Читать книгу Sieben Tage bis zur Hochzeit - Bettina Reiter - Страница 6

2. Kapitel

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„Du weißt schon, dass du nackt bist, Stew?“

„Stört es dich?“ Elishas Ex machte eine einladende Geste. Schnell stakste sie an ihm vorbei. Nicht auszudenken, wenn Nachbarn auf diesen Empfang aufmerksam wurden. Im Nu würden sich Gerüchte in der ganzen Stadt verbreiten. „Ich dachte, wir kommen gleich zur Sache“, rief er ihr hinterher, als sie fast in der Wohnküche war. Die Tür fiel ins Schloss.

„Bist du deshalb nackt?“, machte sie sich lustig über ihn und fragte sich gleichzeitig, ob er meinte was sie dachte. „Also, weshalb bin ich hier?“ In der Abspüle stapelte sich Geschirr. Zwei dreckige Pfannen schmückten den Gasherd. Fliegen machten sich über die schimmeligen Reste her. Der Aschenbecher auf dem Wandtisch quoll über. Ein pinkfarbener BH lag über der Sessellehne, zwei Sektgläser standen auf dem Fenstersims. Eines mit pinkem Lippenstift am Rand. Stew schien sein Single-Dasein zu genießen.

„Kann ich dir etwas anbieten?“ Ihr Ex stemmte die Hände in die Hüften, nachdem er sich an den Brusthaaren gekrault hatte. Elisha lehnte sich gegen den Tisch.

„Danke, nein. Ich hänge an meinem Leben.“

„Echt? Seit wann?“ Mit anzüglichem Grinsen kam er näher. „Du siehst toll aus. Neue Frisur?“ Ehe sie reagieren konnte, umfasste er eine ihrer Haarsträhnen und ließ sie durch die Finger gleiten. Elishas Atem beschleunigte sich. Trotz ihrer Wut, eines musste man Stew lassen: Er war ein guter Liebhaber gewesen.

„Ich habe meine Haare wachsen lassen, das ist alles.“

„Überall?“

„Sicher, das magst du doch so gerne.“

Kurz zog er die Stirn kraus, dann musterte er ihr Gesicht. „Wenn du nackt wärst, würden deine Haare die vollen Brüste bedecken“, raunte er und fuhr mit seinem Finger sacht über ihren Hals. „Was für ein Kontrast. Dunkelbraunes Haar auf blasser Haut. Warum hast du während unserer Ehe auf dem Kopf ausgesehen wie ein Soldat?“

„Weil du mich herumkommandiert hast?“

„Komm schon, so schlimm war ich auch wieder nicht. Aber du weißt ja, das Auge isst mit. Manchmal habe ich gedacht, ein Mann liegt neben mir.“

„Wie nett!“, erwiderte sie kurz vor einer Schnappatmung, weil sein Finger über ihre erhärteten Warzen glitt. Es war zu lange her, seitdem sie mit einem Mann geschlafen hatte. Genau genommen war die zweite Betthälfte seit der Trennung vor einem Jahr leer geblieben.

Als sein Mund ihre Wange berührte, stöhnte sie leise auf. Verdammt, sie würde sich doch nicht auf ihren Ex einlassen? Nicht nach allem, was ihr dieser Vollidiot angetan hatte. Das konnte sie unmöglich zulassen - Stews Zunge spielte mit ihrem Ohrläppchen - andererseits …

„Ich habe mich damals auf den ersten Blick in dich verliebt“, schmeichelte er ihr. „In diese geheimnisvollen grünen Augen. Den vollen Mund, den ich auch jetzt unbedingt küssen will. In deine sinnliche Ausstrahlung, diesen Sexappeal. Wenn du gehst“, seine Hände umschlangen ihre Hüften, „bewegst du dich wie eine geschmeidige Katze. Du machst mich scharf, Elisha.“ Geschirr klirrte, als er sie auf die Arbeitsplatte hob. „Ich will dich.“ Fordernd küsste er sie auf den Mund und schob gleichzeitig ihren Jeansrock höher. Zum Teufel mit dem Hass, im Augenblick wollte sie ein Abenteuer. Sehnte sich nach Sex, purem Sex. Ohne jegliche Verpflichtung. Die Leviten konnte sie ihm später lesen.

Darling? Wo bleibst du denn so lange?“, ertönte es plötzlich aus dem Schlafzimmer.

Elisha erstarrte.

„Aua!“, rief Stew im selben Moment aus und fuhr sich mit vorwurfsvollem Blick an die blutende Unterlippe. „Du hast mich gebissen.“

„Sei froh, dass ich nicht dein Ding zwischen den Zähnen hatte“, keifte Elisha, hüpfte herunter und richtete sich den Rock. „Du Arschloch machst mich an, während eine deiner Tussis in unserem Ehebett liegt. Was soll das?“

„Ich bin auch nur ein Mann. Du siehst zu umwerfend aus, als dass du mich kalt gelassen hättest. Außerdem warst du ein Vulkan im Bett. Fantasievoll und unersättlich.“ Er räusperte sich. „Eine Ménage-à-drois, wie lange habe ich davon geträumt. Celine wäre sicher einverstanden.“

„Bist du verrückt?“, brüllte Elisha und tippte sich an die Stirn. „Hast du mich deswegen her zitiert?“ Sie gab ihm einen Schubs, als sie an ihm vorbeistapfte.

„Eigentlich wollte ich dich fragen, ob du mir Geld leihen könntest.“

„Vergiss es.“ Elisha riss die Haustür auf. „Und vergiss am besten meinen Namen, meine Handy-Nummer und unsere Ehe. Tu einfach so, als wären wir uns nie begegnet.“ Sie eilte die drei Stufen hinunter und öffnete die Autotür. Wie üblich hatte sie den Schlüssel stecken lassen.

„Ich kann dich nicht vergessen, Elisha.“ Er fasste nach ihrem Arm und drehte sie zu sich herum.

„Erspar uns das. Du willst nur Geld und hast versucht, es dir auf schäbige Art zu besorgen. Im doppelten Sinn.“

„Du irrst dich! Ich habe nie aufgehört dich zu lieben.“

Trocken lachte Elisha auf. Dabei bemerkte sie, wie sich der Vorhang hinter Mrs. Grannigens Fenster bewegte. Die Neunzigjährige sorgte gern für allerhand Klatsch. Aber ihren kugelrunden Augen nach zu urteilen, konzentrierte sie sich eher auf Stews bestes Stück.

