Читать книгу Die Seele des Zauberlehrlings - Betty Kay - Страница 7

3. Kapitel

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Die Schritte der zehn Schritte langen Reittiere erzeugen ein gleichmäßiges Geräusch, wenn sie auf dem Boden aufkommen. Es könnte beruhigend sein, würde es sich nicht um so viele handeln, dass die Töne ein Vibrieren in meiner Brust erzeugen. Das Getrappel von ungefähr fünfzig dunkelgrünen Reitechsen mit unterschiedlichen Farbabstufungen klingt wie das erste Donnergrollen vor dem Gewitter. Eine unterschwellige Drohung von Gefahr.

Ich drehe mich im Sattel um und werfe einen Blick hinter mich. Um am Hinterteil der Reitechse vorbeisehen zu können, muss ich mich weit zur Seite lehnen. Der mit schwarzen Zackenmustern geschuppte Schwanz des Tieres bewegt sich bei jedem Schritt hin und her und verstellt mir dadurch immer wieder die Sicht. Trotzdem ist der Anblick, der sich mir bietet, beeindruckend.

Zweihundert Soldaten folgen uns in Viererreihen den Weg zwischen den Hügeln hindurch. Sie tragen schwere Lederrüstungen, die eng an ihrem Oberkörper anlegen. Den Rest seiner Streitkräfte hat der Fürst direkt durch das Land geschickt. Alle Männer, die in der Lage sind, eine Waffe zu führen, wurden eingezogen, um die Invasion unserer Feinde zu verhindern. Irgendwo in der Nähe der Küste werden sie vielleicht auf die Krieger stoßen, die in den Schiffen übers Meer getragen wurden, die man in Nialling gesehen hat. Sie werden die erste Schlacht schlagen, bevor wir wieder zu ihnen stoßen.

Wir anderen haben eine Aufgabe zu erledigen, von der unser Erfolg in diesem Krieg abhängt. So viele Männer, die den Fürsten beschützen, der ein paar Reihen vor mir reitet. So viele Männer, die in Wahrheit mir folgen, weil nur ich dafür sorgen kann, dass wir Hilfe von Umocks Seite erhalten.

Niemals hätte ich mich freiwillig dafür entschieden, die Verantwortung für den Verlauf dieser Verhandlungen auf meine Schultern zu laden. Ob die Soldaten, die sich hinter mir den Berg hinaufquälen, freiwillig hier sind? Hat man sie gefragt, ob sie diese Mission begleiten wollen, statt sich direkt in die Schlacht zu werfen und unser Land zu verteidigen? Ist ihnen bewusst, wie wichtig unser Auftrag ist?

Zumindest gibt es eine Person, die fünf Armlängen hinter mir marschiert, weil er in meiner Nähe sein wollte. Elevander hat natürlich dafür gesorgt, dass wir in diesem Krieg nicht getrennt werden, während wir alles in unserer Macht Stehende tun, um unser Volk zu beschützen. Ich muss nicht zu ihm sehen, um zu wissen, dass er mich beobachtet. Ich kann seinen Blick auf mir spüren wie eine Stütze, die mich aufrecht hält.

Als ich mich wieder umwende, bemerke ich überrascht, dass sich der Fürst hat zurückfallen lassen und nun auf meiner Höhe reitet. Er mustert mich aufmerksam, während sein weiter Mantel sich hinter ihm bauscht. Sofort verbeuge ich mich, was auf dem Rücken meines Reittieres gar nicht so einfach ist. Zum Glück trage ich nur ein helles, langes Hemd und weite Hosen und muss deshalb nicht befürchten, dass eines der Tiere auf meine Kleidung steigt.

»Ihr wirkt besorgt. Gibt es dafür einen bestimmten Grund?« Seine tiefe Stimme erzwingt Respekt. Seine Frage verlangt nach einer ehrlichen Antwort.

»Wer in Zeiten wie diesen nicht von Sorge gequält wird, besitzt kein Herz.« Das entspricht der Wahrheit. Wenigstens jetzt kann ich ehrlich sein. Es gibt so viel, was ich vor ihm verheimlichen und ihm vorspielen muss. Täuschungen liegen mir nicht. Aber für die Rettung der Welt bleibt mir keine andere Wahl.

»Hattet Ihr ebenfalls Visionen der Bedrohung wie Oremazz?«

Ich schüttle den Kopf. Vielleicht zu schnell. Misstrauen zeigt sich auf dem Gesicht des Fürsten. »Soweit ich weiß, wurden lediglich die Großen Zaubermeister der unterschiedlichen Völker mit Offenbarungen gesegnet«, erkläre ich schnell. »Die Magie wendet sich immer an den höchsten Zauberer einer Familie.«

»Aber Ihr könnt in die Zukunft sehen, nicht wahr? Oremazz hat mir versichert, dass Ihr ihn in diesem Krieg würdig vertreten werdet.«

»Ich kann alles, was mein Großvater kann.«

Der Fürst nickt. Eine unerwartete Seitenbewegung des Reittiers lässt seinen Mantel flattern, bevor er wieder auf das mannbreite Hinterteil der dunkelgrünen Echse niedersinkt. »Die Verantwortung, die es mit sich bringt, in eine bedeutende Familie hineingeboren worden zu sein, kenne ich gut. Manchmal ist der Druck, Erfolg haben zu müssen, unglaublich belastend.«

Er hat ja keine Ahnung.

