Читать книгу Aus dem Schatten meines Borderliners - Betty Paessler - Страница 3

Borderline

Оглавление

Betty Paessler

Aus dem Schatten meines

Borderliners


Vom Leben & Glücklichsein

trotz einer psychischen Erkrankung

Teil I

Über die Autorin

Sie wurde 1965 in Berlin (a.B.) geboren, wo sie nach dem Realschulabschluss an einer Gesamtschule, erfolgreich eine Ausbildung zur Rechtsanwalts- und Notariatsfachangestellten absolvierte. In diesem Beruf war die Mutter von drei Kindern viele Jahre tätig, bis sie im Jahr 2001 die Diagnose Borderline-Persönlichkeitsstörung erhielt, die letztendlich zum Ausstieg aus dem Berufsleben und hinein in die Frührente führte.

In diesem Buch erzählt sie von ihrem Leben als Borderlinerin, berichtet aus ihrer Zeit während der Therapie und vermittelt uns einige Achtsamkeitsübungen, die sie in dieser Zeit erlernt hat

Diese Publikation enthält Links auf Webseiten Dritter, für deren Inhalt wir keine Haftung übernehmen, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Deutsche Erstveröffentlichung Juni 2019

Copyright © der Originalausgabe Betty Paessler

Impressum:

Betty Paessler

c/o Autorenservice Kamer

Benninger Str. 26

87700 Memmingen

Mail: kontakt@leben-trotz-borderline.com

https://leben-trotz-borderline.com

Druck: epubli, ein Service der

neopubli GmbH, Berlin

Printed in Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile und des Covers, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung der Autorin unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

In Gedenken

an alle Borderliner*innen

die es nicht geschafft haben,

um Hilfe zu bitten.


Es sind nicht die äußeren Umstände,

die das Leben verändern,

sondern die inneren Veränderungen,

die sich im Leben äußern.

(FlowFinder)

Häufigkeit von Persönlichkeitsstörungen in der Bevölkerung 6 – 9%

Häufigkeit der Borderline-Störung in der Gesamtbevölkerung ca. 1,5 %

Ausgeglichenes Geschlechterverhältnis − ca. 20% aller Patienten in psychiatrischen Kliniken leiden an Borderline-Störung, die meisten davon sind weiblich

In Gefängnissen ca. 30% der männlichen Insassen und ca. 20% der weiblichen Insassen von Borderline betroffen

Suizidversuche ca. 60%; vollendete Suizide ca. 7%

Deutliche Häufung anderer psychischer Erkrankungen wie Posttraumatische Belastungsstörung, Alkohol-/Drogensucht, Angststörungen, Affektive Störungen

Im Verlauf deutliche Häufung kardiovaskulärer Erkrankungen, Arthritis, Diabetes

1

Symptome der Borderline-Störung

 Verzweifeltes Bemühen, Verlassenwerden zu verhindern

 Instabile, intensive zwischenmenschliche Beziehungen

 Identitätsstörung (Instabilität des Selbstbildes oder der Selbstwahrnehmung)

 Impulsivität in mindestens 2 potenziell selbstschädigenden Bereichen

 Wiederholte Suizidalität oder selbstschädigendes Verhalten

 Emotionale Instabilität

 Chronisches Gefühl der Leere

 Unangemessene, heftige Wut oder Kontrollschwierigkeiten

 Bei Belastung vorübergehende paranoide oder dissoziative Symptome

Ich habe einmal irgendwo Folgendes gelesen und ich muss aus heutiger Sicht sagen, dass ich nie wieder etwas Zutreffenderes im Zusammenhang mit mir selbst gelesen habe.

Zitat:

Wenn wir uns vorstellen, dass Pferde Gefühle sind, dann sitzen normale Menschen auf einem Ackergaul und die PatientInnen mit Borderline-Störung auf einem Araberhengst. Er geht schnell durch, ist schwer zu kontrollieren und nur langsam zu bremsen. Reiten lernen müssen alle Menschen, aber Borderline-Patienten müssen Spitzenreiter werden, die täglich am Training teilnehmen müssen.“

Menschen, die an einer Borderline-Persön-lichkeitsstörung leiden, fühlen sich innerlich zerrissen, haben ein gestörtes Selbstbild und eine gestörte Körperwahrnehmung.