„Lass mich gefälligst los, du Mistkerl!“

„Erst wenn du mir zuhörst.“

„Das habe ich lange genug getan.“ Ihr Zorn verrauchte plötzlich. Alles was blieb, war, dass sie sich unheimlich schwach und verletzt fühlte. „Aber wann hast du mir je zugehört?“

Verdutzt zog er die Hand zurück und raufte sich das Haar. „Nie“, stellte er beinahe tonlos fest. In diesem Moment schien Stew ehrlicher zu sein als er es ihre gesamte Ehe über gewesen war. „Sorry, Baby, ich bin tatsächlich ein Mistkerl gewesen. Dennoch bitte ich dich um eine zweite Chance.“

„Ist deine Geliebte arbeitslos?“

„Darum geht es nicht, obwohl ich dein Misstrauen verstehe.“

„Eine späte Einsicht.“

„Zu spät?“

„Ist das eine rhetorische Frage?“ Elisha stieg ein. „Das war’s, Stew. Lass mich einfach in Ruhe.“ Sie ließ den Wagen an. Der Kies knirschte unter ihrem roten Toyota, als sie Gas gab. Stew lief hinter ihr her, bis er irgendwann stehenblieb und im Rückspiegel immer kleiner wurde. Ohne Ziel lenkte sie den Wagen durch die Stadt. Jegliches Zeitgefühl kam ihr abhanden, bis sie sich irgendwann am Ufer des Long Lake befand. Keine Menschenseele war weit und breit zu sehen. Nur Einsamkeit um sie herum, Wind und Kälte. Trotz Sommer, der Nachmittag brachte kaum mehr als 21 Grad zustande.

Mit Tränen in den Augen sank sie in das weiche Gras und strich sich die Haare aus dem Gesicht. Dann zog sie die Beine an, umspannte die Knie mit den Armen und beweinte ihr Leben. Ihre Ehe. Stew, das Scheitern. Ihr Versagen, den Falschen gewählt zu haben im Glauben, er wäre ihre große Liebe. Doch wie unzählige Male zuvor, hatte sie direkt in die Jauche gegriffen und einen weiteren Freddy herausgezogen. Ihm waren einige Jungs derselben Sorte gefolgt, mit denen sie erste Küsse austauschte. Michael Longlay hatte sie schließlich zur Frau gemacht. Rugby-Spieler und Mädchenschwarm. Weshalb fiel sie ständig auf solche Typen herein?

Verschwommen lag der Lake vor ihr. Eigentlich war Yellowknife mit seinen knapp neunzehntausenddreihundert Einwohnern nicht zu klein, um stets die stumpfesten Nadeln im Heuhaufen zu finden. Zumal man Yellowknife auch als ´Stadt der Polarlichterˋ bezeichnete. Ein Naturschauspiel, das jährlich viele Touristen anlockte. Aber selbst unter denen hatte sich bisher jeder Mann als Fehlgriff herausgestellt. Nach Michael war Hansi gekommen - im wahrsten Sinne des Wortes. Ein österreichischer Skilehrer, der jedoch mehrere Pisten gleichzeitig befahren hatte. Giovanni mit seinen glutvollen Augen hatte ebenfalls zu viel ´Amoreˋ im Blut gehabt und sogar in ihrem Beisein mit einer anderen Frau geknutscht. Vasili war ihr dann über den Weg gelaufen, als sie weinend das Lokal verlassen hatte. Sie waren im Bett gelandet, aber leider kam es nicht zum Höhepunkt. Dabei hatte sie ihn ständig darauf hingewiesen, dass er zu schnell oder zu langsam sei, was sie mochte und was weniger und sie hatte von einer gemeinsamen Zukunft inklusive Kindern gesprochen. Hochzeit, miteinander alt werden, Enkelkinder. Eigentlich Themen, womit man jedem Mann zeigte, dass man ihn und diese frische neue Beziehung ernst nahm. Aber wie auch immer, Vasili war am nächsten Tag spurlos verschwunden.

Elisha straffte die Schultern. Zum Teufel mit den Männern! Ab jetzt würde sie eher ins Kloster gehen, als sich noch einmal auf einen Typen einzulassen.

„Da bist du ja endlich, Puschel.“ Ihr Vater erhob sich vom Sofa, als Elisha drei Stunden später den Wohnraum betrat. Mit schlurfenden Schritten kam er ihr entgegen. Er trug seinen senffarbenen Lieblingspullover, die braunen Hosenträger und eine ausgeleierte Jeans, über deren Bund sein Bauch hing. Wieder einmal stellte Elisha fest, wie sehr er im Gesicht dem Schauspieler Danny de Vito glich. Nur der graue Schnauzer störte den Vergleich.

„Dad, ich bin keine fünfzehn mehr. Du musst nicht auf mich warten.“ Sein vertrauter Geruch nach Zigaretten war einem strengen Duft gewichen. Seitdem er das Rauchen aufgegeben hatte, sprühte er sich ständig damit ein. Elisha hatte ihn zwar schon ein paar Mal darauf hingewiesen, dass es sich bei seinem Parfüm um einen Toiletten-Spray handelte, aber da die Flasche günstig und ziemlich ergiebig war, blieb er bei dieser Marke.

„Doch, ich musste.“ Er grinste, bevor er sich auf Zehenspitzen stellte und ihr einen feuchten Kuss auf die Wange drückte. Dann wedelte er mit einem Brief vor ihrem Gesicht herum. „Du hast Post bekommen.“

„Von wem?“ Elisha schlüpfte aus ihren beigen Ballerinas und schob sie mit dem Fuß unter die Kommode. Staubflocken wirbelten federartig heraus.

„Von deinem Verlag. Sieht offiziell aus. Vermutlich die erste Abrechnung.“

Vor einem halben Jahr hatte sie unter dem Pseudonym John Doe einen Liebesroman veröffentlicht: ´Der Geliebte ohne Gesichtˋ. Mit den Absagen zuvor hätte sie das ganze Haus tapezieren können, doch schließlich hatte sich ein Verlag erbarmt. Der Chef hatte sich zuversichtlich gezeigt, dass sich das Buch gut verkaufen würde.

