Читать книгу Yasirahs Erbe - Geheimnisse der Schatten - Bettina Lorenz - Страница 7
Scheideweg
ОглавлениеAls Celina eine Stunde später, mit Aaron an ihrer Seite, das Haus der Laurents verließ, hatte es erneut angefangen zu schneien. Außerdem pfiff der Wind unangenehm durch die Nacht. Ein Sturm kündigte sich an. Celina wurde dieses dumpfe Gefühl nicht los, dass er sie von ihrer Heimat und allem, was ihr bisher als wichtig und gut erschienen war, losreißen wollte. Das Einzige, das ihr die Gewissheit gab, nicht allein und vollkommen verloren zu sein, war Aarons Hand, die ihre fest umschloss. Wäre er nicht gewesen, würde sie den nun kommenden, unausweichlichen Schritt nicht wagen und hätte somit mit Sicherheit auf kurze Frist ihr Todesurteil unterschrieben. Aber er war hier und gab ihr den Mut den sie brauchte, um sich von allem, was sie mit Fort Kain verband zu lösen, damit sie vielleicht in Zukunft zurückkehren und sich sicher fühlen könnte. Und doch: den Schmerz der Trennung konnte auch Aaron ihr nicht abnehmen. Er konnte ihn nur lindern.
«Celina, wir sind jetzt da», sagte er leise, als sie bereits zehn Minuten vor ihrem Haus parkten, ohne dass sie auch nur die geringsten Anstalten machte, auszusteigen. Aaron sah, dass ihre sonst so strahlende Aura grau war und unendliche Trauer ausstrahlte, als sie zögerlich die Beifahrertür öffnete.
«Soll ich mit rein kommen?»
Celina dachte einen kurzen Augenblick über sein Angebot nach. Der Gedanke, ihn an ihrer Seite zu haben, war sehr verlockend, doch dann schoss ihr das Wort Feigling durch den Kopf und sie lehnte ab: «Ich muss das alleine machen. Vielleicht wartest du lieber hier und ich sag dir Bescheid, wenn ich soweit bin?» Aaron nickte und sah ihr sorgenvoll nach, bis sich die Haustür hinter ihr geschlossen hatte.
Im Haus angekommen, ging sie ein letztes Mal durch die Räume, in denen sie aufgewachsen und einst so glücklich gewesen war. Viele schöne Erinnerungen voll von unbeschwerten Tagen, kamen in ihr hoch und sie musste sie mit aller Macht verdrängen, um durchzuhalten. Was einmal ihre Zuflucht gewesen war, würde ihr jetzt keine Sicherheit mehr bieten können und sie konnte es sich im Moment nicht leisten, noch länger zu verweilen. Die Zeit saß ihnen im Nacken. Celina atmete noch einmal tief durch, bevor sie die Treppe hochging. Jeder Schritt fiel ihr schwer und als sie fast vor Annes Zimmer angekommen war, hatte sie das Gefühl, dass ihre Beine ihr den Dienst versagen wollten. Bevor das passieren konnte, betrat sie ohne Klopfen oder Zögern Annes Zimmer und erstarrte. Obwohl die Jalousien heruntergelassen waren und es im Raum stockfinster war, konnte sie genau erkennen, dass Anne nicht hier war. Panik stieg in ihr auf. Noch bevor sie sich ausmalen konnte, was ihrer besten Freundin alles Schreckliches passiert sein könnte, hörte sie eine krächzende Stimme aus der Richtung ihres Zimmers:
«Ich bin hier.»
Sie folgte dem Ruf, öffnete die nur angelehnte Tür und hielt die Luft an.
Anne saß auf ihrem Bett. Celina konnte deutlich erkennen, dass sie geweint hatte. Zuerst dachte sie, dass es wegen Ruby sein musste, aber als sie die zwei gepackten Taschen, die ihr nur allzu bekannt vorkamen, neben ihr stehen sah, dämmerte ihr, dass es einen anderen Grund gab.
Entsetzt starrte sie die Gepäckstücke an, die sie schon vor Wochen gepackt hatte und brachte keinen einzigen Ton heraus.
«Ich hab sie heut' Nachmittag gefunden, als ich für dich nach einem Outfit für die Party gesucht habe. Aber eigentlich habe ich es schon länger geahnt und wollte es nur nicht wahrhaben. Du willst also weggehen?»