Ich hatte schon immer Probleme damit, meine Gefühle zu steuern. So etwas benennt die Psychologie als 'Störung der Affektregulation'. Neben den Anspannungszuständen zeigt sich die gestörte Affektregulation in Form von Gefühlen innerer Leere oder einer vollständig fehlenden Gefühlswahrnehmung bis hin zu fehlendem Schmerzempfinden.

Es kam bei mir immer wieder zum Auftreten mehrerer, sich widersprechender Emotionen gleichzeitig. So spürte ich Freude und Wut oder Ekel und Erregung nahezu gleichzeitig. Ich litt fast mein ganzes Leben unter Stimmungsschwankungen, impulsiven Gefühlsausbrüchen, Schwarz-Weiß-Denken, Katastrophieren, starker Verzweiflung, Verlustängsten und Ohnmachtsgefühlen.

Oft handelte ich aus einer Situation heraus, ohne die Konsequenzen zu bedenken. Nicht selten kam es dann auch vor, dass mir speiübel wurde, sobald das klare Denken wieder einsetzte. Handlungen aus dem Gefühl heraus gehörten fast schon zur Tagesordnung. Auch das Handeln nach den angenommenen Gefühlen und Gedanken anderer gehörte zu mir und führte oftmals dazu, dass mein Gegenüber völlig überfordert mit mir war. In den seltensten Fällen konnte ich das auch für mich selbst erkennen. Für mich waren meine Gefühle, Gedanken und Handlungen selbstverständlich. Ich dachte, das ergeht jedem so.

Da die Borderline Persönlichkeitsstörung vor allem die Gefühlswelt, also das emotionale Empfinden beeinflusst, ist eine Ausprägung in fast allen Lebensbereichen zu spüren. Durch das leicht aggressive und gereizte Verhalten gegenüber anderen ist es äußerst schwierig Betroffene mit Kritik zu konfrontieren, da sie damit meist nur sehr schwer umgehen können. Durch die starken Stimmungsschwankungen und die Überempfindlichkeit ist es für das Umfeld meist schwer einzuordnen, wie es dem Betroffenen wirklich geht. Es kann schnell zu Missverständnissen kommen, da Menschen mit einer Borderline Persönlichkeitsstörung sich oft ungerecht behandelt oder zurückgewiesen fühlen. Sie kommen mit der damit verbundenen, subjektiv empfundenen Enttäuschung nur schwer zurecht.

Eine Affektregulation ist auch die Unfähigkeit, innere gefühlsmäßige Zustände zu kontrollieren. Hierbei handelt es sich um hochgradige Spannungszustände, die ich oftmals als unerträglich empfand. Sie zwangen mich, wie wahrscheinlich jeden Borderliner, Strategien zu entwickeln, um diesen Zustand zu verändern oder ihm zu entkommen. 8 von 10 Borderlinern fügen sich Selbstverletzungen (im Folgenden als SV bezeichnet) bei, indem sie sich mit Messern oder Rasierklingen in die Haut schneiden. Einige fügen sich auch bewusst Verbrennungen zu. Aber auch Drogenkonsum oder gefährliche Verhaltensweisen, wie beispielsweise das Rasen mit dem Auto oder dem Balancieren auf Geländern werden zum Spannungsabbau eingesetzt. Auch das harte Schlagen mit den Händen oder dem Kopf gegen eine Wand oder auch das Treten gegen Gegenstände können Teil der SV sein. Während meiner Zeit in der Therapie habe ich bei fast jedem Teilnehmer andere Verhaltensmuster wahrgenommen, so dass einheitliche Verhaltensweisen oder -abläufe nicht festzustellen oder zu erkennen waren.

Was uns aber allen gemein war und ist, ist der tiefe Wunsch nach einem Zustand von Ruhe und Geborgenheit, so dass es zu diesen kurzfristig wirksamen Verhaltensmustern kommen kann. Das kann zur sogenannten 'negativen Verstärkung' führen. Denn die Wirkung dieser SV lässt mit der Zeit wieder nach und so kommt es zu einer verstärkten SV, um wieder eine befriedigende Wirkung zu erzielen.

