertung von Glaubensfragen könnte in klerikal beherrschten Gesellschaften allerdings noch lange dauern, weil religiöse Überzeugungen in den Köpfen überwiegend bildungsferner Menschen nicht von heute auf morgen verschwinden werden. Dennoch wird sich auch dort irgendwann die Erkenntnis durchsetzen, dass der Glaube an einen Gott der Vision eines auf Treibsand gebauten gedanklichen Zauberschlosses gleicht, die im Angesicht der Wirklichkeit ins Nichts zerfließen muss.
Mein Junge, du wirst dich im Leben irgendwann entscheiden müssen, ob du geistig und emotional in einer Welt zu Hause sein möchtest, die von Vernunft und Verstand ohne religiöse Ideologien bestimmt wird, oder ob du der irrationalen Gemeinschaft gottgläubiger Menschen angehören willst. Diese Entscheidung musst du selbst treffen, sie kann dir niemand abnehmen.
Falls du dich für eine wissenschaftliche Weltanschauung entscheidest, solltest du dich dennoch bemühen, religiöse Grundsätze zu verstehen, dich mit den Überzeugungen gläubiger Leute vertraut zu machen und ihre Ansichten zu respektieren. So eine tolerante Einstellung wird auch der Überprüfung deines eigenen Standpunktes und der Verifizierung deiner intellektuellen Position zugutekommen.
Falls dich im Leben irgendwann einmal Leute für eine religiöse Überzeugung zu missionieren versuchen oder dir in Glaubensfragen in Bezug auf das Seelenheil das „Blaue vom Himmel“ verheißen, musst du vorsichtig sein und die Dinge besonders kritisch hinterfragen. Was ich damit meine, soll ein Beispiel aus einem ganz anderen geistigen Bereich deutlich machen:
„Stell’ dir einen Ingenieur vor, der ja durchaus einem anerkannten und geschätzten Berufsstand angehört. Wenn er für eine Berechnung eine komplizierte technische Formel anwenden muss, wird er die Parameter unter Berücksichtigung ihrer Schwankungsbreiten und von Sicherheitszuschlägen verantwortungsbewusst auswählen. In den allermeisten Fällen dürfte er mit seinem akribischen Vorgehen in der Praxis brauchbare und vernünftige Ergebnisse erzielen. So weit, so gut! Jetzt konfrontiere in Gedanken einen Naturwissenschaftler mit derselben Formel. Er wird die Struktur der 100.000-fach bewährten Formel wohl in aller Regel erst einmal kritisch hinterfragen. Um herauszufinden, ob es sich nur um eine Zahlenwertgleichung oder zugeschnittene Größengleichung handelt, dürfte er die Maßeinheiten der einzelnen Parameter betrachten oder die eine oder andere Variable gegen 0 oder ∞ gehen lassen. Vielleicht setzt er hier und da auch negative Werte ein und macht sich Gedanken über die Genauigkeit der verwendeten dynamischen Größen oder Konstanten. Falls bei diesen Betrachtungen nichts Vernünftiges herauskommen sollte, wird der Naturwissenschaftler die bewährte Formel vermutlich verwerfen, über Änderungen nachdenken oder sie als eine praktikable Näherung klassifizieren und ablegen.
Mein Junge, mit diesem Beispiel möchte ich dir den Unterschied zwischen einem formalen (hier technischen oder handwerklichen) Herangehen und einer substanziellen (hier wissenschaftlichen) Vorgehensweise verdeutlichen. Aber was hat die Botschaft des Vergleiches mit Glaubensfragen zu tun, wirst du dich vielleicht fragen?
Ich möchte dir damit auf eine ungewöhnliche Art und Weise bewusst machen, dass du, wenn es darauf ankommt, den Dingen immer auf den Grund gehen musst. Aus meiner Sicht betrifft das weniger die heutzutage und hierzulande geäußerten Verschwörungstheorien und andere abstruse Lebensphilosophien. Diese Ansichten scheinen so irrwitzig und gedanklich verbogen zu sein, dass ich glaube, mir diesbezüglich keine Sorgen um deinen Verstand machen zu müssen. Im Fokus meiner Besorgnisse steht vielmehr der Missbrauch des Glaubens an einen Gott. Das Gedankengut sektiererischer Vereinigungen kommt nämlich oft geschickt verklausuliert und raffiniert getarnt daher. Arglose oder naive Zielpersonen werden häufig durch die scheinbare Plausibilität und vermeintliche Vernunft der Argumente getäuscht. In so einem Fall muss religiöse Propaganda nicht nur formal, sondern auch substanziell hinterfragt werden. Daher kann eine kritische Einstellung zu scheinbar überzeugenden Offerten religiöser Ideologen oder ein gesundes Misstrauen gegenüber sektiererischen Missionsaktivitäten für einen jungen Menschen mitunter sogar lebensbedeutsam sein!
Herzliche Grüße aus der Vergangenheit!
Opa
Anlage
Himmel und Erde und die Verbindung dazwischen – Überlegungen zu einer kosmologischen Theologie
Himmel und Erde sowie die Verbindung dazwischen Überlegungen zu einer kosmologischen Theologie
1. Der Himmel und die Erde – Definitionen, Lokalisierungen – Verbindung
Der theologische Kosmos der allermeisten Religionen kennt als Hauptweltbegriffe den Himmel und die Erde. Sie bezeichnen das Spannungsverhältnis zwischen der irdischen Welt und einer angenommenen göttlichen Sphäre. Darüber hinaus wird die Möglichkeit der Herstellung einer wie auch immer gearteten Verbindung zwischen Himmel und Erde von den nahezu allen Religionen positiv beantwortet.
