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1. Kapitel

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30. Juni 2015 - 17 Jahre später

Drogheda, County Louth, Irland - 53° 42′ 50″ N, 6° 21′ 1″ W

Schrilles Geschrei hallte durch die Mauern. Kleine Satansbraten - auch Nichten und Neffen genannt - liefen durch das ganze Haus. Seit Stunden! Genauso lange sehnte sich Ray nach der Ruhe in seinem Loft in Dublin. Er hasste Familientreffen. Doch einmal im Jahr verdammte sein Vater Steve die gesamte Familie dazu, sich auf dem Landsitz einzufinden. Ihm zur Seite stand Rays Onkel Grant, mit dem sein Dad zu gleichen Teilen einige Stahlfirmen führte.

„Ich würde mich jetzt gerne in einem Pub vollschütten“, flüsterte Rays korpulenter Cousin Tommy, der mit ihm vor den hohen Verandafenstern stand. Gelbe Vorhänge waren in Wellen darüber drapiert, schwere Perserteppiche auf dem Steinboden schluckten jeden Schritt. Überall standen Kostbarkeiten. Rays Dad und Grant waren leidenschaftliche Kunstsammler. An der Wand drängten sich Werke namhafter Künstler, moderne und antike Möbel verliehen dem Wohnraum etwas Besonderes. „Waren die Stimmen deiner Schwestern schon immer so schrill? Ich fühle mich, als würde man mich laufend durch den Fleischwolf drehen.“

„Wem sagst du das.“ Ray trank einen Schluck Guinness. „Ich beneide dich, dass du als Einzelkind aufwachsen konntest. Mit sieben Schwestern hat man es nicht einfach.“

„Zumal sieben Schwager hinzukommen und einundzwanzig Neffen und Nichten“, pflichtete ihm Tommy bei. „Ihr könntet eigentlich eine Kommune gründen.“

„Gott bewahre, ich bin froh, wenn ich wieder meine Ruhe habe.“

„Nun ja, deine Wohnung ist nicht weniger gut frequentiert“, säuselte Tommy mit anzüglichem Lächeln und neidischem Unterton. „Die Frauen geben sich förmlich die Klinke in die Hand. Wie machst du das nur?“

„Ich kann nichts dafür, dass sie mir in Scharen hinterherlaufen und mich manchmal mit irgendeinem Hollywoodstar verwechseln.“ Ray lehnte sich mit der Schulter an die Wand und schaute aus dem Fenster. Die nähere Umgebung Droghedas war zwar ein schöner Flecken Erde, doch für seine Begriffe viel zu einsam. Die Stadt selbst lag an der Mündung des Flusses Boyne. Als er noch klein gewesen war, hatten sie öfter Ausflüge zu einigen Bodendenkmälern wie den ´Hill of Taraˋ oder ´Newgrangeˋ gemacht, das besonders zur Wintersonnenwende gerne aufgesucht wurde. Auch Forscher verirrten sich oft zum Hügelgrab.

Das Schloss, das seit Urgedenken in Familienbesitz war, lag etwas außerhalb der Stadt. Es war von Weideland und einem dichten Nadelholzwald umgeben. Schafe grasten oder lagen träge auf der Erde, bewacht vom alten Lester. Ein Jugendfreund des Vaters, der auf die schiefe Bahn geraten und beinahe an einer Überdosis Heroin gestorben wäre. Eines Tages hatte er vor der Tür gestanden und den Vater um Arbeit gebeten. Seitdem kümmerte er sich das ganze Jahr über um das Anwesen. Ein verlässlicher Mann mit Dreadlocks, ruhig und bescheiden, der mit seinem alten Leben abgeschlossen hatte.

„Ich werde das Gefühl nicht los, dass unsere Väter etwas aushecken.“ Tommy stellte das leere Glas auf den Biedermeiertisch neben sich, auf dem viele Familienportraits standen. Darunter gab es auch einige Bilder ihrer Mütter. Tommys Mom lebte für die Bühne und tingelte derzeit mit einem Laientheater durch die Lande, schwor auf Vegan und liebte Grant, trotzdem waren sie die meiste Zeit getrennt. Aber wenn sie ihn für einige Tage aufsuchte, kamen sie tagelang nicht aus dem Schlafzimmer. Das hatte zumindest Tommy erzählt.

Rays Mutter war vor vier Jahren mit ihrem Wagen tödlich verunglückt. An einem regnerischen Tag stürzte sie in Termonfeckin über die Klippen. Sie wollte zum Cottage - das ebenso zum Familienbesitz gehörte - und das auf einem Hochplateau lag. Früher war Ray ständig dort gewesen, aber seit ihrem Tod hatte er die Hütte gemieden, im Gegensatz zum Rest der Familie.

Der Kloß im Hals erschwerte Ray das Atmen, weil er auch unweigerlich an Miranda denken musste. Zügig leerte er sein Glas, verdrängte die Gedanken und versuchte sich die letzte Nacht vorzustellen. Gwen, Candy, wie hieß sie doch gleich? Er hatte keine Ahnung. Aber sie war nicht schlecht gewesen und wie üblich hatte er heute Morgen versprochen, sich zu melden. Danach war er aufgebrochen und nun langweilte er sich zu Tode. Das würden harte zwei Wochen werden.

Etwas klirrte.

Tommy und er drehten sich gleichzeitig um. Ihre Väter hielten jeweils ein Kristallweinglas mit dem Familienwappen in der Hand und klopften mit dem Löffel sacht dagegen. Cara, Mary, Mildred, Susan, Helen, Emma und Frida scheuchten ihren Nachwuchs hinaus, inklusive Ehemänner.

„Geht zu den Schafen aufs Feld“, ordnete Cara an. Sie war mit fünfundvierzig die Älteste. Kinder nebst Ehemännern jubelten und sausten davon. Ray atmete tief durch.

