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Warum wollen wir Prinzessinnen sein?
ОглавлениеBevor wir Prinzessinnen im Herzen uns der Vervollkommnung unseres Prinzessinnenwesens widmen können, sollten wir uns erst einmal bewusst machen, warum wir so lange ein Inkognito wählen mussten. Es gibt tatsächlich zwei Daten der jüngeren Zeitgeschichte, die großen Einfluss auf unsere Prinzessinnen-Ambitionen genommen haben und uns letztlich dazu verdammt haben, ein Leben im Untergrund zu leben:
1.) Der 14. August 1919, ein sonniger Tag
2.) Irgendein Tag im Jahr 1981
Nennen wir diese Tage »Wendepunkte eines Prinzessinnenlebens« oder »Tage, an denen wir aufhörten zu träumen«. Ich möchte vorwegschicken, dass diese Daten nicht grundsätzlich schlecht zu bewerten sind. Im Gegenteil: Gerade der erste Tag ist ein großer Tag im Hinblick auf Menschenrechte, Demokratie und Gleichberechtigung. Nur eben, was den – vor der Kulisse dieses bedeutenden Ereignisses als klein zu bewertenden – Wunsch betrifft, eine Prinzessin zu sein, ist es ein düsterer Tag.
Doch was geschah am 14. August 1919?
An diesem Tag trat die Weimarer Reichsverfassung in Kraft. Laut Artikel 109 Abs. 3 waren nun alle Menschen vor dem Gesetz gleich, alle Privilegien oder Nachteile der Geburt und des Standes wurden aufgehoben. Das heißt, der Adel wurde abgeschafft. Die Krone bleibt seitdem im Tresor. Titel waren nun lediglich Teil des Namens und ein Königskind nicht mehr wert als das Kind einer Arbeiterin – in der Theorie.
Eine gute Nachricht für die Demokratie, aber eine schlechte Nachricht für unseren – den Majestätsplural weite ich großzügig auf die Generationen unserer Groß-, Urgroß- und Ururgroßmütter aus – beherzten Griff nach einer (imaginären) Krone. Denn wo es keinen Adel gibt, da gibt es auch keine Prinzessinnen, und wo es keine Prinzessinnen gibt, können wir uns nicht oder nur heimlich unseren Wünschen nach einem Prinzessinnen-Dasein hingeben. Wir gelten als rückwärtsgewandt und revisionistisch, als undankbar im Glanze parlamentarischer Errungenschaften und grundsätzlich als verdächtig. Ein neuer Zeitgeist erfordert eben andere Ideale.
Aber was bedeutet schon Realpolitik gegen jahrhundertealte Sehnsüchte? Durch sämtliche Epochen der Geschichte hindurch galt es als total normal, sich einen gesellschaftlichen Aufstieg in den Adel zu wünschen. Männer nahmen so einiges auf sich, um zum Ritter geschlagen oder als Prinz anerkannt zu werden – und was Männer für diese Ehre zu tun bereit sind, kann man heute noch immer ziemlich gut im Kölner Karneval beobachten, wo sich gestandene Mittelständler in hautengen Strumpfhosen lächerlich machen. Männer in Spandex – das lief schon bei den Glamrock-Stars der Siebziger schief. Und Frauen wollten eben Prinzessin sein. Prinzessin zu sein, bedeutete Reichtum, eine warme Unterkunft, schöne Kleidung, gutes Essen. Rauschende Feste, soziales und politisches Gewicht, eine schlanke Taille. Kein Gesetz kann uns diese Träume nehmen. Denn unsere Träume sind glanzvoller als die schönste bürgerliche Moral. Und in ihnen fließt deutlich mehr Champagner!
Doch das Schicksal hat unserem Prinzessinnen-Ehrgeiz einen zweiten Dämpfer verpasst. Es ist der zweite »Wendepunkt eines Prinzessinnenlebens« oder zweite »Tag, an dem wir aufhörten zu träumen«, wobei der Tag gar nicht mehr genau zu bestimmen ist. Wir wissen nur: Es ist ein Tag im Jahr 1981. An diesem wurde die Streitschrift Der Cinderella-Komplex von Colette Dowling erstmals veröffentlicht. In dem internationalen Bestseller schreibt die Psychologin über die heimliche »Angst der Frauen vor der Unabhängigkeit« (so der Untertitel des Buches), sie stützt ihre These durch Fallbeispiele aus ihrer New Yorker Praxis: Immer wieder hat Dowling beobachtet, dass selbst ihre emanzipierte, gut ausgebildete, im Job erfolgreiche Klientel (New Yorker H(arvard)-Bomben, die in Pionierarbeit die gläsernen Decken zu den Vorstandsetagen gesprengt haben) an ihren eigenen (beruflichen) Fähigkeiten zweifeln und unbewusst den Wunsch hegen, versorgt und beschützt zu werden. Als Sinnbild für die weibliche Angst vor dem eigenen Erfolg wählt Colette Dowling das Märchen von Cinderella – die amerikanische Variante des Grimm-Märchens vom Aschenputtel, bekannt geworden durch die Walt-Disney-Adaption von 1950. So, wie Aschenputtel durch einen Prinzen aus ihrem traurigen Dasein gerettet werden will, wollten es auch die Frauen, sagt Colette Dowling. Sie forderte Frauen weltweit auf, sich ihrem Unbewussten zu stellen, was nicht immer so einfach ist – denn seit Sigmund Freud wissen wir ja, was so ein Unbewusstes alles anstellen kann.
