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Prolog

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Der Gartenzwerg hatte seine Nase verloren. Traurig stand er inmitten seiner makellosen Genossen, die heute Morgen ein hämisches Lächeln auf den tönernen Lippen trugen.

Erika, du spinnst!, schalt ich mich selbst. Gartenzwerge lächeln nicht. Zumindest nicht hämisch.

Andersrum verloren Gartenzwerge auch nicht einfach ihre Nasen. Vorsichtig bahnte ich mir den Weg durch die Armee der Zwerge. Der Nasenlose stand zwischen dem fröhlichen Sänger und einem verschmitzten Alten mit Pfeife, der mich immer an meinen Großvater erinnert hatte. Heute jedoch wirkte die bunte Heerschar, die ich mit so viel Liebe zusammengestellt und gepflegt hatte, seltsam bedrohlich. Im Kreise seiner perfekten Freunde stach der verstümmelte Zwerg hervor wie ein Fremdkörper.

Mitfühlend hob ich ihn auf. Dort, wo einmal seine Nase gewesen war, prangte ein scharfkantiges Loch. Auf Spuren­­suche bückte ich mich noch einmal, scheitelte die wohlgestutzten Grashalme und brachte schließlich zwei kleinere Objekte zum Vorschein. Die fehlende Nase und einen mittelgroßen Stein. Einen von der Art, die Menschen benutzen, um sie auf anderer Leute Zwerge zu werfen. Die Sache war eindeutig. In meinem Schrebergarten fand man nicht einfach so irgendwelche Steine. Und schon gar keine nasenlosen Zwerge.

»Wer macht denn so was?«, flüsterte ich fassungslos, die entstellte Figur tröstend an meine Wange gedrückt.

»Mensch, Frau Mustermann«, unterbrach die schneidende Stimme des Postboten jäh meine düsteren Gedanken, »Sie sind ja über den heiligen Rasen gelaufen! Nicht, dass Sie noch einen Grashalm abknicken!«

»Das geht dich gar nichts an, du Brieftaube!«, sagte ich leise in die kalte Zipfelmütze in meinem Gesicht.

»Wie bitte?«

»Das geht dich gar nichts an, du blöde Brieftaube!« Ich schrie jetzt, so laut ich konnte. »Kümmer dich um deinen eigenen Scheiß!«

Mit aller Kraft schleuderte ich dem Mann den ramponierten Zwerg entgegen. Er flog gut – auch ohne Nase – und zersprang mit einem dramatischen Scheppern neben dem gelben Postfahrrad in tausend Stücke. Das fehlende Riechorgan sollte von nun an nicht mehr sein größtes Problem sein.

»Sind Sie von allen guten Geistern verlassen?« Mit einem beherzten Sprung rettete der Briefträger sich hinter seinen Drahtesel. Das süffisante Grinsen war aus seinem Gesicht verschwunden. »Das war doch nur ein Scherz!«

»Siehst du mich lachen?«, brüllte ich. »Siehst du hier irgendjemanden lachen?«

Wie von Sinnen packte ich den Sängerzwerg und warf ihn seinem nasenlosen Genossen hinterher. Der Postbote schrie laut um Hilfe.

»Halt den Mund und verteil deine Briefe!«

Als Nächstes war der Pfeifen-Opa an der Reihe. Dann der Pausbäckige mit der Säufernase. Der Ziehharmonikazwerg zerschellte besonders imposant – das musste ich mir merken. Rasend vor Wut griff ich nach der nächsten Figur und stolperte ungelenk über den verträumten Flötenspieler. Als ich mich wieder aufgerappelt hatte, den Zwerg wurfbereit in der rechten Hand, war der Briefträger verschwunden.

»Ja, lauf nur weg!«, schrie ich hysterisch. »Bevor ich noch einen Grashalm abknicke!«

Wie eine Furie schwang ich herum. Die Gartenzwergarmee bot einen Anblick der Verwüstung. Jenseits des Jägerzauns glänzten die bunten Leichenteile der Gefallenen in der Sonne. Die Stockrosen wiegten sich selbstgefällig in der lauen Sommerbrise, als wäre nie etwas geschehen. Fröhlich summend landete eine Hummel auf den prächtigen Blüten. Das perfekte Idyll am Münchner Stadtrand. Und die blumengewordene Provokation.

»Euch wird das Grinsen auch noch vergehen!«, brüllte ich.

Ich griff nach der Harke, die an der Wand meines Geräteschuppens lehnte. Mit einem gezielten Schlag enthauptete ich die üppige Stockrose, die mir am nächsten stand. Bunte Blütenblätter landeten lautlos auf dem gepflegten Rasen. Pinke, rote, weiße und gelbe. Zischend sauste die Harke durch die Luft und fraß eine Schneise der Zerstörung durch die geschmackvoll angelegten Blumenrabatten.

Keuchend betrachtete ich das Chaos, das einmal mein Garten gewesen war. Ich war noch lange nicht fertig.

»Legen Sie die Harke weg!«, befahl eine Männerstimme vom Eingang des Grundstücks her.

Wie in Trance fuhr ich herum, die Harke zum nächsten Schlag bereit. Am Gartenzaun standen zwei Polizisten in ­Uniform, die behandschuhten Hände an den Halftern ihrer Dienstwaffen.

»Legen Sie die Harke langsam weg und kommen Sie zu uns!«

»Ich denk ja nicht dran!«, schrie ich aufmüpfig. »Das ist mein Garten. Mein Eigentum! Was ich hier mache, geht Sie gar nichts an!«

Wild entschlossen schwang ich die Harke durch die Luft und fällte die riesige Sonnenblume, die mit einem erstaunten »Plopp« zu Boden ging.

»Ich sage es Ihnen nicht noch mal!«, drohte der ältere der beiden Polizisten.

»Dann ist ja gut!«

Ich hob die Harke, trat näher an die ausladende Hortensie, setzte zum Schlag an – und fand mich im nächsten Moment auf dem Boden wieder. Auf mir die Polizisten. Unter mir die Harke, die sich schmerzhaft in meinen Rücken bohrte. Um mich herum das Stockrosenmassaker, Gartenzwergleichen und schockierte Nachbarn. Nur die Hummel summte noch immer unbeeindruckt durch ihr kleines Paradies.

Ich kicherte. Erst leise, dann immer lauter und hysterischer. Zum ersten Mal seit Jahren lachte ich, bis mir die Tränen kamen. Japsend beobachtete ich, wie die Polizisten sich aus meinem Blumenbeet schälten, die Erde von den Hosen und die dahingemetzelten Blütenblätter aus den verschwitzten Haaren klopften. Als sie mir Handschellen anlegten und mich unsanft in ihren Streifenwagen verfrachteten, lachte ich noch immer.

Erika Mustermann

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