1.1 Die Erde
Der Planet Erde ist die Heimat der einzigen rezenten Art der Gattung homo sapiens, also der Menschen der Gegenwart. Nach religiöser Überzeugung ist die Erde mit den Menschen und den anderen Lebewesen im Ergebnis eines göttlichen Schöpfungsaktes entstanden. Wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge hat jedoch die Evolution die irdische Biosphäre samt der vernunftbegabten Spezies in einem langen Prozess biologischer Optimierung entstehen lassen. Mit ihrer Hilfe und unter ihren Fittichen konnte die Art in weniger als einer Million Jahren zum Beherrscher des Planeten aufsteigen.
Die Erde ist ein definierter materieller Ort. Er befindet sich in einem Universum, das nach astrophysikalischen Erkenntnissen vor 13,8 Milliarden Jahren aus der Auflösung einer noch nicht verstandenen Singularität entstanden ist. Seitdem dehnt sich die universale Konfiguration aus. Die Heimat der Menschen kann im Standarduniversum über folgende räumliche Strukturen relativ eindeutig lokalisiert werden:
Laniakea Superhaufen Virgohaufen lokale Gruppe
Milchstraßen-Galaxie innerer Rand des Orionarms
lokale Blase lokale Flocke Hauptreihenstern vom
Spektraltyp G 2/V 3. Planet des solaren Systems mit
dem Namen Erde
Der Zustand, die Eigenschaften sowie die Naturgeschichte und die Entwicklung der irdischen Welt lassen sich mit naturwissenschaftlichen Gesetzen hinreichend gut beschreiben. Was die Entwicklung der vernunftbegabten menschlichen Art anbelangt, gehören dazu auch die Forschungsergebnisse der evolutionären Biologie und die Erkenntnisse der soziokulturellen Geschichte.
1.2 Der Himmel
Er bezeichnet die Sphäre Gottes. Die Menschen haben ihn in der Geburtsstunde einer Religion aufgrund ihres begrenzten Horizontes einfach als über der Erde befindlich angenommen. Seit der modernen Erkenntnis von Raum und Zeit ist dessen Architektur und topografische Bestimmung aber unklar. Vermutlich muss der Himmel als ein immaterieller Kosmos begriffen werden. Dessen Struktur, Funktionalität und Veränderlichkeit könnten durch Gesetze und Regeln von göttlicher Natur bestimmt werden, so es sie denn geben sollte. Immaterielle himmlische Zusammenhänge können erkenntnistheoretisch nicht hinterfragt werden. Daher stellt sich die Frage nach einer strengen Lokalisierung des Himmels nicht. Sein Dasein muss nur außerhalb der irdischen Wirklichkeit angenommen werden.
Die immateriellen Gesichtspunkte sollten auch für die Bewohner der (christlichen) himmlischen Sphäre gelten. Die übernatürlichen Wesen oder Entitäten Gott-Vater, sein Sohn und der mysteriöse heilige Geist werden dort ebenfalls ein immaterielles Dasein führen, was das auch immer bedeuten mag. Diese Annahme trifft vermutlich auch auf die anderen Bewohner des Himmels zu (z. B. Engel), die der Herrgott zur Unterstützung seiner „Glaubens-Politik“ erschaffen haben soll.
Innerhalb der himmlischen Heerscharen scheinen Hierarchien zu existieren. Bildhafte religiöse Darstellungen der humanoid wirkenden Figuren unterscheiden zwischen Oberengeln (Erzengel) und gemeinen Engeln (z. B. Schutzengel, Weihnachtsengel). Darüber hinaus soll es sogar verstoßene Engel (gefallene Engel) geben. Es heißt, dass sie nach einer gescheiterten Revolte gegen Gott den Himmel verlassen mussten und vermutlich in der Hölle untergekommen sind. Na ja, vielleicht sollte man mit seinem begrenzten menschlichen Verstand wirklich nicht zu viel über das immaterielle Treiben in der himmlischen Sphäre philosophieren oder spekulieren!
1.3 Die Verbindung von Himmel und Erde
Solange man die Dinge in den jeweiligen Sphären in sich ruhen lässt, entstehen keine problematischen theologischen und realen Konsequenzen. Ein getrenntes Szenario zwischen Himmel und Erde macht für religiöse Überzeugungen jedoch überhaupt keinen Sinn. Wenn im theologischen Gedankengebäude zwischen der immateriellen Sphäre Gottes und der materiellen Welt der Menschen Wechselwirkungen stattfinden oder zugelassen werden, ergeben sich jedoch zahlreiche ungeklärte Fragen.
Nach anerkannter und verbreiteter religiöser Auffassung sollen Aktivitäten der göttlichen Sphäre auch im materiellen Bereich wirksam werden können. Göttliche Offenbarungen, himmlische Erscheinungen und vermeintliche Wunder sind ein unverzichtbarer Bestandteil einer jeden Religion. Und auch in umgekehrter Richtung postulieren die theologischen Ansätze eine nicht infrage zu stellende Wechselwirkung. Schließlich sollen nach dem Konzept der Seelenwanderung die Seelen Verstorbener mehr oder minder direkt oder auf Umwegen in den immateriellen Himmel gelangen können.
