Читать книгу Zephiros Tasche - Besra Ode - Страница 13

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»Warum musst du deine Herde auch immer so weit hoch treiben? Was man nicht alles für seinen Freund tut.« Dann begann er den Korb auszupacken. »Zia hat für dich Mandelkuchen gebacken. Wenn wir später zum Tee kommen, gibt es noch mehr. Und das hier, das habe ich für dich gemacht. Alles Gute zum Geburtstag! Mögen all deine Wünsche wahr werden«, sagte er und hielt Kassim einen Gegenstand hin, der in hellen Baumwollstoff eingeschlagen war.

»Du schenkst mir noch etwas? Dabei hast du doch schon mein neues Messer verziert.«

»Gefällt es dir?«

»Was für eine Frage! Damit werde ich besser schnitzen als je zuvor«, sagte Kassim mit einem breiten Grinsen, während er sich daran machte, das Stoffbündel aufzuschnüren. »Aber ich muss noch viel von dir lernen.«

»Mit meinen siebzehn Jahren habe ich ja auch ein bisschen Vorsprung«, meinte Mehmet.

»Es ist nicht nur das. Du bist einfach der Künstler von uns beiden.« Kassim strahlte und schaute fasziniert auf das, was er in den Händen hielt. »Ist das eine Trinkschale? Aus Zirbelholz? Und dieses wunderschöne Ornament! Wie machst du das nur?«

»Ich weiß es manchmal selbst nicht. Ich arbeite einfach so lange daran, bis ich es gut finde.«

Kassim untersuchte das kleine Gefäß genauer. In seine Außenseite waren feine, unterschiedlich große, sternförmige Blumen geschnitzt.

»Ich habe mir gedacht, dass du sie gut gebrauchen kannst – zusammen mit deinem Messer. Jetzt, da ihr die Reise macht«, erklärte Mehmet.

»Welche Reise?« Überrascht blickte Kassim auf.

»Eure Reise nach Meside.«

»Was meinst du mit unserer Reise nach Meside?«

»Davon weißt du nichts?«

»Nein, gar nichts.«

»Es tut mir leid, wenn ich etwas verraten habe. Eigentlich habe ich auch nicht viel mitbekommen.«

»Du musst mir alles sagen, was du weißt.«

Mehmet atmete tief ein.

»Letzte Woche kam dein Großvater zu uns und sprach mit meinem Vater. Er meinte, ihr würdet uns Ende des Monats nach Kadut begleiten und von dort aus mit einer Karawane nach Meside weiterziehen. Glaub mir, das ist alles, was ich gehört habe. Ich habe keine Ahnung, was sie sonst noch beredet haben.«

»Was meinst du, was das zu bedeuten hat?«, fragte Kassim. Er konnte sich nicht erklären, warum sein Großvater kein Wort davon erwähnt hatte, nicht einmal vorhin bei ihrer Begegnung auf der Lichtung.

»Da fragst du den Falschen. Ich bin selbst erstaunt, dass du von alldem nichts wusstest. Ich wollte eigentlich von dir mehr darüber erfahren«, antwortete Mehmet.

»Weißt du etwas über Meside?«, wollte Kassim wissen. Ihm war nur bekannt, dass die Stadt süd-östlich im Innern des Landes lag. Sie war nicht die größte, die es gab. Die viel bekannteren und wichtigeren Städte des Landes waren Zah im Norden, jenseits des hohen Gebirges, und Ramar im Westen. Beide waren Hafenstädte und dadurch wichtige Umschlagplätze für die Waren, die von Übersee eintrafen oder dorthin verschifft wurden. Das war auch der Grund, weshalb die Hauptroute des Landes zwischen diesen beiden Handelsstädten verlief.

»Meside ist eine berühmte antike Stadt, sie ist noch älter als Kadut. Man nennt sie auch Blume der Wüste. Das hat wohl damit zu tun, dass man egal, aus welcher Himmelsrichtung man sie erreichen möchte, ein beträchtliches Stück Wüste durchqueren muss. Einmal angekommen, staunt man aber darüber, mitten in der Ödnis eine so fruchtbare und lebendige Stadt vorzufinden. Das ist alles, was ich weiß«, erklärte Mehmet. Er packte den Mandelkuchen aus und hielt ihn Kassim unter die Nase. »Wer weiß, ob du unterwegs nochmal so etwas Gutes bekommst. Na ja, du wirst auf deiner Reise sicherlich andere Köstlichkeiten kennenlernen … obwohl, da bin ich mir nicht einmal sicher. Ich glaube, die Verpflegung in den Karawanen ist ziemlich einseitig …«, er lachte laut. »Es geht doch nichts über Zias Backkunst!«

»Da hast du recht! Und … ich habe noch frischen Honig.« Kassim griff nach seiner Tasche, die hinter ihm im Schatten der Kiefer lag.