»Mein Vater hat Großes für unser Volk geleistet«, fährt der Fürst fort. Sein attraktives Gesicht ist auf den Weg vor uns gerichtet. »Ich habe versucht, ihm ein würdiger Nachfolger zu sein. Seine Fußstapfen sind riesig. Es wäre leicht, ihnen einfach nur zu folgen, doch ich habe versucht, seine Arbeit fortzusetzen.«

»Das tut Ihr mit großer Weisheit und Güte«, versichere ich.

»Als mein Vater mich zu seinen Lebzeiten auf meine Aufgabe vorbereitet hat, wusste ich noch nicht, wozu ich fähig bin. Mir war klar, welche Erwartungen in mich gesetzt werden. Ob ich diese würde erfüllen können, konnte allerdings niemand voraussagen. Mein Vater hat vor seinen Ratgebern voller Lob von mir gesprochen. Ich hatte jedoch die ganze Zeit das Gefühl, ich wäre ein Betrüger.«

Mein Herz setzt einen Schlag aus. Hat er mich durchschaut? Bin ich enttarnt? Weiß unser Fürst, dass ich ihn belüge? Ich werde die Scharade so lange wie möglich weiterspielen. Möglicherweise hatten seine Worte einen anderen Hintergedanken.

Er wirft mir einen kurzen Seitenblick zu. »Manchmal scheint es, als wäret Ihr von der Größe der ersten Aufgabe, die Euch in Eurem Erwachsenendasein erwartet, eingeschüchtert.«

Ich bin überfordert. Die Angst, zu scheitern, quält mich, seit wir von zu Hause aufgebrochen sind. Seit fast zwei Wochen sitze ich auf dieser unbequemen Reitechse, während nicht nur mein Körper, sondern auch mein Selbstbewusstsein ordentlich durchgerüttelt wird. Nein, ich bin nicht eingeschüchtert. Ich bin starr vor Panik.

Die Verabschiedung von meinem Großvater hat nicht viel Zeit in Anspruch genommen. Der Fürst hat unseren Aufbruch vorgezogen, als weitere bedrohliche Nachrichten von anderen Küstenländern eingelangt sind. Nur vier Tage nach dem entsetzlichen Versuch, gegen meinen Willen meine Fähigkeiten zu testen, haben wir unsere Reise begonnen. Die Verachtung, die Oremazz während dieser Spanne mir gegenüber gezeigt hat, hat sich in meine Seele eingebrannt. Die klitzekleine Flamme der Hoffnung, dass ich nicht versagen werde, ist vom Großen Zaubermeister erstickt worden. Dennoch kann ich ihm nicht die Schuld an meinem möglichen Scheitern geben. Ich allein trage die Verantwortung für mein Unvermögen.

Der Mann, an dem wir damals unsere Versuche durchgeführt haben, ist noch am Leben. Allerdings wird er für immer auf die Pflege durch andere Menschen angewiesen sein. Die Angst auf seinem Gesicht verfolgt mich in meinen Träumen. Ich habe seiner Familie heimlich Geld zukommen lassen. Doch das wird niemals meine Schuld ausgleichen.

»Meine Erfahrungen als Euer Berater mögen gering sein«, presse ich hervor. »Die Mission, für die die Verantwortung auf meinen Schultern lastet, entscheidet über das Schicksal unseres Volkes. Möglicherweise wirke ich auf einen außenstehenden Beobachter nicht wie jemand, der dem gewachsen ist. Ich bin mir der Bedeutung jedoch bewusst und versichere Euch, dass ich alles in meiner Macht Stehende tun werde, um diese Verhandlung erfolgreich abzuschließen.«

»Haltet Ihr mich für einen außenstehenden Beobachter?«, fragt der Fürst und schickt mir einen intensiven Blick.

Warum verbeißt er sich in diese Formulierung? Will er damit sagen, dass er ebenfalls meinen Fähigkeiten misstraut? Noch ein Hinweis darauf, dass er Zweifel an mir hegt. Mein Magen fühlt sich plötzlich an, als hätte ich zu lange nichts gegessen.

Ratlos blinzle ich, bevor ich mich abwende. Egal, was ich antworte, es kann nur falsch sein. »Nein, so würde ich Euch nicht bezeichnen.«

»Nun, denn. Wir werden bald herausfinden, ob Ihr ein würdiger Nachfolger Eures Großvaters seid. Der Weg ist nicht mehr lang.« Der Fürst nickt mir zu und gibt mit einem Druck seiner Schenkel den Befehl an seine Reitechse, das Tempo zu erhöhen, bis er wieder zu seinen Ratgebern aufgeschlossen hat.

Die drei Männer reiten links und rechts von ihm. Soldaten bewachen diese wichtigen Männer. Ich bin das Schlusslicht dieser seltsamen Truppe. An meiner Seite achten ebenfalls Soldaten darauf, dass mir nichts passiert. Man braucht mich für eine einzige wichtige Aufgabe. Danach habe ich meine Schuldigkeit getan und bin nicht mehr als einer dieser Wahrsager, die in die Sterne blicken, um vage Angaben über das zu erwartende Geschehen in den nächsten Tagen zu geben. Während unserer Reise hat man mich lediglich darum gebeten, meine Meinung zu Entscheidungen unsere Route oder unser Lager betreffend abzugeben. Man hat mich nicht in die Zukunft blicken lassen. Man hat nicht einmal den genauen Ablauf dieser Mission mit mir besprochen. Es fühlt sich an, als würde ich seit fast zwei Wochen tagtäglich Prüfungen ablegen. Ich weiß nicht, ob ich sie bestehe. Ich weiß nur, dass meine Worte unablässig auf die Goldwaage gelegt werden.