„Mal sehen, wieviel es ist“, sagte Elisha mit mehr Hoffnung in sich, als sie nach außen hin zeigen wollte. Ob im Brief die Antwort auf all ihre Probleme stand? Wie oft hörte man von Autoren, die praktisch über Nacht reich wurden. Lizenzen ins Ausland verkauften und auf großem Fuß leben konnten. Ihr Buch war gut, sehr gut sogar. Warum sollte es bei ihr anders sein? Fieberhaft überlegte sie, was sie mit so viel Geld tun könnte und starrte dann auf die Zahl unter dem Strich.

„Was ist, Puschel?“, stieß ihr Dad atemlos aus. „So viel?“

„In der Tat“, stotterte sie und ließ sich auf die Couch fallen.

„Du liebe Zeit, wie hoch ist die Summe?“

„Ein Dollar sechzig.“

Kurzes Schweigen.

„Hauptsache, du hast etwas verdient.“ Ihr Vater trat neben sie und legte ihr unbeholfen die Hand auf die Schulter. „Ich bin stolz auf dich, Puschelchen.“

Verstimmt schaute sie zu ihm hoch. „Dad, das ist nicht komisch.“

Ächzend setzte er sich neben Elisha, legte seinen Arm um sie und drückte sie an sich. „Es ist mein voller Ernst. Ich bin unheimlich stolz auf dich.“

„Worauf? Dass ich fünf fertige Manuskripte im Schreibtisch liegen habe, die keiner will?“

„Immerhin hast du ein Buch veröffentlicht.“

„Eins, das im letzten Halbjahr zwei Menschen gelesen haben. Womöglich Freddy und Brandon, um es eines Tages gegen mich zu verwenden. Oder um eine vernichtende Rezension zu schreiben.“ Zornig legte sie den Brief auf den Wohnzimmertisch, in dessen Mitte ein kitschiger Kerzenständer aus Porzellan stand. „Was habe ich mir nur dabei gedacht, einen Liebesroman zu schreiben? Ausgerechnet ich?“

„Du hast es wenigstens probiert. Ich bewundere dich dafür, dass du nie aufgegeben hast, obwohl du einige Absagen bekommen hast.“

„Einige?“, würdigte sie sich selbst herab. „Ach, Dad, mein Leben ist ein einziger Scherbenhaufen.“

„Na, na, na, wer wird denn gleich weinen.“ Sein von dicken Schwielen gezeichneter Zeigefinger schob sich unter ihr Kinn, und hob es sanft an. Wie oft hatte er sie getröstet. War neben ihr hergelaufen, um ihr das Radfahren beizubringen. Hatte sie am ersten Schultag fotografiert, und zu Mittag vergessen abzuholen. Besonders die Campingausflüge würden ihr stets in Erinnerung bleiben. Nur ihr Bruder Tylor, ihr Dad und sie in der Wildnis Kanadas. Die Mutter war zuhause geblieben, da sie solche Unternehmungen nicht ausstehen konnte. „Ich bin keineswegs stolz darauf, dass ich es im Leben nicht weit gebracht habe. Wie gern hätte ich euch viel mehr ermöglicht, Elisha.“

„Du bist der beste Dad der Welt. Das kann man mit keinem Geld bezahlen.“

Er lächelte zaghaft. „Und du das Beste, das mir im Leben passiert ist. Abgesehen von deinem Bruder.“

„Der glücklich verheiratet in Calgary lebt und mit zwei Kindern gesegnet ist.“ Elisha legte den Kopf an seine Schulter. Liebevoll strich er über ihren Rücken.

„Tylor hat eben schneller nach dem Glück gegriffen als du. Dein Tag kommt auch irgendwann. Deine Mutter betet jeden Tag dafür, und du kennst Rose. Irgendwann geht sie dem Herrn so auf die Nerven, dass er sie loswerden will. Glaub mir, ich weiß wovon ich rede.“ Er grinste entschuldigend. Ihre Mom war keine einfache Frau und führte ein strenges Regiment. Das ging jedoch nur, weil ihr Dad nachgiebig war und versuchte, ihr jeden Wunsch von den Augen zu lesen - obwohl er hart für ihre Wünsche geschuftet hatte. Zeitlebens untertage, oft auch an den Wochenenden. Im Winter hatte er sogar als Ice-Road-Trucker gearbeitet. Von Yellowknife ausgehend führte die längste Eisstraße der Welt über einige Seen. Zwar hatte die ´Tibbitt to Contwoyto Winter Roadˋ ab Jänner nur zwei Monate geöffnet, doch jeder im Haus war immer froh gewesen, wenn ihr Vater nach dem Schließen der Straße den Truck wieder einem anderen Fahrer übergeben hatte. Obwohl die Arbeit im Bergwerk nicht weniger gefährlich gewesen war. Pausen hatte er sich jedenfalls kaum gegönnt und die Anstrengung hatte sich förmlich in sein sechzigjähriges Gesicht gegraben, von der ungesunden Blässe ganz zu schweigen.

„Wie schaffst du es bloß, Mutter zu ertragen? Versteh mich nicht falsch, ich liebe sie, obwohl sie wahnsinnig anstrengend ist. Egal ob sie alles besser weiß oder uns in Verlegenheit bringt.“

„Liebe erträgt vieles“, antwortete er schlicht. „Lass dir eins gesagt sein, Puschel: Man muss aus allem nur eine wichtige Sache herausziehen und zwar die Zufriedenheit. Egal, ob man positive oder negative Erfahrungen macht. Darum halte dir stets vor Augen was du hast - nicht was du möchtest.“

7

Sonnenlicht lag über Yellowknife. Nach einer unruhigen Nacht frühstückte Elisha mit ihren Eltern auf der schmalen Veranda, bevor sie in die Stadt fuhr. Dort erledigte sie einige Zahlungen, besorgte Lebensmittel im Auftrag der Mutter und bummelte eine Weile durch die Einkaufsmeile. Es konnte nicht schaden, die Heimfahrt hinauszuzögern. Ihre Mutter hatte sie genötigt, mit ihr am Nachmittag in das Einkaufscenter zu fahren. Einmal im Jahr gönnte sie sich das Vergnügen, und bescherte Elisha damit regelmäßig einen Horrortrip.