Die Menschen haben seit jeher versucht, das göttliche Wirken in der irdischen Welt mit ihrem Verstand rational zu begreifen. Dennoch existiert keine schlüssige theologische Erklärung dafür, wie eine immaterielle Sphäre mit einer materiellen Welt in Wechselwirkung treten könnte. Dieser Sachverhalt ist jedoch alles andere als überraschend. Wenn keine qualifizierten Erkenntnisse über den Aufbau, die Struktur und die Funktionalität einer immateriellen Sphäre vorliegen, dann lässt sich wohl auch die Wechselwirkung derselben mit einer realen Welt nicht verstehen.
Bei einer Umkehrung der Wechselwirkungsrichtung, also in Blickrichtung von der Erde in Richtung Himmel, ergibt sich allerdings ein anderes Szenario. Für das Verständnis des irdischen Kosmos existiert eine beachtliche, naturwissenschaftlich fundierte theoretische Plattform. Zwar ist die große vereinheitlichte Theorie der vier Grundkräfte noch nicht gefunden und formuliert worden. Doch das bisherige Wissensgerüst sollte ausreichen, um wenigstens ansatzweise Überlegungen zu einer möglichen Interaktion zwischen einer materiellen Welt mit einer immateriellen Sphäre in eben dieser Richtung anzustellen.
2. Der Schlüsselbegriff der Seele und die göttliche Offenbarung
Das theologische Kernproblem im Zusammenhang mit der postulierten Seelenwanderung sind die Definition und das Verständnis des Begriffes „Seele“. Sie sind von vielen schlauen Menschen vielfältig und kontrovers diskutiert worden. Ungeachtet aller Meinungsverschiedenheiten scheint unstrittig zu sein, dass ein imaginäres Konstrukt wie die Seele nur in einer materiellen Welt mit einer vernunftbegabten Spezies entstehen kann. Sie scheint es das natürliche, oder besser gesagt, göttliche Privileg einer mit Vernunft und Verstand ausgestatteten Art zu sein.
Wann freilich eine mit Vernunft begabte Art so viel Verstand entwickelt hat, damit ihr eine Seele im Sinne einer religiösen Auffassung zugesprochen werden kann, ist eine theologisch interessante, aber weitgehend unbeantwortete Frage. Die Problematik ist erstaunlicherweise von kirchlichen Kreisen bisher nicht qualifiziert thematisiert worden. Was die Geschichte der Menschwerdung anbelangt, wäre es schon interessant, zu erfahren, ob Frühmenschen vom Typ des homo erectus oder die homo sapiens-Arten der Neandertaler und Denisovianer eine Seele im theologischen Sinn gehabt haben könnten.
Eine Beantwortung dieser Frage darf von theologischen Kreisen wohl auch nicht erwartet werden. Die biblische Schöpfungsgeschichte gibt darauf nämlich keine Antwort. Die relevanten Schnittstellen der Menschwerdung werden von den Theologen einfach ausgeblendet, weil sie mit den Erkenntnissen der Evolutionsbiologie schlichtweg nichts anzufangen wissen. Das ist bedauerlich und kennzeichnet eine empfindliche Lücke im theologischen Verständnis der irdischen Welt und der Interpretation des Spannungsfeldes zwischen göttlichem Wirken und evolutionären Prozessen.
Ein anderer historisch interessanter theologischer Aspekt berührt den Zeitpunkt der göttlichen Offenbarung gegenüber einer vernunftbegabten Spezies. In unserer Gegenwart existieren verschiedene, unterschiedlich alte Religionen gleichzeitig (mehr oder weniger) friedlich nebeneinander. Daher scheint der Gedanke an göttliche Offenbarungen, die zu verschiedenen Zeitpunkten stattgefunden haben, keineswegs abwegig zu sein. Vielleicht ist die eine oder andere Offenbarung des Herrn auch ohne eine nennenswerte historische oder religionsgeschichtliche Konsequenz geblieben, weil sich in deren Folge keine nachhaltigen Glaubensbewegungen entwickeln konnten. Möglicherweise hat eine solche gescheiterte göttliche Offenbarung in der Amarna-Zeit des Neuen Ägyptischen Reiches stattgefunden. Der Kult um den Gott Aton und die daraus entstandene religiöse Bewegung mit dem charismatischen Pharao Echnaton und seiner wunderschönen Frau Nofretete an der Spitze huldigte einem rigorosen Monotheismus. Er konnte sich damals jedoch nicht gegen den im Denken der alten Ägypter tief verwurzelten Amun-Kult durchsetzen.
Das Scheitern des religiösen Monotheismus in Achet-Aton lässt im Übrigen Zweifel an der göttlichen Allmacht aufkommen. Es wirft die Frage auf, warum ein übermächtiger Gott es nicht vermocht hat, eine ziemlich primitive menschliche Gesellschaft mit einer überschaubaren Anzahl von individuellen Freiheitsgraden zu einem Glauben an ihn und zur Anbetung seiner Herrlichkeit zu bewegen. Diese Tatsache könnte als ein Armutszeugnis für die göttlichen Entität gedeutet werden. Freilich bleiben der Wille und die Wege des Herrn stets unerforschlich. Es gebietet sich aus theologischer Sicht daher wohl nicht, über mögliche göttliche Beweggründe nachzudenken oder zu befinden.