Frustration wallt in mir auf. Die Anspannung der letzten Tage will sich entladen. Die Wut auf meinen Großvater, weil er mich in diese Situation gebracht hat, wächst immer weiter an. Warum ist er nicht hier und sorgt dafür, dass wir die Hilfe bekommen, die wir brauchen? Wenn auch er nicht an mich glaubt, weshalb drückt er sich vor der Verantwortung? Wieso glaubt er an diese verdammte Vision, von der ich ein Teil gewesen bin? Er weiß ja nicht einmal, ob meine Anwesenheit bei der Schlacht einen Unterschied gemacht hat. Möglicherweise hätte es gereicht, wenn ich ihn begleitet hätte. Warum ist er so fest davon überzeugt, dass sein Verbleiben auf dem Schloss so wichtig ist? Wieso wird er so ärgerlich, wenn ich ihm diesbezüglich Fragen stelle?

Der nächste Teil des Weges fordert meine ganze Aufmerksamkeit, weshalb ich die immer gleichen Gedanken zur Seite schiebe. Ist der Anstieg des Pfades schon beschwerlich gewesen, so wird er nun zu einer Herausforderung. Besorgt ziehe ich die Zügel fester an und klammere mich an den Knauf meines Sattels.

Die Krallen der Reitechsen graben sich in die Erde. Sie haben keine Schwierigkeiten, den steilen Anstieg zu überwinden. Die Soldaten hinter uns fallen allerdings zurück. Ich blicke über meine Schulter, erhalte durch die Neigung freie Sicht auf sie. Ich muss aufpassen, das Gleichgewicht in meinem Sattel nicht zu verlieren, und beobachte, wie die Abstände zwischen den Reihen sich vergrößern. Nach und nach dehnt sich die Kolonne hinter uns auf die doppelte Länge. Die Anstrengung ist den Soldaten deutlich anzusehen.

Vielleicht hat die Zeit des Friedens zu lange gedauert. Möglicherweise haben wir uns zu sehr auf unsere Götter verlassen. Es ist mehrere Jahrzehnte her, seit wir das letzte Mal von einem verfeindeten Volk angegriffen wurden. Dieser Krieg trifft uns unvorbereitet. Ich bete, dass das unseren Sieg nicht unmöglich macht.

Mit schwerem Herzen wende ich mich nach vorne. Der Wald, der uns am Rand des Weges begleitet, drängt immer näher. Der Durchgang wird schmaler, doch noch können wir die Viererreihe aufrechterhalten. Hoffentlich ändert sich daran nichts, denn das würde einen Angriff auf uns erleichtern. Diese Reise ist bislang ohne große Zwischenfälle verlaufen. So kurz vor dem ersten Ziel darf sich daran nichts ändern.

Ganz unerwartet öffnen sich die Reihen der Bäume. Beim Weiterreiten müssen wir einen letzten Anstieg überwinden. Dann liegt uns die Welt zu Füßen. Wir befinden uns auf dem höchsten Punkt des Berges, der in einem Halbbogen links und rechts von uns weiterwächst. Das ermöglicht uns einen Blick über das, was vor uns wartet.

Ein schmaler Pfad schlängelt sich in die Tiefe, die von den Flanken des Berges umarmt wird. Nach ein paar Hundert Armlängen beginnt erneut ein Wald, der sich allerdings von dem unterscheidet, den wir bereits durchquert haben. Bäume ragen aus dem Nebel, der den Boden in eine trübe Suppe verwandelt. Ich weiß, dass wir dort auf jeden unserer Schritte achten müssen. Ein Sumpf, älter als die Menschheit, verschlingt alles, was sich zu nahe an ihm heranwagt.

Angeblich führt ein Weg durch diese gefährliche, graue Brühe. Noch habe ich allerdings von niemandem gehört, dem es gelungen ist, wieder lebend aus dieser feuchten Dunkelheit zu gelangen. Doch selbst wenn es gelingen sollte, einen Weg aus befestigtem Boden zu entdecken, wird man vom Nebel umhüllt. Der Pfad verschwindet. Ein falscher Schritt, und der Morast zieht einen in die Tiefe. Der Verstand wird von den Schwaden benebelt. Man vergisst, warum man sich überhaupt in dieses Moor gewagt hat. Nein, es ist kein Ort, an den man sich leichtfertig begeben sollte.

Und doch ist es das Zwischenziel unserer Reise.

In der Nähe des Sumpfes existiert keinerlei Leben. Kalt und unwirtlich liegt das mit Nebelschwaden verdeckte Moor inmitten unserer fruchtbaren Heimat. Während unserer Reise haben wir saftige Felder gesehen, deren Früchte man uns geschenkt hat, sobald der Fürst erkannt worden war. Äcker waren mit hohen Getreideähren bestückt, aus denen man die uns überlassenen Brote gebacken hatte. Flüsse hatten uns Nahrung im Überfluss gewährt. Doch das Land dort unten ist scheinbar in einem großen Radius vergiftet.

Mit einer Handbewegung lässt der Fürst seine Männer anhalten. Dann befiehlt er seine Berater zu sich. Irgendwo hier in der Nähe werden wir unser Lager aufschlagen. Ich kenne die Gesichtspunkte nicht, nach denen der geeignete Platz ausgewählt wird. Es ist mir auch egal. Für den Fall, dass man mich nach meiner Meinung fragen sollte, habe ich meinen Großvater bereits informiert. Sollte man sich an mich wenden, muss ich Oremazz lediglich kanalisieren, damit er mir die Worte einflüstert, mit denen ich den richtigen Ratschlag geben kann.

