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Meine Familie liebt mich

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Endlich. Ich habe meine komplette Familie gesehen. Meinen Bruder David, meine beiden Omas und Opas, meine Tanten und Onkel.

Zu meiner Oma – der Mama von meinem Papa - … ich kann euch sagen … da sprang sofort ein Funke über. Wir haben uns gesehen und sofort auf eine ganz besondere Art verstanden und geliebt. Meine Oma hat einfach nicht auf das gehört, was über mich gesagt wurde. Recht hat sie. Ich habe auch nicht zugehört. Wir beide haben Herzen sprechen lassen. Für sie war ich sofort etwas ganz Besonderes. Sie hat mich einfach ganz normal und mit ganz viel Liebe im Herzen behandelt, denn für sie stand gleich fest, dass ich ich bin. Einfach so. Und meine Tante sagte:

„Johannes, du bist ein kleiner Engel, der vom Himmel direkt in die Herzen der Menschen gefallen ist, die dich lieben.“

Also mich!!!! Ich bin das!!! IIICHH!!

Und meine Familie liebt mich. Und wie die mich liebt!

Die erste Zeit meines Lebens hatte ich diesen seltsamen Schlauch in der Nase. Dadurch bekam ich alle zwei Stunden Milch. Meine Mama hat Muttermilch abgepumpt, weil sie der Meinung ist, das sei das Beste und Kraftvollste, was ein kleiner Mensch wie ich bekommen könne.

Bloß zum selber trinken an der Brust … das begriff ich einfach nicht. So was Kompliziertes. Deshalb sollte ich aus der Flasche trinken. Alle – Ärzte, Krankenschwestern und meine Eltern – waren der Meinung, das sei leichter. Na klar doch! Haben die das vielleicht auch alle schon mal selber probiert?

Nichts war einfach. Es war nicht nur für mich eine Tortur, sobald mir die Flasche in den Mund gesteckt wurde und ich saugen sollte. Meine Eltern, meine Oma und meine Tante haben mit mir gelitten. Ich wollte es ja begreifen, aber es war einfach sehr sehr schwer. Zumindest damals, im ersten Jahr meines Lebens.

Die ersten Tage nach meiner Geburt war ich nur fertig. Aber fix und fertig. Ich lag einfach nur in meinem Glasbettchen und reagierte kaum auf irgendetwas. Alles war so furchtbar anstrengend. Ich sollte so viel auf einmal tun. Atmen sollte ich nicht vergessen, dabei war ich manchmal so müde, dass mir selbst das zu anstrengend war.

Und dann musste ich auch noch die Behauptung verarbeiten, dass ich sowieso nicht lange leben würde. Hallo, jetzt, da ich meine Familie von Angesicht zu Angesicht kenne! Ich hatte gerade erst mal den schwierigen Weg auf diese Welt geschafft. Und das ohne jegliche Vorbereitung darauf. Nicht mal der Boss im Himmel hat uns Kindern so wirklich gesagt, was da so auf uns zukommt. Und jetzt wurde schon wieder vom Gehen gesprochen.


Ich musste nachdenken und zog mich erst mal in mich selbst zurück. Nachdenken geht am besten, wenn man mit sich ganz alleine ist.

Kurz vor Weihnachten dann war es endlich so weit, und ich durfte nach Hause. Das war ein Fest und zudem mein erstes Weihnachten mit meiner wunderbaren Familie – Mama, Papa und David.

Weil ich so klein und leicht war – 1420 g – hatte ich auch zu Hause eine Krachmaschine neben meinem Bettchen stehen. Na gut, so heißt das natürlich nicht. In Wahrheit heißt das Gerät Monitor und überwacht meine Atmung und meine Herztätigkeit.

Ja, was ich alles weiß. Kein Wunder, meine Tante ist Kinderkrankenschwester und meine Mama Krankenschwester.

Aber ich nenne das Teil einfach nur Krachmaschine, weil es immer so einen Lärm gemacht hat, wenn ich mal vergessen hate, weiter zu atmen. Kann man doch mal vergessen, oder etwa nicht?

Könnt ihr euch bestimmt vorstellen, ging diese Höllenmaschine einmal los, standen Papa, Mama, Tante, Oma und Opa postwendend um mein Bettchen. Und alle sahen besorgt aus, erinnerten mich liebevoll daran, nicht zu vergessen Luft zu holen.

Zu dem Zeitpunkt war mir das aber im Grunde genommen wirklich egal. Ich war so müde und wollte nur in Ruhe gelassen werden. Das Leben empfand ich als anstrengend und wenig angenehm.

Aber meiner Familie war das keineswegs egal. In ihren lieben Gesichtern sah ich, dass ich für sie etwas ganz Besonderes war. Und da war es für mich klar: Der Kampf ums Leben lohnt sich.

Deshalb habe ich mich angestrengt.

Angestrengt, das Leben nicht mehr als anstrengend und schwer zu betrachten, sondern als lebenswert, lustig, liebevoll und voller Wunder zu sehen.

Im Mai 1996 machte ich das erste Mal 'Urlaub' bei Oma, Opa und meiner Tante, da meine Eltern zu einem Treffen betroffener Eltern mit Kindern wie ich eines bin, wollten.

Na, seht ihr, es gibt noch viel mehr Kinder, wie ich eines bin.

