Читать книгу Zwangsvollstreckungsrecht - Bettina Heiderhoff - Страница 137
IV. Begründetheit
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Die Titelgegenklage ist begründet, wenn der Titel nichtig ist. Wie schon oben in Beispiel 30 gezeigt, kann es allerdings im Einzelfall treuwidrig sein, sich auf die Nichtigkeit des Titels zu berufen. Das ist dann der Fall, wenn der Gläubiger aufgrund der materiellen Rechtslage einen Anspruch auf den Titel hat (was freilich bei einem Urteil nicht der Fall sein kann!).
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Fall 4 (Titelgegenklage bei Vergleich):
Gläubiger G hat gegen die Schuldnerin S ein Versäumnisurteil über 30 000 Euro erwirkt. Aufgrund des vorläufig vollstreckbaren Urteils hatte G die Gerichtsvollzieherin mit der Zwangsvollstreckung gegen S beauftragt. Die Gerichtsvollzieherin war gleich aktiv geworden. Sie hatte bei S ein hochwertiges Notebook gepfändet. Nach fristgerechtem Einspruch der S wurde das Verfahren dann vor dem Landgericht im Einspruchstermin durch Vergleich beendet. In diesem Vergleich verpflichtete sich S, an G 15 000 Euro zu zahlen. G verpflichtete sich seinerseits, sämtliche Pfändungsmaßnahmen unverzüglich einzustellen und dies der Gerichtsvollzieherin mitzuteilen. Trotz des Vergleichs vollstreckt G weiter. S erhebt gegen die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil Vollstreckungsabwehrklage. Nach der Erhebung der Vollstreckungsabwehrklage zahlt S die 15 000 Euro an G. Daraufhin gibt G die vollstreckbare Ausfertigung des Versäumnisurteils unter Verzicht auf die Rücknahme an S heraus.
Nun erklärt S den Rechtsstreit für erledigt. G schließt sich der Erledigung nicht an. Wer trägt die Kosten des Rechtsstreits?
Lösungshinweise:
Vorüberlegung: Die prozessuale Kostentragungspflicht richtet sich nach den §§ 91 ff ZPO. Nach § 91 I 1 ZPO trägt die unterlegene Partei grundsätzlich die Kosten des Rechtsstreits. Fraglich ist daher, welche Partei im vorliegenden Rechtstreit „unterlegen“ ist. Das muss man in zwei Schritten prüfen. Zunächst muss die Erledigungserklärung überhaupt als solche zulässig und begründet gewesen sein. „Begründet“ ist sie dann, wenn wirklich eine Erledigung eingetreten ist. Erledigen kann sich eine Klage aber wiederum nur, wenn der Anspruch zuvor gegeben war – wenn also diese Ursprungsklage ihrerseits begründet war. Das ist also der zweite Schritt.
Der von S gestellte Antrag (einseitige Erledigungserklärung) müsste erfolgreich sein. Fraglich ist zunächst, was in dem Erledigungsantrag überhaupt zu sehen ist. Die einseitige Erledigungserklärung ist gesetzlich nicht geregelt. Sie wird aber allgemein (letztlich in analoger Anwendung der §§ 133, 157 BGB) dahingehend ausgelegt, dass der Kläger nunmehr den Antrag an das Gericht stellt, festzustellen, dass sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt hat. Es handelt sich also um nichts anderes als um eine Feststellungsklage. Diese Klage müsste daher hier zulässig und begründet sein.
1. Zulässigkeit
Die Klage (also die Klage auf Feststellung der Erledigung) müsste zulässig sein. Die in der einseitigen Erledigungserklärung liegende Klageänderung ist nach § 264 Nr. 2 Fall 2 ZPO auch ohne Zustimmung des Beklagten zulässig, weil die Erledigungserklärung lediglich eine Begrenzung des ursprünglichen Antrags darstellt, in diesem aber faktisch mit enthalten war.
(Örtlich und sachlich zuständig für die Feststellungsklage bleibt das Landgericht, da die Begrenzung des Klageantrags auf die Feststellung der Erledigung in analoger Anwendung des § 261 III Nr. 2 ZPO keine Auswirkungen auf die Zuständigkeit des Gerichts haben solle [perpetuatio fori].