Meine Gedanken beschäftigen sich mit der Aufgabe, die ich allein erfüllen muss. In meinem Magen kribbelt es vor Aufregung. Meine Ausbildung sollte mich auf diesen Moment vorbereiten. Doch einmal mehr habe ich das Gefühl, dass das Misstrauen meines Großvaters in meine Fähigkeiten gerechtfertigt ist. Wie soll ich an mich glauben, wenn er mir eingepflanzt hat, niemals gut genug zu sein?

Der Nebel wabert. Man könnte glauben, dass er seine Finger ausstreckt, dass er sich neugierig hochreckt, um zu überprüfen, was auf dem Hügel über ihm vorgeht. Unter Umständen ist diese Vorstellung nicht einmal so unsinnig, wie sie klingen mag. Dort unten in den Sümpfen befindet sich eine Quelle der Magie. Die Macht, die darin wohnt, ist nicht von dieser Welt. Nein, die Wesen, die dort unten hausen, sind zu weit mehr in der Lage, als ein paar arme Seelen zu verwirren und ins Unheil zu stürzen.

Nebelseelen.

Der Name wird dem Grauen nicht gerecht, das sie verbreiten. Eine Armee aus verlorenen Seelen, die sich nach ihrem Tod dagegen entschieden haben, Teil der Armee der Engel zu werden, oder die als unwürdig befunden wurden, Teil des göttlichen Heeres zu sein.

Ich kann mir nicht vorstellen, was jemanden dazu bewegen sollte, freiwillig zu einer Nebelseele zu werden. Ein Leben in der Dunkelheit in alle Ewigkeit. Der Hunger, die Seelen von Menschen für sich zu vereinnahmen, sich in ihren Verstand einzunisten und von ihnen Besitz zu ergreifen, bis sie dem Wahnsinn anheimfallen. Es ist ein hoffnungsloses, sinnloses Dasein. Doch ich verstehe auch nicht die Menschen, die sich ganz dem Bösen hingeben. Dazu gehören die Nebelseelen ohne Zweifel. Sie sind die Armee der Dunkelheit.

In früheren Jahren sind die Nebelseelen Gerüchten zufolge durch die Lande gezogen und haben ihren giftigen Atem überall verteilt. Wer sich auf ihre Verlockungen eingelassen hat, verlor seine Seele bereits vor dem Tod. Überall existierten Personen, die nur noch eine fleischliche Hülle ohne eigenen Willen waren. Niemand soll vor ihnen sicher gewesen sein.

Jetzt allerdings ist ihr König der Schlüssel, der uns siegreich aus dem bevorstehenden Krieg heraustreten lassen soll.

»Mach kein so finsteres Gesicht«, fordert eine Stimme neben mir. »Man könnte annehmen, du wärest wegen irgendetwas beunruhigt. Dabei ist das mit Sicherheit nicht der Fall.«

Ich wende mich Elevander zu und bemühe mich um ein Lächeln. Mein bester Freund ist aus der Reihe seiner Truppe getreten, um mit mir sprechen zu können. »Natürlich nicht. Tut mir leid, wenn meine Gedanken abgeschweift sind. Der heutige Ritt war ziemlich anstrengend. Ich will mir nicht vorstellen, wie erschöpft du sein musst.«

Er zuckt mit den Schultern. »Mein Los habe ich mir selbst ausgesucht, als ich mich für diese Einheit entschieden habe.«

»Wir beide wissen, weshalb du diese Wahl getroffen hast.« Mir ist nichts anderes übriggeblieben, als in direkter Nähe zu unserem Fürsten zu reiten. Das gilt allerdings nicht für meinen besten Freund.

Elevander wollte mich nicht allein lassen. Er besteht darauf, mich im Auge zu behalten. Nicht, weil er mir nicht vertrauen würde. In seinen Augen kann ich nichts falsch machen. Er versucht, auf mich aufpassen, damit ich in meiner Unsicherheit keinen Fehler begehe. Wie immer glaubt er unerschütterlich an mich. Er wird dafür sorgen, dass ich den Respekt der Soldaten oder gar unseres Anführers nicht verliere, wenn sich so wie jetzt meine Anspannung auf meinem Gesicht zeigt.

Womit habe ich einen treuen Freund wie ihn verdient?

»Ich bin froh, dass ich hier vorne marschieren kann«, erklärt Elevander. »Wie viel Staub die Soldaten weiter hinten wohl schlucken müssen? Seit Tagen haben wir uns alle ein vernünftiges Bett gewünscht. Doch die Männer, die am Ende unseres Trupps gehen, haben noch ein härteres Schicksal. Wir brechen in den Morgenstunden als Erstes auf und erreichen den Rastplatz auch wieder vor den anderen. Die Männer hinten müssen mit uns zum Abmarsch bereit sein, stehen dann aber sinnlos herum, bis sie an der Reihe sind. Am Abend sind sie die Letzten, die ihr Lager errichten.«

»Beschwer dich nur nicht zu laut«, warne ich ihn. »Man könnte deine Worte als Tadel verstehen.«

Er wirft einen Blick über seine Schulter. Die Männer, neben denen er diesen Berg bestiegen hat, tragen reglose Masken. Sie haben Erfahrung darin, ihre Gedanken zu verbergen. Das bedeutet allerdings nicht, dass sie nicht bemerken, was rund um sie herum vorgeht. Dann ist da noch Janifik, der als mein Diener abgestellt worden ist und sich ständig in meiner Nähe aufhält. Wie oft ich erschrocken bin, weil er plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht ist. Unter Umständen berichten die Männer oder Janifik meine Worte und Kritik direkt an den Fürsten, dabei möchte ich, dass er eine gute Meinung von mir hat.

Verfolgungswahn kann ich nicht gebrauchen. Ich sehne mich nach jemandem, dem ich blind vertrauen kann. Zum Glück habe ich Elevander, der mir zur Seite steht. Die Soldaten verstärken meine Unsicherheit noch.

