Читать книгу Maggie - Bettina Reiter - Страница 5
Prolog
Оглавление19. August 1991, Redruth/Cornwall
Maggie schwitzte sich die Seele aus dem Leib, als sie Alec nachjagte, der einen ziemlichen Vorsprung hatte, und zwischen den Apfelbäumen verschwand.
„Ich habe keine Lust mehr, Alec Campbell!“, rief sie und blieb stehen. Dabei rang sie nach Luft. Was für eine blöde Idee, bei dieser flirrenden Hitze Fangen zu spielen. So etwas konnte nur ihrem besten Freund einfallen.
„Spielverderberin!“, hörte sie Alec, bevor er im Schatten der Bäume auftauchte. Dabei kaute er wie üblich an einem Grashalm herum. Im Gegensatz zu Maggie wirkte ihr um zwei Jahre älterer Freund ausgeruht, als hätte er soeben eine Runde geschlafen.
„Und wenn schon.“ Maggie ging einige Schritte, bis auch sie im Schatten war. Stöhnend ließ sie sich ins hohe Gras fallen und streckte sich der Länge nach aus. Über ihr raschelten die Blätter, irgendwo gackerte ein Huhn und das Summen der Bienen war zu hören.
Als Maggie die Arme hinter dem Kopf verschränkte, roch sie ihren eigenen Schweiß und ahnte, dass ihre Mom sie heute Abend zu einem Bad verdonnern würde. Abgesehen davon, dass sie stank wie ein Iltis, war ihr Blümchenkleid mit Dreck übersät, da sie vorhin beim Teich gespielt hatten. Und wo ihre Schuhe abgeblieben waren, wussten nur die Götter. Doch wer brauchte schon welche? Maggie lief ohnehin am liebsten barfuß herum. Genau wie Alec.
Nur wenige Sekunden später lag er neben ihr und blickte selbstvergessen nach oben. Über ihnen verzweigten sich die knorrigen Äste der Apfelbäume, die schwer an den Früchten zu tragen hatten. Dunkelrot und saftig hoben sie sich vom dichten Blätterwerk ab, durch das der blassblaue Himmel blitzte. Plötzlich tauchte ein Flugzeug in Maggies Blickfeld. Winzig, wie ein Spielzeug. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, wer darin saß. So klein war doch kein Mensch! Dasselbe galt für das alte Radio. Gestern hatte sie es in alle Einzelteile zerlegt, um zu schauen, ob sich jemand darin versteckte. Immerhin hörte man Stimmen aus dem Gerät.
Ihre Mom war wegen dem demolierten Radio ziemlich aus der Fassung geraten, da sie ihre geliebten Kassetten von ABBA nicht mehr abspielen konnte, die sie besonders beim Nähen gerne hörte, wobei sie lautstark mitsang. Dancing Queen und When All Is Said And Done waren ihre absoluten Favoriten. Maggie konnte die Lieder mittlerweile auswendig.
„Mein Pa sagt, dass das Wetter bald umschlagen wird“, ließ Alec verlauten, der die Beine anzog und sich heftig am Knie kratzte. „Diese verdammten Mücken!“ Er schien die kleinen Blutsauger förmlich anzuziehen und sah aus, als hätte er in regelmäßigen Abständen kleine Maulwurfshügel am knochigen Körper.
„Du darfst nicht kratzen“, ermahnte Maggie ihn.
„Das weiß ich selber, du Neunmalklug.“
„Was heißt das?“, fragte sie. „Dass man neunmal klug ist?“
„So in etwa.“
Pah, der hatte doch selbst keine Ahnung! „Neunmal klüger als der andere?“, ließ sie nicht locker und grinste breit.