Das Feststellungsinteresse des Klägers nach § 256 I ZPO ergibt sich daraus, dass er dem Beklagten zumindest die Kosten für den erledigten Rechtsstreit auferlegen lassen möchte [Kosteninteresse].)
Die Klage auf Feststellung der Erledigung ist zulässig.
2. Begründetheit
Die Klage müsste auch begründet sein. Das ist bei der einseitigen Erledigungserklärung dann der Fall, wenn sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt hat. Der Rechtsstreit ist in der Hauptsache erledigt, wenn die zunächst zulässige und begründete Klage durch ein nach Rechtshängigkeit eingetretenes Ereignis entweder unzulässig oder unbegründet geworden ist.
a) Vollstreckungsabwehrklage
Fraglich ist also, ob die ursprüngliche Vollstreckungsabwehrklage zulässig gewesen ist. Dazu müsste die Vollstreckungsabwehrklage statthaft gewesen sein. Das ist der Fall, wenn der Kläger materiell-rechtliche Einwendungen gegen den dem Titel zugrunde liegenden Anspruch erhebt.
Das ist vorliegend problematisch, weil sich S gegen die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil an sich richtet und nicht gegen den im Versäumnisurteil titulierten Anspruch. Er macht bei verständiger Auslegung seines Rechtsschutzbegehrens geltend, dass das Versäumnisurteil durch den zwischen den Parteien geschlossenen Vergleich unwirksam geworden und eine Zwangsvollstreckung aus diesem Titel deshalb unzulässig sei. Damit erhebt S Einwendungen gegen den Titel selbst. Einwendungen gegen die Wirksamkeit des Titels sind mit der Klage nach § 767 ZPO jedoch grundsätzlich nicht geltend zu machen. Die Klage nach § 767 ZPO ist in ihrer direkten Anwendung daher nicht statthaft.
Hinweis: Als Rechtsbehelf gegen die Wirksamkeit des Titels könnte der Kläger Klauselerinnerung eingelegt haben ( § 732 ZPO ) – das ist aber hier nicht zu prüfen, weil es ja hier um das Rechtsmittel geht, das S wirklich bereits eingelegt hatte – nämlich die Vollstreckungsabwehrklage. Anders ist es mit der Titelgegenklage. Diese ähnelt der Vollstreckungsabwehrklage vollkommen – sie wird beim gleichen Gericht mit fast dem gleichen Antrag eingelegt – das Gericht legt daher den Antrag aus, um zu bestimmen, ob eine Vollstreckungsabwehrklage oder eine Titelgegenklage vorliegt. Daher kann nun einfach geprüft werden, ob die erste Klage des S als Titelgegenklage statthaft gewesen wäre.
Dazu BGH NJW 1994, 460:
„Allerdings hat der Beklagte einen (Widerklage-)Antrag ,gemäß § 767 I ZPO‘ gestellt. Die Vollstreckungsabwehrklage und die prozessuale Gestaltungsklage analog § 767 ZPO haben einen verschiedenen Streitgegenstand (BGH, Urt. v. 14. Mai 1992 – VII ZR 204/90, a.a.O.). Es mag sein, dass die fehlende oder geminderte Wirksamkeit des Titels im Rahmen einer Vollstreckungsabwehrklage deshalb nicht geprüft werden kann (…). Dem Vorbringen des Beklagten kann aber entnommen werden, dass wegen der Unbestimmtheit des Titels die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung ausgesprochen werden soll. Das Widerklagebegehren ist damit nicht als Vollstreckungsabwehrklage, sondern als Klage analog § 767 I ZPO auszulegen.“
b) Titelgegenklage analog § 767 ZPO
aa) Herleitung der Titelgegenklage. Da die Titelgegenklage aus § 767 ZPO analog abgeleitet wird, muss eine Regelungslücke bestehen und sie muss dem Sinn und Zweck der Norm entsprechen.