Elevander macht einen Schritt zurück, bis er sich wieder nahtlos in seine Reihe fügt. »Ich weiß zu schätzen, wo ich bin«, sagt er mit einem Tonfall, der seinen Worten eine geheime Bedeutung gibt.

Erleichterung macht sich in mir breit, als er wieder zu einem von vielen wird, als er mit der Masse verschwimmt und dadurch nicht in Gefahr gerät, für ein unbedachtes Wort bestraft zu werden. Elevander will mich nur beschützen. Doch ich will auch auf ihn aufpassen.

Der Fürst brüllt einen Befehl. Sofort setzen sich die Männer wieder in Bewegung. Hastig schließe ich zu meiner Gruppe auf. Wir reiten wieder direkt in einer Reihe, haben aber auf dem jetzt breiteren Pfad genug Platz, um mehr Abstand nebeneinander zu halten. Der Weg schlängelt sich den Berg hinunter. Bis in das Moor, in dem Umock lebt, werden sie mir nicht folgen. Ich bin nicht in der Lage, den Schutzzauber für sie alle zu sprechen.

Die Serpentinen sind eine Herausforderung für Reiter und Tier, weshalb wir nur langsam vorwärtskommen. Auch der steile Abfall des Berges bremst uns. Hat zu Beginn des Abstiegs die Sonne gerade den Horizont berührt, schiebt sie sich jetzt gnadenlos tiefer. Nicht mehr lange, und die Dunkelheit senkt sich über die Umgebung. Wir müssen uns beeilen, wenn wir rechtzeitig ein provisorisches Lager errichten wollen.

Als sich endlich vor uns der Weg weitet und wir auf einer kleinen Ebene einlangen, fühle ich Erleichterung. Der Gedanke, nach Sonnenuntergang unterwegs sein müssen, hat mich mit Sorge erfüllt. Wir haben uns auch beträchtlich dem Sumpf genähert. Ein Fußmarsch von vielleicht einer Viertelstunde trennt uns von den ersten Ausläufern der nebelverhangenen, abgestorbenen Baumlandschaft. Ich bin nicht böse, wenn wir dazu nachts reichlich Abstand halten.

Unser Fürst gibt den Befehl, einige Sträucher am Wegesrand auszureißen, um Platz für unsere Männer zu machen. Dann wendet er sich an mich. »Seid Ihr mit diesem Lagerort zufrieden?«

Ich schließe die Augen, stelle eine Verbindung zu meinem Großvater her. Tagsüber habe ich ihm, wie sonst auch immer wieder, Informationen über den Verlauf unserer Reise zukommen lassen. Er weiß also, wo wir uns befinden. Das ermöglicht es ihm, in den Zeiten zwischen unseren stummen Unterhaltungen Erkundigungen einzuholen. Jetzt sendet er mir Bilder, durch die ich die Gunst des Fürsten für mich gewinnen kann.

Mit einem vorsichtigen Lächeln wende ich mich an den Mann, der mich neugierig beobachtet. »Ich denke, er ist nahezu ideal. Allerdings sollten wir uns ein paar Armlängen in den Wald schlagen. Dort finden wir eine Lichtung, die für unsere Zwecke geeignet ist.«

Wir werden keinen anderen Wanderern begegnen. Hier kommt nur vorbei, wer eine Abkürzung erhofft oder Umock um die Erfüllung eines Wunsches bitten will. Ich weiß nicht, ob der König der Nebelseelen tatsächlich im Austausch für die Seele des Bittstellers dessen Träume wahr werden lässt. Wer würde schon seine Seele vor seinem Tod verschachern, nur um lächerlichen Tand zu erhalten, den er nicht in die Anderswelt mitnehmen kann? Ich könnte mir nichts vorstellen, wofür ich die Reinheit meiner Seele opfern würde.

»Seid Ihr sicher, dass es eine Lichtung mitten im Wald gibt?«, fragt der Fürst nach. »Es führt kein Pfad dorthin. Wir müssten Bäume abholzen, damit die Reitechsen hindurch können.«

»Die Lichtung befindet sich direkt vor uns. Nur ungefähr zehn Armlängen in diese Richtung. Schickt Botschafter aus, damit sie meine Aussage bestätigen. Es werden uns nicht viele Bäume im Weg sein. Das versichere ich Euch.«

Der Blick des Fürsten ruht noch einmal mit unangenehmer Intensität auf mir. Dann nickt er und gibt die Befehle weiter. Zum Glück sind die Aussagen meines Großvaters genau. Ich bin ein weiteres Mal der Enthüllung als Scharlatan entkommen.

Es dauert ungefähr eine Stunde, bis alle Männer auf der Lichtung angekommen, die Reitechsen versorgt und die Zelte für die Truppen aufgestellt sind.

In der Mitte der Lichtung hat man Lagerfeuer entzündet. In deren Nähe und damit gut beleuchtet und gewärmt, steht das Zelt, das der Fürst bewohnen wird. Daneben übernachten seine Ratgeber. Mir wird wieder eine Sonderstellung eingeräumt. Mein Zelt steht weder bei diesen wichtigen Männern, noch ist es Teil des Ringes von auf dem Boden ausgerollten Decken, der das Lager umgibt. Dort werden die Soldaten sich zur Ruhe begeben, um den Fürsten vor Angriffen zu schützen, während ich zehn Armlängen von den anderen in einem Zelt nächtigen werde. Es ist deutlich kleiner als die der Ratgeber. Ich muss allerdings meinen Kopf nicht direkt auf das Gras betten und habe ein Dach über dem Kopf. Viel mehr kann ich nicht verlangen.