Sein Vater und Grant stellten gleichzeitig die Gläser auf den langen Eichentisch. Nicht umsonst nannte man sie hinter vorgehaltener Hand ´die zwei sizilianischen Patenˋ. Sie glichen sich nicht nur äußerlich mit ihrer korpulenten Figur, den zurückgegelten grauen Haaren, meist dunklen Anzügen und dem Erbring am kleinen Finger. Auch im Charakter unterschieden sie sich kaum. Beide waren hart wenn es um Geschäftliches ging, weich und nachgiebig sobald es die Familie betraf.

„Setzt euch bitte, Kinder.“ Rays Vater und Grant deuteten auf die Stühle. Es dauerte, bis alle seiner Aufforderung gefolgt waren. Ein vertrautes Gefühl durchströmte Ray, während er die leere Bierflasche von sich schob. Wie früher hatten alle ihre alten Plätze eingenommen. Auch Tommy, der von Kindesbeinen an die Sommer hier draußen verbracht hatte. Oft hatten sie sich um diesen Tisch herum versammelt um zu essen, zu plaudern, zu streiten oder Spiele zu spielen. Fast glaubte Ray, das Lachen seiner Mutter zu hören.

„Ich freue mich sehr“, begann Rays Vater, dessen Timbre dunkel und rau klang, „dass ihr unserer Einladung vollzählig gefolgt seid und ich möchte euch sagen, wie stolz ich bin.“ Nach der Reihe blickte er Rays Schwestern an, die mit sanft geröteten Wangen lächelten. „Cara, du bist meine Erstgeborene. Kaum haben die Wehen eingesetzt, warst du da. Nie werde ich diesen Moment vergessen, als ich dich zum ersten Mal im Arm hielt.“ Tränen glitzerten in seinen Augen. Du lieber Himmel, stimmte etwas nicht mit seinem Vater? War er krank? Ging es den Firmen schlecht? „Dann kamen deine Schwestern. Jede nach zwei Jahren, jede nach zwei Stunden. Mit einer Ausnahme: Frida, du bist Spitzenreiterin mit zwanzig Minuten.“ Die jüngste der sieben strahlte über das ganze Gesicht, während der Vater einen schnellen Blick mit Grant wechselte. „Raymond, du hingegen hast bereits bei der Geburt lange auf dich warten lassen. Diese zwanzig Stunden waren die längsten meines Lebens.“ Sein Vater lockerte die gelbe Krawatte. „Deine Mutter war zwar erschöpft, aber überglücklich und meinte, du wärst das schönste unter all ihren Babys.“

Grinsend nahm Ray die finsteren Blicke seiner Schwestern zur Kenntnis und hob dann kurz die Schultern an. „Ich kann nichts dafür.“

„Du hast dich ständig vor allem gedrückt“, warf Cara ihm prompt vor, die mit Vorliebe Petticoats trug wie auch Frisuren aus den 60er Jahren. „Entschuldige, Dad, aber musstest du das unbedingt sagen? Ray war bereits als Baby ein Player und ist es bis heute geblieben. Nun wird dein jüngster Spross seine Nase noch höher tragen.“

„Cara hat recht“, mischte sich Frida ein und richtete sich den Rollkragen ihres grauen Kaschmirpullovers. Sie kaufte sich alles prinzipiell eine Nummer kleiner und verzichtete auf einen BH. Wollte man wissen welche Temperaturen vorherrschten, brauchte man ihr bloß auf die winzige Brust zu schauen. „Ray wurde immer verwöhnt, während wir von Mutter und dir ziemlich hart rangenommen wurden.“

„Was euch gestärkt hat“, versicherte der Vater. „Jede einzelne von euch hat in unseren Firmen von der Pike auf gelernt, was es heißt, Verantwortung zu tragen. Mittlerweile sind wir ein einflussreicher Familienbetrieb und ich freue mich, dass meine Töchter trotz Nachwuchs am härtesten von allen arbeiten. Auch meine Schwiegersöhne identifizieren sich mit unserem Unternehmen und verschaffen euch genügend Freiraum, damit ihr eurer Pflicht nachkommen könnt.“

Weicheier, dachte Ray. Seine sieben Schwäger führten den Haushalt, kümmerten sich um die Kinder und waren Mitglied im Elternverein. Kein Leben, wie es ihm vorschwebte. Doch allmählich fragte er sich, worauf sein Vater hinauswollte.

„Steve hat das große Glück, sieben gelungene Töchter zu haben“, ergriff Grant das Wort und lockerte seine grüne Krawatte, „die allesamt eine vorbildliche Ehe führen. Ich hingegen könnte jeden Tag weinen, weil mein einziger Sohn außer Essen und dem Herumlungern auf der Couch keine weiteren Interessen hat. Obwohl er Jura studiert hat und wir einen fähigen Anwalt bräuchten, zieht er es vor, von Beruf Sohn zu sein.“ Ach, um Tommy ging es? Ray lehnte sich zurück. „Schmarotzt sich auf meine Kosten durch das Leben und denkt nicht daran, sich jegliche Annehmlichkeiten selbst zu verdienen.“

Tommy war mit jedem Wort blasser geworden. „Aber Dad, ich arbeite doch im Unternehmen.“

„Arbeiten nennst du das?“ Speichel landete auf dem Tisch. „Du kommst und gehst, wann es dir passt.“

„Hör auf zu grinsen, Ray“, forderte dessen Vater mit herrischem Ton, „dasselbe gilt auch für dich. Grant und ich haben es satt, euch durchzufüttern. Du bist ebenfalls Anwalt, mit einem verdammt guten Schulabschluss. Möchtest du dein Talent tatsächlich vergeuden? Wo sind deine Karrierepläne geblieben? Kommt endlich beide zur Vernunft und bringt euch im Unternehmen mit ein, sonst …“

„Sonst?“, hakten Tommy und Ray gleichzeitig nach.