Sie seufzte, als sie an der City Hall vorbeispazierte. Viele Pärchen nutzten den Tag, um im Park ein Picknick zu machen. Familien oder Frischverliebte, die sich früher oder später wieder trennen würden. Wegen dem Geld, der Untreue oder den Kindern. Kein Glück währte ewig. Mit diesem Gedanken setzte sie sich auf eine Parkbank, überkreuzte die Beine und legte sich die Tasche auf den Schoß. Dann hielt sie ihr Gesicht in die Sonne und genoss die Wärme. Irgendwann rumorte ihr Magen. Deshalb entschloss sie sich, im Sushi North einen Happen zu essen. Im Urlaub durfte sie sich ruhig etwas gönnen.

Als sie die 50th Ave hinunterschlenderte, kam ihr in den Sinn, dass sich Heidi noch nicht zurückgemeldet hatte, obwohl sie vor der Fahrt in die Stadt bereits dreimal bei ihr angerufen hatte. Selbst nach einer großen Portion Sushi hatte das Handy nicht geläutet. Lediglich gepiepst, da Trin und Josie eine SMS geschickt hatten. Verbunden mit der Frage, ob sie eine Idee hätte, was sich Heidi zum Geburtstag wünschte. Am Dienstag wollte ihre Freundin eine große Party steigen lassen. Aber was schenkte man jemandem, der alles hatte?

Zwei Stunden später begleitete Elisha ihre Mutter. Besser gesagt, sie trottete hinter ihr her und blieb in gebührendem Abstand stehen, wenn sie etwas zu kaufen drohte. Da sie feilschte wie auf einem türkischen Bazar, wollte sie nicht mit ihr in Verbindung gebracht werden. Inzwischen war sie geübt darin, im richtigen Augenblick unterzutauchen. Wie ein Guerilla-Kämpfer kannte sie die Nischen und Notausgänge des Centers in- und auswendig oder verstand es, sich dumm zu stellen.

„Wie viel hast du noch einmal mit deinem Bestseller verdient?“, rief die Mutter an einem Schmuckstand zu ihr herüber, über den in großen Lettern ´Cartierˋ stand. Unzählige Köpfe wandten sich Elisha zu, die sich ebenfalls suchend umdrehte. „Ach, diese jungen Dinger“, hallte die Stimme ihrer Mutter wider, als spräche sie in ein Mikrophon, „ständig sind sie mit den Augen woanders. Haben Sie Ohrringe für einen Dollar sechzig?“

„Ich muss Sie leider enttäuschen.“

„Papperlapapp, dann nehme ich eben nur einen. Der da würde mir gefallen.“

Vorsichtig wandte sich Elisha wieder um. Ihre Mutter beugte sich über das Schauglas und fuchtelte mit dem Zeigefinger herum. Die Schaulustigen gingen weiter. Nur zwei Schritte entfernt gab es einen Notausgang. „Oder die Kreolen mit den Glitzersteinchen. Die kleinen Scheißerchen sehen ja verdammt echt aus heutzutage.“ Ihr rattengraues Haar wirbelte mit dem Finger um die Wette, während sich der Verkäufer mit einem Tuch über die Stirn wischte. Zum geblümten grünen Faltenrock trug ihre Mom gelbe Sneakers, die sie aus dem Mülleimer der Nachbarn gefischt hatte. Das T-Shirt mit dem Playboy-Bunny auf der Brust musste sie aus einem ihrer Koffer haben. Elisha nahm sich vor, ein paar Schlösser mitzunehmen.

„Wie gesagt, wir führen keine …“

„Sie sind mir ein ganz freundlicher, was? Noch nie etwas von Kundenzufriedenheit gehört? Mein Puschelchen soll für ihre Mühe einen anständigen Lohn erhalten.“

„Hat sie den nicht schon bekommen?“, belustigte sich der Verkäufer. Der Kopf ihrer Mutter schnellte in die Höhe. Sein Grinsen wirkte in der nächsten Sekunde wie festgefroren. „Lassen Sie uns zur Abteilung für Modeschmuck gehen. Dort finden wir sicher etwas Günstigeres als hier.“

„Na, es geht doch.“ Sie winkte Elisha zu. „Ich bin kurz weg, Puschelchen. Zieh dir die Jacke an, es ist kalt hier drinnen. Die Lüftungsanlage bläst einem ja das Gehirn aus dem Kopf. Darüber sollte man sich unbedingt beschweren und …“

Elisha atmete auf, als sie mit dem Verkäufer in den Aufzug verschwand. Doch sogar durch die geschlossenen Türen konnte man sie hören. Ob sie nach Hause fahren sollte? So tun, als hätte sie die Mutter vergessen? Es wäre nicht zum ersten Mal passiert. Aber sie entschloss sich dagegen. Schließlich hatte sie selbst eine Mission: Heidis Geburtstagsgeschenk.

In einem Geschäft erstand Elisha ein rosafarbenes Seidentuch. Heidi hatte ein Faible für diese Farbe. Eine lustige Geburtstagskarte, Geschenkpapier und andere Kleinigkeiten wanderten in die Tüte sowie ein Buch, das ihr wärmstens empfohlen wurde: ´Fiftey Shades of Greyˋ. Der Verkäufer hatte Schweiß unter den Achseln, als er das Buch nach einem hastigen Blick in alle Richtungen über den Ladentisch schob, als handle es sich um heiße Ware. Obendrein legte er ihr nahe, vorsichtig zu sein. Verwundert packte sie das Buch ein und machte, dass sie davonkam.

Draußen prallte sie beinahe zurück, als sie die Lautsprecherdurchsage hörte: „Rose McBryan wartet verzweifelt am Empfang und möchte von Puschelchen abgeholt werden.“

Mit heißen Wangen hetzte Elisha dorthin, fasste nach der Hand ihrer Mutter und zog sie mitsamt den zwei Tüten hinter sich her.

„Nicht so grob mit der alten Dame“, ermahnte die pummelige Frau hinter dem Empfang.