»So lässt es sich feiern«, nuschelte sein Freund mit vollem Mund.

»Und es fängt erst an«, entgegnete er und steckte sich hungrig ein Stück Kuchen in den Mund. Mit den Augen suchte er den Bussard in der Höhe, fand ihn aber nicht gleich. Dann entdeckte er ihn weiter entfernt auf einem vorspringenden Felsen sitzend.

Blume der Wüste, wiederholte er in Gedanken. Was für ein vielversprechender Name. War die gemeinsame Reise dorthin ein weiteres Geburtstagsgeschenk, mit dem ihn sein Großvater heute Abend überraschen wollte?


Kassim hoffte, Zia, Mehmets kleine Schwester, hatte während des Tees, den er zusammen mit ihrer Familie getrunken hatte, nicht bemerkt, dass er es eilig hatte, heimzukehren.

Außer Atem trat er durch die offene Haustür in die Küche, wo sein Großvater vor dem Herd stand und das Abendessen zubereitete. Auf der eisernen Ofenplatte stand Kassims Lieblingsgericht: ein würziger Lammeintopf, der den ganzen Raum mit Rosmarinduft erfüllte.

»Mehmet hat mir von unserer Reise erzählt. Ist das wahr? Werden wir nach Meside gehen?«, fragte Kassim und stellte den Mandelkuchen, den Zia ihm mitgegeben hatte, auf die Kommode.

Der alte Mann legte den Deckel auf den Topf und zog ihn vom Herd, ein Zeichen, dass das Essen so gut wie fertig war. Dann drehte er sich um und sagte mit ruhiger Stimme: »Bitte setz dich, mein Junge.«

Auf dem niedrigen Esstischchen brannten zwei Kerzen und Kassim ließ sich dort nieder, gespannt, was nun kommen würde.

»Ich hatte die Absicht, heute Abend mit dir darüber zu reden«, fuhr sein Großvater fort. »Kannst du dich an Zephiro erinnern?«

Kassim dachte nach. Zephiro war ein alter Freund der Familie. Vor vielen Jahren, er selbst musste sechs Jahre alt gewesen sein, hatte der rätselhafte Mann sie zuletzt besucht. Er hatte nur mehr ein vages Bild von ihm vor Augen, aber etwas anderes war Kassim in Erinnerung geblieben: Der Großvater und er hatten oft lange Gespräche miteinander geführt, manchmal sogar die ganze Nacht hindurch bis in die Morgenstunden. Kassim kam in den Sinn, dass der Mann einen langen Weg zurückgelegt hatte, um zu ihnen ins Bergdorf zu gelangen, da er in einer größeren Stadt im Landesinneren lebte. Wo genau, das wusste er aber nicht mehr.

»Er hatte einen dunklen Bart und eine tiefe Stimme. Ihr habt viel zusammen gelacht«, erinnerte sich Kassim.

»Das haben wir. Wie schnell doch die Jahre vergehen.« Sein Großvater stand noch immer vor dem Ofen und schaute seinen Enkel nachdenklich an.

»Zephiro handelt mit seltenen Edelsteinen und ist viel auf Reisen. Aber er hat auch das alte Handwerk des Edelsteinschleifers gelernt, musst du wissen. Er wohnt in Meside, wo er auch geboren wurde.«

Der alte Mann erklärte nicht weiter, sondern ging schweigend zu der Truhe, die neben der Tür zu seiner Schlafkammer stand. Er nahm den Perserteppich, der auf ihr lag, behutsam herunter, hob den schweren Deckel an und holte etwas hervor, das Kassim aus der Entfernung nicht genau erkennen konnte. Regungslos vor Neugier saß er auf seinem Kissen und wartete.

»Bei seinem letzten Besuch hat der Gute das hier vergessen«, murmelte sein Großvater und legte eine kleine Ledermappe auf den Tisch. Kassim nahm sie in die Hand. Sie war braun, etwa so groß wie ein Buch, gefaltet wie ein Brief und an den Rändern mit glänzendem schwarzen Rosshaar und dunkelrotem Seidenfaden kunstvoll eingesäumt. Zusammengehalten wurde sie mit einem Lederband, welches in der Mitte zu einem festen Knoten verschnürt war.