Beide Väter verengten die Augen. „Sonst drehen wir euch den Geldhahn zu. Grant und ich möchten uns aus dem Geschäftsleben zurückziehen. Das bisschen Leben, das wir noch vor uns haben, endlich genießen. Schon lange träumen wir davon, mit unserem Segelboot eine Weltreise zu machen. Ende des Sommers stechen wir in See.“

„So schnell?“, erschrak Mary und zog sich den silbernen Haarreif vom Kopf. Ihre Vorliebe galt der Esoterik und Woodstock. Felsenfest war sie davon überzeugt, zu dieser Zeit schon einmal gelebt zu haben. Deswegen führte sie eine offene Ehe und liebte Schlaghosen, Häkeljacken und weite Blusen. Mit ihrem blonden Lockenhaar war sie der Mutter am ähnlichsten. Die anderen hatten dunkleres Haar, doch die blauen Augen hatten alle von ihr geerbt. „Wie soll das funktionieren, Daddy?“

„Mit euch im Boot und einem fähigen Kapitän am Steuer“, kam umgehend die gelassene Antwort.

„Mit Kapitän meinst du hoffentlich nicht Ray“, stieß Frida aus und versuchte die Ärmel ihres Pullis zurückzuschieben, was misslang. Am Ärmelsaum wölbte sich die Haut, vermutlich ein Blutstau. „Dann werden binnen kürzester Zeit alle weiblichen Mitarbeiterinnen kündigen.“ Als benötige sie die Zustimmung der Schwestern, schaute sie eine nach der anderen an. Allgemeines Nicken war die stumme Antwort. „Wir haben viele Freundinnen verloren, weil dieser Nimmersatt alles vögelt, was nicht bei drei auf den Bäumen ist.“

„Also hör mal“, warf Ray ein.

„Ist doch wahr!“ Frida griff zur Weinflasche auf dem Tisch. So schnell wie sie auf die Welt gekommen war, so schnell leerte sie alles Alkoholische. „Und was rede ich da? Selbst auf den Bäumen ist keine sicher vor dir. Ich wundere mich, dass du nicht regelmäßig im Leichenschauhaus aufschlägst, wo haufenweise devote Frauen herumliegen.“

„Bewegen sollten sie sich schon. Außerdem, ich laufe keiner hinterher. Das habe ich nicht nötig. Immerhin nennen mich meine Verflossenen einen Sexgott.“ Alle am Tisch rollten mit den Augen. Ray zog grinsend die Zigarettenpackung aus seiner Hosentasche und schob den Aschenbecher zu sich.

„Sexgott“, äffte Frida ihn nach. „Du bist ein Casanova der übelsten Sorte. Jeder versprichst du die große Liebe. Es gibt weder in Drogheda noch in Dublin ein Herz, das du nicht gebrochen hast.“

Ray warf die Schachtel auf den Tisch, steckte sich die Zigarette in den Mund und zündete sie an. Das Feuerzeug steckte er in die Hosentasche zurück. „Du übertreibst“, er blies den Rauch aus, „jede alte Frau hat Ruhe vor mir und mit alt meine ich alles über fünfundzwanzig.“

Plötzlich brach der Krieg aus. Ohne Punkt und Komma redeten seine Schwestern auf ihn ein. Nannten ihn unflätig, sorglos, Macho und zeigten mit dem Finger auf ihn. Dazwischen schenkte ihnen Frida ständig Wein nach und trank schließlich aus der Flasche. Sicher, Ray liebte seine Schwestern über alles, doch in diesem Moment hätte er sie kaltlächelnd umbringen können. Nie hatte er sich derart bloßgestellt gefühlt. Selbst von Tommy kam keine Hilfe, der in sich zusammengesunken auf dem Stuhl saß und vor sich hinstarrte.

„Ruhe“, brüllte der Vater nach zehnminütiger Schlammschlacht. Ray dämpfte die dritte Zigarette im Aschenbecher aus. Er rauchte nicht regelmäßig, doch in Gegenwart der Schwestern würde er zum Kettenraucher werden. „Ich denke, Ray hat den Ernst der Lage erkannt.“

„Was ich auch für Tommy hoffe.“ Grant schob die Hände in die Hosentasche seiner Nadelstreifhose. „Leider kann ich nicht wie Steve aus dem Vollen schöpfen und deshalb nur auf dich als Kapitän zurückgreifen, Sohn.“

„Was erwartet ihr von uns?“, fragte Tommy stockend. Vermutlich sah er sich in Gedanken vor einem leeren Kühlschrank stehen. Als ob sie im Moment keine größeren Probleme hätten!

„Wir können nicht sagen, dass ihr dumm seid“, antwortete Grant. „In der Schule habt ihr euch zusammengerissen. Auch in der Firma sind wir mit euren Leistungen immer zufrieden gewesen. Zumindest mit dem bisschen, das ich in meiner Erinnerung zusammenkratzen kann.“ Sein Gesicht verschloss sich noch mehr. „Steve und ich geben euch vierzehn Tage Zeit, um eine Entscheidung zu treffen. Entweder werdet ihr wie wir in den letzten vierzig Jahren jeden Tag euren Mann stehen - und zwar mit einem Stapel Akten auf dem Schreibtisch, Ray, und nicht mit einem Stapel Mädchen im Bett - oder euch wird der Zugang zu sämtlichen Firmen sowie den Konten untersagt. Selbstverständlich erbt ihr nur den Pflichtteil, falls wir im Atlantik ersaufen sollten.“

„Du klingst, als wäre an diese Bedingung eine weitere geknüpft“, sprach Tommy aus, was Ray ahnte.

„Unserer Meinung nach ist es Zeit, einen sicheren Hafen anzusteuern.“ Auf der Stirn von Rays Vaters zeigten sich Schweißperlen. „Jeder Mann braucht eine Frau hinter sich. Ihr beide eine, die euch die Flausen aus dem Kopf treibt. Nur wer für jemand anderen sorgen muss, weiß um Verantwortung.“

„Willst du damit sagen, dass wir heiraten sollen, Onkel Steve?“, entfuhr es Tommy.