Was ich an dieser Stelle aber ganz klar festhalten möchte: Es handelt sich dabei um keine Suizidversuche! Denn ein Suizidversuch birgt immer die gezielte Absicht, sich das Leben zu nehmen, während eine SV nur dem Spannungsabbau und der Selbstregulation dient. Da das für 'normale' Menschen sehr verstörend ist, beginnt für die Betroffenen ein Versteckspiel. Nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich. Ich selbst gehöre zu den wenigen Borderlinern, die sich nicht selbst in Form von tatsächlichen Verletzungen 'abreagieren', so dass ich nur aus sehr persönlichen Gesprächen mit Therapieteilnehmern berichten kann. Nur zu oft wurde mir gesagt, dass sich jeder hinter einer Maske verstecke; gleich einem Schauspieler. Funktionieren, so wie andere es von einem erwarten. Ebenso ist auch mein Empfinden.

Damit die Verletzungen an den Armen, egal welcher Art, nicht zu sehen sind, tragen Betroffene sogar im Sommer bei hohen Temperaturen lange Kleidung. Da die Scham über dieses Verhalten jedoch immens hoch ist und der Leidensdruck nur neues SV hervorrufen kann, werden sogar die Beine für die Verletzungen benutzt, weil diese Bereiche leichter zu verstecken sind.

Als Folge dieser intensiven Spannungszustände kann es zu einer stressabhängigen Reaktion kommen, die die Wahrnehmung des eigenen Körpers verzerrt oder gar auflöst, was man auch als 'Dissoziation' bezeichnet. Man empfindet dann keine Schmerzen mehr und sieht sich selbst wie in einem Nebel. Geräusche werden nur gedämpft wahrgenommen und es ist mir nicht nur einmal widerfahren, dass ich fast schon bewegungs- und handlungsunfähig war und mich wie gelähmt fühlte.

Es wurde auch davon berichtet, dass manche von ihnen optische Halluzinationen hatten. Ich selbst hörte manchmal Stimmen, so als hätte mich jemand gerufen oder mit mir gesprochen. Das hat aber rein gar nichts damit zu tun, dass ich Stimmen höre, die mir etwas 'befehlen' oder gar 'einreden' wollen. Ich bin mir jederzeit darüber im Klaren, dass es diese Stimmen in der Realität nicht gibt und so habe ich es auch immer vermieden, mit anderen darüber zu reden. Erst in der Therapie war es mir möglich, mit anderen Betroffenen über diese Dinge zu sprechen und war darüber erstaunt, dass es anderen genauso erging, wie mir. Dachte ich doch bis zum Beginn der Therapie, ich wäre allein mit meinen Problemen und niemand würde mich verstehen.

Doch gibt es neben diesen Spannungszuständen auch sehr intensive aversive (starke Ablehnung hervorrufende) Emotionen wie Schuld, Scham, Ohnmacht und Selbstverachtung. Dieses Gefühlschaos beeinflusst die zwischenmenschliche Interaktion und beeinträchtigt stark das Beziehungsleben. Eine zufriedenstellende Beziehung ist mit diesen Schwankungen im Selbstwertgefühl kaum möglich. Die Angst vor dem Verlassenwerden ist ein zentraler Aspekt im Borderliner-Dasein und kann ein existentielles Ausmaß annehmen. Häufig besteht ein Nebeneinander von Sehnsucht nach Geborgenheit und Nähe und eine starke Angst vor eben genau dieser sozialen Nähe. Die fehlende eigene Wertschätzung wird im intensiven Kontakt zum Partner gesucht. Demgegenüber steht die große Angst vor dem Alleinsein oder davor, verlassen zu werden. Meist scheitert es an den damit einhergehenden hohen Ansprüchen des Borderliners. Oftmals ist es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich der Borderliner zutiefst enttäuscht und manchmal auch verraten fühlt und den zuvor noch idealisierten Partner ablehnt und sich von ihm trennt. Dieses innerliche Zerrissen sein führt wiederum zu neuen Spannungszuständen, so dass ein fürchterlicher Teufelskreis entsteht, aus dem ein alleiniges Herauskommen den Borderlinern nur selten möglich ist.

