Читать книгу Maggie - Bettina Reiter - Страница 6
1. Kapitel
ОглавлениеEin denkwürdiger Spätsommertag, dessen Erinnerung in den folgenden Jahren nie zur Gänze verblasste. Als Teenager machten sich Maggie und Alec häufig lustig darüber. Ihre Bedenken des Kusses wegen schwieg Maggie allerdings aus, da sie dieser Sache mit zunehmendem Alter nicht mehr gänzlich negativ gegenüberstand. Immerhin gab es da einen neuen Schüler, der ihr aufgefallen war: Blake O’Connor. Dennoch klebten Alec und sie wie Pech und Schwefel zusammen. Vielleicht lag es daran, dass sie Einzelkinder waren und nur einen Steinwurf voneinander entfernt wohnten. Etwas außerhalb von Redruth, einem gemütlichen kleinen Städtchen, in dem jeder jeden kannte. Aber nirgends war es so schön wie auf der Farm der Campbells.
Alecs Eltern, Polly und Hank, hatten sich einen Namen als Schafzüchter gemacht. Nebenbei liebte Polly Pferde und brachte ihr das Reiten bei. Fest im Sattel erkundete Maggie alsbald mit Alec das Hinterland. Ackerflächen tauschten sich mit saftigen grünen Wiesen ab. Manchmal erinnerte die Landschaft an ein Schachbrett und allerorts stieß man auf verwitterte Monumente aus grauer Vorzeit. Gerne rasteten sie beim Schloss Carn Brea, das auf einem Felsbrocken errichtet war, der einen Teil des Fundaments bildete. Auch beim Cup and Saucer Rock neben dem Basset-Denkmal vertrieben sie sich die Zeit. In jungen Jahren mit Karten oder Verstecken spielen, jetzt, da sie älter waren, saßen sie oft schweigend nebeneinander und blickten den Hügel hinunter. Meistens mit einer Zigarette in der Hand und dem Gefühl, fürchterlich erwachsen zu sein.
Für Alec galt das allemal. Aus der Bohnenstange inklusive Zahnlücken wurde mit sechzehn der begehrteste Junge der Schule. Bis zum Umfallen trieb er Sport, war großgewachsen, muskulös und im Sommer braungebrannt, was seine Augen besonders gut zur Geltung brachte. Die zotteligen Haare wichen einem modernen Schnitt. An den Seiten kurz, oben länger und mit Gel durcheinandergewirbelt, was ihn lässiger machte. Vom Bartwuchs ganz zu schweigen, den er eher aus Faulheit ein paar Tage sprießen ließ, bevor er zum Rasierer griff.
Jedenfalls liefen ihm die Mädchen in Scharen hinterher, verglichen ihn kreischend mit Mel Gibson und waren neidisch, wenn er mit Maggie und seinen Eltern in den Ferien an die Küste fuhr. In St. Agnes besaßen die Campbells ein Cottage auf einem Hochplateau, von wo aus man einen herrlichen Blick über das Meer hatte. Der über zweihundert Jahre alte Granitsteinbau war der einzige Luxus, den sich Polly und Hank gönnten. Als kleines Mädchen war Maggie stets über die Weihnachtstage mitgefahren. Irgendwann reisten die Campbells ausschließlich im Spätsommer dorthin, da sie einen guten Vorarbeiter beschäftigten, auf den sie sich verlassen konnten. Obwohl sich Alecs Dad trotzdem eher grollend fügte, da er sich nur schwer von der Farm loseisen konnte. Aber in der Hinsicht blieb Polly hart. Sie war ein Sommermensch und wollte diese Jahreszeit genießen.
Es waren herrliche Tage, in denen Alec und Maggie von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang im Wasser planschten oder Sandburgen bauten. Als Teenies lernten sie Surfen und Alec probierte sich im Tauchen. Das war Maggie nicht geheuer, die – wie auch beim Drachenfliegen – lieber am Strand blieb und sich sonnte. An den Abenden gingen sie häufig auf Muschelsuche. Alec beteiligte sich nur mit mäßiger Freude daran und bekam einen regelrechten Lachanfall, als sie eine schillernde Perlmuttmuschel in Herzform aus dem Sand zog und sich kaum beruhigen konnte. Wütend über Alecs Reaktion warf sie das gute Stück in hohem Bogen fort. Jungs konnten sowas von dämlich sein!
Allerdings blieben ihr Alecs draufgängerische Art und die zunehmende Männlichkeit nicht verborgen. Sogar in der Schule strengte er sich plötzlich an und entwickelte ziemlichen Ehrgeiz, da er plötzlich Tierarzt werden wollte. Den Ausschlag dafür gab das kleine Lämmchen, dem sie gemeinsam an einem kalten Sonntagmorgen auf die Welt geholfen hatten. Leider war es in ihren Armen gestorben. Beide hatten sie wie die Schlosshunde geheult und sich tagelang mit ihrem schlechten Gewissen herumgeplagt, da sie Alecs Eltern nicht geweckt hatten. Zwar versicherten diese, dass das Lamm auch mit deren Hilfe keine Chance gehabt hätte, trotzdem fühlten sie sich schuldig. Seitdem hatte sich Alec geschworen, dass ihm so etwas nie wieder passieren würde. Darum die neuen Zukunftspläne. Aber von nichts kam nichts, weshalb er sich jede gute Note hart erarbeitete. Hank verfolgte diese Wandlung jedoch mit Argusaugen, da er befürchtete, dass die Schafzucht mit ihm sterben würde. Bis Alec ihm versicherte, die Farm trotz seiner beruflichen Absicht übernehmen zu wollen und dass sein Engagement nur kurzzeitig dem Lämmchen gegolten habe. Vielmehr läge es an Doris Witterspoon, bei der Alec Nachhilfe nahm. Eine Vorzeigeschülerin, die sich auch sonst sehen lassen konnte. Dennoch verbrachte Alec nach wie vor die meiste Zeit mit Maggie. Nicht zuletzt, weil ihr Vater kurz vor Ostern einem Herzinfarkt erlag. Nun waren ihre Mom und sie alleine. Es dauerte Monate, bis Maggie mit diesem Verlust einigermaßen umgehen konnte, da sie sehr an ihrem Dad gehangen hatte.
Alec war die ganze Zeit über für sie da gewesen und irgendwann nahm sie wieder am Leben teil. Am Wochenende gingen sie ins Kino oder zum Line-Dance ins Texas. Standesgemäß mit Cowboyhut und Cowboystiefeln. Es machte unheimlich Spaß, zu Country-Liedern zu tanzen. Alec schwärmte ohnehin von Kindesbeinen an für diese Musik und weiterhin für Doris. Trotzdem hörte er sich geduldig Maggies Jammern wegen Blake an, der sie geflissentlich übersah. Bis er es eines Tages nicht mehr tat. Mit Ende sechzehn verlor sie schließlich ihre Unschuld. Leider stellte sich bald heraus, dass der Quarterback des American-Football-Teams mehr Schein als Sein war. Alec ging es mit Doris ähnlich und so teilten sie ihre Erfahrungen, um danach ihr einstiges Versprechen zu belachen. Doch das Lachen sollte zumindest Maggie vergehen, denn kurz vor ihrem achtzehnten Geburtstag änderte sich alles.
Auf einmal schlug ihr Herz höher, sobald Alec in Sichtweite kam. Wobei der bloße Gedanke an ihn vollkommen ausreichte, damit ihr Puls raste und sie sich auf nichts mehr konzentrieren konnte. Außer auf den Blick aus ihrem Schlafzimmerfenster, von wo man die Farm teilweise sehen konnte. Alec hatte keine Ahnung, wie oft sie sich zu ihm träumte.
Zweifellos hatte sie sich in ihn verliebt. In ihren besten Freund! Das wurde Maggie endgültig klar, als er sie an ihrem Geburtstag mit seinem neuen Motorrad zum Line-Dance abholte. Es war ein lauer Sommerabend. Die Grillen zirpten und sie hatte die Zusage der örtlichen Schreinerei in der Tasche, dass sie in einer Woche ihre Arbeit als Assistentin des Chefs antreten konnte. Das rückte jedoch in weite Ferne, als sie zögernd auf Alec zuging. Sie, die ansonsten aus dem Haus stürmte, sobald er vor der Türe stand!