Über Rays Rücken fuhr ein kalter Schauer nach dem anderen. Seine Schwestern grinsten schadenfroh. „Tut mir leid, Dad, aber im Augenblick habe ich keine passende Braut bei der Hand“, empörte sich Ray. Was sollte das? Niemals im Leben würde er heiraten, nicht nachdem …

„Am vierzehnten Juli präsentiert ihr uns eine Antwort bezüglich des Unternehmens“, forderte Rays Vater mit harter Stimme, „oder wir stellen die Zahlungen für eure Wohnungen, die Sportwägen, Restaurantbesuche und was weiß ich noch alles, ein.“

„Das ist Erpressung, Dad!“ Ray konnte es nicht fassen.

„Nein, Sohn. Das ist das Leben.“ Sein Vater runzelte die Stirn. „Grant und ich möchten, dass ihr euch bis zum Tag eurer Entscheidung ernsthaft nach einer adäquaten Frau umschaut. Vor allem du, Ray, solltest dir in dieser Hinsicht eine Chance geben.“

Sein Vater hatte ja keine Ahnung!

„Am vierzehnten ist mein Geburtstag“, stöhnte Tommy. „Wollt ihr mir den Tag versauen?“

„Dad, was die Firmen betrifft, darüber können wir reden“, wandte Ray um Ruhe bemüht ein. „Aber eine Frau? Wie soll man binnen weniger Tage die Richtige fürs Leben finden?“

„Nie agiert man besser als unter Zeitdruck, und ihr sollt ja nicht gleich heiraten. Es geht uns nur darum, dass ihr auch in dieser Hinsicht Ernsthaftigkeit zeigt.“

„Wie du willst.“ Ray schaffte es nicht mehr, seinen Zorn zu unterdrücken. „Aber beklag dich nicht, wenn dir meine Wahl missfällt. Womöglich verlobe ich mich mit einer Nutte.“

„Die arbeitet wenigstens. Im Gegensatz zu dir. Was also deine Zukünftige betrifft, ich werde dir nicht reinreden, versprochen.“ Wie gönnerhaft er sich gab. Von wegen weich und nachgiebig. „Hauptsache, du lernst endlich worauf es im Leben ankommt.“

„Was nur mit einer Frau funktioniert?“

„So ist es. Eine Familie erdet. Viel Glück, Jungs.“

Verdattert schauten sich Tommy und Ray an. Die meinten es tatsächlich ernst!

„Um euch in Ruhe nachdenken zu lassen, werdet ihr jetzt eure Sachen packen und nach Termonfeckin fahren“, informierte Grant sie.

„Nach Termonfeckin?“, entsetzte sich Ray.

„Genau. Unsere Gastfreundschaft ist erschöpft. Auf dem Weg dorthin könnt ihr euch Lebensmittel besorgen. Falls ihr vorhabt nach Hause zu fahren, verwerft den Plan. Eure Wohnungen werden von schweren Jungs bewacht, die Steve und mir noch einen Gefallen schulden.“

„Außerdem wird euch die Einsamkeit guttun.“ Rays Vater setzte sich und schob Frida sein Glas zu, die ihm den kläglichen Rest der Weinflasche einschenkte.

„Ich war nicht mehr dort seit Mutters Tod.“ Ray schluckte hart.

„Deswegen wird es Zeit. Deine Mutter wusste immer auf alles eine Lösung. Ich bin mir sicher, sie wird ein Auge auf dich haben. Wo könnte sie dir näher sein als in jenem Cottage, das sie zeitlebens geliebt hat?“

„Ich kann nicht dorthin.“

„Dann überwinde dich. Seit ihrem Tod hast du dich verändert. Bist rastlos geworden, unzuverlässig, hast jeglichen Respekt vor Frauen und dem Leben verloren. Als ob das nicht genug wäre, ziehst du auch Tommy mit in diesen Abgrund. Früher war er ein Mustersöhnchen.“

„Genau. Du bist schuld, Ray!“, fiel ihm sein Cousin in den Rücken.

„Das hättest du wohl gern. Nein, mein Freund, den Schuh …“

„Wie auch immer“, wurde Ray von seinem Vater unterbrochen, „Termonfeckin ist der einzige Ort, um dich endlich wieder selbst zu finden.“

„Eine Frau“, stotterte Tommy, als binde ihm jemand einen Strick um den Hals, „mich will doch keine. Im Gegensatz zu Ray bin ich kein Weiberheld.“

„Jeder Topf findet seinen Deckel.“ Grant zog die Hände aus den Taschen und schaute abwesend auf seinen Siegelring.

„Und ihr denkt, in dieser Einöde finden wir einen?“ Tommy fuhr sich mit beiden Händen durch das gekrauste kupferfarbene Haar.

„Einen Versuch ist es wert“, beharrte Grant. „Ich weiß ja nicht wie es euch geht“, er setzte sich ebenfalls, „aber ich habe einen Bärenhunger. Darum solltet ihr aufbrechen, Jungs, damit wir in Ruhe das Festmahl genießen können.“ Tommy und Ray standen fast gleichzeitig auf. Im Gesicht seines Cousins spiegelte sich die eigene Wut wider. Andererseits hoffte Ray, dass sein Vater die Farce damit beendete, dass sie lediglich einen Scherz gemacht hatten. Doch dessen Mund blieb verschlossen. „Eine Sache noch: Eure Sportwägen bleiben hier. Ihr hättet ohnehin kein Benzin mehr. Wir haben alles rauspumpen lassen. Lester leiht euch seinen Pick-up. Gute Fahrt.“

Ray schnappte die Packung Zigaretten, dann hetzte er Tommy hinterher.

„Die sind doch übergeschnappt!“, brauste sein Cousin auf, als sie die Tür hinter sich geschlossen hatten. Mit großen Schritten durchquerten sie die riesige Eingangshalle mit dem Granitsteinboden.