Überall, wo ich meine Hilfe anbiete, werde ich abgewiesen. Jeder bedenkt mich mit einem vorsichtigen Blick, als könnte ich versehentlich Decken in Brand stecken oder die Reitechsen verschrecken. Ich komme mir wieder einmal überflüssig vor und bin froh, dass ich zumindest heimlich mit einem Zauber einen Krug heilmachen kann, der während der Reise zerbrochen ist. Wieso muss ich immer der Außenseiter bleiben?

Als es schließlich den Anschein hat, als wäre alles für die Nacht vorbereitet, nähere ich mich den Feuern in der Mitte des Lagers. Über den Flammen werden Schwimmechsen gebraten. Der Duft steigt mir sofort in die Nase und erinnert mich daran, dass ich seit Stunden nichts zu mir genommen habe. Die Soldaten haben große Exemplare dieser Flussbewohner erlegt. Ihr Geschmack erinnert an den von Hähnchen, aber viel würziger. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Ob die fast eine Armlänge großen Tiere dieser Gegend ähnlich lecker sein werden?

Ich nähere mich den Feuern. Bevor ich mich erkundigen kann, wie lange es noch dauert, bis ich vom Fleisch kosten darf, erscheint Janifik neben mir. Abgestellt, um mir zu dienen, scharwenzelt er um mich herum, sobald meine Füße festen Boden berühren. Ich sollte dankbar dafür sein, dass er sich so viel Mühe gibt. Dennoch fühle ich mich von seiner ständigen Nähe erdrückt. Der bewundernde Ausdruck in seinen Augen macht mir klar, welch große Hoffnungen er in mich hegt. Denen kann ich unmöglich gerecht werden.

»Wünscht Ihr zu speisen?«, fragt der Mann, der vermutlich sogar ein paar Jahre älter ist als ich. »Man hat mir gesagt, dass die Echsen in einer halben Stunde fertiggegart sind. Ich kann Euch in der Zwischenzeit Suppe und Brot organisieren.«

»Das ist sehr freundlich von Euch, aber nicht notwendig.«

Bestürzung zeigt sich in seinem Blick. Er tritt näher an mich heran. »So dürft Ihr mich nicht ansprechen. Ich bin nur ein einfacher Soldat, während Ihr der Vertreter des Großen Zaubermeisters seid.«

Müde unterdrücke ich ein Seufzen und nicke. »Es tut mir leid. Natürlich hast du recht. Ich werde auf meine Worte achten.«

Man muss mir meine Erschöpfung ansehen, denn Janifik schiebt mich zu einem Holzstamm und deutet mir, mich zu setzen. Meine Knochen protestieren. Jetzt kann ich nichts für sie tun. Morgen wartet zusätzlich noch eine längere Wanderung auf mich.

Janifik sieht mich fragend an. »Darf ich Euch Euren Tee bringen?«

Ich nicke. »Danke für Eure … deine Mühe.«

»Es ist mir eine Ehre, Euch zu dienen.« Er deutet eine Verbeugung an und verschwindet.

Würden wir diese Unterhaltung nicht jeden Tag führen, hätte ich mich durch seine Worte eingeschüchtert gefühlt. Doch da er die gleiche Floskel morgens, mittags und abends wiederholt, hat sie ihre beängstigende Bedeutung verloren.

Er sieht in mir einen Helden. Er denkt tatsächlich, er wäre dadurch geehrt, zu meinem Diener ausgewählt worden zu sein.

»Janifik erkennt das Feuer in dir«, sagt Elevander, der sich leise genähert hat. »Schau nicht so finster, weil er dir seine Ehrerbietung so deutlich zeigt.«

»Solltest du nicht bei deiner Einheit bleiben?«

»Nicht heute Abend. Nicht in den Stunden, in denen du dich auf das Zusammentreffen mit diesem Monster vorbereitest.« Mit einer geschmeidigen Bewegung nimmt er neben mir Platz.

Unsere Schultern berühren sich, weil auf dem Holzstamm so wenig Platz ist. Diese Nähe hat eine beruhigende Wirkung auf mich. Wieder einmal ist Elevander gekommen, um meine Seele aus der Dunkelheit zu retten.

»Woher nimmst du nur immer deine Selbstsicherheit?«, frage ich. »Woher stammt deine Fähigkeit, in allem und jedem etwas Gutes zu sehen?«

Mehrere Minuten lang schweigt er. Ich weiß, dass er über die richtige Antwort auf meine Fragen nachdenkt. Er gibt keine leichtfertigen Erklärungen, wenn es um die wirklich wichtigen Dinge im Leben gibt.

»Die Liebe meiner Eltern ist die Kraft, aus der ich jeden Tag schöpfe«, sagt er schließlich. »Sie haben mir immer das Gefühl gegeben, ich könnte sie niemals enttäuschen. Was auch immer ich tue, wie auch immer ich mein Leben gestalte, solange ich dabei glücklich bin, werden sie mich unterstützen. Das ist die Erklärung für meine Selbstsicherheit und möglicherweise auch der Grund, weshalb ich mich im Licht wohler fühle. Ich habe niemals so Schreckliches erlebt wie du.«

»Der Tod meiner Eltern hat mich schwer getroffen«, gebe ich zu.

»Du gibst dir tief in deinem Inneren die Schuld. Den Grund dafür verstehe ich nicht. Du warst bei dem Kutschunglück nicht mit dabei. Du hast der Reitechse nicht befohlen, vom Weg abzuweichen und vor der Klippe nicht Halt zu machen.«

Sein ruhiger, besonnener Tonfall lässt das, was geschehen ist, so harmlos klingen. Ich weiß, dass er absichtlich die Gefühle aus seiner Stimme gestrichen hat. Trotzdem trifft er mich direkt ins Herz.