Zugegeben: Dowlings Buch war ein großer Schritt in Richtung Emanzipation, aber es verdammte uns Prinzessinnen im Herzen auch weiterhin zu einem Leben inkognito. Denn dank Dowling wurde Cinderella zum Prototyp einer Prinzessin und eine Prinzessin zum Prototyp einer unfeministischen Haltung, ein Prototyp, der weibliche Stereotype förderte und Wünsche nach Eigenständigkeit behinderte: Die Prinzessin als Anti-Feministin, Anti-Schwarzer, Anti-Aufschrei. Das Sinnbild für Ergebenheit in feminine Klischees von Abhängigkeit, Passivität und den Wunsch, lieber schön als schlau zu sein – auf dass der Prinz auf dem Schimmel angeritten komme! Prinzessinnen gelten als die Deserteurinnen im Kampf um die hoch dotierten Posten. Als Verräterinnen und Verbündete des Patriarchats. Und natürlich tragen alle Pink, und Pink stinkt nun mal.
Das Ungerechte an Dowlings Ausführungen ist: Dowling hat Aschenputtel völlig verkannt. Ausgerechnet Aschenputtel! Denn es gibt sich keineswegs mit dem Schicksal zufrieden, das ihre Stiefmutter und beiden Stiefschwestern ihr zugedacht haben. Es lehnt sich auf, sucht sich Helfer (ich verweise hier unbedingt auf das Kapitel: »Der Wau-Effekt«), trickst ihre Stiefmutter aus und angelt sich den Prinzen – weil sie es kann. Von wegen Heimchen am Herd! Aschenputtel weiß genau, was sie will, und sie weiß auch, wie sie es sich holt. Ihre Stiefschwestern hingegen verstümmeln sich, hacken sich für den Prinzen sogar die Zehe und die Ferse ab. Eigentlich müsste Dowlings Buch Der Stiefschwestern-von-Cinderella-Komplex heißen. Aber ich sehe ein, das ist ein wenig sperrig.
Dennoch: Die Lust, Prinzessin zu sein, können uns Prinzessinnen im Herzen weder Dowling noch ein Gesetz nehmen. Eben, weil etwas ganz anderes dahintersteckt als Regression, Revisionismus und berittene Retterprinzen! Lassen wir doch einfach mal unsere Prinzessinnenschwestern selbst zu Wort kommen und hören uns an, was genau sie sich unter einer Prinzessinnen-Existenz vorstellen. Vielleicht kommen wir der Sache näher.
1.)Anne, eine hochgewachsene, hanseatische Blondine, PR-Referentin, verheiratet, zweifache Mutter, sagt: »Ich möchte gern diese selbstverständliche Art von Beachtung bekommen, für die man sich nicht anstrengen muss.« Jede hat diese Beachtung verdient.
2.)Jule, Lisa und Cathy, Studentinnen des Bibliothekarswesens im zweiten Semester sind sich einig: »Prinzessin sein ist toll! Wir könnten endlos feiern und hätten immer das Passende anzuziehen.« Ein verständlicher Wunsch, wenn man jung ist und die Hälfte des BAföGs für überteuerte Großstadtmieten draufgeht.
3.)Mechthild, die seit ihrem 14. Lebensjahr voll im Berufsleben steht und nun mit fast 55 Jahren an ihre körperlichen Grenzen gerät, sagt: »Ich habe fast vierzig Jahre lang jeden Tag gearbeitet. Ich hatte weder ein Sabbatical noch eine Auszeit. Ich möchte eine Prinzessin sein, weil ich mir ein sorgloses Leben wünsche. Ein Prinzessinnenleben ist das einer sorgenfreien, hübschen, beliebten, unbeschwerten Frau. Etwas, was ich in keiner Phase meines Lebens gekannt habe.« Wer kann es ihr verdenken, dass sie wenigstens in ihren Gedanken ein solches Leben führen will?
4.)Sophia, ehemalige DJane und derzeit erfolgreiche Kochbuchautorin – und, wie sie betont, Feministin – sagt: »Noch lieber wäre ich Königin, nicht, weil ich herrschsüchtig bin, sondern weil ich Lust habe, auf einem Thron zu sitzen und Dinge zu verändern.« Prinzessin sein als Karriere-Vorstufe – sehr guter Punkt!
5.)Rike, alleinerziehende Mutter, Halbtagsjob als Sekretärin, in dem sie aufgrund der Unfähigkeit ihres Chefs oft Überstunden schrubben muss, kommt zwischen Telefonaten und Geschäftsbriefen schnell zur Sache: »Ich will Personal.« Männer in ihrer Situation hätten längst Verstärkung eingestellt, warum ist dieser Gedanke bei einer Frau nicht genauso berechtigt?