„Wem sagst du das. Am liebsten würde ich es ihnen heimzahlen und eine anschleppen, die ihnen so missfällt, dass sie uns ein paar Millionen zahlen um sie loszuwerden.“

„Warte mal“, Tommy hielt Ray am Ärmel zurück, „das ist es. Sie wollen eine Braut? Die können sie haben.“

„In Termonfeckin werden wir kaum fündig werden. Da habe ich alle durch.“

„Aber nicht im Google.“

„Du meinst …?“

„Genau“, sprach Tommy aufgeregt weiter. „Lass uns zwei Dumme finden, die uns heiraten. Natürlich wird die Hochzeit rechtzeitig platzen.“

„Spinnst du? Von Heirat war nie die Rede. Unsere Väter wollen lediglich, dass wir ernsthaft nach einer Frau suchen.“

„Aber wir liefern ihnen das Gesamtpaket.“

„Dein Plan ist reiner Selbstmord“, gab Ray zu bedenken. „Am Ende kommen wir nicht mehr aus dem Grab heraus, das wir uns schaufeln.“

„Vertrau mir. Im äußersten Fall können wir uns ja scheiden lassen.“

„Und verlieren einen Haufen Kohle!“

„Schon mal von einem Ehevertrag gehört? Wozu sind wir Anwälte?“

„Das kann nur nach hinten losgehen.“ Ray stapfte die Steinstufe hinauf. „Außerdem, so dumm kann keine Frau sein.“

„Wetten?“

7

Elisha gähnte verhalten und blickte sich im Wood & Steel um. Das Cafe in der Altstadt war mäßig besucht. Mit den vielen Fenstern und dem Glasdach wirkte es beinahe wie ein Gewächshaus. Im Inneren dominierten Holz und Stahl. Letzteres von der Bar bis hin zu den Stühlen und dem Dekor. Nur der Fußboden und die Tische waren aus hellem Holz. Trotz einer fast statischen Einrichtung war es behaglich im Cafe. Sicherlich auch bedingt durch die vielen Grünpflanzen. Jedenfalls war das Wood & Steel im Laufe der Zeit zu Elishas zweitem Wohnzimmer geworden, wie es auch das Wildcat Cafe ein paar Häuser weiter war. Ebenfalls ein gemütliches Lokal, das sogar zum Kulturerbe der Stadt gehörte.

„Ich liebe thailändisches Essen.“ Heidi griff zur Serviette und wischte sich über die fettigen Hände. Die zahlreichen Goldringe glänzten. Zwei Tische hinter ihr war die Bar, die von drei Männern belagert wurde, denen Reisha Roggenwhiskey nachschenkte. Die vierzigjährige Kellnerin hätte dem Äußeren nach ein weiteres Kulturerbe der Stadt sein können. Aber es war kein Wunder, dass sie so abgerissen aussah. Immerhin hatte sie täglich ein ziemliches Pensum zu bewältigen. Dennoch war Reisha immer gut drauf und die Gutmütigkeit in Person.

„Du hast drei Burger gegessen.“ Elisha stopfte sich eine Tomate in den Mund. „Wie kommst du auf Thai?“

„Weil ich Lust auf eine Nachspeise habe.“ Schon griff Heidi zur Karte und studierte sie eingehend.

„Eigentlich müsstest du sie auswendig können.“

„Essen ist wie guter Sex“, wurde Elisha prompt angepflaumt, „auf dieselbe Weise muss man sich der Speisenkarte hingeben. Sich öffnen wie ein gutes Buch, das man nicht weglegen möchte. Und wenn man am Ende angelangt ist, möchte man am liebsten von vorne beginnen. Carpe diem, meine Liebe.“

„Amen.“ Elisha schob den leeren Salatteller von sich und legte die Gabel darauf. „Ich bin am Ende angelangt und habe keine Lust, von vorne anzufangen.“

Heidi tat die Karte weg und griff über den Tisch hinweg nach ihrer Hand. Mitleid stand in ihren Augen, über die künstliche Wimpern fächerten. Das Lockenhaar trug sie zu einem Pferdeschwanz gebunden, an Ohren und Hals baumelte Goldschmuck. Ihre Wangen waren gerötet, der rote Kussmund zog sich nach unten. „Die Scheidung?“

„Bis heute Morgen bin ich eine verheiratete Frau gewesen.“

„Glaub mir, Elisha, das Single-Leben hat viele Vorteile.“

„Ach ja? Deswegen stehst du regelmäßig kurz vor einer Depression, suchst einen Seelenklempner auf und besäufst dich bei jeder Familienfeier.“ Es war ungerecht, Heidi anzugreifen, doch Elisha hatte eine Stinkwut im Bauch. Auf ihren Ex-Mann Stew, auf sich selbst, auf die ganze Welt da draußen.

„Du hast dich während deiner Ehe ebenfalls oft besoffen.“ Jetzt grinste Heidi.

Sie hatte ja recht. Hals über Kopf war sie mit Stew vor den Traualtar getreten. Ein Holzfäller, der sogar bei -37 Grad ohne Flanellhemd Holz hackte, um die Menschheit an seinem Muskelspiel teilhaben zu lassen.

Bei ihrem Kennenlernen war sein Balzverhalten imponierend gewesen, bis sie drei Monate nach der Heirat einsehen musste, dass sie eine Ehe zu sechst führte. Stew, sie, der Spiegel im Bad, der Spiegel im Gang, über dem Bett und an der Wohnungstür. Ständig warf er sich verliebte Blicke zu - ihr galten die genervten. Anfangs hatte sie versucht, diese Erkenntnis zu ignorieren. Um nichts in der Welt wollte sie zu der Masse geschiedener Frauen gehören. Deshalb hatte sie sich noch mehr ins Zeug gelegt als ohnehin - und hatte wie Stews Mutter gekocht, ihm zugehört wie eine Freundin und sich im Bett wie eine Prostituierte verhalten. Es war ein Wunder, dass sie vom Sex-Shop im Internet nicht geehrt worden war. Aber nichts hatte geholfen, im Gegenteil. Stew stellte sich sogar als notorischer Fremdgeher heraus. Die Spatzen hatten es bereits nach einem Jahr Ehe von den Dächern gepfiffen.