»Was für eine edle Tasche«, bemerkte er und fuhr mit den Händen über die Nähte. »Was ist denn darin?«

»Ich weiß es nicht.«

»Du weißt es nicht?«

»Nein.«

»Du hast sie nie geöffnet?«

»Nein. Es ist Zephiros Tasche.«

Kassim schaute seinen Großvater an und verstand, was er damit ausdrücken wollte. Er würde nie etwas ohne guten Grund öffnen. Und das galt nicht nur aus Respekt vor dem, was einem anderen gehörte, sondern es war für ihn einfach nicht von Belang, zu wissen, was sich darin befand.

Im Gegensatz zu mir kann er mit Geheimnissen leben, dachte Kassim.

Der Alte fuhr mit dem Sprechen fort. »Nun habe ich einen Wunsch. Da mein Freund nicht mehr wiedergekommen ist, um die Tasche zu holen, möchte ich, dass du sie ihm nach Meside bringst.«

»Ich? Ich soll sie ihm überbringen?« Kassim zog eine Augenbraue hoch. Er war sich nicht sicher, ob er richtig verstanden hatte. »Ich allein? Nicht wir beide zusammen?«

»Ich denke, du solltest diese Reise alleine unternehmen. Wärst du dazu bereit?«

»Aber natürlich, Babbo … Allerdings verstehe ich nicht, weshalb Zephiro nicht zurückgekehrt ist. Ich meine, wenn etwas wirklich Kostbares darin ist, dann wäre er doch wiedergekommen. Meinst du nicht?«

»Ich denke, er weiß nicht, dass er sie bei uns vergessen hat. Vielleicht glaubt er, dass er sie unterwegs verloren hat. Wer weiß das schon? Wenn man unterwegs ist, gibt es viele Möglichkeiten, wie einem Dinge abhandenkommen können. Die Tasche sollte zu ihm zurückkehren, bevor ich sterbe.«

»Wieso sagst du so etwas?« Kassim spürte ein schmerzhaftes Stechen in seiner Brust. Sein Großvater brachte ihn völlig durcheinander. Da war einerseits der Plan, ihn mit einer geheimnisvollen ledernen Mappe alleine auf eine Reise durch das Land zu schicken, und gleichzeitig erwähnte er seinen bevorstehenden Tod. Das bereitete Kassim großes Unbehagen, ja sogar Angst.

»Fühlst du dich nicht gut, Babbo?«

»Nein, das ist es nicht. Jeden Tag widme ich im Stillen dem Sterben einen Gedanken. Das sollte jeder tun«, sagte der alte Mann gelassen.

»Aber warum? Ich will nicht an etwas so Schreckliches wie den Tod denken. Ich will nicht, dass du stirbst! Und auch ich will nicht sterben. Ich will, dass wir noch lange miteinander leben.«

»Was deine Angst vor dem Tod betrifft, so hör mir gut zu. Wenn du die Welt genau anschaust, wirst du feststellen, dass alles, was du siehst und wahrnimmst, das gleiche Schicksal hat. Die Welt besteht immerfort aus einem ständigen Werden und Vergehen. Ein Tag bricht an, weicht der Nacht und wieder bricht ein Tag an. Stets ist es vor deinen Augen, im Großen wie im Kleinen – das ewige Kommen und Gehen. Oder nicht? Darauf solltest du immer achten.«

Der Großvater machte eine kleine Pause und fuhr dann fort. »Wenn du es lange genug beobachtest, kommt irgendwann der Augenblick, in dem du noch etwas anderes wahrnehmen wirst. Etwas, das in all dem Geschehen unveränderlich ist. Du bist nicht dein Körper, du bist mehr als das. Was auch immer geschehen mag, du befindest dich immer an einem geschützten Ort. Und das gilt auch für den Moment des Sterbens. Dein wahres Selbst wird nicht vergehen. Für dich gibt es keinen Tod.«

Er holte zwei Teller aus dem Schrank am Herd und füllte sie mit Lammeintopf und Hirse. Dann streute er kleingehackte Tomaten und frische Petersilie darüber.

Obwohl es köstlich aussah und duftete, hatte Kassim plötzlich keinen Appetit mehr. Er musste über die Worte seines Großvaters, über das, was er über das wahre Selbst und den Tod gesagt hatte, nachdenken. Wieder einmal spürte er, wie tief doch das Wissen des weisen Alten war und wie viel er selbst noch zu lernen hatte.

Babbo legte die Ledertasche behutsam beiseite und sprach ein Tischgebet.