Darüber hinaus erscheint es verwunderlich, dass die Ursprünge der großen Religionen allenfalls 3000 bis 4000 Jahre in die temporalen Tiefen der menschlichen Geschichte zurückreichen. Dieses verhältnismäßig geringe Alter wirft die Frage auf, warum Gott den Menschen der frühen Hochkulturen in Ägypten (Altes und mittleres Reich), in Mesopotamien (Sumerer) und am Indus (Mohenjo daro-Kultur) keine göttlichen Offenbarungen hat zuteilwerden lassen. Der Herr scheint sich auch später gegenüber den Hochkulturen in Meso- und Südamerika nicht offenbart zu haben, obwohl diesen Menschen eine Seele im theologischen Sinn nicht abgesprochen werden kann. Aus menschlicher Perspektive ist diese göttliche Zurückhaltung zu bedauern! Vielleicht wäre dadurch den Mayas, Azteken, Inkas und anderen indigenen Völkern in der neuen Welt das große Leid erspart geblieben, das sie durch die Missionierung durch die Spanier erleiden mussten.
Doch zurück zum Schlüsselbegriff der Seele! Die Kernfrage hinsichtlich der skizzierten Wechselwirkung zwischen einer materiellen und immateriellen Welt ist, ob die Seele ein rein immaterielles Konstrukt darstellt oder eine materielle Facette besitzen könnte. Vielleicht handelt es sich bei dem Phänomen um einen noch nicht explizit erkannten Daseinsdualismus zwischen Geist und Materie. Er könnte die Grundlage für einen Austauschmechanismus zwischen der materiellen und immateriellen Sphäre bilden.
Möglicherweise lässt sich die Seele als ein exotisches Energiefeld mit einer immateriellen Signatur auffassen. Dafür kommen unentdeckte Felder und Quanten außerhalb des Standardmodells der Teilchenphysik infrage. Es sei hier beispielsweise an das bisher unverstandene Zustandekommen der dunklen Materie, die Vorhersage der superleichten Axionen oder die theoretischen Mutmaßungen zur Supersymmetrie erinnert. Das hypothetische Feld könnte nach dem Ableben eines Seelenträgers seinen Energieinhalt verlieren und der immateriellen Signatur damit den Übergang in die himmlische Sphäre ermöglichen. Allerdings muss eingeräumt werden, dass es bisher keine Erkenntnisse zur Existenz einer Energiematrix gibt, die Träger einer hyperneuronalen Systemsignatur sein könnte.
Bei der Betrachtung einer Seelenwanderung in Richtung Himmel kommt der Energiebilanz des materiellen Kosmos eine wichtige Rolle zu. Die sogenannte „Seelenenergie“ muss im materiellen Kosmos verbleiben und darf nicht in eine fiktive immaterielle Sphäre wie den Himmel diffundieren, der dafür auch überhaupt keine Verwendung haben dürfte. Das Phänomen der Seelenwanderung berührt zweifellos das evolutionäre Spannungsfeld zwischen Geist und Materie. Die Naturwissenschaften haben es bis heute nicht plausibel erklären können. Aber auch eine bloße theologische Deutung des Phänomens wird die Leute nicht überzeugen, solange die Theologen die Erkenntnisse der Evolutionsbiologie bei der Deutung der Schöpfungsgeschichte außer Acht lassen und keine glaubenskonforme Interpretation kosmologischer Zusammenhänge und Abläufe vorlegen.
3. Die Zwischenwelten im theologischen Kosmos
Neben dem Himmel gibt es im theologischen Kosmos zwei weitere Weltkategorien, die als Zwischenwelten aufzufassen sind: Fegefeuer und Hölle!
Beide Zwischenwelten müssen sowohl eine Verbindung zur irdischen Welt als auch zur himmlischen Sphäre haben. Insofern könnten die Begriffe Orte oder Zustände bezeichnen, die ähnlich wie die Seele einem materiellen und immateriellen Daseinsdualismus unterliegen. Die raumzeitliche Lokalisierung von Fegefeuer und Hölle zwischen Himmel und Erde erweist sich topografisch als ein aussichtsloses Unterfangen. Vielleicht aber bietet die String-Theorie mit ihren eingerollten Dimensionen einen brauchbaren Erklärungsansatz für die mögliche Ortsbestimmung dieser wichtigen theologischen Zwischenwelten.
Was die materielle Komponente der Zwischensphären anbelangt, werden vor allem die thermodynamischen Belange von Interesse sein. Aufgrund der dort bildhaft lodernden Feuer ist von einer gewaltigen Energieerzeugung auszugehen. Der klassischen Theologie zufolge sollte der Energieerzeugungsmechanismus in Fegefeuer und Hölle weitgehend identisch funktionieren. Die Feuer speisen sich aus der Energie sündiger Seelen. Dafür kommen ungläubige, nicht gläubige, andersgläubige, falschgläubige und nicht rechtgläubige Personen infrage. Dazu gehören aber auch Seelen rechtgläubiger Menschen, die ihr Leben so arg in Sünde verbracht haben, dass ihnen die Himmelspforten, vorerst, verschlossen bleiben.