Während er den Helm abnahm und ihr ein strahlendes Lächeln schenkte, wurde Maggies Mund trocken und als hätte sie jemand im selben Augenblick aus ihrem bisherigen Leben hinauskatapultiert, betrachtete sie Alec mit den Augen einer erwachsenen Frau. Jede Berührung beim anschließenden Line-Dance fühlte sich wie ein Stromschlag an. Bei Hudson Moores Lied Just Wanna Love You wäre sie am liebsten aus dem Raum gelaufen und brachte den Abend nur mit Mühe hinter sich. Darum schützte sie Kopfschmerzen vor, als Alec sie danach auf einen Drink einladen wollte.
Zuhause lag sie schlaflos im Bett. Übermannt von ihren Gefühlen und voller Angst, was diese Wendung zu bedeuten hatte. Das Ende ihrer Freundschaft? Maggie wurde beinahe übel bei dem Gedanken. Nein, soweit durfte es nicht kommen. Also musste sie sich etwas einfallen lassen!
♥♥♥
Je öfter Maggie in der nächsten Zeit Alecs Anrufe ignorierte oder Ausreden vorschob – um nichts mit ihm unternehmen zu müssen – desto einsilbiger wurde er. Bis sie eines Tages mit ihrem türkisen Fahrrad zum Basset Denkmal fuhr und in sich versunken auf ihrem Stein saß. Mit der nagenden Frage in sich, wie sie ihre Liebe zu Alec unterdrücken konnte. Aber dafür hätte ihr schon jemand das Herz herausreißen müssen. Womöglich liebte sie ihn schon ihr ganzes Leben lang, ohne dass es ihr bewusst gewesen war.
„Sieh an, du hier? Ich dachte, du musst Überstunden machen“, hörte sie plötzlich Alecs beißende Stimme hinter sich und wandte sich erschrocken um. In der gewohnten Lässigkeit sprang er vom Pferd, band die Zügel um einen Weidenstrauch und schritt auf sie zu.
Wie erstarrt blickte Maggie ihm entgegen und verscheuchte das Bild, wie er sie stürmisch in seine Arme riss und küsste. „Ja … äh … ich …“ Weiter kam sie nicht, da er sich neben sie setzte. So dicht, dass sich ihre Schultern berührten. Nicht anders als früher, und doch war alles anders.
„Warum weichst du mir aus?“, kam er ohne Umschweife zur Sache und trieb sie damit in die Enge. Alec hatte nie lange mit Dingen hinter dem Berg gehalten. Gerade das mochte sie an ihm. Diese Geradlinigkeit und seine ehrliche Art. Diesmal hätte sie jedoch gut darauf verzichten können.
„Wie, ausweichen?“, stellte sie sich dumm und fuhr sich fahrig durch das lange brünette Haar.
„Tu nicht so.“ Unvermittelt umfasste Alec ihre Schultern, was Maggies Haut zum Glühen brachte. An jeder verdammten Stelle ihres Körpers und das waren einige! „Was ist los? Bist du verliebt?“ Er verengte die Augen.
„Äh, so… sozusagen.“
„Wusste ich es doch!“, rief Alec aus und ließ sie los. Leider – und Gott sei Dank. Himmel, in ihrem Gehirn schwamm nur noch weiche Masse. „Wer ist der Glückliche?“ Dieselbe Frage hatte er ihr damals bei Blake gestellt. Allerdings um einiges enthusiastischer.
„Ist noch … äh, zu frisch … nicht spruchreif.“
„Seit wann sprichst du in halben Sätzen?“, blaffte er sie an. „Wer ist der Typ? Wo hast du ihn kennengelernt?“
Maggie blickte ihm in die Augen, in denen sich der Himmel spiegelte. Alles um sie herum versank auf einmal in Belanglosigkeit. Sie sah nur Alec, der sie schmerzvoll betrachtete. „Bist du etwa … eifersüchtig?“, wisperte Maggie.
„Ja!“, gab er unumwunden zu. Sein Atem berührte ihren Mund. „Weil ich dich liebe, Mag’.“ Er klang beinahe verzweifelt. „Es ist einfach so passiert. Ich kann es mir selbst nicht erklären und ich will es auch nicht.“ Ohne, dass Maggie etwas dagegen tun konnte, sammelten sich Tränen in ihren Augen. Zu unglaublich war sein Geständnis! „Vielleicht liebe ich dich schon mein ganzes Leben lang“, sprach er atemlos weiter, als hätte er Angst vor dem, was er sagte. Oder davor, was er damit laut aussprach. „Toll, du weinst. Das habe ich ja super hingekriegt!“, quälte er sich weiter. „Das war’s wohl mit unserer Freundschaft.“
„Nein, Alec … ich“, Maggie musterte sein geliebtes und so unendlich vertrautes Gesicht, „ich … liebe dich doch auch …“, hauchte sie kaum hörbar.
Seine Lippen waren nur wenige Zentimeter von ihren entfernt. Sein Gesicht so unverschämt nahe, in dem sich Verblüffung widerspiegelte, bevor er befreit lächelte. Auch ihm schienen plötzlich jegliche Worte zu fehlen, ehe er sanft ihr Kinn umfasste, und als die rotgoldene Abendsonne das umliegende Land in warmes Licht hüllte, küssten sie sich. Zuerst zaghaft, bis sie von Leidenschaft erfasst wurden. Nie hatte sich Maggie begehrter gefühlt. Sicherer, als in Alecs starken Armen, der ihr zeigte, was wahre Liebe tatsächlich bedeutete. Versteckt hinter dem Castle gab sie sich ihm hin. Schenkte ihm alles, was sie zu geben vermochte und versank in seinen fordernden Berührungen, die ihren Körper zum Lodern brachten. Nie hatte der Sternenhimmel heller gefunkelt. Der Mond klarer geleuchtet, der ihre schweißigen Körper aus dem Dunkeln hob und Zeuge dieser unglaublichen Nacht wurde.
Unter Alecs erfahrenen Händen fühlte sich Maggie wie Wachs, denn er erkundete sie, als wäre sie eine Kostbarkeit. Im nächsten Moment suchte er fiebrig ihre Lippen, die sich ihm bereitwillig öffneten. Die Vertrautheit zwischen ihnen schuf eine völlig neue Welt, in der es keine Tabus gab. Keine Ängste, weder Hemmungen noch Fragen. Mit Alec hier unter freiem Himmel zu schlafen war Antwort genug. Sie liebten sich, im wahrsten Sinne des Wortes.
War es ein Wunder, dass Maggie in den folgenden Tagen wie auf Wolken ging? Am liebsten hätte sie die ganze Welt umarmt und lächelte nachsichtig, wenn andere betonten, es schon immer gewusst zu haben. Auch ihre Mom, Alecs Eltern oder ihre beste Freundin Christin freuten sich wie kleine Kinder, dass sie nun offiziell ein Paar waren und diesen Umstand genoss Maggie in den folgenden Jahren jede Sekunde. Ob am Tag oder in den Nächten voller Leidenschaft.
Als sie eine Fortbildung in London besuchte, verging sie beinahe vor Sehnsucht nach Alec und hatte im Nachhinein keine Erklärung dafür, wie sie es ohne ihn ausgehalten hatte. Aber auch diese zwei Monate waren vorbeigegangen, und jetzt lagen Alec und sie unter einem der Apfelbäume. Zärtlich liebkoste er Maggies Lippen.
„Du machst mich verrückt, weißt du das?“, raunte er mit diesem gewissen Ton in der Stimme, der Maggies Erregung verstärkte. Sie ahnte, dass auch er sie wollte. Hier und jetzt.
„Woanders gerne, aber es ist helllichter Tag, Alec Campbell“, versuchte sie die erotische Stimmung mit einer saloppen Aussage zu verscheuchen. Fehlte noch, dass sie sich ungeniert liebten. Vor den Augen seiner Eltern und den Schafen auf der Weide, wobei sich diese zuletzt daran stören würden.
„Weißt du noch, was ich dich vor Jahren gefragt habe?“ Zärtlich streichelte Alec über Maggies Wange.
Gespielt rollte sie mit den Augen, während ihr ein wohliger Schauer über den Rücken lief. Kam jetzt die Frage aller Fragen? „Wie könnte ich das vergessen?“ Sie lachte, obwohl sie ähnlich angespannt war wie damals. Allerdings hatte sich ihr Bild bezüglich Robin Hood und Marian erheblich geändert. Inzwischen hatte Maggie den Film unzählige Male gesehen und zerfloss jedes Mal aufs Neue angesichts dieser romantischen Liebe. Einer Liebe, die genau so tief war wie die zwischen Alec und ihr. Nichts und niemand würde je etwas daran ändern können, denn das, was sie verband, war mit keinen Worten zu beschreiben und mit nichts zu vergleichen.