Langsam füllte sich das Wood & Steel. Der Stimmungspegel stieg. Besteck klirrte, Reisha behielt wie üblich stoische Ruhe. Selbst als zwei Kinder lautstark stritten und ihre Mahlzeiten auf den Tellern zu Brei zermalmten. Ermahnt von den Eltern, die schließlich die Achseln zuckten und eine Flasche Tequila bestellten.

Elisha blickte zum Eingang. Take care, but sod off, stand auf einem abgewetterten Schild neben der Tür. „Pass auf dich auf, aber verpiss dich“, las sie laut. Heidi war ihrem Blick gefolgt, tätschelte dann ihre Hand und griff erneut zur Karte. „Morgen muss ich übrigens zu Stew.“

„Soll ich mitkommen?“ Heidi musterte sie über den Rand der Karte hinweg.

„Nicht nötig.“ Elisha trank ein paar Schlucke Eiswein, den Reisha empfohlen hatte. Im Wissen, dass sie Weine aus der Niagara-Region besonders mochte. Aber heute hätte es auch billiger Fusel getan. „Er will mich wegen irgendetwas sprechen. Ich schenke ihm exakt zehn Sekunden. Es lohnt sich also nicht.“ Mit Nachdruck stellte sie das Glas ab und schielte zur Tequila-Flasche am Nebentisch. „Manchmal frage ich mich, warum ich aus unserem gemeinsamen Haus ausgezogen bin. Obwohl es ziemlich desolat ist, hat es einen gewissen Charme. Aber wenn ich daran denke, wie oft sich Stew in unserem Ehebett mit anderen vergnügt hat, während ich für den Lebensunterhalt geschuftet habe … nein, meine Entscheidung war im Nachhinein betrachtet goldrichtig.“

Reisha kam an ihren Tisch. „Na, Mädels, darf’s noch was sein?“ Sie zückte den Block und zog den Stift aus dem schwarzen Haar, den sie sich stets hinter das Ohr klemmte. Reisha entstammte den Inuiten, hatte sich als Künstlerin für Wandbehänge sowie Skulpturen in Yellowknife einen Namen gemacht, war mit einem Fischer verheiratet, Mutter von sechs Kindern und jobbte nebenbei als Kellnerin. Eine Powerfrau, die sicherlich gutes Geld mit der Kunst verdiente. Sie betonte jedoch oft, etwas Bodenständiges zu brauchen um nicht abzuheben, keines ihrer pubertierenden Kinder zu verschenken oder mit ihrem Mann Fische zählen zu müssen.

„Ich habe Lust auf Poutine“, verkündete Heidi und legte die Karte auf den Tisch. „Einen kleinen Lückenfüller könnte ich nämlich noch vertragen.“

„Klein?“ Reisha hob die Augenbrauen. „Möchtest du die Kinderportion?“

„Wo denkst du hin? Ich will schließlich satt werden.“

Reishas zweifelnder Blick streifte sie, bevor sie grinste. Dann stapelte sie das Geschirr aufeinander und schritt gemächlich davon.

„Wo waren wir stehengeblieben?“ Heidi kramte in ihrer goldenen Handtasche und zog den Non-Stopp-Lippenstift heraus.

„Dass ich im Gegensatz zu Stew wie ein Tier geschuftet habe.“ Selbst nach einem Jahr Trennung war Elishas Hass auf ihn nicht weniger geworden. Zumal sie ihm die Hälfte überlassen hatte müssen. Die Hälfte dessen, was sie im Laufe ihrer Ehe angeschafft hatte. Mitsamt dem gemieteten Haus in der Range Lake Road.

„Müssen wir unbedingt über die Arbeit reden?“ Gekonnt zog sich Heidi die vollen Lippen nach. „Ich habe keine Lust dazu. Wir haben Urlaub und sollten ihn genießen.“

Zwei Wochen Freizeit lagen vor ihnen und Elisha hatte keine Ahnung, was sie damit anfangen sollte. Untätigkeit würde zu noch mehr Frustration führen. Außerdem war sie zu ihren Eltern zurückgezogen. Es war erdrückend dort, genauso fühlte sich die Stadt an. Natürlich, sie mochte Yellowknife mit seinem bunten freundlichen Völkchen und einigen Events, aber derzeit schnürte ihr die Enge schier die Kehle zu. Abgesehen von einigen Aufenthalten in Mexiko und einer Viertagesreise nach New York, war sie ohnehin nie aus der Stadt hinausgekommen. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, ob es das gewesen war. Mit der Liebe, ihrem Leben, einfach mit allem.

„Dein Vater würde Luftsprünge machen, wenn ich den Urlaub nicht antrete“, murmelte Elisha „Die Firma platzt vor Aufträgen.“

„Das tut sie seit Jahren.“ Heidi zog einen Schmollmund. „Wir haben uns immer zur selben Zeit eine Auszeit genommen, um gemeinsam einiges zu unternehmen. Davon abgesehen rackern wir uns das ganze Jahr über ab und haben etwas Abwechslung verdient.“

„Sicher“, lenkte Elisha ein. „Doch im Augenblick denkt dein Vater über Mathews Nachfolge nach.“ Ihr Vorgesetzter wollte am Ende des Jahres in den Ruhestand gehen.

„Deine Chancen stehen nicht schlecht.“ Der Lippenstift glitt in die Tasche. „Immerhin habe ich ein gutes Wort für dich eingelegt. Vater wird dich befördern.“

„Wie oft hast du das schon gesagt? Aber wo bin ich? Nach wie vor im Vorzimmer.“

„Als Assistentin des Abteilungsleiters. Immerhin etwas.“

„Für mich zu wenig. Ich trete auf der Stelle. Außerdem will ich aufgrund meiner Leistung befördert werden, nicht weil du mich protegierst.“ Nach dem Schulabschluss hatten sie beide eine Stelle in der Burg Corporation angetreten. Heidis Vater Heinrich betrieb einen regen Abbau verschiedener Rohstoffe, besaß eine lukrative Goldmine sowie Erdölfelder und gehörte mit dreitausend Beschäftigten zu den größten Firmen im Umkreis.