„Rufen Sie das Jugendamt an!“ Elisha war stinksauer. Obendrein hatte ihre Mutter rotgeweinte Augen. Konnte dieser Tag noch schlimmer werden? „Was hast du dir nur dabei gedacht, Mom?“

„Wobei?“

„Mich ausrufen zu lassen. Ständig bringst du mich in peinliche Situationen. Himmel nochmal, du bist erwachsen und hättest im Notfall den Bus nehmen können.“

„In diesen Zeiten? Man hätte mich entführen können.“

„Dich nimmt keiner freiwillig mit.“

„Danke für das Kompliment! Dabei habe ich dir wunderschöne Ohrringe gekauft.“ Sie deutete mit dem Kopf auf ihre vier Einkaufstüten. „Neongelb, mit Herzchen.“

Elisha ließ ihre Hand los und blieb stehen. Auch ihre Mom tat es. Leute drängten an ihnen vorbei. Leise erklang Orchestermusik aus den Boxen. „Entschuldige, aber manchmal bist du … du …“

„Anstrengend?“

„Ja.“

Ein zaghaftes Lächeln umspielte den Mund ihrer Mutter. „Ich weiß, aber seitdem ihr von zuhause ausgezogen seid, fühle ich mich einsam.“

„Ich bin wieder eingezogen, falls es dir entgangen ist“, half Elisha ihr auf die Sprünge.

„Schon, aber du bist ständig in der Firma und dein Dad meistens im Keller, um zu basteln. Tylor meldet sich ohnehin nur zu Festtagen.“ Elisha plagte auf einmal das schlechte Gewissen. „Dass ich alles besser weiß, ist mir klar. Doch wenigstens habe ich dann das Gefühl, zu etwas gut zu sein.“

„Mom, du bist ein verrücktes Huhn“, überspielte Elisha ihre Betroffenheit. Sie hatte keine Ahnung gehabt, wie traurig sie in Wirklichkeit war. Wie ein kleines Kind versuchte sie Aufmerksamkeit zu bekommen, indem sie sich in den Vordergrund spielte. „Trinken wir einen Kaffee?“ Elisha deutete zur Cafeteria in ihrer Nähe.

„Nichts lieber als das.“ Kaum ausgesprochen, saß ihre Mutter schon und drapierte mit feierlicher Miene die Tüten um sich herum. „Hach, Puschelchen, wie ich die Zeit mit dir genieße.“

All das sagte sie in fünf Metern Entfernung!

Elisha hetzte zum freien Stuhl. „Bitte, sprich nicht so laut.“ Sie stellte ihre Tüten neben sich auf den Boden.

Ihre Mutter überblickte die besetzten Tische. „Bringe ich dich wieder in Verlegenheit?“, fragte sie kaum gedämpfter. Niemand konnte erwarten, dass sie sich von einer Sekunde auf die andere änderte. Aber hoffen durfte man wenigstens.

„Wie war der Gottesdienst gestern?“, wechselte Elisha das Thema. Nichts war harmloser als ein Gespräch über die Kirche.

„Wie immer. Nach der Messe habe ich allerdings den Pater aufgesucht und ihm erzählt, dass du ständig Pech mit Männern hast.“

Die belustigten Blicke fühlten sich wie Nadelstiche an. Elisha fuhr sich mit dem Zeigefinger an den Mund. „Schschsch, Mom.“

„Schon gut, schon gut.“ Sie beugte sich verschwörerisch zu Elisha. „Auch der Pater meinte, der Richtige muss dich finden, nicht umgekehrt.“

„Sicher, unser Pater hat ja enorm viel Erfahrung in solchen Sachen.“

„Ein neutraler Mensch sieht oft mehr als unsereins. Außerdem ist er ein Diener Gottes.“

„Sag bloß, die beiden haben sich über mich unterhalten?“

„Du klingst anmaßend.“

Elisha sandte einen entschuldigenden Blick nach oben. „Verzeih, Herr.“

„Statt zu freveln, solltest du glauben. Vielleicht ist deine saloppe Einstellung zur Kirche schuld daran, dass du noch alleine bist.“

„Ich bin erst seit kurzem geschieden und glücklich mit meinem Leben. Wer braucht Männer?“

Ein zweifelnder Blick ruhte auf ihr. „Jeder braucht einen Menschen, den er lieben kann.“

„Ich habe euch.“

„Wir werden nicht ewig leben“, rief ihre Mutter aus. „Und was ist mit Sex?“

„Mom!“ Elisha sank tiefer in den Stuhl. „Das ist kein Thema, das ich ausgerechnet mit dir besprechen will.“

„Schade. Ich könnte dir viel erzählen. Gut, dein Vater mag nicht mehr der Hengst von früher sein, aber er ist alles andere als ein Ackergaul. Gestern Nacht …“

„Heidi würde gern das Rezept deines Käsekuchens haben“, übertönte sie ihre Mutter und wünschte sich, dass sich die Erde auftun und ihre Mom für einige Wochen verschlucken würde.

„Es wäre besser, wenn das Moppelchen auf Zucker verzichten würde.“

Zwei Kaffee und unzählige Backrezepte später, parkten sie vor dem Elternhaus. Ein fröhliches Lied pfeifend schnappte ihre Mom nach den Tüten und eilte in das Haus. Elisha erholte sich am Auto gelehnt von der Strapaze. Einerseits hatte sie sich ihrer Mom heute zum ersten Mal seit langem wieder nahe gefühlt, andererseits war kaum damit zu rechnen, dass sie sich um 180 Grad ändern würde. Wie hatte ihr Dad gesagt? Man sollte sich mit dem zufrieden geben, was man hatte. Im Grunde durfte sie sich nicht beklagen. An Liebe hatte es nie gemangelt. Es gab sicherlich einige, die lieber Überfürsorge hätten statt ignoriert zu werden. Allen voran Heidi, die nach dem Abendessen endlich anrief.

Um acht Uhr trafen sie sich mit Trin und Josie im Black Knight Pub. Das Lokal versprühte schottisches Flair. Am Wochenende spielte manchmal eine Live-Band. Es war wie immer nett, zu viert die Nacht zum Tag zu machen. Meistens machten sie sich einen Spaß daraus, mit Cocktails in ´Sex and the City-Manierˋ zu feiern, auch wenn sie äußerlich keiner der Schauspielerinnen glichen. Nur Heidis Charakter kam der Rolle Samanthas ziemlich nahe. Doch heute flirtete sie weder noch verschwand sie mit einem Mann auf die Toilette, sondern blieb sitzen und ziemlich einsilbig. Ob es am bevorstehenden Geburtstag lag? Man sagte ja, dass die magische Dreißig nicht immer einfach sei für das weibliche Geschlecht. Für Heidi war es vermutlich doppelt schwierig, weil sie sich in diesem Alter bereits als verheiratete Frau gesehen hatte. Umso mehr versuchte Elisha alles, um Heidis Laune steigen zu lassen, aber die hatte ihre Laune erst gar nicht mitgenommen - und fuhr bereits vor Mitternacht brummig nach Hause. Damit war auch für Elisha der Abend gelaufen und nur eine halbe Stunde später brach sie ebenfalls auf.