„Zu der Zeit bin ich ein Kind gewesen“, wandte Alec ernst ein. „Heute bin ich erwachsen und es gibt keine Frau, mit der ich meine Zukunft lieber verbringen möchte, als mit dir. Das war mir nie klarer, als nach deiner Rückkehr aus London.“
„Also bin ich keine zweite Wahl?“, zog sie ihn auf.
„Du bist die erste, obwohl ich deinen Hang zu Michael Bolton nicht verstehe“, flüsterte er grinsend und küsste sie zärtlich. „Aber in einer Sache hat er recht: Wie soll ich ohne dich leben?“, zitierte Alec eine Zeile aus einem ihrer Lieblingslieder How Am I Supposed To Live Without You. Erwartungsvoll blickte er sie an. Wartete Alec auf ein Lob, da er scheinbar doch aufmerksamer auf den Text gehört hatte, als es bislang den Anschein machte – oder hoffte er auf eine Antwort? Nur, auf welche? Konkret hatte er die Frage X nicht gestellt.
„Äh, und weiter …“, versuchte Maggie ihm zögernd auf die Sprünge zu helfen.
„Wie weiter?“
„Na, Hochzeit und so …“
Erneut grinste er. „Der Antrag kommt erst. Ich möchte, dass es ein besonderer Moment ist.“
„Ich weiß auch so, dass ich dich heiraten will“, erwiderte Maggie enttäuscht. Leider war sie nicht gerade die Geduld in Person und wartete schon lange auf seinen Antrag. Dass dieses Gespräch erneut nicht in die gewünschte Richtung ging, machte ihr zu schaffen. „Vor allem, da dein Schneidezahn nachgewachsen ist“, schob sie murrend nach und musste trotz ihrer Stimmung grinsen, da sie Alec als den kleinen Jungen von damals vor sich sah.
Er runzelte die Stirn. „Muss ich das verstehen?“
„Nein.“ Sie schüttelte lächelnd den Kopf. „Es reicht, wenn ich es tue.“
Zwei Wochen später fuhr Alec mit ihr zum Castle und machte einen ziemlich nervösen Eindruck. Maggie beschlich ein erwartungsvolles Gefühl, das sich bestätigte, als sie auf das Lichtermeer vor dem Castle blickte. Überall brannten Kerzen in bunten Gläsern, die auf jene Stelle zuführten, an der sie sich zum ersten Mal geliebt hatten. Dort lag eine Decke, auf der ein mit vielen Köstlichkeiten gefüllter Picknickkorb stand. Sogar an Pasties hatte Alec gedacht, die niemand besser zubereitete als seine Mom.
Mit gespannter Miene nahm Alec ihre Hände in seine. Maggie spürte ihren Herzschlag bis in die Fingerspitzen. „Du bist mein Leben, Maggie“, flüsterte Alec mit rauer Stimme. „Ich würde alles für dich tun und es wäre noch zu wenig, um dir zu zeigen, was ich für dich empfinde. Aber solltest du je Zweifel an meiner Liebe haben, dann schau mir in die Augen und du wirst wissen, was du mir bedeutest.“ Mit dem Daumen glitt er sanft über Maggies Wange, um die Tränen fortzuwischen, die sie nicht zurückhalten konnte, da Everything I Do von Bryan Adams aus dem kleinen Transistorradio neben dem Picknickkorb erklang. Alec hatte scheinbar die Weckfunktion aktiviert, um nichts dem Zufall zu überlassen. „Robin Hood und Marian“, hörte sie ihn leise sagen, „das sind wir, Mag’. Du und ich, gegen den Rest der Welt, wenn es sein muss.“ Mit wässrig glänzenden Augen zog er sie an seine muskulöse Brust. Maggie schmiegte sich an ihn und als sie engumschlungen unter dem sternenklaren Nachthimmel tanzten, spürte sie seinen schnellen Herzschlag an ihrer Wange.
Zwei Menschen, die eins waren. Die schon immer eins gewesen waren und nichts, keine einzige Sekunde mit Alec würde sie je vergessen. Weder was ihre Kindheit betraf noch diesen magischen Abend, an dem sie einander festhielten und sich mit behutsamer Zärtlichkeit küssten, als geschähe es zum ersten Mal. Und als der letzte Ton des Liedes verklungen war, öffnete Alec eine kleine Samt-Schatulle. Darin glänzte ein goldener Ring mit einem roten Rubin. In diesem Moment wusste Maggie, dass sie alles hatte, was sie sich je erträumte. Ihr Leben war perfekt und sie die glücklichste Frau der Welt.
♥♥♥
Ein Jahr später
Maggie warf einen Blick auf ihren Schreibtisch. Das Ablagefach war leer, der PC ausgeschaltet, die Unterschriftenmappe lag in Ernies Büro und alle Rechnungen waren raus. Fein säuberlich hatte sie alles aufgearbeitet, womit dem gemeinsamen Urlaub mit Alec nichts mehr im Weg stand. Gestern hatte er sie mit dem Vorschlag überrascht, mit ihr nach St. Agnes fahren zu wollen. Dabei würden sie bald heiraten! Ihn brachte das natürlich nicht aus der Ruhe, klar, er hatte sich bislang nicht gerade ein Bein für die Hochzeitsplanung ausgerissen. In Maggie herrschte hingegen Panik. Ein Jahr war seit Alecs Antrag vergangen. Genug Zeit, um alles zu planen. Aber auch genug Zeit, um einiges auf die lange Bank zu schieben und nun hatte sie den Salat. Übermorgen wollten sie nach St. Agnes aufbrechen und auf ihrer Liste standen etliche unerledigte Dinge. Natürlich hätte sie Alecs Idee ablehnen können, doch in den letzten Wochen bekam sie ihn kaum zu Gesicht. Ein paar gemeinsame Tage würden ihnen demzufolge guttun. Insbesondere, da sie immer unsicherer wurde, je näher der Hochzeitstermin rückte.
Seufzend schlüpfte Maggie in ihren dunkelblauen Trenchcoat. Regen prasselte monoton gegen die Scheiben. Ähnlich fühlte sich ihr Leben an. Grau in Grau, denn sie vermisste Alec, der sich in seine Arbeit verkroch und wenn sie sich trafen, wirkte er abwesend. Nie hatte sie sich einsamer gefühlt als jetzt. Alec war zwar hier und doch schien er meilenweit fort.
„Na, träumst du schon von eurem großen Tag?“
Maggie schreckte von ihren Gedanken hoch und blickte zu Ernie, der grinsend in der Tür zu seinem Büro stand. Das Hawaii-Hemd spannte sich um den korpulenten Bauch, der sich wiederum über die schwarze Hose wölbte. Die goldene Uhr blitzte auf, als er die behaarten Arme in die Hüften stemmte. Vom Haarwuchs am Körper konnte sein kahler Kopf nur träumen. Selbst auf der Brust und am Rücken zeigte sich ein regelrechtes Fell, was sie beim letzten Betriebsausflug in das örtliche Schwimmbad festgestellt hatte. „Äh, was hast du gefragt, Ernie?“
Lächelnd winkte er ab. „Bist wohl noch blau vom Junggesellinnen-Abschied, was?“
„Meiner ist schon eine Woche her“, mokierte sich Maggie. „Und ich kam nüchtern heim, was ich dir übrigens am Montag erzählt habe.“ Geschweige denn wusste Ernie von ihrer Abneigung gegen Alkohol. Sie vertrug ihn schlichtweg nicht.
„Geschenkt“, tat Ernie ihre Erklärung ab. „Allerdings hast du mir vorenthalten, dass deine Mom und Polly ziemliche Schluckspechte sind. Sie sollen reichlich betrunken gewesen sein.“
Kein gutes Thema. Maggie schämte sich noch jetzt für den Auftritt ihrer Mom. Sie hatte nichts Besseres zu tun gehabt, als im Texas auf der Bar zu tanzen. Das sah ihr gar nicht ähnlich, da ihre Mutter seit dem Tod des Vaters ziemlich zurückgezogen lebte. Allerdings schien der Alkohol eine ähnlich verheerende Wirkung auf ihre Mom zu haben, die vom Verlauf des Abends keinen blassen Schimmer mehr hatte. Filmriss – ähnlich, wie es bei Maggie einige Jahre zuvor gewesen war. Dass sie damals strippen wollte, hatte sie nach zwei von Übelkeit geprägten Tagen durch Alec erfahren, der sie damals gottlob nach Hause gebracht hatte. Nicht auszudenken, was ohne ihn passiert wäre. So gesehen war sie die Letzte, die über ihre Mom richten durfte. „Sie verkraftet es nur schwer, dass ich bald ausziehe“, bemüßigte sich Maggie zu einer Erklärung, die nicht aus der Luft gegriffen war.
