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Prolog

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Oktober 1998, Yellowknife/Kanada,

62° 26′ 38″ N, 114° 23′ 47″ W

Mit dreizehn Jahren erlebte man die härteste Prüfung aller Zeiten. Keiner konnte nachfühlen, wie schwer es war, sich durch den Tag zu quälen. Die Schulbank zu drücken und sich pausenlos zu fragen, ob sich Sonnyboy Freddy in einen verliebt hatte. Gleichzeitig überlegte Elisha, ob ihre Eltern schon immer so schwierig gewesen waren. Gut, bei ihrer Mutter stellte sich die Frage weniger, aber bei ihrem gutmütigen Dad? Immerhin hatte er sich vor einigen Tagen auf die Seite der Mutter geschlagen. Er hätte seine Zigaretten ja weglegen können. Jugendliche waren eben neugierig, doch das schien er zu verdrängen. Oder er wollte es verdrängen, weil seine Nachlässigkeit wie eine Aufforderung gewesen war, heimlich hinter dem Haus zu rauchen. Wer konnte ahnen, dass man danach stank wie ein Aschenbecher. Aber trotz der Standpauke, cool war’s allemal gewesen.

Elisha merkte, dass sie grinste und richtete sich auf. Irgendwie fühlte man sich mit diesem Ding in der Hand furchtbar erwachsen. Leider verschwand ihr Hochgefühl sofort, als sie den Blick über die Köpfe ihrer Mitschülerinnen schweifen ließ. Die meisten hatten längst ihre Periode, sogar den ersten Kuss oder Sex hinter sich und trugen die Brüste stolz vor sich her. Sie hingegen hätte den Rücken getrost vorne haben können.

„Elisha McBryan, schließe den Mund und richte deine Augen zu uns!“ Mrs. Carter klatschte in die dünnen Hände. „Miss Burgstaller ist eure neue Mitschülerin und wir sollten uns von der besten Seite zeigen. Also hör gefälligst zu, junge Dame.“ Wohlwollend glitt Mrs. Carters Blick über den dicken Import aus Deutschland namens Heidi, die neben ihr vor der Tafel strandete. Mit einer blonden Dauerwelle, als hätte man ausprobiert wie der Super-GAU aussehen könnte. Gezwängt in ein Seidenblüschen und in eine schwarze Stoffhose. Mit ihrem Vater war Heidi vor kurzem aus Berlin hergezogen. Unverständlich. Wie konnte man diese tolle Stadt verlassen um im subarktischen Yellowknife zu leben?

Elishas Blick kreuzte sich mit Heidis.

Ganz schön dick für dein Alter, hallte es in Elisha wider.

Heidis braune Augen funkelten. Wer spricht denn da mit mir? Ach, jetzt sehe ich dich, du Hungerhaken.

Lieber dünn als fett.

Neidisch?

Kein bisschen.

Leg dich besser nicht mit mir an.

Oh, jetzt habe ich aber Schiss.

Solltest du auch. Meine Familie ist stinkreich und handelt mit Gold.

Das sieht man. Du scheinst viele Barren verschluckt zu haben …

Das war der erste Tag ihrer Begegnung. Offene Feindseligkeit, erhärtete Fronten und das Wissen, dieses Mädchen bis ans Lebensende abgrundtief zu hassen. An Tag zwei wechselten sie weitere giftige Blicke, am dritten Tag ebenso. Am vierten übersahen sie sich geflissentlich, doch das vergaß Elisha am Nachmittag. Freddy rief an, um sich die Hausaufgaben abzuholen. Sie war ein As in Sprache, er eine Niete - was ihn ungemein sexy machte.

Ganze fünf Minuten verbrachte Elisha mit ihrem heimlichen Schwarm. Es war wahnsinnig schmeichelhaft, dass er sich so viel Zeit für sie nahm. Spätestens jetzt wusste sie: Freddy war in sie verknallt.

An Tag fünf fiel ihr Heidi buchstäblich vor die Füße. Brandon hatte ihr ein Bein gestellt. Heidis Schulbücher waren aus der Tasche gerutscht, das rote Blümchenkleid über das Hinterteil und die rot-gold-schwarz gestreifte Unterhose rückte unweigerlich in den Fokus der Mitschüler. Mit hochrotem Kopf rappelte sich Heidi auf. Unter dem nicht enden wollenden Gelächter und Worten wie Wal, Elefant, fette Kuh

Mitleid! Wo kam das blöde Ding plötzlich her? „Hört auf, sie zu beleidigen. Heidi kann nichts für ihre Figur.“

„Natürlich nicht, Elisha“, meldete sich Brandon zu Wort und strich sich über die steife Haartolle. „Man führt ihr das Essen sicher gewaltsam ein.“

Heidi bückte sich nach ihren Büchern. Freddy stand grinsend hinter ihr, holte mit dem Fuß aus und tat so, als ob er ihr einen Tritt verpassen wollte. Erneut brandete Gelächter auf. Was nun? Elisha liebte Freddy, wie sie nie wieder einen Jungen lieben würde können. Sollte sie das aufgeben, nur um ihrer Todfeindin zu helfen? Wer würde an ihrer Seite sein, wenn sie anschließend an Liebeskummer starb? Dahinvegetierte? Dem Leben Adieu sagen musste?