3.1 Das Fegefeuer
Der purgatorischen Läuterungsphilosophie zufolge sollen die sündigen Seelen im Fegefeuer nicht vollständig verbrannt werden, denn für sie muss es ja die Option für einen Übergang in die himmlische Sphäre geben. Man könnte den Seelenbrennstoff des Fegefeuers im Unterschied zu den schwarzen Seelen in der Hölle vielleicht als grau bezeichnen. Die Masse der grauen Seelen darf allerdings nicht überschätzt werden. Schließlich ist das Fegefeuer eine Einrichtung für rechtgläubige Seelen. Die Energiebilanz des Fegefeuers dürfte weitaus geringer als die der Hölle einzuschätzen sein. Möglicherweise existiert sogar eine thermodynamische Verbindung zwischen diesen beiden Orten? Die Fegefeuer könnten vielleicht als eine Art Bei- oder Stützfeuerung für die viel gewaltigeren Höllenfeuer interpretiert werden? Das würde, energetisch betrachtet, auf jeden Fall Sinn machen! Es mag jedoch sein, dass die Fokussierung auf energetische Fragestellungen zu funktionell gedacht ist. So ein rationaler Ansatz würde vermutlich religiöse Aspekte und Befindlichkeiten außer Acht lassen. Außerdem ist unklar, ob die Betreiber der Fegefeuer eher der himmlischen Sphäre oder der Hölle zuzuordnen sind. Über ihren Status ist in den theologischen Schriften nichts berichtet worden. Allerdings dürfte der Himmel als eine rein immaterielle Sphäre an der Nutzung irgendeiner Abwärme überhaupt keinen Bedarf haben!
3.2 Die Hölle
Das Konstrukt der Hölle wird von den theologischen Lehren als ein schrecklicher Ort ewiger Verdammnis mit sinnbildlich gewaltigen Feuerstätten beschrieben. Als Brennstoff für die Energieerzeugung kommt ausschließlich die materielle Komponente der schwarzen Seele infrage. Nach religiöser Vorstellung soll eine Seele unsterblich sein. Das mag vielleicht stimmen, kann sich aber nur auf die hyperneuronale Signatur der immateriellen Komponente beziehen. Der materielle Bestandteil muss dagegen einen begrenzten Energieinhalt haben. Er wird daher keinesfalls unendlich lange Energie liefern können. Andernfalls würde die Hölle mit ihrem Seelen-Brennstoff nämlich in die Nähe eines Perpetuum mobile gerückt werden. Einen derartigen Energieerzeugungsmechanismus verbietet der zweite Hauptsatz der Thermodynamik. Der Energieinhalt einer schwarzen Seele muss daher endlich sein!
Vielleicht bemisst er sich nach dem Grad der Schwärze ihrer Sündhaftigkeit. Der wiederum könnte vom Ausmaß der Un-, Falsch-, Fehl- oder Nichtgläubigkeit oder der Zeitspanne des sündhaften Lebens des Seelenträgers abhängig sein. Eine einzelne schwarze Seele dürfte zweifellos nur eine winzige Energiemenge enthalten. Sonst hätten die Physiker diese angenommene hypothetische Energieform sicherlich längst nachgewiesen. Sollte die Seelen-Energie sogar quantisiert sein, kann der Energieinhalt des fiktiven Seelen-Quantums vielleicht im Bereich der Planck-Dimensionen vermutet werden.
Skeptiker dieses Ansatzes werden einwenden, dass solche winzigen Energiemengen keine nennenswerten Auswirkungen auf die Energiebilanz des materiellen Kosmos haben können. Das mag auf den ersten Blick plausibel klingen, wenn nur die irdische Welt und die etwa 110 Milliarden Seelen berücksichtigt werden, die bis heute hier gelebt haben sollen. Doch bei einer theologischen Betrachtung in einem kosmologischen Rahmen mit Myriaden von bewohnten Welten mit Milliarden, Billionen oder gar Billiarden von Seelen in Zeiträumen von einigen Milliarden Jahren mag dieser Einwand möglicherweise etwas relativiert werden können.
Doch wie groß auch immer die Summe der zu einem bestimmten Zeitpunkt zur Verfügung stehenden Seelenenergie sein mag, sie wird nicht unendlich sein. Die thermodynamischen Prozesse könnten zum Erliegen kommen, wenn die Vorräte aufgebraucht und alle schwarzen Seelen zu Asche verbrannt sind. Damit wäre die Hölle grundsätzlich mit dem Problem des Abkühlens oder sogar Einfrierens konfrontiert, falls kein entsprechender Nachschubmechanismus existieren sollte.
Die Sicherstellung des Nachschubs an Seelenbrennstoff wird für die Hölle aber kein Problem darstellen. Die Geistlichen haben das Betreiberpersonal der Hölle früher verdächtigt, auf Seelenfang zu gehen, damit die Höllenfeuer nicht verlöschen. Damit wurden die Teufel als mysteriöse Bösewichte abgestempelt. Vermutlich zu Unrecht, denn auf lange Sicht wird in der Hölle kein Brennstoffmangel herrschen. Solange die Menschen verschiedene religiöse Ansichten haben und Ungläubigkeit aus ihren Köpfen nicht zu verbannen ist, sollten genügend pechschwarze Seelen vorhanden sein, die als Brennstoff für die Höllenfeuer zur Verfügung stehen. Außerdem scheint nach strengen theologischen Maßstäben die Sündhaftigkeit der Lebensphilosophien ständig zuzunehmen.
