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Kapitel 3
Оглавление21. September. Georges Haus. Kurz nach Sonnenuntergang.
Ein paar Minuten später erreichte Ever ihr Ziel. Die Sonne war eben hinter dem Horizont verschwunden – mit ein bisschen Glück war George schon auf. Das war einer der anstrengenden Gesichtspunkte ihrer ungewöhnlichen Verbindung: George war ein Vampir. Solange die Sonne am Himmel stand, konnte er das Haus nicht verlassen; daher nutzte er die Tage, um zu schlafen. Es war nicht leicht, auf diese Weise eine einigermaßen normale Beziehung zu führen, doch die beiden arrangierten sich gut. Schließlich war auch Ever ein übernatürliches Wesen – sie war eine Gestaltwandlerin. Sie konnte nahezu jede denkbare äußerliche Form annehmen und ihre Fähigkeiten hatten noch lange nicht das maximal Mögliche erreicht. Je mehr sie trainierte, je mehr Herausforderungen sie sich stellte, desto besser wurde sie. Nicht viele Menschen in Evers Umfeld wussten davon und Ever achtete darauf, dass es auch dabei blieb. Dies war eine Sache, welche George und sie innig verband: Sie beide hatten ein Geheimnis, von dem andere Menschen nichts wissen durften. Sie beide waren anders, sie waren seltsame Launen der Natur.
Ever parkte ihren Wagen in der Auffahrt, ging zur Haustür und drehte den Türknauf – die Tür war meistens unverschlossen, so auch heute. Ever trat ein und blieb einen Moment lang im Türrahmen stehen. Sie lächelte. Noch bis vor Kurzem waren sie und George hier nie ganz allein gewesen, denn sie hatten einen Geist als unfreiwilligen Mitbewohner gehabt: Leonard. Anfangs hatten weder Ever noch George von seiner Existenz gewusst – bis Sam aufgetaucht war. Als Engel hatte er ihn als einziger sehen können und schließlich – mit Evers Hilfe – hatte er seine Seele befreit und erlöst.
Auch wenn Ever Leonard niemals zu Gesicht bekommen hatte, so war er dennoch da gewesen. Sie wusste freilich, er war keine böse Seele und es drohte keinerlei Gefahr von ihm, dennoch war sie froh, dass er mittlerweile verschwunden war. George und sie konnten nun wirklich unter sich sein – ganz unter sich. Ever schloss die Augen und atmete tief durch. Es war ein befreiendes Gefühl.
„Warum kommst du nicht herein?“, erklang Georges tiefe Stimme von oben. Ever öffnete die Augen. Er stand auf dem oberen Ende des Treppenabsatzes und blickte fragend auf sie herunter. Allein bei seinem Anblick wurde Ever heiß und kalt zugleich – wie schon am ersten Tag ihrer Begegnung. George hatte eine dunkle Aura, grundsätzlich verschieden zu Sams. Seine nachtschwarzen Augen ließen einem schier das Blut in den Adern gefrieren und dennoch war es unmöglich, den Blick von seinem schönen Gesicht abzuwenden. Überhaupt war George der Inbegriff männlicher Schönheit. Er war groß, muskulös und seine Gesichtszüge beinahe aristokratisch. Aber das war nicht alles, weshalb Ever ihn so liebte. Sie liebte ihn auch wegen seiner Kraft, die er aufbrachte, um gegen das Böse in ihm und für seine Liebe zu ihr zu kämpfen. Sie war sich seiner so sicher, dass sie ihm ihr Leben anvertrauen würde.
„Träumst du etwa?“, fragte er ungeduldig und kam langsam und elegant wie eine Raubkatze die Stufen hinunter.
Ever lächelte und trat endlich über die Schwelle, um ihm entgegenzukommen. „So ähnlich. Mir ist gerade bewusst geworden, dass wir dein Haus endlich mal ganz für uns allein haben.“
„Ich habe dich vermisst“, flüsterte er verführerisch, als er ihren Nacken mit beiden Händen umschloss, um sie nahe an sich heranzuziehen.
„Tatsächlich?“ Ever freute sich. „Ich war doch nur ein paar Stunden fort.“
„Das war schon viel zu lange.“ George beugte sich zu ihr hinab und verschloss ihre zarten Lippen mit einem leidenschaftlichen, alles versprechenden Kuss. Eine Weile verloren sie sich ganz in der Nähe des anderen. Schließlich löste sich George und sah Ever in die Augen.
„Hast du Hunger?“, fragte er und Ever wirkte überrascht.