(1) Regelungslücke: Für die Fälle, in denen der Schuldner die Nichtigkeit des Titels behauptet, passt allenfalls die Klauselerinnerung nach § 732 ZPO. Jedoch ist zu bedenken, dass mit der Erinnerung dann kein Rechtsschutz erreicht werden kann, wenn die Nichtigkeit des Titels nicht vollkommen offensichtlich ist. Daher besteht bei nichtigen Titeln eine Regelungslücke. Diese ist auch nicht gezielt, sondern planwidrig entstanden.
(2) Sinn und Zweck der Norm: Da § 767 ZPO dem Schuldner Rechtsschutz gewährt, wenn er Einwendungen gegen den Titel hat, wäre es widersprüchlich, ihm keinen Rechtsschutz zu gewähren, wenn der Titel (sogar) insgesamt nichtig ist. Ein Erst-Recht-Schluss muss vielmehr zu einer analogen Anwendbarkeit führen.
bb) Statthaftigkeit. Die Klage ist statthaft, wenn es um die Beseitigung der Vollstreckbarkeit eines vorläufig vollstreckbaren Titels geht, der infolge materiell-rechtlicher oder formeller Mängel als Ganzes seine Wirksamkeit verloren hat, aber weiterhin den Rechtsschein der Vollstreckbarkeit erzeugt.
Vorliegend haben die Parteien mit Abschluss des Vergleichs die Rechtswirksamkeit des Versäumnisurteils vollständig aufgehoben. Dadurch ist das Versäumnisurteil zwar nicht nichtig, aber unwirksam. Dennoch kann es weiterhin den Rechtsschein der Vollstreckungsfähigkeit erzeugen. Deshalb ist nach ständiger Rechtsprechung die analoge Anwendung des § 767 I ZPO gerechtfertigt, um die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil zu verhindern[25].
cc) Rechtsschutzbedürfnis. Fraglich ist, ob für die Klage das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis gegeben ist. Grundsätzlich liegt das Rechtsschutzbedürfnis vor, wenn die Zwangsvollstreckung begonnen hat und noch nicht beendet ist. Diese Voraussetzung liegt hier vor. Das Rechtsschutzbedürfnis könnte jedoch entfallen, wenn dem Kläger auch ein anderer Rechtsbehelf zusteht, der die Vollstreckungsfähigkeit des Versäumnisurteils auf einfacherem und billigerem Wege bewirken kann. Ein solcher Weg könnte sich hier aus § 732 ZPO ergeben. Obwohl die Erinnerung in offenkundigen Fällen geeignet sein kann, die Vollstreckung aus einer Klausel zu beseitigen, ist ihr Ziel jedoch ein ganz anderes als das der Titelgegenklage. Durch sie werden letztlich nur formelle Fehler des die Klausel erteilenden Organs behoben. Es besteht daher für S ein Wahlrecht zwischen der Erinnerung nach § 732 ZPO und der Klage nach § 767 ZPO analog[26]. Die Titelgegenklage war demzufolge zulässig.
c) Begründetheit
Die Titelgegenklage war auch begründet, weil das Versäumnisurteil durch den im Einspruchstermin abgeschlossenen Vergleich seine Rechtswirkungen und damit seine Vollstreckungsfähigkeit verloren hatte.
d) Erledigung
Es müsste aber auch eine Erledigung eingetreten sein. Das ist dann der Fall, wenn die ursprüngliche Klage aufgrund eines nach Rechtshängigkeit eingetretenen Ereignisses unzulässig oder unbegründet geworden ist.
Vorliegend könnte die Klage unzulässig geworden sein, weil das Rechtsschutzbedürfnis entfallen ist. Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt nur, wenn eine Vollstreckung aus dem Urteil nicht mehr droht. Das ist zumindest dann der Fall, wenn der Gläubiger den zu vollstreckenden Titel dem Vollstreckungsorgan aushändigt und auf die Rückgabe verzichtet[27]. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Daher liegt kein Rechtsschutzbedürfnis mehr vor. Da G den Titel erst nach Rechtshängigkeit an die Gerichtsvollzieherin zurückgegeben hat, ist die Erledigung auch nach Rechtshängigkeit eingetreten. Die Feststellungsklage (einseitige Erledigungserklärung) ist daher begründet.
3. Ergebnis: Da die Feststellungsklage begründet ist, trägt der G als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits nach § 91 I ZPO.
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