„Und Polly hat sich besoffen, weil du zu ihnen ziehst?“ Schallend lachend schlug sich Ernie auf die Schenkel. Er war ein Urgestein in Redruth. Seine Witze waren in einem ähnlichen Alter!
„Wie lustig du bist.“ Maggie nahm die Tasche vom Schreibtisch und klemmte sie sich unter die Achseln, bevor sie zum grasgrünen Regenschirm griff, der auf der Fensterbank lag.
„Mensch, Maggie, ich freue mich doch, dass deine Mom wieder unter die Leute geht“, lenkte Ernie ein. „Davon abgesehen soll man es vor der Hochzeit ordentlich krachen lassen. Alec hat das verstanden, du ja eher nicht.“
„Ach ja? Alec hat es krachen lassen?“, wiederholte sie spitz.
„Tu nicht so, als wüsstest du von nichts.“ Leicht verwirrt blickte Ernie sie an. Zudem wirkte sein Grinsen wie eingefroren.
„Was soll ich wissen?“ Allmählich wurde es Maggie zu bunt. Nicht nur, dass Alec mittlerweile fast ein Phantom war, schien zu allem Überfluss jeder mehr von ihm mitzukriegen, als sie. „Wir hatten bisher keine Gelegenheit, um über seinen Abend mit den Jungs zu sprechen.“ Alecs Feier hatte vor zwei Tagen stattgefunden.
Ernie lachte gekünstelt auf. „Ausgerechnet ihr zwei?“ Er wandte sich zum Gehen. „Wer soll das glauben? Ihr klebt zusammen, seitdem ihr klein seid. Deswegen setze ich mich sicher nicht in die Nesseln und plaudere über Dinge, die mich sowieso nichts angehen, da ich …“ Seine Stimme war kaum noch zu hören. Dann flog die Tür ins Schloss. Offensichtlich war er in die Werkstatt gegangen. Toll!
„Danke für das Gespräch!“, zischte Maggie und verließ das Büro. Natürlich hätte sie Ernie folgen können, um ihn wegen seiner kryptischen Aussagen zur Rede zu stellen, aber sie scheute davor zurück. Und während sie im strömenden Regen zu ihrem Auto lief, fragte sie sich, weshalb sie das tat. Wovor hatte sie solche Angst? Davor, dass Alec etwas vor ihr verbarg? Denn da war zweifelsohne eine Kluft zwischen ihnen. Viele ungesagte Worte und keine Antworten auf ihre vielen Fragen.
„Maggie, was für ein netter Zufall!“
Lydia! Ausgerechnet diese Schnepfe.
Maggie steckte den Schlüssel ins Autoschloss und sperrte ihren Peugeot auf. Sie hatte keine Lust, sich umzudrehen. „Spar dir die gespielte Freundlichkeit, Lydia.“ Diese Frau hatte von Anfang an etwas gegen sie gehabt. Genau genommen, seitdem sie zum ersten Mal im Texas aufgetaucht war. Alec, der sich früher im Gegensatz zu ihr mit Lydia verstanden hatte, machte ebenfalls schon lange einen großen Bogen um sie. Darüber war Maggie keineswegs traurig, da diese Frau jeden umgarnte, der sie länger als zwei Sekunden anschaute. Man erzählte sich sogar, dass sie ständig Affären mit verheirateten oder vergebenen Männern hatte.
„So kratzbürstig?“, belustigte sich Lydia. „Ist dein Luftschloss geplatzt?“
Maggie stand mittlerweile in der geöffneten Tür und warf die Tasche auf den Beifahrersitz. „Neidisch?“ In ihr brodelte es.
„Auf euer verlogenes Glück? Gott bewahre.“
Wütend wandte sich Maggie um. „Wer sagt das? Die Frau, die seit Ewigkeiten Single ist?“ Natürlich stand Lydias rote Jacke mit dem Pelzkragen weit genug offen, damit man die üppige Oberweite nicht übersehen konnte.
„Ich komme auf meine Kosten, keine Angst.“ Lächelnd fuhr sich Lydia durch das wasserstoffblonde Haar. Rote Fingernägel, ein grellgeschminktes Gesicht und hautenge Oberteile waren ihre Markenzeichen. „Und lieber habe ich unverbindlichen Sex, als dass ich mich belügen lasse.“ Worauf spielte sie an? Auf Christins einstigen Verrat? Oder auf Alec? „Du merkst wirklich gar nichts“, fügte Lydia mit falschem Mitleid hinzu. „Aber ich werde den Teufel tun und dich aufklären.“ Ihr Lächeln wurde zu einer grässlichen Grimasse. „Nur so viel: Du solltest Alec und Christin im Auge behalten. Die beiden stecken in letzter Zeit ziemlich oft zusammen. Wenn du mich fragst, sieht das nach einem Revival aus.“
Lydias Spitze traf genau dort, wo es am meisten wehtat. „Es gibt kein Revival, da die beiden nie eine Affäre hatten“, stellte Maggie klar und bemühte sich um Ruhe. Diese Giftschlange durfte ihr zuletzt die Unsicherheit anmerken. „Außerdem ist das lange her und ich vertraue Alec. Das habe ich immer getan.“ Lydia betrachtete sie mit unverhohlener Gefühlskälte. „Weiß deine neue Busenfreundin eigentlich, dass du sie bei mir anschwärzt?“, erkundigte sich Maggie süffisant lächelnd. Was Lydia konnte, konnte sie schon lange! „Du und Christin habt einander echt verdient.“ Mit dieser Verräterin wollte sie erst recht nie wieder etwas zu tun haben. Von wegen beste Freundin! „Und jetzt muss ich los. Mein Mom wartet.“
„Grüß Trudy von mir“, trug Lydia ihr allen Ernstes auf. „Übrigens: Manchmal kennt man sich einfach zu lange. Das nutzt sich gerne ab wie ein Paar Schuhe, das man jeden Tag trägt. Da hat man mitunter Lust auf etwas Neues.“ Lydia zog einen Schmollmund. „Wie lange kennst du Alec eigentlich schon, und umgekehrt?“ Sie tat, als würde sie gähnen und eilte schließlich auf ihren hohen roten Haken davon. Maggie sandte ihr zornige Blicke hinterher und hasste sich dafür, dass es diese Hexe schaffte, alle Zweifel zu schüren, die in ihr glühten. Kannten Alec und sie sich tatsächlich zu gut und hatten sich deswegen immer weniger zu sagen? Ging er ihr aus dem Weg, weil sie ihn langweilte? Oder traf er sich tatsächlich mit einer anderen? Kein Gedanke, der ihr fremd war. Nur hatte sie ihn bislang nicht zugelassen. Aber was steckte dahinter, wenn ein Mann ständig tausend Gründe nannte, die wichtiger waren, als sich mit seiner Verlobten zu treffen?
♥♥♥
„Ach, Schätzchen“, versuchte ihre Mom sie zehn Minuten später zu beruhigen, mit der sie im Zest verabredet war. Auch mit Alec kam Maggie oft hierher, da sie das English Breakfast und die gemütliche Atmosphäre des Lokals liebte. „Du machst dir zu viele Gedanken. Ich an deiner Stelle würde meinem Bauch vertrauen und nicht dem Stumpfsinn anderer.“
„Und was, wenn mir mein Bauch sagt, dass irgendetwas nicht stimmt?“ Maggie nippte am Kaffee und blickte durch die große Fensterfront auf die einsame Straße. Bei diesem Sauwetter lockte es nur Hartgesottene vor die Tür. Oder einen wie Alec, der angeblich einige Zäune reparieren wollte …
„Du hast kalte Füße, das ist alles“, rief ihre Mom aus, als ob alle im Zest schwerhörig wären.
Mit zusammengekniffenen Augen konzentrierte sich Maggie auf ihre Mutter und ignorierte die neugierigen Blicke. „Geht es noch lauter?“, zischte sie ihrer Mom zu, die im Stuhl hin und her rutschte. Das Knarzen des Leders ging Maggie genauso auf die Nerven wie die offensichtliche Schützenhilfe für Alec. „Du sagst doch selbst oft genug, dass man einen Mann wie Alec gut im Auge behalten soll, attraktiv wie er ist.“
„Seit wann gibst du etwas auf mein Geschwafel?“, konterte ihre Mom. „Und falls es dich beruhigt: Auch ich hatte vor der Hochzeit mit deinem Vater erhebliche Zweifel.“
„Das glaubst du wohl selber nicht!“, unterstellte Maggie ihr. „Seitdem ich denken kann, schwärmst du bei jeder Gelegenheit von eurer Verlobung und der Hochzeit, als wärst du Aschenputtel persönlich. Nie im Leben hattest du Bedenken.“
„Und ob“, versicherte ihre Mom. „Nebenbei erwähnt ist Aschenputtel die Mutter aller kalten Füße. Immerhin musste sie mit nur einem Schuh durch den Schnee laufen. Ich habe mich schon oft gefragt, warum das keiner bemängelt, aber Märchen sind eben Märchen. Hauptsache, sie haben ein Happy End.“ Ihre Mom kam wie üblich vom Hundertstel ins Tausendstel.