»Vielleicht hätte ich mit ihnen sterben sollen«, murmle ich und starre in das Feuer vor uns.

»Unsinn. Oremazz hat sich dir gegenüber niemals verhalten, als wärest du sein Enkel. Ich glaube, du erinnerst ihn an seinen Sohn. Meine Mutter sagt ständig, dass du deinem Vater unglaublich ähnlich siehst. Vielleicht hat der Große Zaubermeister Angst, dich zu nahe an sich heranzulassen.«

»Weil er mich ebenfalls verlieren wird, wenn ich bei dieser Aufgabe scheitere.«

Elevander lacht leise auf. »Nein, du erinnerst ihn an seinen größten Verlust. Ich bin mir sicher, dass er dich tief in seinem Herzen liebt.«

Ich gebe ein Schnauben von mir. »Dann ist sein Herz tiefer als die tiefste Schlucht.«

»Manchen Menschen fällt es schwer, ihre wahren Gefühle zu zeigen.« Jetzt klingt mein Freund, als würde dieser Satz auch wieder eine geheime Bedeutung haben.

»Was bedrückt dich?« Die Traurigkeit auf seinem Gesicht lässt mich nicht kalt.

Einen Moment lang scheint es, als würde er mir etwas anvertrauen wollen. Doch er blinzelt bloß und lächelt. »Nichts. Unsere Welt ist ein dunkler Ort geworden. Ich vermisse das Licht.«

»Du bist das Licht«, flüstere ich. »Du erhellst meine Dunkelheit. Was würde ich nur tun, wenn ich nicht dein bester Freund sein dürfte?«

»Vermutlich würdest du noch mehr an dir zweifeln.«

»Das ist kaum möglich. Eigentlich sind wir noch mehr als Freunde. Es fällt mir allerdings immer noch schwer, das anzuerkennen. Es jagt mir Angst ein.«

Elevander holt hörbar scharf Luft. »Was meinst du?«

»Du bist mein Bruder. Deine Eltern … Sie waren so gut zu mir. Ich bin ihnen unendlich dankbar dafür, dass sie mich bei sich aufgenommen haben. Trotzdem fällt es mir schwer, sie auch als meine Familie zu sehen. So viele Jahre habe ich bei ihnen leben dürfen. Dennoch kann ich ihnen immer noch nicht zeigen, wie viel sie mir bedeuten.«

»Bruder?« Elevanders Stimme klingt seltsam, als er das Wort wiederholt.

»Deine Mutter nennt mich Sohn, wenn sie mich tadelt. Ja, wir sind Brüder. Obwohl nicht das gleiche Blut in unseren Adern fließt, sind wir untrennbar miteinander verbunden. Das geht weit über Freundschaft hinaus.« Ich blicke zu Elevander und suche in seinem Gesicht nach Bestätigung. »Das siehst du doch genauso, nicht wahr?«

Langsam nickt er. Es scheint, als wäre er nicht gänzlich überzeugt. Ich kann seine Miene nicht deuten.

Besorgt runzle ich die Stirn. »Trete ich dir damit zu nahe? Ich habe nicht vor, dir deine Eltern wegzunehmen. Natürlich bist du für immer ihr einziger wahrer Sohn. Diese Position will ich dir nicht streitig machen. Ich dachte bloß …«

»Nein, nein«, unterbricht Elevander mich rasch. »Natürlich sind sie auch deine Eltern. Du wohnst inzwischen so lange bei uns, dass es keinen Zweifel daran gibt. Die Wortwahl hat mich überrascht, weil du die Formulierung noch niemals benutzt hast.«

»Wie du vorhin gesagt hast. Manchen Menschen kommt nicht leicht über die Lippen, wie sie wirklich empfinden. Ich hätte deinen Eltern vor unserer Abreise mitteilen sollen, dass ich sie liebe. All die Jahre, die sie für mich gesorgt haben, konnte ich mich ihnen nicht öffnen. Ein Teil von mir flüstert mir immer noch zu, dass ich meine leiblichen Eltern verleugne, wenn ich deine in mein Herz lasse. Hätte ich mich allerdings nicht so vehement dagegen gewehrt, mehr als Dankbarkeit zu empfinden, wäre ich vielleicht in der Lage gewesen, die Meinung meines Großvaters über mich nicht zu meiner einzigen Wahrheit zu machen.«

»Meine Eltern wissen, wie viel sie dir bedeuten.« Elevander unterbricht den Blickkontakt.

Irgendetwas beschäftigt ihn. Das kann ich an den Schwingungen seiner Aura erkennen. Er scheint mir nicht verraten zu wollen, was wirklich in ihm vorgeht, aber möglicherweise sehe ich lediglich Schatten, die gar nicht existieren. Vermutlich lässt auch ihn das, was vor uns liegt, nicht so gleichgültig, wie er mich glauben lassen will.

Janifik tritt in den Feuerschein. Er hat einen Becher und eine Kanne bei sich. Den Becher drückt er mir in die Hand und füllt ihn mit einer heißen, duftenden Flüssigkeit. »Wünscht Ihr ebenfalls einen Tee?«, fragt er an Elevander gewandt.

Der schüttelt den Kopf. »Keine Umstände wegen einem einfachen Soldaten wie mir.«

»Wir sind beide nicht mehr als Diener für die Macht von Lesithder, dem Großen.«

Elevander unterdrückt das Lachen, bis Janifik verschwunden ist, um einen zweiten Becher zu holen. »Langsam bekomme ich eine Vorstellung davon, weshalb du ihn anstrengend findest.«

»Ich wünschte, du könntest einen Tag meine Rolle übernehmen«, sage ich mit einem Seufzen.