„Und wie“, gab sie zu. „Das College-Essen ist nicht so toll.“
„Dann komm mit.“ George ging voraus in die Küche und Ever folgte ihm. „Erzähl mir von deinem Tag!“
„Ach, es war ganz okay. Ist noch nicht viel passiert – die Professoren haben sich vorgestellt und erzählt, was wir im kommenden Semester zu erwarten haben. Nichts Weltbewegendes.“ Sie zuckte mit den Schultern und seufzte.
„Setz dich“, forderte George sie auf und Ever nahm auf einem Stühle an dem Küchentisch Platz.
„Was ist los mit dir?“, fragte der Vampir dann direkt mit einem Seitenblick auf seine Freundin, während er einen der Küchenschränke öffnete und einen Topf herausholte. „Dich bedrückt etwas, das spüre ich.“
„Ach …“ Ever machte eine Bewegung mit der Hand, als wolle sie ihre Sorgen fortwischen. „Issy ist gerade nicht so gut drauf und außerdem vermisse ich James. Erst verschwindet er, dann stirbt meine Mutter … ich hätte ihn gebraucht, weißt du.“ James war Evers Mentor gewesen – und viel mehr als das. Er war ihr Vertrauter, ihr Freund. Er hatte ihr offenbart, wer und was sie war, und sie vieles gelehrt. James war ein Wächter und damit zuständig für das Gleichgewicht zwischen Gut und Böse. Nachdem er Torch Creek hatte verlassen müssen, übernahm ein anderer Wächter seinen Posten: Lukas Drake. Ein Mann, der Ever nach wie vor äußerst suspekt war.
„Ich weiß“, antwortete George mitfühlend. „Ich bin sicher, James wird nach Torch Creek zurückkehren. Er wird wiederkommen.“
Ever seufzte erneut. „Die Sache ist eigentlich komplizierter.“ Sie zögerte kurz und überlegte, wie sie am besten formulieren sollte, was ihr auf dem Herzen lag. „Einerseits vermisse ich ihn, andererseits weiß ich mittlerweile nicht mehr, was ich von ihm halten soll. Ich frage mich, ob ich ihn jemals wirklich gekannt habe.“
George sah Ever verwundert an. „Wie meinst du das?“
„Nun …“ Ever holte tief Luft. „Als Sam hier wieder aufgetaucht ist, hat er mir etwas mitgebracht. Ein Geburtstagsgeschenk.“ Ihr entging das gefährlich aufflackernde Funkeln in Georges Augen nicht. Er war eifersüchtig auf Sam, hatte es ihr gegenüber jedoch nie zugegeben. „Sei nicht böse“, versuchte sie die Situation zu retten, „dass ich dir bisher nichts davon erzählt habe. Ich wollte nicht, dass du dich praktisch wegen nichts ärgerst.“
Georges Miene verriet sein Missfallen. Dennoch antwortete er: „Schon okay. Du kannst ja nichts dafür, wenn er dir etwas schenkt. Ich hätte allerdings erwartet, dass du mir davon erzählt hättest – nicht erst heute.“ Er rang sich ein verzeihendes Lächeln ab. „Erzähl weiter, bitte.“
„Okay.“ Ever schenkte ihm einen dankbaren Blick. „Also … Er hat mir ein Tagebuch geschenkt. Das Tagebuch eines Gestaltwandlers. Und jetzt rate mal, wer darin erwähnt wird?“
„James?“ Es klang nicht nach einer Frage.
„Genau, James. Und außerdem unser guter alter Freund, Lukas Drake.“ Sie schnaubte hörbar.