„Wie bist du eigentlich über das Meer gekommen? Als Qualle? Siehst aus, als hättest du den Pazifik leergesoffen.“ Freddy klopfte sich selbst auf die Schulter. „Die bauen sicher gerade eine Eisenbahn nach Europa. Entlang der Schneise, die du hinterlassen hast.“

Die Schulbücher krachten auf den Boden. Im selben Moment wirbelte Heidi mit Tränen in den Augen herum, packte Freddy am Kragen und drängte ihn gegen die Tafel.

„Halt sofort dein Maul, du Arsch!“, tobte sie mit deutschem Akzent. „Oder ich prügle dich windelweich.“

„Und wenn schon. Sogar mit eingeschlagenem Schädel wäre ich eine Augenweide, im Gegensatz zu dir.“

Wie ein Bulldozer rammte sich Heidis Knie in Freddys Genitalien. Es war zu befürchten, dass sie auf ein Mindestmaß zusammengeschoben oder zerquetscht wurden. Jedenfalls seinem Schrei nach zu urteilen. Im selben Augenblick begrub Elisha ihren Traum, von Freddy entjungfert zu werden. Das würde er in den nächsten Jahren nicht mehr schaffen, so lange konnte und wollte sie nicht warten. Deswegen endete Tag sechs damit, dass sie Heidi beim Rektor zur Seite stand, der Freddy anschließend verwarnte.

Am siebten Tag trafen Heidi und sie um Punkt sieben Uhr morgens im Flur aufeinander. Wie üblich hatten sie ihr Frühstück noch im Mund: Einen Kaugummi. Zaghaft lächelten sie sich an. Irgendwie seltsam. Eigentlich hätte Elisha stinksauer sein müssen. Immerhin hatte Heidi sie um ihr Lebensglück gebracht. Trotzdem, mit Freddy Schluss gemacht zu haben, fühlte sich nicht so schlimm an wie anfangs gedacht. Auch wenn er angeblich keine Ahnung gehabt hatte, dass sie zusammen gewesen waren. Verleugnung war wohl seine Art, mit der Trennung fertig zu werden.

„Weißt du, was ich gerade denke?“, fragte Heidi.

Elisha zuckte mit den Achseln. „Woher sollte ich?“

„Na ja, als mich Mrs. Carter vorstellte, haben wir uns gedanklich unterhalten. So etwas nennt man Telepathie. Wir zwei scheinen irgendeine kosmische Verbindung zu haben.“ Heidi hüstelte. „War übrigens nicht gerade freundlich, was du von mir gedacht hast. Von wegen fett und so …“

Nett meinte ich.“ Elisha lachte gekünstelt. „Gedankenübertragung ist wie stille Post. Kam wohl falsch bei dir an. Ich habe dich nämlich von Anfang an gemocht.“

„Hab dich auch auf Anhieb klasse gefunden.“ Heidi streckte ihr die Hand entgegen. „Freundinnen?“

„Meinetwegen.“ Elisha ergriff die verschwitzten Finger und kaute an ihrem Wrigley, dass die Kiefer schmerzten. Dann machte sie eine Blase.

„Bis wir alt sind?“, hakte Heidi nach.

Die Blase platzte. Elisha überlegte. „So in zehn Jahren?“

„Wie wäre es mit sieben?“

„Sieben Jahre sind eine verdammt lange Zeit.“

„Deswegen frage ich ja.“ Ihre Hände lösten sich voneinander.

„Wir können es probieren.“

Heidi lächelte. „Tauschen wir den Kaugummi?“

„Ich wäre eher für Blutsbrüderschaft. Schneiden wir uns die Pulsadern auf?“

„Lieber Kaugummi.“

„Meinetwegen.“ Wie cool und lässig musste sie auf Heidi wirken. „Lass uns tauschen.“

Gesagt, getan. Am siebten Tag hatten sie ihre Freundschaft mit einem Kaugummi besiegelt, zumindest für die nächsten sieben Jahre …

Sieben Tage bis zur Hochzeit

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