Da die Wohnung meiner Tante im Haus von Oma und Opa ist, war das auch kein Problem. Ist wirklich mehr wie optimal. Ich bin da – nebenbei gesagt – sehr gerne und oft. So oft es eigentlich geht.

Mindestens einmal in der Woche und in den Ferien. Da freue ich mich schon immer drauf.

OK das war das erste Mal, dass ich auch Urlaub hatte. Es war sogar am Geburtstag meiner Tante. Sie hat sich riesig gefreut. Ich habe bei ihr schlafen dürfen – allerdings mit dieser Krachmaschine zusammen. Meine Tante hat sich den Wecker gestellt, damit sie mir alle zwei Stunden meine Milch sondieren konnte. Na, geschlafen hat sie so gut wie nicht und den Wecker hätte sie eigentlich auch nicht gebraucht, weil mein Monitor immer und immer wieder Alarm gegeben hat. Dabei habe ich gar nix gemacht.

Tagsüber war ich dann bei meiner Oma und meinem Opa, damit meine Tante wenigstens ein bisschen Schlaf nachholen konnte. Oma hat sie dann nur geholt, wenn sie bei mir nicht mehr weiter wusste oder besser gesagt, Angst um mich hatte. Und Oma kann das gut, Angst um mich haben. Wenn's mir nur ein bisschen da oder da zwickt, tut meine Oma alles, damit es mir wieder gut geht. Und macht damit – manchmal den Rest der Familie verrückt.

Zwar habe ich viel geschlafen, aber immer, wenn ich wach war, war jemand an meinem Bettchen. Ich war nie alleine. Mein erstes schönes Wochenende bei meinen Großeltern war das gewesen.

Diesen doofen Schlauch in der Nase mochte ich überhaupt nicht. Das Ding konnte ich gar nicht leiden. Deshalb habe ich auch früh gelernt, wie man sich davon befreien konnte. Also das habe ich schnell heraus gefunden: Man musste dazu nur die Finger zwischen Sonde – wird das Teil wohl richtig heißt – und Klebestück bekommen, (der Schlauch wurde mir immer mit einem kleinen Klebeherzchen auf der Wange fixiert) dann die Finger fest zur Faust schließen und anziehen. Und – schuppdiwupp, war dieses lästige Ding weg.

Meine Oma hat dann immer schier die Panik bekommen, und mein papa, meine Mama oder meine Tante mussten die Sonde wieder neu durch meine Nase schieben. Leicht habe ich ihnen das nicht gemacht. Das könnt ihr mir glauben. Meine Oma hat mir dabei wirklich leid getan. Sie konnte das alles gar nicht mit angucken, hat geweint und ist in ein anderes Zimmer gegangen, bis ich die Sonde wieder an Ort und Stelle hatte. Das hat mich ganz nachdenklich gemacht. Und da habe ich echt, ganz echt und ehrlich versucht aus dieser komischen Flasche mit dem Würgereiz erzeugenden Teil oben drauf zu trinken. Auch wenn mir das ganze Milchzeugs aus Mund und Nase lief, und ich das Gefühl hatte zu ersticken. Und im Hals gebrannt hat das auch noch. Aber ich habe daran geglaubt – für all die Menschen, die mich lieb haben – dass ich das eines Tages begreifen würde.

Tja, und eines Tages habe ich tatsächlich zu trinken angefangen. Ganz wenig, ganz mühsam. Aber es hat langsam geklappt. Zumindest eine Zeitlang. Dann wurde das Erbrechen schlimmer. Die Milch rutschte in meiner Speiseröhre immer wieder hoch.

„Ihr Sohn hat einen Reflux“, hat so ein Weißkittel-Mann zu meinen Eltern gesagt.

Es gibt anscheinend für alles Hässliche wohlklingende Namen. Oh je, daran denken mag ich gar nicht mehr. Mir ist die Milch aus Mund und Nase gelaufen. Ich dachte, jetzt behalten die Ärzte mit ihrer Prognose für mich recht und ich sterbe. Jetzt, da das Leben so viel Liebe für mich bereit hatte.

Meine Eltern sind mit mir zu einem Spezialisten, so einem, der sich mit dem Magen und so weiter auskennt. Papa und Mama wurde erklärt, dass meine Speiseröhre nicht normal sei, ich eben diesen Reflux habe.

Jetzt fange ich auch an zu verstehen, dass es 'normal' und was anderes gibt. Also ich bin 'anders' und meine Speiseröhre auch.

„Sie müssen sich das so vorstellen“, hat dieser freundliche Arzt zu meinen Eltern gesagt, „dass die Speiseröhre ihres Sohnes ohne Bogen einfach als Schlauch im Magen endet. Und dieser wiederum hängt wie ein kleiner Sack unten dran, dem zudem auch noch der richtige Verschluss fehlt.“

Dadurch, hat er meinen Eltern weiter erklärt, läuft ständig wieder Milch zurück.

Na gut, für mich bedeutete das erst mal wieder das ziemliche Aus für selber trinken – gerade als ich anfing das zu kapieren. OK, das Gelbe vom Ei war's auch noch nicht. Über die Hälfte von dem, was ich brauchte, musste immer noch sondiert werden – so nennt man das, wenn man Nahrung durch den Schlauch gibt.

Aber trotzdem, ich war dabei das zu begreifen.




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