Hauptursache für den reichlich zur Verfügung stehenden Seelenbrennstoff ist jedoch die wachsende Glaubensvielfalt, die den einzig wahren Ordnungszustand der Rechtgläubigkeit erschüttert und bedroht. Man könnte das Phänomen als eine Entropiezunahme infolge wachsender Mannigfaltigkeit religiöser Überzeugungen begreifen. Im schlimmsten Fall würde dann jeder Seelenträger irgendwann seinen eigenen Glauben an einen Gott haben. Aus theologischer Sicht wäre so ein Szenario als eine Art „Wärmetod“ der Glaubenswelt zu betrachten. Außerdem würden in diesem Fall die Grenzen zwischen Monotheismus und Vielgötterei bedrohlich unscharf werden.
Na ja, jedenfalls sichert das sogenannte „Entropie-Problem“ der Vielgläubigkeit die thermodynamische Perspektive der Höllenfeuer. Nur der zwar theoretisch mögliche, praktisch aber sehr unwahrscheinliche Fall einer Entropie-Abnahme in einem abgeschlossenen System von Seelenträgern könnte den Brennstoffnachschub für die Hölle in Bedrängnis bringen. Voraussetzung dafür ist das Zustandekommen einer einzig wahren Religion mit einem alleinig rechten Glauben an einen von allen Gläubigen akzeptierten Gott nicht nur auf der Erde, sondern auch in interstellaren Dimensionen. Aber so wenig vorstellbar es für die jeweilige Seite von Gläubigen sein mag, dass beispielsweise nur Christen oder ausschließlich Muslime die religiöse Vorstellungswelt bevölkern, so wenig wahrscheinlich wird es sein, dass die Höllenfeuer jemals erlöschen werden. Die Menschen haben sich in ihren theologischen Vorstellungen eine Hölle erschaffen und sie scheinen auch dafür sorgen zu wollen, dass dieser unangenehme Ort nicht einfriert. Diese Schlussfolgerung ist zumindest für einen statischen theologisch-kosmologischen Denkansatz hinreichend plausibel.
Aber die Hölle hat nicht nur das Problem des Abkühlens. Zwei weitere grundlegende Aspekte, die die Höllenstabilität nachhaltig betreffen, sind die Überhitzungsproblematik und das Reststoffproblem. Das Überhitzungsproblem dürfte gewaltige Ausmaße haben. Da die Feuer dort seit Menschengedenken – und wahrscheinlich noch viel länger – lodern, entsteht zwangsläufig die Frage, wo diese unglaublichen Energiemengen verblieben sind. Selbst in der Hölle werden die Teufel als Betreiber des infernalischen Equipments kein Interesse an unerträglich hohen Betriebstemperaturen haben. Wie also könnten dort annehmliche Betriebstemperaturen gewährleisten werden und wohin mag die überschüssige Energie gelangt sein?
Eine nicht minder große Relevanz kommt dem Reststoffproblem zu. Die Hölle wird es im Laufe der Zeit bekommen haben, denn die wachsende Menge an „Seelenasche“ muss ja entsorgt oder irgendwo gelagert werden? Selbst wenn die höllische Zwischensphäre sehr geräumig eingerichtet sein sollte, würden – bildhaft gesprochen – irgendwann wohl alle Aschebunker randvoll sein. Dann könnten die angehäuften Reststoffe die Funktionalität der Höllenwelt beeinträchtigen. Eine Lösung dieser für die theologische Kosmologie bedeutsamen Problemstellungen kann nicht im engen, historisch herkömmlichen Spannungsfeld von der Erde und dem Himmel darüber erwartet werden. Dazu bedarf es eines räumlich und zeitlich beträchtlich erweiterten Ansatzes, der den kosmologischen Gegebenheiten in einem Universum Rechnung trägt.
4. Himmel und Hölle im Standarduniversum
Wenn man die Existenz einer göttlichen Sphäre (Himmel) neben der uns bekannten irdischen Welt (Erde) sowie eine mögliche Verbindung dazwischen für möglich und denkbar hält, wird man Religion als einen frühen und sehr einfachen Versuch zur Beschreibung dieses Sachverhaltes betrachten müssen. Die damals entstandenen religiösen Konzepte können insofern nur relativ trivial sein. Zumindest sind sie unvollständig und nach der modernen Erkenntnis von Raum und Zeit nicht mehr zeitgemäß. Die kosmologische Theologie soll und kann Religion nicht ersetzen, muss aber deren Aussagen auch in interstellaren Maßstäben bis hin zur Dimension eines Universums kritisch hinterfragen und vor allem plausibel interpretieren!
Eine grundsätzliche Beschränkung göttlichen Wirkens auf den theologisch traditionell betrachteten irdischen Maßstab (z. B. Umfeld Erde-Sonne) dürfte bereits heute nicht mehr begründbar und kaum noch überzeugend vermittelbar sein. Die himmlische Sphäre muss nach der modernen Erkenntnis von Raum und Zeit zwangsläufig in den Dimensionen des Standarduniversums angenommen werden. Eine Begrenzung himmlischer Strukturen auf eine Galaxie, lokale Gruppen oder gravitativ verbundene Supercluster macht einfach keinen Sinn. Der Ansatz himmlischer Kleinteiligkeit scheint auch theologisch nicht plausibel zu sein, weil der Himmel als das immaterielle Gegenstück zum Universum begriffen werden muss. In die Erweiterung der himmlischen Begrifflichkeit ist aber auch die Hölle einzubeziehen. Die Beurteilung von deren raumzeitzeitlicher Situation erweist sich in diesem Ansatz als schwierig. Auch in der Dimension des Standarduniversums entzieht sich die Hölle einer eindeutigen Lokalisierung. Man sollte jedoch der universalen himmlischen Konzeption folgen, da der Ansatz eines Himmels mit vielen Höllen theologisch nicht sinnvoll erscheint. Im Maßstab und der Größenordnung eines Universums bekommt die Hölle jedoch eine völlig neue Funktionalität!