„Könnten wir bitte beim Thema bleiben?“ Maggie bemerkte, dass sie die Tasse nach wie vor in beiden Händen hielt und stellte sie auf den Unterteller. Kaum getan, fasste die Mutter nach ihrer Hand. Sie fühlte sich warm an und Maggie spürte unendliche Geborgenheit. Auch wenn die Ratschläge ihrer Mom zuweilen gewöhnungsbedürftig waren wie manche Eigenheit, gab es keine bessere Mutter als sie.
„Was willst du hören, Schätzchen?“, fragte ihre Mom, die irgendwo in den 70er und 80er Jahren hängengeblieben war. Mit Vorliebe trug sie weite Hippie-Hemden, Schlaghosen und breite Bänder im brünetten Haar. Farblich auf ihre vielen Brillen abgestimmt, wofür sie ein Faible hatte. „Soll ich dir von der Hochzeit abraten? Bloß, weil der Junge eine Augenweide ist? Da sorgt man sich schon mal als Mutter. Wobei ich durchaus zur Kenntnis nehme, wie sehr Alec dich liebt. Das sieht ein Blinder und davon abgesehen bist du ebenfalls eine Schönheit. Demnach solltet ihr euch beide gut im Auge behalten.“ Voller Stolz wurde Maggie von ihrer Mom betrachtet. „Schau dich an, Kleines. Jeder vergleicht dich mit Julia Roberts. Alec tut gut daran, dich zu heiraten, ansonsten wärst du in Null-Komma-Nichts vom Markt.“ Das klang, als wäre sie Ramschware. „Damit will ich nicht sagen, dass du Ramsch bist, aber du weißt schon, wie ich das meine.“
„Im Augenblick weiß ich gar nichts mehr, Mom“, verschaffte sich Maggie weiter Luft.
„Bist du sicher, dass du an Alec zweifelst? Mir scheint nämlich, dass du eher an dir selbst zweifelst und nicht mehr weißt, was du willst.“ Vertrauensvoll beugte sich ihre Mutter näher. „Ständig jammerst du, dass du in einer popligen Schreinerei arbeitest und bisher nichts von der Welt gesehen hast.“
„Das stimmt ja auch.“ Es war schlimm, die eigene Resignation zu hören. Aber verdammt, sie hatte Träume. Am liebsten beschäftigte sie sich mit der Finanzwelt, da sie Zahlen liebte, den Aktienmarkt und alles, was damit verbunden war. Dazu gehörte auch ihre Faszination für die Chefin der Citizen-Bank in Dublin. Diese Frau wurde von allen nur das Phantom genannt.
„Denkst du wieder an diese Lynch-Päpstin?“, erriet ihre Mom. Sie selbst hatte nie Karrierepläne gehegt und ging völlig in ihrer Selbstständigkeit als Schneiderin auf.
„Es gibt keine Bilder über diese Frau, nichts Privates, als wäre sie nicht existent“, griff Maggie fasziniert den Faden auf. „Dadurch gilt sie bereits jetzt als Legende. Manche behaupten sogar, Mrs. Lynch wäre eine reine Erfindung und das alles würde zu einer ausgeklügelten Marketing-Strategie gehören. Andere versichern, ihr begegnet zu sein. Respekteinflößend soll sie sein, Angst und Schrecken verbreiten. Obendrein droht sie damit, jeden zu vernichten, der nur den kleinsten Schnipsel über sie veröffentlicht.“
„Und so eine imponiert dir?“ Ihre Mom schüttelte sich.
Maggie nickte. „Wie alle Menschen, die etwas aus eigener Kraft schaffen.“
„Womit wir wieder in unserem kleinen Nest wären, das dir scheinbar zu eng ist. Womöglich hast du meinetwegen diese Flausen im Kopf, weil ich ständig gepredigt habe, dass dir die Welt offensteht. Nun“, sie tätschelte Maggies Hand, „du solltest den Urlaub in St. Agnes nutzen, um herauszufinden, was du willst. Alec oder eine Karriere. Beides wirst du nicht haben können. Zumindest nicht hier in Redruth.“
„Diese Frage stellt sich nicht für mich, Mom“, erwiderte Maggie voller Überzeugung. „Ich will Alec, zumindest das weiß ich mit grenzenloser Sicherheit.“
♥♥♥
Gegen Nachmittag waren Maggie und ihre Mom aufgebrochen. Mittlerweile hatte sich der Himmel gelichtet und Redruth lag im Sonnenschein. Das hob Maggies Stimmung leider nicht im Geringsten, die in der Stadt geblieben war, um einige Besorgungen zu machen. Ihre Mom war nach Hause gefahren und bereitete das Abendessen vor.
Unschlüssig verharrte Maggie vor dem Schaufenster eines Dessous-Ladens. Ob sie sich eines dieser verruchten Negligés kaufen sollte? Aber konnte man mit Sex eine Beziehung kitten?
Erschrocken starrte Maggie auf ihr Spiegelbild. Kitten? Was für blöde Gedanken hegte sie? Alec liebte sie. Auch daran gab es nichts zu rütteln. Für sein seltsames Verhalten musste es plausible Gründe geben. Vielleicht hatte er Streit mit seinem Dad? Hank führte die Farm mit harter Hand, da blieben Reibereien nicht aus und Alec gehörte nicht zu den Menschen, die sich bei anderen ausheulten.
„Man will immer das, was man nicht bekommen kann“, hörte sie auf einmal eine brummende Stimme. „Jetzt wird die Kleine interessant, nachdem sie dich aus ihrem Leben geworfen hat.“
Maggie klebte blickmäßig weiterhin am Schaufenster und dem roten, durchsichtigen Negligé, während zwei Männer neben ihr Aufstellung bezogen.
„Es macht eben Spaß, mit ihr zusammen zu sein.“
„Das Mädchen will mehr, siehst du das denn nicht? Du wirst sie nur verletzen. Wer weiß, was sie sich dann einfallen lassen wird. Verletzte Frauen können zu Furien werden!“
„Wenn sie eins dieser sexy Dessous auspackt, wird sie anderes zu tun haben. Die Kleine ist dankbar für jede Aufmerksamkeit und schnurrt wie ein Kätzchen, sobald ich nur die Hand nach ihr ausstrecke.“ Was für ein Kotzbrocken! „Also erspar mir deine Weisheiten, Dex.“
„Immerhin weiß ich, wovon ich rede.“
„Ach ja?“
„Falls du es vergessen haben solltest: Ich bin Psychologe und ein verdammt teurer. Sei froh, dass ich dich gratis berate. Deshalb erlaube mir die Bemerkung, dass ich deine berufliche Auszeit nicht gutheiße. Du befindest dich gerade auf dem Zenit deiner Karriere und wirfst alles hin. Das ist mehr als bescheuert.“
„Lass das meine Sorge sein.“
„Deine Sorgen sind meine Sorgen.“
„Du bist nicht meine Ehefrau.“
„Aber dein bester Freund.“
„Nicht mehr lange, wenn du so weitermachst.“
„Sobald du nicht mehr in fremden Betten liegst, sondern aufrecht hinter deinem Schreibtisch sitzt, hörst du kein Sterbenswort mehr von mir. Nutz die Zeit endlich, um dir neue Perspektiven zu suchen. Bislang hast du nämlich keinen Finger krumm gemacht.“
„Dafür bewegt sich ein anderes Körperteil umso mehr.“
„Bist du etwa stolz auf diese nichtssagenden Abenteuer?“ Maggie schielte leicht nach rechts. Ein untersetzter Mann mit rotem Kraushaar spiegelte sich neben ihr. Der andere war nur von der Schulter abwärts zu sehen. Großgewachsen, muskulös und die Stimme hatte einen melodischen Klang. Leider ging dieser winzige Pluspunkt gänzlich in dem Mist unter, den der Casanova von sich gab. „Du brichst ein Frauenherz nach dem anderen. Irgendwann wirst du teures Lehrgeld bezahlen. Besonders bei diesem Mädchen. Lass besser die Finger von ihr, denn nach allem was du über sie erzählt hast, lässt das lediglich einen Schluss zu: Ich sage nur Rose!“
Ein klangvolles Lachen ertönte. „Fängst du schon wieder mit deiner Lieblingsserie Two And A Half Men an?“, amüsierte sich der andere. „Aber sei beruhigt. Ich bin weder Charly Harper noch hat die Kleine irgendeine Ähnlichkeit mit der verrückten Rose.“
„Rose ist nicht verrückt“, fiel ihm der Rothaarige prompt ins Wort, „sondern verliebt. Wobei sich das manchmal überschneidet, sofern Liebe zur Manie wird.“
„Es ist eine Serie, falls du es nicht gemerkt haben solltest.“
„Na und? In meiner Praxis erlebe ich sowas ständig und könnte haufenweise Drehbücher schreiben. Einer liebt eben immer mehr. Und jetzt komm, wir müssen das Hochzeitsgeschenk besorgen. In diesem Laden werden wir kaum fündig werden.“
„Du vielleicht nicht …“
„Wenn du in dein Unglück rennen willst, kauf meinetwegen den Laden leer. Aber ohne mich. Außerdem habe ich gleich einen Termin, weshalb die Zeit drängt. Lass uns schleunigst in das Porzellan-Geschäft gehen und dieses Service besorgen, das sich die beiden wünschen.“
„Wenn du meinst“, fügte sich der Großgewachsene, bevor sie hinter Maggie vorbeieilten, die sich erst nach einigen Sekunden traute, ihnen nachzuschauen. Der Psychologe watschelte wie eine Ente neben dem arroganten Don Juan, dessen geschmeidiger Gang dem eines Luchses glich. Zumindest seine Kleidung konnte sich sehen lassen. Der ultramarinblaue Anzug wirkte teuer und sein leicht gelocktes aschblondes Haar glänzte, als er vom Schatten der Häuser ins Licht tauchte.