»Warum möchtest du mich nicht auf der Reise begleiten?«, wollte Kassim nach einer Weile, in der sie schweigend gegessen hatten, wissen.

»Erstens bist du nun alt genug für eine solche Unternehmung. Ganz allein auf dich gestellt wirst du ja nicht sein. Du wirst mit einer der Karawanen reisen, die in Kadut haltmachen. Das hast du dir doch immer gewünscht. Und zweitens sind da noch meine alten Kniegelenke. Eine tagelange Wanderung wäre eine große Belastung für sie und ich habe einfach nicht mehr die Kraft wie früher. Der Weg durch die Wüste ist beschwerlich.«

»Wie lange braucht man, um Meside zu erreichen?«

Der Großvater überlegte eine Weile, als ob er die Tage der verschiedenen Etappen zählen müsste.

»Für den Hin- und Rückweg nach Kadut, und rechnet man noch einen kurzen Aufenthalt in Meside ein, werden es in etwa vierzig Tage sein.«

Kassim überlegte. Es stand nirgends geschrieben, wie lange Jago genau benötigt hatte, um das große Gebirge zu überqueren. Aber es mussten einige Wochen gewesen sein.

»Stimmt es, dass Meside auch Blume der Wüste genannt wird?«, fragte er.

»Das stimmt! Und das zu Recht. Bald wirst du es selbst sehen.« Der alte Mann lächelte geheimnisvoll.

»Ich will diese Reise machen, aber ich kann nur von hier fortgehen, wenn du mir versprichst, dass es dir gut geht.«

Der Großvater schaute ihm liebevoll in die Augen. »Mach dir nicht so viele Sorgen, mein Junge. Kennst du den Wesenskern des wahren Vertrauens?«

»Verrätst du ihn mir?«

»Sein Wesenskern ist der Mut.«

»Wieso der Mut?«

»Man muss den Mut haben, die eigene Macht aufzugeben und den Platz einer anderen Kraft zu überlassen.«

»Das ist nicht einfach.«

»Nein, einfach ist das nicht. Aber es ist das einzig Richtige.«

»Warum?«

»Es ist nie die eigene Kraft, aus der heraus man etwas schafft, sondern immer die Kraft des großen Ganzen. Wie du weißt, ist das für mich die Macht Gottes, der auf seine Weise für alles sorgt. Es gibt keine bessere Botschaft als diese.« Der Großvater lachte freudig und fuhr mit seiner Hand über Kassims Kopf. »Aber das wirst du selbst erfahren. Nicht ich muss zu dir sprechen, sondern das Leben.«

»Ich wäre froh, wenn du es mir erklären würdest! Ich wünschte, ich wäre so weise wie du. Bitte erzähl mir noch mehr von Zephiro.«

»Ich werde dir alles sagen, was du wissen möchtest – sofern ich es vermag. Aber nun iss deinen Eintopf, bevor er kalt wird.« Er lächelte.

Während sie weiter aßen, berichtete der Alte, wie er seinen Freund vor vielen Jahren, noch bevor Kassim das Licht der Welt erblickt hatte, bei einem Hochzeitsfest in Kadut kennengelernt hatte: »Obwohl Zephiro einige Jahre jünger war als ich und aus einer anderen Gegend des Landes stammte, verspürten wir gleich mit dem ersten Händedruck eine tiefe Verbundenheit. Damals kam es mir so vor, als würde ich einen mir schon lange vertrauten Menschen wiedersehen. Der Wein auf dem Fest war ausgezeichnet und wir haben uns die ganze Nacht unterhalten und ausgelassen gefeiert. Deshalb habe ich ihn dann zu mir nach Hause eingeladen.

Gleich am nächsten Tag sind wir gemeinsam ins Dorf zurückgeritten, wo Zephiro einen ganzen Monat mein Gast war. Wir haben lange Wanderungen durch die Berge unternommen und über die Natur philosophiert.

In den darauffolgenden Jahren machte Zephiro auf seinen Handelsreisen, wann immer es ihm möglich war, Abstecher in unser Hochtal.

Unangekündigt stand er dann mit seinen voll beladenen Pferden vor der Tür. In der Hand meist eine Kiste mit Büchern, gutem Wein, feinem Gewürzbrot und vielen ungewöhnlichen Leckereien und Dingen als Mitbringsel. Aber die Wichtigste von all seinen Gaben war Zephiro selbst und seine Gesellschaft.« Der Großvater machte eine Pause und sah gedankenverloren aus dem Fenster. »Man konnte mit ihm arbeiten und debattieren, lachen und beten.«

Ausgestreckt auf dem Kelimkissen lauschte Kassim aufmerksam den Schilderungen. Als die Kerzen auf dem Tisch heruntergebrannt waren und es Zeit wurde, schlafen zu gehen, war er traurig, dass sie so lange nichts mehr von dem geheimnisvollen Edelsteinschleifer gesehen oder gehört hatten.