Mit dieser konzeptionellen Vorstellung lassen sich nämlich die Energieproblematik und das Reststoffproblem der Hölle auflösen. Es liegt nahe, anzunehmen, dass die „Aschereste“ der verbrannten Seelen über einen speziellen „Rost-Mechanismus“ oder durch eine in analoger Weise funktionierenden „Höllenpforte“ wieder in den materiellen Kosmos gelangen. Die Reststoffe der höllischen Entsorgungspolitik könnten dort beispielsweise als kalte dunkle Materie, die in dichten Clustern um die großen Galaxienhaufen vermutet wird, für die Stabilität der baryonischen Strukturen im Standarduniversum sorgen.
Aber auch für die Energiefrage und das Problem der Überhitzung der Hölle bietet der Ansatz eine theologische Deutung an. Es wäre durchaus denkbar, dass die überschüssige Höllenenergie über einen noch nicht verstandenen Wechselwirkungsprozess wieder in den materiellen Kosmos diffundiert. Sie könnte dort als dunkle Energie das natürliche Gegengewicht zur dunklen Materie bilden und die Dynamik des Standarduniversums beeinflussen. Erst die feine „göttliche“ Abstimmung der dunklen Parameter, die in letzten Milliarden Jahren vielleicht etwas außer Kontrolle geraten ist, kann die nachhaltige Stabilität unserer universalen materiellen Welt garantieren. Akzeptiert man diese Vorstellung, käme der Hölle eine theologische, aber auch kosmologische Schlüsselrolle zu. Sie wäre als ein dualistischer Ort zwischen einer immateriellen Sphäre und einer materiellen Welt zu betrachten, von dem aus durch die teuflischen Handlanger des Herrn die dynamischen Prozesse im Standarduniversum maßgeblich gesteuert werden. Falls eine Verknüpfung der dunklen Prozesse mit der Funktionalität der Höllenwelt angenommen wird, ergibt sich daraus eine weitere Schlussfolgerung hinsichtlich der Zeitskala göttlichen Wirkens. Da die dunklen Prozesse seit Jahrmilliarden andauern, scheint der Herr des Himmels schon sehr früh Welten mit vernunftbegabtem Leben erschaffen zu haben. Dort müssen rechtgläubige, ungläubige, falschgläubige und weniger oder nicht gläubige Seelenträger offenbar seit Langem einen Disput um die rechte Religion und ein gottgefälliges Leben ausgetragen haben. Wahrscheinlich dauert der Streit in den interstellaren Weiten um den einzig wahren Glauben noch heute an. Auf der Erde tut er es jedenfalls! Warum auch sollte der göttliche Schöpfer seine himmlischen Aktivitäten anhalten, einstellen oder beenden? Dafür dürfte er überhaupt keine Veranlassung sehen.
Die astrophysikalischen Erkenntnisse stützen insofern die Annahme ungebremsten göttlichen Wirkens. Der offenbar ständig wachsende Einfluss der dunklen Energie ließe sich im Rahmen der geschilderten Annahmen als eine Zunahme der höllischen Energieerzeugung deuteten. Die Interpretation dieser Befundlage könnte von überzeugten kosmologischen Theologen vielleicht als eine Art Gottesbeweis missverstanden werden. Eine solche Schlussfolgerung scheint jedoch verfrüht zu sein. Zur Validierung einer so weitreichenden Aussage müssen weitere überzeugende und plausible theologische Deutungen astrophysikalischer Erkenntnisse und kosmologischer Zusammenhänge gefunden und vorgelegt werden.
Dazu zählen beispielsweise die theologische Erklärung der „Big Bounce“ (großer Rückprall) – Variante des Untergangs des Standarduniversums – und die glaubenskonforme Interpretation des sogenannten „Big Slurp“ (das große Ausschlürfen).
Was das Rückprallphänomen anbetrifft, das den Zusammenstoß zweier materieller Universen postuliert, wäre es interessant, zu erfahren, wie die theologische Wissenschaft die damit möglicherweise verbundene Kollision zweier Himmelsstrukturen beurteilt. Können immaterielle Gebilde wie göttliche Sphären überhaupt miteinander wechselwirken und welche Folgen würden aufgrund einer solchen imaginären Konfrontation für die Glaubenswelt zu befürchten sein? Was geschieht bei so einem Ereignis mit den dualen Zwischenwelten Hölle und Fegefeuer? Würde das Himmelschaos vielleicht ein Glaubensinferno auslösen und die Entropie der Vielgläubigkeit beeinflussen? Das sind komplizierte geistliche Problemstellungen, die von der theologischen Wissenschaft beantwortet werden sollten!