7

Nachdem Elisha am nächsten Tag fast bis Mittag geschlafen hatte, machte sie mit ihren Eltern einen Ausflug zum Großen Sklavensee. Ihre Mutter bemühte sich um Zurückhaltung, was ihr nur mäßig gelang, aber immerhin. Doch die Freude ihres Dads würde Elisha so schnell nicht vergessen. Üblicherweise wurde er bei solchen Gelegenheiten von ihrer Mutter ständig von A nach Z geschickt. Diesmal besorgte sie die Getränke, fragte ihn, ob er eine Jacke bräuchte und holte das filzige Ding sogar aus dem Auto. Man sah ihrem Dad förmlich an, wie er diese Zuwendung genoss. Es sah ganz danach aus, als hätte ihre Mom über einiges nachgedacht.

Umso beschwingter brach Elisha am Abend zu einem Kinobesuch auf, den Heidi jedoch absagte, als sie die Karten bereits gekauft hatte. Enttäuscht gab sie eine Karte zurück, saß allein vor der großen Leinwand und kaute am Popcorn herum.

An ihrer Einsamkeit änderte sich auch am nächsten Abend nichts, und Heidis Absagen häuften sich mit jedem Tag. Darum ging Elisha alleine schwimmen, fuhr mit dem Bike alleine zu den Lakes, bummelte alleine durch die Stadt, besuchte alleine einige Vernissagen und sah sich alleine romantische Filme an. Selbstredend, dass sie ebenso alleine weinte.

Irgendwann wurde Elisha stinkwütend. Heidi hatte auf diesen Urlaub bestanden und nun musste sie ihn vereinsamt hinter sich bringen. Zur gleichen Zeit würde Heidis Vater jemand Neues zu Mathews Nachfolger machen!

Am siebten Juli war Elisha knapp davor, es Heidi heimzuzahlen und von ihrer Geburtstagsparty fernzubleiben. Doch das schaffte sie nicht. Es wäre gemein gewesen. Davon abgesehen machte sie sich trotz ihres Zorns allmählich Sorgen. Heidis Zurückgezogenheit musste irgendeinen Grund haben.

Die Villa im Palladio-Stil war wie immer beeindruckend, als Elisha um sieben Uhr vorfuhr. Es war ein lauer Sommerabend, wie geschaffen für eine Party. Doch der Parkplatz war gähnend leer. Schnell schnappte sie nach den Geschenken, stieg aus und horchte, als sie die Tür zuwarf. Kein Stimmengewirr. Keine laute Musik. Weder Lachen noch Gläserklirren. Unzählige Male hatte Heidi eine Feier in ihrem Elternhaus gegeben. Nicht selten hatte die Polizei dem Tumult ein Ende gesetzt, der sogar mit Schlägereien oder einem Massenbad im Pool geendet hatte. Heute hingegen herrschte Grabesstille.

„Miss McBryan, wie schön Sie zu sehen.“ Die alte Berta lächelte und bat sie herein. Sie war die Perle des Hauses und wie eine Mutter für Heidi, deren Eltern sich bei der Scheidung einen regelrechten Rosenkrieg geliefert hatten. Mit dem unschönen Ende, dass die Mutter freiwillig auf Heidi verzichtet hatte. Nur um das Geld hatte sie wie eine Löwin gekämpft.

„Ist Heidi zuhause?“

Berta schloss die Tür. „Sie ist im Garten. Möchten Sie etwas trinken?“

„Später. Erst will ich nach ihr schauen.“

„Sie kennen ja den Weg. Rufen Sie, wenn Sie etwas brauchen.“

Elisha nickte, und trat kurz danach auf die Terrasse. Überall standen italienische Vasen und griechische Figuren. Kunstpalmen holten ein Stück Italien hierher. Der beheizte Pool dampfte, Heidi saß am verschnörkelten Gartentisch. Mit dem weißen Laptop vor sich. Wie einsam sie wirkte. Elishas Herz zog sich zusammen, als sie zum Tisch trat.

„Oh, Heidi, es tut mir so leid.“

Ihre Freundin hob abrupt den Kopf, und griff sich gleichzeitig an die Brust. „Du liebe Zeit, hast du mich erschreckt. Was machst du hier?“

„Die Party, du hast mich eingeladen.“ Litt sie an einer Krankheit? „Es tut mir leid, dass niemand gekommen ist, außer mir.“

„Ach so. Deswegen die Mitleidsnummer. Ich habe allen abgesagt“, kam es trocken zurück. „Dich habe ich vergessen anzurufen. Sorry.“ Als wäre sie nicht anwesend, schaute Heidi wieder auf den Bildschirm. Mit dunklen Schatten unter den Augen, fettigem Haar und einem Pyjama mit Häschen darauf, dem ein muffiger Geruch entfleuchte.

Mit Nachdruck legte Elisha das Paket auf den Tisch. „Was ist mit dir los?“

„Nichts.“

„Ach so, deswegen siehst du aus wie eine Vogelscheuche auf LSD.“

Heidis Mund klappte auf, bevor sie sich ordnend über das Haar fuhr und dann ein angewidertes Gesicht machte. „Du liebe Zeit, ich sollte tatsächlich ein Bad nehmen. Als ob ich nicht genug zu tun hätte.“

„Was denn zum Beispiel? Eine Absage formulieren?“

„Warte.“ Heidis Zungenspitze schob sich zwischen die blassen Lippen. Emsig tippte sie, bevor sie die Enter-Taste drückte und mit zufriedenem Grinsen hochschaute. Nein, eher mit glückseligem Lächeln.