»Und was ist in der Tasche?«, fragte Mehmet, nachdem Kassim ihm alles vom vergangenen Abend berichtet hatte. Sie standen in der kleinen Scheune, in der Holz gelagert wurde. Mehmet verbrachte hier viele Stunden, um seine Figuren zu schnitzen. Im Augenblick war er allerdings damit beschäftigt, ein paar Scheite für den Ofen zu spalten.

»Babbo weiß es nicht. Sie ist mit einem Knoten verschlossen und er hat sie nie geöffnet«, antwortete Kassim. Mehmet legte die Stirn in Falten und sah ihn ungläubig an.

»Du sollst also eine Tasche, deren Inhalt ihr nicht kennt, von der ihr auch nicht wisst, ob sie der Bekannte deines Großvaters überhaupt vermisst, und der euch wohlbemerkt seither auch nicht mehr besucht hat, nach Meside bringen?«

Kassim beobachtete, wie sein Freund ein Stück Akazienholz in die Hand nahm, als prüfe er, ob sich daraus vielleicht nicht doch noch etwas Schöneres machen ließe als nur Späne zum Anheizen.

»Was für ein merkwürdiger Auftrag«, stellte Mehmet nach einer Weile fest und legte das Holzscheit beiseite. Es schien Potenzial zu haben.

»Möglicherweise ist die Tasche für Zephiro von persönlichem Wert. Vielleicht hat er sie von seinem Vater geschenkt bekommen und dieser wiederum von seinem. Es könnte doch ein Erbstück sein?«, versuchte Kassim eine Erklärung zu finden, aber er hatte sich in der vergangenen Nacht dasselbe gefragt wie Mehmet.

»Kassim, so, wie Zephiro lebt, müssen die Tasche und ihr Inhalt eine Bedeutung haben. Mit seinem Edelsteinhandel ist er sehr wohlhabend geworden, ohne sich je darum bemüht zu haben. Er tat einfach das, was seine Berufung war«, hatte Babbo am Vorabend erzählt.

»Und du gehst allein, ohne deinen Großvater.« Mehmet ließ es mehr nach einer Bestätigung als nach einer Frage klingen.

»Es hat mich auch überrascht, aber offenbar traut er mir das zu.« Kassim war stolz darauf, in den Augen seines Großvaters erwachsen genug zu sein, um die Wüste bis nach Meside ohne dessen Begleitung zu durchqueren. »Was meinst du, wird man nur für das geliebt, was man tut?«, fragte Kassim plötzlich. Noch bevor Mehmet antworten konnte hörten sie plötzlich eine Frauenstimme, die vor Wut keifend vom Dorfplatz herüberschallte:

»Kassim, Kassim, was bist du für ein Träumer! Wo steckst du? Kannst du nicht einmal auf deine Geißen aufpassen? Sie sind schon wieder in meinen Gemüsebeeten und fressen meinen Salat!«

Kassim schaute zum Eingang. »Oje, eure Nachbarin. Sie würde mir am liebsten den Kopf abreißen, wenn sie mich nur pfeifen hört. Ich muss weiter. Ich habe meine Streuner schon zu lange vernachlässigt.« Er erhob sich von dem Holzpflock, auf dem er die ganze Zeit gesessen hatte.

»Sie folgen nur ihrer Natur. Für irgendetwas muss ein Hirte ja gut sein …«, entgegnete Mehmet schelmisch.

»Nicht du auch noch!«

»Komm schon!«, lachte er laut auf. »Warte! Soll ich Zia etwas sagen? Von deiner Reise, meine ich?«

Kassim nickte mit dem Kopf und ging nach draußen auf den staubigen Platz. Er sah, wie die Nachbarin laut schimpfend versuchte, seine wildernden Ziegen aus ihrem Garten zu verjagen.

»Viel Glück!«, rief es aus der Scheune hinter ihm.

Das kann ich gut gebrauchen, dachte er. Mit seinem Stock trieb er seine kleine Herde zusammen, während sich die Schelte der Frau über ihn ergoss und er sich dabei noch mehr als sonst nach der Freiheit und Ruhe auf dem Berg sehnte.

Zephiros Tasche

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