„Du bist ein Marketing-Genie, das weiß Dad. Leider gehört er zu einer Generation, die Männern mehr zutraut als uns Frauen. Früher oder später wird er aber einsehen, dass sein Denken nicht zeitgemäß ist. Also hör auf zu jammern und warte ab. Immerhin sitze ich seit meinem Einstieg auch noch im selben Stuhl.“

„Weil du deinen Stuhl ins neue Büro hinübergeschoben hast. Du bist Chefbuchhalterin!“

Heidi wirkte zerknirscht. „Wenigstens einen Vorteil sollte man als einziges Kind schon haben, findest du nicht? Aber wirf die Flinte nicht ins Korn. Eines Tages wird mir Vater die Zügel in die Hand geben. Spätestens dann bist du die längste Zeit Assistentin gewesen.“

„Hörst du mir eigentlich zu? Ich möchte keine Almosen“, regte sich Elisha auf.

„Meine Güte, hast du eine Laune.“ In der nächsten Sekunde gab Heidi einen entzückten Ausruf von sich, weil Reisha den dampfenden Teller vor ihrer Nase abstellte. Pommes, Cheddar und Bratensauce wohin das Auge reichte. „Ich liebe Poutine, vor allem wenn der Käse zwischen den Zähnen quietscht“, hauchte sie, bevor sie abrupt den Kopf hob. „Der Käse quietscht doch, Reisha, oder?“

„Er ist keinen Tag älter als vierundzwanzig Stunden“, bestätigte Reisha, zwinkerte ihnen zu und nahm an den anderen Tischen Bestellungen auf, sowie die leere Flasche Tequila mit. Die abgefüllten Eltern lächelten sich über das Massaker auf dem Tisch hinweg an, flirteten mit ihren glasigen Augen und wiegten sich hin und her, als wäre das anhaltende Gezanke der Kinder Musik in ihren Ohren. An den anderen Tischen verteilten sich Wanderer, eine Gruppe Senioren und Tänzer aus dem örtlichen Tanzstudio. Durchtrainierte Menschen mit athletischen Körpern.

Elisha konzentrierte sich wieder auf Heidi, die mit halbgeschlossenen Augen quietschte. Erfahrungsgemäß würde sie die nächsten zehn Minuten in diesem komatösen Zustand bleiben. Genervt griff sie zum Weinglas und nippte daran. Einer der drei Männer an der Bar fing ihren Blick auf und lächelte. Ein weißblonder Hüne mit Koteletten, einem Vollbart und einer Gestalt wie ein Schrank. Der Typ erinnerte sie stark an Stew, weil sein Blick ständig zum Spiegel neben dem Notausgang glitt. Flugs hatte Elisha das Glas geleert und hob es in Richtung Reisha hoch, die ihr zunickte.

Wie schnell die letzten siebzehn Jahre vergangen waren. Während ihrer Schulzeit hatten Heidi und sie ständig zusammengesteckt und waren im wahrsten Sinne des Wortes dicke Freundinnen geworden. Der erste Kuss, der erste Sex, alles hatten sie geteilt und keine Geheimnisse voreinander gehabt. Die jeweilige Periode und den Brustwuchs hatten sie gebührend mit Zigaretten und Whiskey gefeiert. Meistens im Haus von Heidis Vater, der sich in den Weiten der Villa kaum blicken ließ und wo ihr Erbrochenes nicht weiter aufgefallen war.

Schöne Abende, vollgepackt mit Quatschen, dem gemeinsamen Weinen bei romantischen Filmen und dem Ausmalen einer schillernden Zukunft. Oft hatten sie sich vorgestellt, Kanada zu verlassen und die übrige Welt zu erobern. Doch im Gegensatz zu Heidi stammte sie aus der Mittelschicht und war schließlich dank Stew Decker in der untersten gelandet.

„Habe ich dir eigentlich schon erzählt“, erwachte Heidi mit vollem Mund zum Leben, „dass ich gerade eine Diät mache?“

„Aha.“ Seit Jahren kämpfte Heidi gegen die Pfunde an, doch die Lust am Essen war stärker. Manchmal haderte sie mit ihrem inneren Schweinehund, manchmal killte sie ihn. Vielleicht hätte sie mehr Ehrgeiz an den Tag gelegt, wäre sie bei der Männerwelt abgeblitzt. Heidi hatte jedoch einen enormen Verschleiß an One-Night-Stands oder Affären, je nachdem. Aber kein Mann hatte bisher sieben Dates überdauert, was sie damit erklärte, dass dieser Zeitraum genügen würde um herauszufinden, ob der jeweilige Lover zum Ehemann tauge.

„Vierzehn Tage Urlaub“, ließ sich Heidi die Worte auf dem Mund förmlich zergehen, bevor sie schluckte. „Das sind zweimal sieben.“

„Wow, dein Vater hat dich wirklich auf den richtigen Posten gesetzt“, mokierte sich Elisha lächelnd. „Du und deine Sieben.“

„Ist eben meine Glückszahl. So hat es auch bei uns begonnen, erinnerst du dich?“

„Natürlich.“

Reisha brachte das Glas Wein. „Der ist schon bezahlt“, flüsterte sie und deutete mit dem Kopf zum Blondschopf, der von einem Ohr zum anderen grinste.

„Sag ihm, dass er nicht mein Typ ist.“ Elisha schaute genervt zu Reisha hoch.

„Hach, Kleine“, raunte die Kellnerin, „pack die Gelegenheiten des Lebens beim Schopf statt sie mit Füßen zu treten. Bald bist du alt, runzlig, verbraucht und siehst abgerissen aus wie …“, sie dachte kurz nach, „mir fällt jetzt niemand spezielles ein … aber wenn du erst einmal älter bist, dann beachtet dich kein Typ mehr.“

Elisha winkte ab. „Von Männern habe ich die Schnauze voll. Sag ihm also bitte, dass ich absolut nicht interessiert bin.“

Reisha richtete sich auf. „Rugby wird enttäuscht sein.“ Wenige Sekunden später froren seine Züge ein, bevor er Elisha den Rücken zudrehte.