Elisha glitt auf den Stuhl ihr gegenüber. „Also, was wird hier gespielt?“

„Nichts.“

„Das sagtest du bereits und jetzt raus mit der Sprache. Du bläst jedes Date ab, meldest dich kaum noch und nun finde ich dich in diesem Zustand vor. Noch dazu an deinem Geburtstag mitsamt einer Party, die ich mir nun vorstellen darf, oder was?“

„Entschuldige, ich habe nicht darüber nachgedacht, dass ich dich mit meinem Verhalten verletzen könnte.“ Heidi griff zur Karaffe neben dem Laptop und schenkte das mit Fingerabdrücken übersäte Glas bis zum Rand voll. Die Eiswürfel klimperten dumpf. „Magst du eine Limonade?“

„Wenn du ein sauberes Glas hast?“

„Seit wann so penibel?“

„Seit wann so spitzfindig?“

Die Karaffe landete vor Elisha. „Ach, was soll’s, du musst sowieso davon erfahren. Elisha, liebste Freundin“, Heidi machte eine bedeutungsvolle Pause, „ich habe mich verliebt.“

„Was? Aber wo …“

„Hier“, ließ Heidi ihr keine Zeit auszusprechen und strich andächtig über den Tisch. „Hier habe ich meinen Mr. Big getroffen.“

„Am Gartentisch? Wurde er dir auf dem Silbertablett serviert? Ist er zufällig im Pool vorbeigeschwommen? Oder habt ihr einen neuen Gärtner?“

„Nichts dergleichen, du Dummerchen. Da drin“, sie deutete auf den Bildschirm, „traf ich die Liebe meines Lebens. Seit sieben Tagen kennen wir uns und obwohl wir alles voneinander wissen, möchte ich weiterhin mit ihm Kontakt haben. Von ihm lesen, ihn sehen …“

„Vor einem Date würde ich mich an deiner Stelle aber schleunigst unter die Dusche stellen.“

„Unnötig. Das stört ihn bestimmt nicht.“

„Ach so einer ist das. Fetisch.“

Heidi lachte schallend. „Das muss ich erst herausfinden, aber es wäre ein weiterer Pluspunkt“, antwortete sie, als sie sich wieder im Griff hatte. „Dieser Mann ist der pure Wahnsinn.“ Heidis Augen leuchteten. „Er schreibt wie ein Poet. Jedes einzelne Wort trifft mitten in mein Herz. Und wenn ich mit ihm über Mädelsdinge quatsche, hat er ein Verständnis wie es nur Schwule für uns Frauen haben. Dabei ist er ein angesehener Anwalt und besitzt einige Firmen.“

„Ich kenne keinen in Yellowknife, auf den diese Beschreibung zutrifft. Kommt er aus der Umgebung?“ Amors Pfeil schien sie wirklich getroffen zu haben.

„Mein Mr. Big stammt aus Irland.“

„Irland?“ Zugegeben, das Land hatte etwas. Männlichkeit. Stärke, Unerschütterlichkeit. Ein ehernes Volk, mit patriotischem Stolz. Das wusste sie aus irgendeinem Liebesfilm. „Seit wann ist er in Kanada?“

Heidi schaute sie an, als zweifle sie an ihrem Verstand. „Ich sagte doch, er ist aus Irland.“

Langsam, nur ganz langsam, fiel auch bei Elisha der Penny. „Du hast ihn … er ist … Internet?“

„Endlich hast du’s verstanden. Wir lernten uns über eine Singlebörse kennen und sind seit heute verlobt.“

„Verlobt?“, entfuhr es Elisha. „Aber du kennst den Typen gar nicht. Wie oft hört man von Verrückten, die sich auf diese Weise Frauen angeln, um sie danach kaltblütig umzubringen.“

„Du liest zu viele schlechte Romane.“

„Ich rede von den Nachrichten.“

„Glaub mir, ich weiß was ich tue.“

„Sei mir nicht böse, wenn ich meine Zweifel habe. Was ist das überhaupt für eine Singlebörse?“

„Sie nennt sich: Sieben Tage bis zur Hochzeit.“

„Das klingt, als wäre der Name Programm“, entsetzte sich Elisha.

„So ist es. Ich höre die Hochzeitsglocken bereits.“

„Du tickst doch nicht mehr richtig und musst endlich deinen absurden Plan verwerfen, mit dreißig verheiratet sein zu wollen.“

„Das habe ich getan, sei beruhigt. Zeitlich werde ich es nämlich nicht schaffen. Aber eine Woche auf oder ab, darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an.“

Elisha schnappte nach Luft. „Du erwägst nicht im Ernst zu heiraten?“

„Und ob! Wir beiden Hübschen fliegen um Mitternacht nach Irland. Mein Mr. Big erwartet uns morgen. Kommt ein bisschen kurzfristig, ich weiß. Eine Stunde vor Abflug hätte ich dich aber ohnehin angerufen.“

„Eine Stunde vorher, wie gnädig.“ Elisha tippte sich mit dem Zeigefinger an die Schläfe. „Glaubst du im Ernst, dass ich dabei zusehe wie du blindlings in dein Unglück rennst? Nein danke, ich bleibe hier.“

„Eine schöne Freundin bist du! Heuchelst mir Sorgen vor und lässt mich alleine nach Irland fliegen.“

„Was sagt eigentlich dein Dad dazu?“

„Er weiß nur, dass ich in den Urlaub fliege.“ Heidis Selbstsicherheit war plötzlich wie weggeblasen. „Dad erfährt es früh genug.“

„Hat dein Auserwählter eine Ahnung, wie stinkreich du bist?“

„Wir haben keine Geheimnisse voreinander. Reich und reich gesellt sich eben gern. Natürlich kennt er auch meine Körpermaße: 90-60-90. Mit einem guten Fotoprogramm hat mein Bild einige Pfündchen verloren. Weißt du, Ehrlichkeit ist das wichtigste Fundament einer Beziehung.“

„Ich schätze, er hat nicht weniger geschwindelt als du. Was, wenn er recherchiert hat? Dieser Kerl könnte genauso gut hier in Kanada sein. Schon mal etwas von Hochstaplern gehört?“

Mit finsterer Miene drehte Heidi den Laptop zu ihr. „Lies, und urteile selbst.“

Elisha blickte auf den Bildschirm.