Auf einmal bemerkte Maggie, wie sich die Schultern des Unbekannten anspannten. Flugs wandte sie sich der Scheibe zu. In der Ahnung, dass er sich umgedreht hatte. Vielleicht hatte er ihren giftigen Blick gespürt.
Männer konnten wirklich Schweine sein! Dieser Adonis begattete sicherlich alles, was nicht bei drei auf den Bäumen war. Das verdeutlichte ihr umso mehr, wie gut sie es mit Alec getroffen hatte, weshalb sie entschlossen in den Laden ging und sich das aufreizende Teil leistete.
Danach holte sie Kopfschmerztabletten aus der Apotheke von Alecs Onkel Bradley, mit dem sie ein paar belanglose Worte wechselte. Im Anschluss daran kaufte sie einige Toilettenartikel in der Drogerie und verstaute die Einkäufe im Auto, das sie unweit von Doktor Donald McGarrets Praxis geparkt hatte.
Den Arzt kannte sie seit Kindertagen. Er strahlte Väterlichkeit aus, nahm sich viel Zeit für seine Patienten und sprach genauso ausführlich über sich selbst. Stets mit einem Augenzwinkern, da er sehr humorvoll war. Kein Wunder, dass viele Patienten fröhlicher die Praxis verließen, als dass sie sie betreten hatten. Einige kamen sogar nur der Antiquitäten wegen, da Doktor McGarret gerne Flohmärkte besuchte und allerhand von dem alten Zeug weiterverkaufte. Sie selbst hatte einen alten Bilderrahmen erstanden, den er ihr eine halbe Stunde lang ans Herz legte. Besser gesagt hatte er den Ladenhüter mit leidvoller Miene wie einen Goldklumpen angepriesen, den niemand zu würdigen wisse. Um dem Elend ein Ende zu bereiten und da ihr der Doc einen äußerst niedrigen Preis machte, hatte sie zugegriffen.
Bedauerlicherweise musste sie sich jedoch einen anderen Hausarzt suchen, da ausgerechnet Christin bei ihm zu arbeiten anfing. Und als hätte diese Denunziantin gespürt, dass Maggie an sie dachte, verließ sie just in diesem Augenblick die Praxis.
Schnell setzte sich Maggie in den Wagen, um ihrer ehemals besten Freundin keine Gelegenheit zu geben, auf sie aufmerksam zu werden. Nach allem, was sich diese Nymphomanin geleistet hatte, wagte sie es trotzdem, sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu grüßen. Unverfrorener ging es wirklich nicht!
Allerdings musste Maggie zweimal hinschauen, denn ihre einstmals beste Freundin hatte sich stark verändert. Das hüftlange blonde Engelshaar war jetzt pink, schulterlang und mit einem Sidecut versehen. Wenn sie sich nicht täuschte, glitzerte sogar ein Piercing am rechten Nasenflügel. Ohne Zweifel war aus dem braven Vorzeigemädchen von einst eine flippige junge Frau geworden. Obwohl die krasse Veränderung besser zu ihrer Art passte. Christin hatte bei Demos meistens in der ersten Reihe gestanden, liebte Rockmusik und alles Unkonventionelle. Zugegeben, sie sah nicht schlecht aus, dennoch war das kein Vergleich zu früher.
Oder suchte sie nur nach negativen Dingen, da ihr die Begegnung sauer aufstieß? So sauer, dass sich Maggie vorstellte, wie sie Christin über den Haufen fuhr, die vor der Praxis gemächlich hin und her schlenderte. Vermutlich wartete sie auf Lydia. Immerhin verband die beiden seit geraumer Zeit eine innige Freundschaft, obwohl Christin Maggies Abneigung gegen Lydia früher geteilt hatte. Doch ihre ehemals beste Freundin kümmerte sich weder um ihr Geschwätz von gestern noch bestach sie durch Aufrichtigkeit. Obwohl es viele Momente gab, an die sich Maggie trotz allem gerne erinnerte. Insbesondere an ihre erste Begegnung im Kino.
Christin, die mit ihren Eltern vor zehn Jahren von Wales hierhergezogen war, hatte beim Öffnen der Colaflasche die halben Zuschauer nass gespritzt. Viele verließen empört den Saal. Einige wenige – Alec und sie eingeschlossen – hatten Tränen gelacht. Das war der Beginn ihrer Freundschaft gewesen, die ihr unendlich viel bedeutet hatte. Bis sie dahinter kam, dass ihr die Arzthelferin Alec abspenstig machen wollte, denn irgendwann begann Christin offensiv mit Alec zu flirten und war jedes Mal beleidigt, wenn Maggie sie darauf ansprach. Was unterstellst du mir da?, hatte sie sich nicht nur einmal über die Vorwürfe beschwert. Haltlos, gemein, ungerecht – das waren nur einige Worte, die ihre Unschuld untermauern sollten.
Dann kamen die Tage, in denen sie wegen einer heftigen Grippe ans Bett gefesselt war.
Christin besuchte sie jeden Tag, was sie jedoch nur am Rande wahrgenommen hatte. Zu schläfrig und matt war sie gewesen. Sprichwörtlich außer Gefecht gesetzt, erfuhr sie erst nach ihrer Genesung, dass Christin diese Zeit genutzt hatte, um Alec nach allen Regeln der Kunst zu verführen, indem sie sich nackt in dessen Bett legte!
Polly gegenüber hatte Christin behauptet, mit Alec über diverse Ideen für die Hochzeit sprechen zu wollen und bat darum, in seinem Zimmer auf ihn warten zu dürfen. Doch weder Polly und erst recht nicht Alec hatten ihr von dieser Intrige erzählt, sondern Christin selbst war es gewesen. Unter Tränen gestand sie, dass sie sich in Alec verliebt habe und beteuerte, wie sehr sie ihre List bereuen würde. Mitsamt den Gefühlen, die sie nicht abstellen könne. Als Maggie nachbohrte, ob ihr Plan aufgegangen sei, hüllte sich Christin jedoch in Schweigen und wirkte wie eine ertappte Sünderin. Alec hingegen war richtiggehend böse geworden, als Maggie auch ihn löcherte. Das hatte wiederum sie fürchterlich erbost. Immerhin hatte er das Ganze unter den Teppich kehren wollen und bekanntlich machte Gelegenheit Diebe.