Heidi tauchte eine Pommes in die Sauce. „Das alte Rom wurde auf sieben Hügeln erbaut, die sieben Farben Newtons, die sieben Hauptchakren, sieben Wochentage, auf Wolke Sieben - du hast es selbst erlebt. Diese Zahl hat etwas Magisches und steht für Veränderung.“

Es dauerte, bis Elisha Heidis Aussage wieder einordnen konnte. „Du weißt, dass ich nicht an diesen Esoterik-Scheiß glaube.“

„Das wirst du. Eines Tages“, orakelte Heidi und schaute auf das Pommes, als halte sie einen teuren Rosenstrauß in den Händen. „Irgendwann … ach du liebe Zeit …“ Sie starrte an Elisha vorbei, die sich umdrehte. Freddy und sein Busenfreund Brandon betraten das Cafe. Beide inzwischen verheiratet und Väter. Während es viele ehemalige Mitschüler nach Europa gezogen hatte, blieben ausgerechnet sie der Heimat treu.

„Die kommen geradewegs auf unseren Tisch zu“, wisperte Heidi.

„Na, du Hübsche.“ Freddy baute sich breitbeinig vor Elisha auf. Brandon zupfte sich die Haartolle zurecht. Es gab Dinge, die würden sich nie ändern. „Feierst du deine Scheidung?“

„Wie du siehst, Freddy. Und du? Hat dich deine Frau endlich hinausgeschmissen?“

Sein Gesicht verfinsterte sich. „Dora und ich führen eine Ehe, von der du nur träumen kannst - und du erst recht, Walfisch.“ Er lachte dreckig auf Heidi herab.

„Das mache ich laufend“, konterte Elishas Freundin, „vor allem wenn ich Dünnpfiff habe. Sonst noch was?“

„Du bist fetter geworden.“

„Spar dir das Gesülze für Dora auf.“

„Komm schon, seit wann so biestig? Es gab Zeiten, da sind dir regelrecht die Augen herausgefallen wenn du mich gesehen hast.“ Selbstgefällig fuhr er sich ans schmale Kinn. An den Schläfen ergraute er bereits, tiefe Falten hatten sich in die schweißnasse Stirn gegraben. „Du warst total verknallt in mich, wie jedes Mädchen in der Schule.“ Er zwinkerte Elisha zu.

Die Gespräche verstummten allmählich.

„Was sich schlagartig geändert hat, als ich Spiegeleier aus denen gemacht habe.“ Heidi deutete grinsend auf seinen Hosenstall. „Tut es noch weh?“

„Ich habe drei Kinder gezeugt, was soll die dämliche Frage?“, verteidigte Freddy seine Männlichkeit.

„Hast du zufällig eine Karte von der Samenbank?“

„Sicher, ich gebe sie dir gerne. Wie soll eine Frau wie du sonst zu einem Kind kommen?“

Heidi zuckte unmerklich zusammen. Er hatte ihren wunden Punkt getroffen. „Nicht jede Frau will Mutter werden.“

„Da hat mir Stew aber etwas anderes erzählt. Spätestens mit dreißig möchtest du verheiratet sein und ein Jahr später Kinder haben. Wenn mich nicht alles täuscht, hast du in sieben Tagen runden Geburtstag.“ Heidi warf Elisha einen bissigen Blick zu. Dieser verdammte Trottel Stew! „Aber sag mal, da du hier bist, hat die Küche noch Fleisch übrig oder müssen wir woanders hin?“

„Es reicht!“, rief Elisha aus. „Lass sie endlich in Ruhe.“

„Nichts lieber als das.“ Die beiden gingen an die Bar. Freddy und Rugby begrüßten sich lautstark. Die Kinder starrten mit offenen Mündern zu ihrem Tisch herüber. Der Vater schlief mit zurückgelegtem Kopf, die Mutter sprach mit der halbvollen Whiskeyflasche. Die Senioren spielten Karten und die Tänzer diskutierten darüber, ob sie ins Black Knight Pub gehen sollten.

„Ich möchte nach Hause.“ Heidi legte das Besteck auf den Teller. Zwei einsame Pommes lagen aufgeweicht in der Sauce. „Mir ist der Hunger vergangen.“

„Du darfst dich von Freddy nicht runterziehen lassen.“

Ein verletzter Blick traf sie. „Musstest du ausgerechnet Stew von meinem Wunsch erzählen?“

„Tut mir leid. Am Beginn unserer Ehe gab es noch so etwas wie ein Vertrauensverhältnis. Ich habe mir nichts dabei gedacht.“

„Schon gut.“ Heidi seufzte. „Ich bin es leid, mich wegen meiner Figur verteidigen zu müssen. Leid, ständig auf meinen Mr. Big zu warten. Alles was ich will ist heiraten, Kinder und ein eigenes Heim. Ist das zu viel verlangt?“

„Natürlich nicht. Aber ich dachte, du hättest dich damit abgefunden.“

„Womit? Damit, ewiger Single zu sein? Ach, Elisha, ich rede mir mein Dicksein schön und behaupte glücklich zu sein. Mit meiner Lebensplanung verhält es sich genauso.“

„Und ich dumme Kuh denke nur an meine eigenen Probleme.“

„Das hat mich wenigstens von meinen abgelenkt.“ Heidi warf einen kurzen Seitenblick zu den Kindern, die mit dem Handy ihrer Mutter spielten.

Der Internetdienst Google leuchtete auf.

„Allerdings“, Heidis Grinsen kehrte zurück, „wenn das Glück nicht zu mir kommt, muss ich eben nachhelfen.“

Sieben Tage bis zur Hochzeit

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