Liebste Heidi, was hast du nur mit mir gemacht? Ich kann an nichts anderes mehr denken als an dich. Trotz der vielen Arbeit, die ich bewältigen muss. Mit vierundzwanzig Stunden ist der Tag einfach zu kurz, aber viel zu lang, um nicht ständig an dich denken zu müssen. Mir nicht vorzustellen, wie es sein wird, wenn wir nebeneinander verschwitzt und nackt im Bett liegen. Du hast mich verzaubert, mit deinen 90-60-90. Ich kann es kaum fassen, dass ich dich gefunden habe. Meilenweit von Irland entfernt und doch nahe genug, um dich zu erreichen. Es musste vermutlich so sein. Vielleicht, weil ich an die große Liebe glaube, immer geglaubt habe und mir nichts Schöneres vorstellen kann als zu heiraten. Kinder zu haben. Ein Mann wie ich, gesegnet mit einer Engelsgeduld, was könnte das Leben mehr bereichern und eine Liebe wie die unsere krönen? Wir Iren glauben an Elfen, ich persönlich daran, eine in dir gefunden zu haben, du kanadische Blume mit der Unschuld frischer Tautropfen. Bis bald, Liebste, leider ruft die Arbeit und ich bin ein Mann, der seine Pflicht und Verantwortung äußerst ernst nimmt. Ohne mich würde das Unternehmen nicht mehr existieren. Tausende säßen auf der Straße. Väter, Mütter und Kinder. Dein Mr. Big.

Elisha öffnete den Mund und fuhr mit dem Zeigefinger halb hinein. „Was für eine gequirlte Scheiße“, nuschelte sie. „Einiges hat er sicher aus irgendeinem Schundroman - Blume mit der Unschuld frischer Tautropfen. Bäh!“

„Du bist nur neidisch.“

„Auf deinen Mr. Big? Hat dieser Typ auch einen richtigen Namen?“

„Er nennt sich nur meinetwegen so. Und ja, er hat einen richtigen Namen. Sogar ein Gesicht. Außerdem einen Freund, der ihm ziemlich ähnlich sehen soll. Es könnte auch deine Chance sein, den Mann fürs Leben zu finden.“ Sie drückte ein paar Tasten. „Ah, da ist ja das Bild.“

Elisha starrte auf den Bildschirm. Nein, vielmehr starrte sie in unergründlich blaue Augen. Auf braunes schulterlanges Haar, einen gepflegten Vollbart, die Lachfältchen, den sensiblen Mund, die Lederjacke, die schwarze Hose und fühlte sich, als säße sie in einem Fahrzeug, das in einer Sekunde von 0 auf 100 beschleunigte. Gebündeltes Testosteron blies wie ein Tornado aus dem Foto. Dieser Mann war der pure Sex. Die pure Männlichkeit. Ehern. Irisch. Stark. Unbezwingbar. Geheimnisvoll. Verwegen, und trotzdem strahlte er Verletzlichkeit aus. „Der … ähm, er sieht aus wie Orlando Bloom in meinem Lieblingsfilm“, stotterte Elisha mit klopfendem Herzen. „Du weißt schon, ´Königreich der Himmelˋ.“

„Stimmt, jetzt wo du es sagst. Du hast ja schon immer für Männer mit längeren Haaren geschwärmt.“ Heidi lachte. „Und für Männer in Rüstungen.“

„Wann fliegen wir nochmal?“

„Um Mitternacht“, jubelte Heidi. „Ray freut sich schon auf uns.“

Und ich mich erst auf ihn. Das Kloster kann warten!

„Zeigst du mir ein Bild deines Mr. Big?“ Wie heiser sie klang.

Heidi hob die rechte Augenbraue. „Tu ich doch gerade. Ray ist Mr. Big.“

„Mr. Big … das ist er?“ Ein Schwall Eiswasser hätte keine andere Wirkung gehabt. Plötzlich stürmte eine Fülle an Gefühlen auf Elisha ein. Neid, Eifersucht, das Gefühl betrogen worden zu sein. Himmel, wie konnte ein Bild das alles auslösen? Denk an den schwülstigen Brief, befahl sie sich selbst. Doch alles was sich ihr aufdrängte war ein Bärenfell vor einem lodernden Kamin. Genau jetzt beugte sich Ray über sie, riss sich die Rüstung vom Leib und war … nackt! Sein Gesicht kam näher und - sie stöhnte auf.

„Hast du Schmerzen?“, fragte Heidi und beugte sich besorgt zu ihr.

„Nein, alles gut. Nur … ich werde doch nicht mitfliegen.“ Die beste Lösung in diesem Schlamassel. Er war Heidis Mr. Big. Außerdem waren sie verlobt. Dieser Mann war genauso unerreichbar wie sämtliche Blooms dieser Welt.

„Das darfst du mir nicht antun“, verlegte sich Heidi aufs Betteln. „Wir haben bisher alles miteinander geteilt. Außerdem will ich nicht ohne meine Trauzeugin heiraten. Bitte, komm mit.“

„Dass du mich zur Trauzeugin haben willst, ehrt mich sehr. Aber ich denke, Irland ist keine gute Idee.“

„Wieso? Ray hat einen gut aussehenden Freund. Wer weiß, womöglich verliebst du dich in ihn.“ Heidi seufzte aus tiefster Brust. „Leider habe ich kein Bild von ihm und sollte es dir in Irland nicht gefallen, kannst du jederzeit abreisen.“ Tränen schimmerten plötzlich in ihren Augen. „In mir tobt eine Mordsangst, doch ich habe mich in jede seiner Zeilen verliebt. Lange, bevor ich ein Bild von ihm gesehen habe und ehrlich gesagt, ich habe es mir nur kurz angesehen. Wichtiger sind mir seine Worte, seine Zeilen. Es hört sich komisch an, aber seine Nachrichten haben etwas Magisches. Deswegen sitze ich hier, weil wir uns fast pausenlos schreiben. Gut, ich räume ein, dass die heutige E-Mail etwas anders war. Vermutlich hatte er einen schlechten Tag wie jeder von uns.“ Sie unterbrach sich kurz. „Oh Elisha, ich habe unendliche Angst diesen Schritt zu gehen und gleichzeitig Angst, es nicht zu tun.“

Heidis Worte rührten an Elishas Herz. Abgesehen von den Eltern, kein Mensch auf dieser Welt bedeutet ihr mehr. Was sagte schon ein Bild aus? In Irland würde sie feststellen, dass Ray wie geschaffen war für Heidi, und umgekehrt.

„Meinetwegen. Lass uns fliegen.“

Sieben Tage bis zur Hochzeit

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