»Das wäre schrecklich für mich. Es tut mir leid, wenn ich direkt bin. Doch die Last, die auf deinen Schultern lastet, wäre zu schwer für die meinen.«

Dem möchte ich widersprechen. Elevander ist so viel stärker, mutiger und freundlicher als ich. Er hätte kein Problem damit, Umock um den Finger zu wickeln. Er würde ihm schmeicheln, ihn mit seiner Nettigkeit umgarnen, bis der sogar zustimmen würde, seinen Thron mit ihm zu teilen.

Schritte nähern sich uns. Elevander springt als Erster von uns beiden auf, als wir den Fürsten erkennen, der sich uns nähert. Mein Freund nimmt Haltung an.

»Lass uns allein«, befiehlt der Fürst in seine Richtung.

Elevander nickt. Bevor er sich auf den Weg zurück zu seiner Einheit macht, wirft er mir noch ein aufmunterndes Lächeln zu.

Der Fürst wendet seine Aufmerksamkeit ganz meiner Person zu. »Morgen wird sich unser Schicksal entscheiden. Wenn es Euch nicht gelingt, Umock auf unsere Seite zu ziehen, werden wir mit großer Wahrscheinlichkeit scheitern.«

Weshalb spricht er es aus und macht es dadurch zu einer unumstößlichen Wahrheit? Ist der Druck, der auf mir lastet, bisher nicht groß genug gewesen?

Sein Blick brennt sich in meine Seele ein. »Seid Ihr bereit?«

Mein Mund ist ganz trocken. Da ich auch meiner Stimme nicht traue, nicke ich.

»Das hoffe ich«, sagt unser Fürst düster. »All unsere Hoffnung ruht auf Euch.«

Ach, wenn es weiter nichts ist. »Ich werde mein Bestes geben.«

Ein grimmiges Lächeln erscheint auf dem Gesicht unseres Anführers. »Möge das genügen.«

Ich möchte fliehen, mich irgendwo verstecken, um diesem Albtraum zu entkommen. Das würde ich allerdings niemals wagen. Nicht, weil ich dann meinem Großvater Schande bereiten würde oder sich meine toten Eltern für mich schämen müssten. Nein, es hängt einfach zu viel vom Gelingen meiner Mission ab.

»Wann werdet Ihr aufbrechen?«, erkundigt sich Janifik, der sich herangeschlichen hat.

»Noch vor dem Sonnenaufgang«, antworte ich. In der Dunkelheit fühlen sich die Nebelseelen am wohlsten. Ich will ausnutzen, dass Umock sich auf sicherem Terrain wähnt. Die Dämmerung wird mir Sicherheit schenken, wenn die Verhandlungen nicht verlaufen, wie ich geplant habe. Der Anbruch des Tages wird es mir möglich machen, das Gespräch zu unterbrechen, wenn ich Gefahr laufe, die Kontrolle über die Unterhaltung zu verlieren.

Mein Blick huscht in die Richtung, in der der Sumpf liegt. Ob der dichte Nebel, der daraus aufsteigt, mir überhaupt ermöglichen wird, das rettende Sonnenlicht zu erkennen? Ich werde es bald herausfinden. Zu bald, wenn es nach meiner Einschätzung geht.

Ich schüttle den Gedanken ab und wende mich an Janifik. »Du musst mich nicht begleiten. Ruhe dich aus. Ich werde einen Zauber sprechen, der mich zur rechten Zeit weckt.«

Er deutet eine Verbeugung an. »Ganz wie Ihr wünscht. Dann werde ich jetzt Euer Lager bereiten, damit Ihr noch ein wenig schlafen könnt, bevor Ihr zu Eurer wichtigen Mission aufbrecht.«

Nach einem knappen Dank von meiner Seite verschwindet er.

Der Fürst mustert mich. »Informiert mich sofort, wenn Ihr von der Verhandlung mit Umock zurückkehrt. Ich will wissen, wie das Gespräch verlaufen ist. Wenn weitere Treffen notwendig sind, werden wir unser Lager befestigen müssen.«

»Selbstverständlich, mein Fürst.«

»Ich wünsche Euch viel Erfolg. Im Namen unseres ganzen Volkes bete ich, dass Ihr Umock davon überzeugen könnt, uns zu helfen. Zu viel hängt davon ab, als dass ein Scheitern infrage käme.«

Worte, die ich viel zu oft von meinem Großvater gehört habe. Ab morgen haben sie hoffentlich ihren Stachel verloren.

»Setzt Euer ganzes Vertrauen in mich«, presse ich hervor. »Ich werde nicht aufgeben, bis der König der Nebelseelen mir seine Zustimmung erteilt hat, uns bei unserem Kampf zu unterstützen.«

»Dieses Selbstbewusstsein habe ich mir seit zwei Wochen an Euch gewünscht. Ruht Euch aus. Der Segen unserer Götter möge Euch morgen begleiten.« Er nickt mir zu und lässt mich dann ebenfalls allein.

Ich setze mich noch einmal auf den Baumstumpf und nippe an meinem Tee, der in der Zwischenzeit kalt geworden ist. Reglos starre ich in die Flammen, bis die Kälte in meine Glieder und die Erschöpfung in meinen Verstand dringen. Dann erst bette ich meinen Kopf zur Nacht, um meine Sinne für den nächsten Tag zu sammeln.

Die Seele des Zauberlehrlings

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