„Nun, das ist nicht weiter verwunderlich“, warf George ein. „Wächter arbeiten oft zusammen.“
„Das war es auch nicht, was mir zu denken gegeben hat“, fuhr Ever mit Bitterkeit in der Stimme fort. „Der Gestaltwandler hat James für seinen Freund gehalten. Und dann hat er erfahren, dass James zusammen mit Drake vorhatte, ihn zu töten. Um Linestras zukünftiges Vorhaben zu stoppen.“ Ever schüttelte sich bei dem Gedanken an die böse Dämonin. Sie war nach Torch Creek gekommen, um den Höllenschlund zu öffnen – und eine ganz besondere Zutat für ihren dämonischen Zauber war ein Opfer. Aber nicht irgendeines Menschen, nein … Es musste ein Gestaltwandler sein. Nur das Blut dieser besonderen Wesen war wandlungsfähig – wie ein Universalschlüssel, der sämtliche Türen öffnet. James, George und Sam war es schließlich gelungen, Linestra zu bannen und gleichzeitig Ever zu retten, doch es war knapp gewesen. Da Gestaltwandler nur alle paar Generationen geboren werden und für die Dämonin eine so gewichtige Rolle spielten, hatten sich die Wächter damals für den einfacheren Weg entschieden: Das Ritual zu verhindern, indem sie den Gestaltwandler töteten. So konnte die Dämonin zu keiner Zeit an Gestaltwandlerblut herankommen. Ever schluckte bei der Erinnerung an das, was sie gelesen hatte. „Ich frage mich, ob er auch mich geopfert hätte.“
George hielt inne und sah Ever an. „Nein“, sagte er bestimmt. „Nein. Das hätte er nicht.“
„Woher willst du das wissen?“, fuhr Ever auf. „Warum sollte ich etwas anderes für ihn sein als dieser arme Mann damals? Es war doch alles genau gleich … James hat sein Vertrauen gewonnen, sich als sein Freund und Mentor ausgegeben, ihn vieles gelehrt. Und dann …“ Ihre Stimme brach und sie schluckte schwer.
„Dieses Mal war er nicht mit dieser Lösung einverstanden. James, meine ich“, antwortete George. „Lukas Drake hatte damals auf ihn eingeredet, ihn ermahnt, dass es seine Aufgabe als Wächter wäre, höheren Zielen zu dienen und das Gleichgewicht zu wahren – und dass das Leben eines Einzelnen zur Not geopfert werden müsse. James hat es danach immer bereut, jeden einzelnen Tag seines Lebens.“
Ever riss überrascht die Augen auf. „Du hast davon gewusst?“, fragte sie entgeistert.
George senkte den Blick. „Ja“, gab er zögerlich zu. „Ich habe davon gewusst.“
„Aber … Warum hast du mir nie davon erzählt?“
„Ich wollte nicht, dass du dich praktisch wegen nichts aufregst“, gab er zurück.
„Wegen nichts? Jetzt hör aber auf, den Beleidigten zu spielen! Nur weil Sam mir etwas zum Geburtstag geschenkt hat. Das hier ist doch etwas ganz anderes, George!“ Ever schnaubte.
„Na gut. Was hätte ich denn deiner Meinung nach sagen sollen?“ George hob fragend die Hände. „Das alles so verdammt lange her, Ever! James hat mir erzählt, wie es damals mit dem Gestaltwandler war. Welche Entscheidung er getroffen hatte. Und wie sehr er diese bereute. Er bat mich, ihn zu unterstützen, dich zu retten. Von daher“, er blickte Ever fest in die Augen, „weiß ich, dass er dich niemals geopfert hätte. Niemals wieder würde er ein einzelnes Leben aufgeben, nur weil irgendwelche Wächter-Berechnungen dies erforderten. Außerdem“, fügte er nach kurzem Zögern hinzu und seine Stimme schien sich wieder zu beruhigen, „warst du immer wie eine Tochter für ihn. Ich glaube nicht, dass ihm schon jemals ein Mensch so viel bedeutet hat wie du.“
Ever schwieg einen Moment und blickte zu Boden. „Das ist alles trotzdem irgendwie – befremdlich.“
„Ich verstehe dich“, George klang deutlich sanfter als noch vor wenigen Minuten. „Aber ich glaube James. Und ich vertraue ihm. Er hätte dich immer und vor jeglicher Gefahr geschützt, da bin ich sicher. Und ich sage dir das“, er lächelte kurz auf, „obwohl ich Wächter normalerweise so gar nicht mag. Aber James ist anders.“
„Hm.“ Ever kaute auf ihrer Unterlippe. Georges Worte beruhigten sie tatsächlich – auch wenn sie die Erinnerung an das Gelesene und daran, wie es sie aufgewühlt hatte, noch nicht vollständig beseitigen konnten. Sie würde noch ein wenig mehr Zeit brauchen – Zeit, um darüber nachzudenken; Zeit, um die neuen Informationen zu verdauen. „Ich hoffe, ich sehe ihn eines Tages wieder. Ich würde gern selbst mit ihm darüber reden.“
„Der Wächterrat kann erbarmungslos sein, wenn er mit den Entscheidungen seiner Wächter nicht einverstanden ist“, brummte George. „Aber ich bin sicher, James wird einen Weg finden, zurückzukommen.“
„Sicher hast du Recht.“ Ever riss ihre Gedanken von James los und nahm zum ersten Mal wahr, dass George bereits die ganze Zeit in der Küche herum hantierte. „Sag mal, was treibst du da eigentlich?“, fragte sie mit einem irritierten Lächeln.