Beim Big Slurp (das große Ausschlürfen)-Szenario handelt es sich indessen um den Übergang des Standarduniversums aus einem falschen Vakuumzustand in ein echtes Vakuum im Grundzustand. Das Phänomen kratzt an der Perfektion der Schöpfungsgeschichte. Aus theologischer Sicht scheint es sich dabei ursächlich um eine göttliche Fehlleistung während der Inflationsphase zu handeln. Wahrscheinlich sind die inflationären Ausdehnungsprozesse in einem (falschen) Higgs-Vakuum angehalten worden. So ein Missgeschick darf einem göttlichen Wesen nicht unterlaufen, denn es stellt den Fortbestand der Schöpfung infrage. Das falsche Vakuum kann durch ein energiereiches Ereignis nämlich jederzeit in den Grundzustand übergehen. Dabei wird die materielle Welt, wie die Menschen sie kennen, ausgelöscht werden. Die kosmologischen Theologen dürften daher alle Hände voll zu tun haben, um die Zweifel und Kratzer auf dem traditionellen Bild von der Allmacht und Unfehlbarkeit des Herrn in den Köpfen der Gläubigen wegzuretuschieren!
5. Die kosmologische Theologie – Ausblicke
Die festgestellte beschleunigte Ausdehnung des materiellen Kosmos wirft weitere Fragen auf. Es ist wahrscheinlich davon auszugehen, dass Himmel und Hölle nicht als statische Strukturen verstanden werden dürfen. Den wissenschaftlichen Befunden zur Dynamik und zur Lage des Standarduniversums zufolge sollten auch die Strukturen von Himmel und Hölle expandieren. Das ist für ein rein immaterielles Gebilde wie den Himmel sicherlich unproblematisch. Für das quasi-materielle gedankliche Konstrukt der Hölle dürfte der Prozess, thermodynamisch gesehen, jedoch problematisch sein und zu ernsten Konsequenzen führen. Wenn nämlich die Ausdehnung der Höllenstrukturen so groß wird, dass die Energiedichte dramatisch abnimmt, könnte die Hölle wider Erwarten eines Tages doch einfrieren. Dadurch würden auch die Dynamik des Standarduniversums und dessen prognostiziertes zukünftiges Schicksal beeinflusst werden. Wer weiß, vielleicht könnte dann doch noch ein Wechsel von einem „Big Rip“ (das große Zerreißen)-Szenario zu einer Big-Freeze“ (das große Einfrieren)- oder sogar „Big-Crunch“ (das große Zusammenkrachen)-Perspektive möglich sein?
Die kosmologischen Theologen müssten sich eigentlich auch fragen, welche göttliche Offenbarung oder welche Botschaft sich für die Seelenträger hinter diesen universalen Untergangsszenarien verbergen. Sie werden wahrscheinlich auf das jüngste Gericht verweisen, das ja das Ende der Welt bedeuten soll und damit gleichnishaft auch für das Ende des Universums steht. Dieser theologische Erklärungsansatz mag einigermaßen plausibel daherkommen, wobei die Einzelheiten des „Wie“ wohl dem Willen des Herrn überlassen werden müssen und von den Gläubigen nicht hinterfragt werden dürfen. Für das imaginäre Konstrukt des Himmels dürfte der Kollaps des Universums keine strukturellen Folgen haben, denn es bedarf wohl prinzipiell keiner materiellen Bezugsbasis. In diesem Kontext scheint die Big Crunch-Perspektive eine göttliche Vorzugsvariante darzustellen, denn sie eröffnet neben der Wiedergeburt des materiellen Universums auch die Option eines zyklischen Glaubenskosmos.
In einem multiuniversellen Rahmen werfen die Konfiguration, Entwicklung und Wechselwirkung von irdischer Welt und himmlischer Sphäre allerdings weitere Fragen auf. Nach dem Urknall, dessen plausible theologische Deutung aussteht, sind durch überlichtschnelle inflationäre Prozesse vermutlich Myriaden von Universen entstanden. Das Multiversum besteht, so die gängige Vorstellung, aus einer Vielzahl von materiell abgeschlossenen universalen Welten. Zwischen ihnen werden bislang keine physikalischen Wechselwirkungen für möglich gehalten. Theologisch gesehen bedeutet diese Annahme, dass eine ganzheitliche himmlische Sphäre für das Multiversum nicht existieren dürfte. Die an sich solide erscheinende Schlussfolgerung
ein Universum – ein Gott – ein Himmel – eine Hölle
hat im Multiversum weitreichende theologische Konsequenzen. Der Ansatz führt dort zu vielen Göttern oder wirft ein göttliches Hierarchieproblem auf. Das kann im religiösen Monotheismus nicht gewollt sein und ist theologisch nicht zu akzeptieren.
Wenn die String-Theorie recht haben sollte, gibt es ungefähr 10500 bis 101000 Lösungen für mögliche universale Welten. Es kann sein, dass die Anzahl dieser Universen im Multiversum nicht annähernd realisiert ist. Dennoch würde der monotheistische Gott-Begriff, wie ihn die irdischen Theologen geprägt haben, in der Tiefe des von der Stringtheorie aufgespannten Hyperraumes ins Nichts zerfließen. Angesichts dieser für den Glauben an ein göttliches Wesen beunruhigenden oder sogar bedrückenden Situation stehen die kosmologischen Theologen vor großen Herausforderungen. Wer weiß, ob für die skizzierten naturwissenschaftlichen Szenarien eine glaubenskonforme Erklärung und Auslegung im Einklang mit den gängigen religiösen Vorstellungen gefunden werden können? Überzeugende theologische Antworten auf die vielfältigen kosmologischen Fragestellungen und Erkenntnisse sind jedoch erforderlich, um auf lange Sicht ein Glaubwürdigkeitsproblem zu vermeiden. Andernfalls dürfte der Glaube der Menschen auf dem Planeten Erde an ein die irdischen Geschicke weise lenkendes göttliches Wesen wohl keine Zukunft haben!