Celina schüttelte den Kopf:
«Mit Wollen hat das nichts zu tun, aber ich habe keine andere Wahl.» «Steckst du in Schwierigkeiten?» Wie gerne hätte sie ihr etwas anderes gesagt, aber ihr fehlte die Kraft, auch nur den Versuch zu unternehmen, ihr etwas vorzumachen. Also nickte sie nur. Auch Anne hätte gern etwas anderes von ihr gehört und bohrte nach: «Hat es etwas mit Aaron zu tun? Ich schwöre dir, dass ich ihm ernsthaft wehtun werde, wenn er dich in irgendeinen Schlamassel gebracht hat.» Der Ton in ihrer Stimme ließ Celina vermuten, dass Anne ernsthaft darüber nachdachte, was sie ihm alles antun würde, wenn er es wagte, ihr auch nur ein Haar zu krümmen. Es bestand auch kein Zweifel daran, dass Aaron ein großes Problem hätte, wenn Celina ihr auch nur den kleinsten Anhaltspunkt dafür geben würde, dass er der Grund für all das hier war. Celina legte ihr beschwichtigend die Hand auf die Schulter: «Er kann wirklich nichts dafür. Ganz in Gegenteil: er und seine Familie sind die Einzigen, die mir jetzt noch helfen können.» Anne musterte sie misstrauisch, aber Celina konnte spüren, dass Anne sie nicht so leicht entlassen würde: «Du wirst mir nicht sagen, was los ist, oder?» «Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie gern ich es dir sagen würde und wie schlecht es mir schon seit Monaten geht, weil ich es nicht kann. Wenn es auch nur die kleinste Chance gäbe, dass du nicht in Gefahr schweben würdest, wenn du es wüsstest, dann hätte ich dir alles erzählt. Es geht nicht. Ich muss gehen und du kannst mich nicht davon abhalten», sagte Celina der Verzweiflung nah. Anne dachte kurz darüber nach, was sie jetzt unternehmen könnte. Vielleicht sollte sie Tante Marie anrufen, aber das wäre sicher einem Verrat gleichgekommen und wie eine Bestätigung dieser Gedanken kam Celina auf sie zu, legte ihr abermals die Hand auf die Schulter und sprach leise auf sie ein: «Du könntest Marie jetzt anrufen, aber das würde rein gar nichts ändern. Ich müsste trotzdem gehen und sie würde vor Sorge umkommen. Ich hätte schon vor Wochen gehen müssen, aber ich konnte es einfach nicht. Jetzt lässt es sich nicht mehr länger aufschieben. Du musst mir einfach vertrauen. Mach es mir bitte nicht schwerer, als es sowieso schon ist. Bitte, bitte...» Anne sah, dass die Würfel gefallen waren und Celina ihr dieses eine Mal absolut kein Mitspracherecht einräumen konnte. Selten hatte sie Celina so verzweifelt gesehen und deshalb gab sie kampflos auf. «Dann werde ich hier auf dich warten», brachte sie mühevoll heraus. Dankbar umarmte Celina sie und brach in Tränen aus und auch Anne konnte nur noch schluchzen und weinen.
Nach einer Weile, die ihr wie eine Ewigkeit vorkam, sah Anne Aaron im Türrahmen stehen.
«Wenn du nicht auf sie aufpasst und sie nicht heil zu mir zurückbringst, dann wird nichts auf der Welt dich vor meiner Rache retten können. Ich hoffe, dass dir das klar ist, bevor du sie mir wegnimmst. Ich würde dir das nie verzeihen!»
Wütend funkelte sie ihn an und der Vampir konnte die Stärke dieses eigentlich doch so hilflosen Mädchens nur bewundern. Er verbeugte sich respektvoll vor ihr.
«Wenn ihr etwas zustoßen würde, dann würde ich mir selber nicht verzeihen können. Und du sollst wissen, dass wenn es die Möglichkeit gegeben hätte, mich von ihr fernzuhalten und sie damit in Sicherheit zu wissen, dann würde ich lieber diese Qual auf mich nehmen, als sie auch nur eine Sekunde in Gefahr zu bringen.»
Anne sah die Verzweiflung in seinem Blick und sie wusste, dass es stimmte.
«Ich habe geahnt, dass es so kommen würde. Mach dir keine Sorgen. Ich werde mich hier um alles kümmern, bis du wieder da bist», sagte sie an Celina gewandt.
«Wirst du es Marie erzählen?»
«Nein, es sei denn, du möchtest es.»
Celina schüttelte stumm den Kopf.
«Dann erzähl ich es auch nicht. Vergiss nur nicht, sie regelmäßig anzurufen. Sie bekommt sonst sicher Panik und nimmt den erstbesten Flieger nach Hause. Dann wird es wahrscheinlich schwierig ihr zu erklären, wo du steckst.»
Dankbar sah Celina Anne an und abermals traten ihr Tränen in die Augen.
«Es wird alles gut gehen und du kannst mich jederzeit anrufen, wenn du etwas brauchst. Du musst jetzt gehen. Je länger du wartest, desto schwieriger wird es, dich gehen zu lassen. Ich hab dich lieb», sagte Anne tröstend zu ihr.
Noch einmal umarmten sie sich. Dann brachte sie Celina nach draußen.
Kara wartete bereits in Aarons Wagen vor dem Haus. Anne sah ihnen nach, als sie in die Nacht verschwanden. Wieder einmal ging es ihr wie damals, als sie Celina zum Flughafen gebracht hatte. Sie hatte es gehasst, nicht zu wissen, ob ihre beste Freundin nach Hause zurückkehren würde und sie hatte eigentlich gehofft, dass sie so etwas nie wieder erleben müsste.
Aber das Schicksal gibt nicht viel auf die Hoffnung der Menschen. Es bahnt sich seine eigenen Wege. Rücksichtslos und unnachgiebig! Celina hatte ihren Weg gewählt und würde das schon sehr bald am eigenen Leib erfahren.
Der angekündigte Sturm brach los.