6.)Charlotte, Kaufhaus-Substitutin, die viel reist und sich in der verbleibenden Zeit als engagierte Betriebsrätin für die Belegschaft aufreibt, wenn wieder einmal eine Kündigungswelle droht, sagt: »Ich will Prinzessin sein, denn ich will endlich auch einmal verwöhnt werden. Ich wünsche mir, dass sich auch mal die Welt um mich dreht. Und ich möchte schöne Sachen haben.« Charlotte, unbedingt. Du hast es dir verdient.
7.)Renate, Grundschullehrerin, Mutter, engagiert im Chor der örtlichen Kirchengemeinde, sagt: »Prinzessinnen sind schön. Und jede Frau möchte sich doch schön fühlen. So, wie sie ist. Ich sehe, dass selbst meine Schülerinnen große Probleme mit ihrem Selbstwertgefühl haben und dass einige schon die ersten Diäten ausprobieren. Prinzessin sein aber heißt: Genau so richtig zu sein, wie man ist.« Und so sollte sich jede Frau fühlen.
8.)Anette, Hausfrau, Mutter, wohnhaft in einer Kleinstadt im Speckgürtel von Frankfurt, die Kinder sind aus dem Haus, sagt: »Ich tanze gern. Und als Prinzessin könnte ich mich wieder jung fühlen und die ganze Nacht durchtanzen. Mein Mann ist ein Tanzmuffel. Wäre er ein Prinz, dann müsste er.« Anette, dürfen wir bitten?
Wir sehen: Das Cinderella-Klischee hat ausgedient, es lebe die neue Prinzessin. Der Wunsch, eine Prinzessin sein zu wollen, ist kein Verrat an Gleichberechtigung und Frauenbewegung, es ist das neue Rollenmodell, das alle schillernden Facetten eines gelungenen Lebensentwurfs in sich vereint: Er steht für Selbstsicherheit und Stolz, Machtansprüche und Karrierewünsche, Würde, Präsenz und Zuspruch, inneren und äußeren Reichtum – denn was ist falsch dran, über eigenes Geld zu verfügen, über viel Geld? –, für Lust auf Freiheit, Selbstbestimmung, Unterhaltung, Partnerschaft und Sex, durchtanzte Nächte und Lebenslust, und für den Wunsch, genau so akzeptiert, respektiert und geliebt zu werden, wie man ist – einfach rundherum königlich!
Und wer könnte uns besser verdeutlichen, was es mit dem neuen Prinzessinnen-Rollenmodell auf sich hat, als die unvergleichliche, anbetungswürdige, über jeglichen antifeministischen Verdacht erhabene Harvard-Absolventin und promovierte Neurobiologin Dr. Amy Farrah Fowler aus der Sitcom Big Bang Theory? Sie wird übrigens von der ebenfalls in Neurobiologie promovierten, unvergleichlichen, anbetungswürdigen, über jeden antifeministischen Verdacht erhabenen Mayim Bialik gespielt.
In der zwölften Folge der fünften Staffel kommt es zu folgendem Szenario: Dr. Dr. Sheldon Lee Cooper hat Nachbarin Penny Hofstadter gebeten, seine Kollegin Amy in Pennys Wohnung zu locken, wo er auf sie wartet. Denn Amy würde niemals in seine Wohnung kommen, sie ist stinksauer auf ihn: Sheldon hat eine patzige Bemerkung über ihr neues Forschungsprojekt gemacht. Inzwischen ist er in sich gegangen und will sich bei Amy entschuldigen. Als Penny ihr die Tür öffnet, und Amy Sheldon wider Erwarten dort sieht, macht sie sofort klar:
»Ich will nicht mit ihm reden.«
Aber Sheldon gibt nicht auf. Er geht auf sie zu und sagt: »Ich möchte mich entschuldigen. Deine Leistung war beeindruckend, und ich bin stolz auf dich.«
Beide schweigen sich an. Dann reißt Penny Sheldon eine Tüte aus der Hand und reicht sie Amy.
»Schau, das hat er dir gekauft.«
Amy kräuselt die Stirn, als sie in die Tüte sieht. »Schmuck? Du hast mir Schmuck gekauft. Sheldon, du bist wirklich der …« Doch noch bevor sie Sheldon beschimpft, erkennt sie, was er ihr geschenkt hat. »Eine Tiara!«, ruft sie. »Es ist eine Tiara. Eine Tiara!« Sie rennt auf Penny zu, reicht ihr die Tiara und schreit: »Krön mich, krön mich, krön mich!«
Penny macht es und sagt: »Du siehst schön aus.«
Und was antwortet Amy (Scheißcordrock, Scheißfrisur, Scheißpullover in, ähm, ich darf es nicht unerwähnt lassen, Scheißbraun)?
»Natürlich tue ich das! Ich bin eine Prinzessin, und ich trage eine Tiara.«
Das lassen wir Prinzessinnen im Herzen jetzt einfach mal so auf uns wirken.