Jedenfalls hatten sich Alec und sie nie zuvor so gestritten wie Anfang dieses Jahres. Bei genauerer Betrachtung war seitdem der Wurm drin in ihrer Beziehung. Das Misstrauen hatte sich wie ein Widerhaken in Maggies Herz gebohrt, wenngleich sie Alec einen Verrat wie diesen nicht zutraute. Nicht zutrauen wollte. Leider war sie gegen ihre Eifersucht machtlos. Andererseits hatte sie vor fünf Minuten Adonis höchstpersönlich erlebt. Von einem solchen Lüstling war Alec meilenweit entfernt und …
„Was zum Teufel …“ Perplex starrte Maggie zu dem Mann, der geradewegs auf die Praxis zusteuerte. Das war Alec! Christin eilte auf ihn zu. Hatte sie auf ihn gewartet? Maggies Hände umklammerten das Lenkrad, bis es wehtat. Ein noch heftigerer Schmerz rammte sich in ihr Herz, als Christin Alec umarmte. Statt diese Geste unbeteiligt über sich ergehen zu lassen, erwiderte er sie. Wie ein Paar standen die beiden da und es dauerte, bis sie sich voneinander lösten, was Maggie hinter einem Tränenschleier wahrnahm. Ebenso wie die Tatsache, dass Alec und Christin gemeinsam in die kleine Seitenstraße verschwanden!
♥♥♥
Maggie saß vor dem Schminkspiegel in ihrem Zimmer und betrachtete sich. Dabei fuhr sie sich ständig durch das leicht gewellte Haar und befeuchtete mit der Zunge die trockene Oberlippe, deren Amorbogen nur angedeutet war. Gerade deswegen verglich man sie gerne mit Julia Roberts. Auch Alec tat es oft, insbesondere wenn sie lachte. Mona Lisas Lächeln, sagte er manchmal dazu, was dem gleichnamigen Film mit der Schauspielerin entstammte.
Hämisch lächelte sich Maggie selbst zu. „Das hast du jetzt von deiner bescheuerten Gutgläubigkeit“, flüsterte sie. „Vermutlich läuft das Ganze schon länger, als du es dir in deinen kühnsten Träumen vorstellen könntest, Maggie Higgins.“
„Mit wem redest du, Schätzchen?“ Wie ein Geist, den keiner gerufen hatte, platzte ihre Mom ins Zimmer, die sich verwundert umschaute. „Wieso hast du nicht gepackt. Alec holt dich morgen in aller Frühe ab.“
„Da bin ich mir nicht mehr sicher, Mom.“
„Was soll das heißen?“ Sie sank auf Maggies Bett, auf dem die bunte Steppdecke lag, an der ihre Mom jahrelang genäht hatte. „Du warst bereits gestern so komisch, als du heimgekommen bist.“
„Ich habe Alec und Christin gesehen“, presste Maggie hervor und griff zur Haarbürste.
„Na und? Auch wenn du mit ihr gebrochen hast, können die beiden weiterhin miteinander befreundet sein.“
„Sie haben sich umarmt.“
„So lange sie sich nicht küssen, ist doch alles in bester Ordnung.“
Maggie suchte im Spiegel den Blick ihrer Mutter und drehte die Bürste unaufhörlich in der Hand. „Soll mich das etwa trösten?“
„Kleines, du machst dich nur unnötig verrückt.“ Ihre Mom nahm die giftgrüne Brille ab und rieb sich das rechte Auge.
„Findest du?“ Maggie fühlte sich neuerlich unverstanden. Zu ihrem Leidwesen hatte ihre Mom ein riesengroßes Herz und für jeden ein Quäntchen Mitleid übrig. Egal, wie wenig man es verdiente. „Ich habe Alec gestern angerufen und gefragt, ob er mit dem Zaun fertig geworden ist. Er meinte, dass er fünf Minuten vor meinem Anruf den Hammer beiseitegelegt hätte.“ Tränen traten in ihre Augen. „In Wahrheit hat er besagte fünf Minuten zuvor Christin von der Praxis abgeholt!“
„Hast du deine Beobachtung erwähnt?“
„Wieso sollte ich?“
„Um dich nicht weiter zu quälen.“ Umständlich setzte ihre Mom die Brille wieder auf, die farblich zum Samthaarband passte.
„Glaubst du im Ernst, dass er mir die Wahrheit sagen würde? Wahrscheinlich belügen mich beide bereits seit Christins Geständnis.“
„Eine Frau, die liebt, kämpft mit allen Mitteln“, hob ihre Mom zu einer Erklärung an und nestelte am Träger ihrer Latzhose. „Eine Frau wie Christin weiß aber auch, wann sie verloren hat. Ich müsste mich schon sehr in ihr täuschen.“
„Himmel, wie kannst du diese Hexe in Schutz nehmen?“
„Die Sache zwischen euch hat nichts mit mir zu tun, obwohl ich Christin zeitweise gerne wie einen Käfer zerdrückt hätte. Aber ich mag das Mädchen und manchmal macht Liebe eben blind.“
„Das entschuldigt alles?“
„Selbstverständlich nicht, doch Christin bereut die Angelegenheit.“
„Pah, sie wollte bloß reinen Tisch machen, bevor es andere tun.“
„Wer denn? Polly wollte sich nicht einmischen und Alec hätte dir sowieso nichts gesagt.“
„Wow, wie einfühlsam du bist, Mom!“
„Ich sage nur, wie es ist. Ginge es um Lydia, wäre ich auf deiner Seite. Aber Christin hat das Herz auf dem rechten Fleck und niemand, als sie selbst, weiß besser, dass sie weit über das Ziel hinausgeschossen ist.“ Nachdenklich hielt die Mutter ihrem Blick stand. „Und ich für meinen Teil würde mir beide Hände abhacken lassen, ehe ich an Alecs Untreue glaube. Der Junge ist ein ehrlicher Mensch, das müsstest du am besten wissen.“
Aufseufzend legte Maggie die Bürste weg. „Ich traue ihm sowas ja auch nicht zu.“
„Dann hör auf dein Herz.“ Ihre Mom erhob sich ächzend, legte die Hände auf Maggies Schultern und hauchte ihr einen Kuss ins Haar. „In St. Agnes habt ihr alle Zeit der Welt, um euch auszusprechen. Im Zorn sollte man ohnehin nicht reagieren. Das führt nur zum Streit.“
Eine Aussage, die Maggie in den Wind schoss, denn eine halbe Stunde später stand sie Alec in dessen Zimmer gegenüber. Wie könnte sie, erfüllt von den widersprüchlichsten Gefühlen, mit ihm nach St. Agnes fahren und auf heile Welt machen?
„Wenn es tatsächlich nichts zu bedeuten hatte, weshalb hast du dein Treffen mit Christin nicht erwähnt?“, wiederholte sie ihre Frage.
Alec stand beim Giebelfenster und erwiderte ihren Blick. Maggie kannte jedes Muttermal an ihm. Die Lachfältchen um seine Augen und jeden Punkt in seiner blauen Iris. Sie wusste, wie zärtlich sein Mund sein konnte. Was er zu offenbaren vermochte. Wie es sich anhörte, wenn er sich über den Dreitagesbart fuhr und wie männlich er roch. Herb und rau, wie Cornwalls Küstenlandschaft. „Warum hätte ich es dir erzählen sollen?“, wand er sich. „Du reagierst allergisch, sobald du bloß ihren Namen hörst. Das wollte ich uns ersparen.“
„Wow, ein Gentleman, vom Scheitel bis zur Sohle“, spottete Maggie. „Weshalb du dich lieber hinter meinem Rücken mit ihr triffst?“
„Wie oft denn noch, Mag’. Da läuft nichts, und ob du es glaubst oder nicht, Christin leidet unter der Situation. Genau wie du, sofern du einmal ehrlich in dich gehen würdest. Ihr wart beste Freundinnen. Außerdem ist sie in einen anderen Typen verknallt.“
„Hat sie dir diesen Bären aufgebunden?“
„Das ist keine Lüge. Es geht ihr tatsächlich miserabel. Vor allem, da sie dieser Mann ziemlich im Regen stehen lässt. Er scheint ein ziemlicher Playboy zu sein.“
„Das tut mir schrecklich leid für Christin.“ Maggie versuchte erst gar nicht, ihre Schadenfreude zu verbergen. „Was für ein Segen, dass sie dich hat. Ich wundere mich jedoch darüber, wieso sie sich nicht bei Lydia ausheult. Die ist doch aus demselben Holz geschnitzt und sich ebenfalls für nichts zu schade.“
Alec wandte sich abrupt zum Fenster um. „Im Grunde geht es weder um Christin noch um sonst wen. Wir beide sind das Problem, oder zumindest einer von uns.“ Er holte tief Luft, als bräuchte er Mut für die nächsten Worte. „Kann es sein, dass du nur nach einem Grund suchst, um die Hochzeit abzublasen?“, ging er zum Gegenangriff über. „Wir konnten uns immer vertrauen. Mittlerweile siehst du hinter allem und jedem eine Bedrohung.“
„Wundert dich das? Du warst schon mal ehrlicher, Alec.“
„Danke für die Blumen.“ Er hörte sich verletzt an.