„Oh“, antwortete George vergnügt, „ist das denn nicht offensichtlich? Ich koche. Italienisch.“ Er trat einen Schritt zurück und deutete auf ein Brett mit Tomaten, die er gerade zerkleinert hatte. „Du magst doch Spaghetti Napoli, oder?“
Ever schaute völlig verblüfft auf das Schneidbrett. „Ja, aber du nicht. Du isst doch gar nicht …“
„Nein, deshalb mache ich das hier auch nur für dich“, antwortete George mit einem zärtlichen Lächeln, drehte sich wieder um und warf die Spaghetti ins kochende Wasser.
Ever war tief berührt. Sie stand auf, trat zu ihm und umschlang George von hinten mit ihren Armen. „Das ist unglaublich süß von dir. Ich liebe dich, weißt du das eigentlich?“, fragte sie, die Wange an seiner Schulter liegend.
„Ich weiß. Und ich liebe dich auch“, antwortete George leise und drehte sich in ihren Armen herum, sodass er ihr Gesicht sehen konnte. „Mehr als alles andere auf der Welt.“ Langsam senkte er den Kopf und berührte ihre Lippen mit den seinen. Evers Herz pochte noch unregelmäßiger als sonst und es fühlte sich an, als wolle es vor Glück fast zerspringen.
„So“, murmelte George dann und richtete sich wieder zu voller Größe auf. „Und jetzt muss ich weiterkochen. Nicht, dass du mir noch verhungerst.“
Ever lachte, trat zurück und nahm wieder auf dem Stuhl Platz, auf dem sie schon zuvor gesessen hatte, während George die geschnittenen Tomaten mit einem Schuss Wein in einen Topf gab.
„Ich wusste gar nicht, dass du überhaupt kochen kannst“, überlegte sie amüsiert.
„Hast du vergessen, dass ich auch einmal ein Mensch war?“
„Du willst mir jetzt aber nicht erzählen, dass du in deinen menschlichen Jahren gekocht hast, oder?“, fragte Ever mit skeptischem Blick. „Ich meine, das war eine ganz andere Zeit …“
George lachte. „Das stimmt wohl“, meinte er, „aber“, er tippte auf ein aufgeschlagenes Kochbuch, das auf der Küchenzeile lag, „es gibt ja schließlich Rezepte. Auf meinen Geschmackssinn möchte ich mich bei menschlichem Essen lieber nicht verlassen.“
Ever war zutiefst gerührt. Beeindruckend genug, dass George überhaupt für sie kochte – dass er es in der Tat nur für sie machte, gab der Sache eine noch größere Bedeutung. Ein Gefühl wohliger Wärme durchströmte sie.
„Was meinst du, was wollen wir nach dem Essen machen? Wir könnten uns einen Film ansehen …“ George konzentrierte sich angestrengt auf den Topf mit den kochenden Tomaten.
„Ja“, stimmte Ever zu, „das könnten wir.“
„Wir machen es uns gemütlich, trinken ein Glas Wein …“
„Klingt perfekt. Wir könnten natürlich auch ...“ Evers Stimme klang tiefer als sonst – und sehr verführerisch. Verdammt sexy. Ein Schauer lief George über den Rücken.
George wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als ein nachdrückliches Klopfen von der Eingangstür her zu ihnen drang. Ever und George sahen sich fragend an. „Erwartest du noch Besuch?“, wollte sie überrascht wissen.
George schüttelte den Kopf. „Ich will nicht hoffen, dass Sam seinen Schlüssel vergessen hat und uns den Abend mit seiner Gesellschaft versüßen will“, antwortet George voller Ironie. Obwohl Sam anfangs nur für eine Weile ein Dach über dem Kopf suchte, war er noch immer hier. Nach Georges Geschmack wohnte der Engel schon viel zu lange bei ihm, aber er konnte ihn einfach nicht hinauswerfen. Zum einen hinderte ihn ihre gemeinsame Vergangenheit – Sam war die einzige Familie, die der Vampir je hatte – andererseits befürchtete George, mit einer solchen Aktion Ever zu verärgern. Sie konnte den Chaoten mittlerweile ganz gut leiden. Er schob den Topf von der heißen Herdplatte und ging in den Flur, um dem unangemeldeten Besucher zu öffnen.
„Guten Abend. Ich hoffe, ich störe nicht“, sagte Lukas Drake mit einem halbherzigen Lächeln, das seine Augen nicht widerspiegelten.