„Bilde dir bloß nichts ein.“ Alec spuckte den Grashalm aus, der prompt auf seinem T-Shirt mit der Aufschrift: I’m the King landete. Besser gesagt konnte man die Worte gerade noch entziffern. Die feuchte Erde am Teich hatte auch in seiner Kleidung Spuren hinterlassen. „Als Farmer braucht man ohnehin nichts im Kopf zu haben, sagt mein Pa. Es genügt, wenn man Muskeln hat.“ Mit stolzer Miene klopfte er sich auf die Hühnerbrust. „Um die harte Arbeit zu schaffen. Außerdem ist Schule doof.“
Alec hasste alles, was nur im Entferntesten damit zu tun hatte und schrieb eine schlechte Note nach der anderen. Im Gegensatz zu Maggie. Sie ging gerne zur Schule und lernte fleißig. Schließlich betonte ihre Mom häufig, dass nur ein schlauer Kopf die Welt verändern könne. Und das wollte Maggie eines Tages tun, wobei das Wie noch in den Sternen stand. Vielleicht würde sie etwas erfinden? Oder auf den Mond fliegen? Immerhin hatte die Mutter ihr erzählt, dass Frauen alles sein konnten, was sie wollten. Emanztruation hatte sie es genannt – oder so ähnlich.
„Pa sagt übrigens auch …“, abrupt richtete sich Alec auf und schaute zu Maggie herunter, wobei er die stahlblauen Augen zusammenkniff, „dass jeder Farmer eine Frau braucht. Falls ich keine finde, musst du mich heiraten, Mag’.“
„Spinnst du?“ Sie tippte sich vielsagend an die Schläfe, obwohl sie im Inneren wie gelähmt war. Hatte Alec ihr gerade einen Heiratsantrag gemacht? Kurz sah Maggie im Geiste Robin Hood und Marian bei deren Vermählung vor sich. Der Film, Robin Hood – König der Diebe, war zwar erst ab zwölf, aber ihre Mom – die sich in der örtlichen Videothek gerne die neuesten Filme auslieh – hatte Maggie trotzdem mitschauen lassen. Allerdings hätte die Mutter sie ruhig vorwarnen können! Robin Hood und Marian hatten wie die Wilden geknutscht! Wie eklig!
„War nur eine Frage“, fauchte Alec, dem die Enttäuschung förmlich ins Gesicht geschrieben stand. „Für den Fall, dass mich keine will. Pa predigt nämlich ständig, dass man vorsorgen muss und da ich eines Tages die Farm übernehmen soll, hab ich’s eben versucht.“ Mit puterrotem Kopf sprang er hoch und sauste davon.
Na bravo! Jetzt hatte sie womöglich ihren besten Freund verloren. „Ja, ich will!“ Maggie erhob sich in Windeseile, während Alec wie von einer plötzlichen Bö erfasst zu ihr herumwirbelte. Das dunkelbraune Haar glänzte in der Sonne und durch seinen Körper ging ein Ruck, als hätte ihn soeben ein Schnellzug erfasst.
„Du willst?“, hakte er leichenfahl nach.
„Klar. Du bist mein bester Freund.“ Abwartend schaute Maggie ihn an und verdrängte die Kussszene zwischen Robin und Marian. „Du knutscht mich aber jetzt nicht ab, oder?“
„Igitt!“ Alec spuckte aus und schüttelte sich. Maggie atmete tief durch. Diese unappetitliche Angelegenheit war ein Erwachsenending und etwas, das sie niemals tun würde! Eher würde sie sich den Mund zunähen. „Du bist erst neun, Higgins! Nur alte Menschen küssen sich“, fand Alec seine Stimme wieder und Maggie freute sich, dass er sie beim Nachnamen nannte. Das tat er meistens, wenn er sie necken wollte und bedeutete wohl, dass ihre Freundschaft gerettet war.
„Gehen wir zu den Lämmchen?“, schlug sie vor.
„Gute Idee.“ Alec grinste von einem Ohr zum anderen, wobei sich eine Zahnlücke zeigte. Bis der Schneidezahn nachgewachsen war, würde sie ihn sowieso nicht heiraten. Demnach hatte sie Zeit genug …