„Du hast übrigens nichts über deinen Junggesellenabschied erzählt“, ignorierte Maggie seine Reaktion. Zu stark pochte auch diese Angelegenheit in ihrem Hinterkopf.
„Wie kommst du plötzlich darauf?“ Alec fuhr sich durch das Haar. „Aber um es kurz zu machen: Der Abend war nett.“
Nett! Wie schön. Dann wusste sie ja alles, was sie wissen musste. „Ich hörte, dass es mehr war als nett“, ließ Maggie nicht locker.
„Wer sagt das?“
„Mein Chef.“
„Ernie? Der war doch gar nicht dabei.“
„Umso schlimmer, dass die Sache bereits Kreise zieht.“
„Was glaubst du denn, was passiert ist?“, wurde Alec unerwartet wütend und wirbelte zu ihr herum. „Dass ich dich betrogen habe? Ist dir eigentlich bewusst, wie lächerlich dieses Detektivspiel ist?“
„Ich habe nur eine simple Frage gestellt. Kein Grund sich so aufzuregen.“
„Ah ja, und du bist die Ruhe selbst oder weshalb streiten wir uns?“
„Wer streitet denn?“
„Du.“
„Sieh an, jetzt bin ich an allem schuld. Zumal sich die Frage stellt, wieso du so plötzlich nach St. Agnes willst. Möchtest du mich vor der Hochzeit aus der Schusslinie haben? Damit mir niemand weitere Details erzählen kann?“, redete sich Maggie in Rage, obwohl sie ahnte, dass sie zu weit ging. Bedauerlicherweise hatte sie zu viel Fahrt aufgenommen, um sich stoppen oder auf ihren Verstand hören zu können.
„Warum stellst du auf einmal alles in Frage, was ich aus Liebe mache?“, fuhr Alec sie an. „Muss jeder Mann zwangsläufig belügen oder betrügen, wenn er schlicht und ergreifend Zeit mit seiner Verlobten verbringen will?“
„Nein.“
„Eben. Dann hör endlich damit auf, mich mit sinnlosen Fragen zu löchern.“
„Sinnlose Fragen? In den letzten Wochen warst du angeblich zu beschäftigt, um mich zu sehen. Dann dieser blöde Junggesellenabschied und dein Treffen mit Christin, was sicherlich nicht zum ersten Mal stattgefunden hat. Noch dazu hast du behauptet, dass du gerade die Arbeit am Zaun beendet hast. Eine glatte Lüge, da du fünf Minuten vorher mit Christin in der Gasse verschwunden bist. Ich habe keine Ahnung, was ich davon halten soll, Alec.“
„Weshalb du mir wer-weiß-was unterstellst?“
„Du redest ja nicht mit mir.“
„Worüber denn?“, hallte seine Stimme durch das Zimmer. „Mein Gott, Maggie, ich frage mich ernsthaft, was in deinem Kopf vor sich geht, doch falls du annimmst, dass ich dich betrügen würde, bist du auf einem völlig falschen Dampfer. Das würde ich niemals tun, weil du die Frau meines Lebens bist.“
„Da ist Lydia anderer Meinung.“
Mit fahrigen Fingern öffnete Alec das Fenster, als bräuchte er frische Luft. „Was hat sie damit zu tun?“
„Das frage ich dich. Sie meinte, ich soll dich und Christin im Auge behalten.“
„Und das glaubst du ihr?“ Alec fixierte sie mit wundem Blick.
„Immerhin habe ich dich mit Christin gesehen.“
„Na und? Wir sind Freunde.“ Seine Worte verhallten im Raum. „Mag sein“, fuhr er mit bebender Stimme fort, „dass ich in letzter Zeit nicht der Mann bin, den du verdienst, aber ich liebe dich, Maggie. Mehr, als du ermessen kannst.“
Erneut beherrschte Stille den Raum.
„Was ist mit uns geschehen, Alec?“, wisperte Maggie und fühlte sich plötzlich unsagbar erschöpft. „Seit wann haben wir uns aus den Augen verloren?“
Er wirkte gequält, traurig und als würde jegliche Last dieser Welt auf seinen Schultern liegen. „Seitdem wir unglücklich sind. Du bist es in der Schreinerei, was du oft genug erwähnst, und ich habe keine Ahnung, ob ich die Farm tatsächlich übernehmen will.“
Verblüfft musterte Maggie sein Gesicht. „Seit wann stellst du das in Frage?“ War das der Grund für seinen Rückzug?
„Genau genommen hat sich an meinem beruflichen Wunsch nichts geändert.“
„Aber ich dachte, das mit dem Tierarzt wäre lediglich Strohfeuer gewesen?“
„Das behauptete ich, um Dad nicht zu enttäuschen.“ Schade, dass er nicht einmal sie ins Vertrauen gezogen hatte. „Du weißt ja, wie viel Hoffnung er in mich setzt. Die Farm ist sein Lebenswerk. Was soll ich demnach anderes tun, als meinen Traum zu begraben? Aber wir sind beide noch so jung, Higgins. Zu jung, um in Redruth zu versauern.“
„Hast du … äh … mit meiner Mom gesprochen?“
„Nein, wieso sollte ich?“
„Weil es mir ähnlich geht wie dir“, gestand Maggie. „Aber was bedeutet das für uns? Dass du die Hochzeit abblasen willst?“ Mit pochendem Herzen wartete sie auf Alecs Antwort, denn auf einmal wurde ihr klar, dass sie alles zu verlieren drohte. Alec, ihre Zukunft, einfach alles. Das ließ den Zorn verpuffen und nichts außer Furcht blieb zurück.
„Du bist das einzig Beständige in meinem Leben. Niemals würde ich uns aufgeben. Deswegen möchte ich dich nach wie vor heiraten. Je eher desto besser. Aber in der letzten Zeit habe ich über vieles nachgedacht und … na ja … ich wusste nicht recht, ob ich mit dir darüber reden kann, ohne dass du es in den falschen Hals bekommst.“ Er trat zu ihr und zog sie an sich. Maggie blickte zu ihm auf. Er überragte sie um eine Kopflänge. „Mit jedem Tag hadere ich mehr damit, ob wir wirklich nach der Hochzeit auf der Farm leben sollen. Lieber würde ich mit dir für ein paar Jahre ins Ausland gehen. Irgendwo hin, Hauptsache fort von hier.“
Warum hörte sich alles nach Flucht an? „Dein Vorschlag klingt verlockend“, stimmte ihm Maggie dennoch zu, da Alecs Idee zumindest im Wesentlichen ihren eigenen Vorstellungen entsprach. „Aber wieso jetzt?“
„Ist der Zeitpunkt nicht egal?“, beharrte Alec. „Wichtiger ist doch, dass wir einander nicht verlieren, meinst du nicht?“
„Würden wir das in Redruth denn tun?“
„Sind wir nicht schon mittendrin?“ Alec küsste sie auf die Schläfe. „Ich will, dass es zwischen und klappt, Mag’. Doch hier bin ich nicht glücklich und fühle mich wie an Ketten gelegt. Früher oder später würde ich das an dir auslassen.“
Ein Blick in sein Gesicht genügte, um zu wissen, dass er hinter seinen Worten stand. „Woanders wärst du glücklicher?“
Er zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ich würde es gerne herausfinden. Gemeinsam mit dir.“ Sein Seufzen schien aus dem tiefsten Winkel seiner Seele zu kommen. „Nur einmal im Leben möchte ich eigene Entscheidungen treffen. Neue Erfahrungen sammeln und meinen Weg gehen. Verstehst du das?“
„Was ist mit Hank? Dein Dad wird aus allen Wolken fallen.“
„Noch ist er fit genug, um die Farm zu führen. Alles andere wird sich klären.“
„Dir ist schon klar, dass er nicht kampflos aufgeben wird.“
„Darüber mache ich mir Gedanken, wenn wir aus St. Agnes zurück sind. In den nächsten Tagen möchte ich nichts anderes tun, als jede Sekunde mit dir zu genießen.“ Sein Kuss war verheißungsvoll und endlich hatte Maggie das Gefühl, dass Alec bei ihr war – und zwar nur bei ihr. Egal, was ihn mit Christin verband, Alec war ihr treu. Zumindest in der Hinsicht glaubte sie ihm. Besser gesagt wollte sie ihm glauben, denn Alec war die Liebe ihres Lebens und ein Teil von ihr. Das war ein Geschenk, das man festhalten musste.