Aufgrund der zuvor beschriebenen extremen Gefühls- und Stimmungsschwankungen scheitern oftmals partnerschaftliche Beziehungen, weil die jeweiligen Partner der Borderliner damit nicht zurechtkommen und schlichtweg überfordert sind. Aber auch am Arbeitsplatz können diese teilweise stark ausgeprägten Stimmungsschwankungen zu Irritationen führen, die sich nicht selten negativ auswirken und zwischenmenschliche Probleme zur Folge haben. Oftmals scheitert ein Borderliner daran, was mehrfache Arbeitgeberwechsel, wie in meinem Leben, erforderlich macht.

Experten diskutieren außerdem erhebliche Faktoren und Störungen im Gehirn als Ursache für die Erkrankung. Fehlfunktionen in bestimmten Hirnregionen, die für Gefühlskontrolle, Angst und Aggressionen zuständig sind, sind vermutlich mitverantwortlich für die emotionale Instabilität der Borderline-Patienten. Da wo ein “Normaler” noch nachdenkt und/oder reflektiert, hat ein Borderliner schon längst gedacht.

Für Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung ist das Leben gleich einer unkontrollierbaren Achterbahnfahrt, denn der Leidensdruck unter diesen Schwankungen ist extrem. Während gesunde Menschen immer mal wieder einen schlechten Tag haben, sich ärgern oder traurig sind, fällt Borderline-Betroffenen die Bewältigung solchen alltäglichen Frustes sehr schwer. Negative Gefühle flauen nicht so schnell wieder ab und so reicht schon ein kleiner Anlass, um das emotionale Gleichgewicht aus der Balance zu bringen.

Am häufigsten treten bei 'uns' soziale Phobien und posttraumatische Belastungsstörungen auf.

So kann es mir passieren, dass ich an manchen Tagen, ohne vorherigen Anlass (also ohne Streit oder schlechte Erlebnisse), nicht in der Lage bin, beim Bäcker Brötchen zu kaufen oder im Supermarkt einkaufen zu gehen. Die Menschen, die mich vermeintlich alle beobachten und fokussieren, verängstigen mich und ich bin innerlich total angespannt und verspüre den Drang, zu fliehen. In solchen Momenten ist es für mich dringend notwendig, meinem Gefühl nachzugeben und die Situation zu verlassen, indem ich z.B. aus dem Geschäft gehe. Unter Umständen kann es dann sein, dass ich den ganzen restlichen Tag nicht mehr richtig 'funktioniere' und einfach nur versuche, ihn zu überstehen. Manchmal schaffe ich es rechtzeitig einen Skill anzuwenden, auf den ich im späteren Verlauf aber noch intensiver eingehen möchte.

Anderseits kann es auch vorkommen, dass bereits das Verlassen des Geschäfts eine derart enorme Erleichterung bedeutet und das Gefühl in mir, auf mich selbst Acht gegeben zu haben, so wundersam ist, dass ich das nächste Geschäft ohne Probleme betreten kann, um meinen Einkauf zu tätigen. Dafür gibt es für mich keine schlüssige Erklärung und ich kann auch nicht mit Bestimmtheit sagen, dass es so beim nächsten Mal wieder funktionieren wird.

Was auch manchmal vorkommt, ist der Umstand, dass das Warten in einem fast leeren Wartezimmer für mich überhaupt keine Problematik darstellt. Durch das kontinuierliche Eintreten weiterer Personen kann in mir jedoch eine Panik anwachsen, die ich weder zu steuern noch zu erklären vermag. Solche Situationen können sogar durch Gerüche ausgelöst werden. Dann bleibt mir nur noch, zu reagieren. Wenn man so etwas noch nicht selbst erlebt hat, ist das natürlich nicht so einfach nachzuvollziehen. Doch weiß ich aus Gesprächen, dass ich damit nicht allein bin.

In der Fachliteratur ist nachzulesen, dass Borderline-Patienten lange Zeit als hoffnungslose Fälle galten. Doch diese Annahme hat sich durch die speziell auf Borderliner zugeschnittenen Therapien erheblich gewandelt. Auf die angebotenen Therapieformen sprechen ca. 50 % der Borderline-Patienten beim ersten Behandlungsversuch an. Unklar ist allerdings, auf welche Therapieart der Behandlungserfolg zurückzuführen ist.

Die Einordnung der Borderline-Erkrankung ist oftmals schwierig, da sie meist mit Begleit-erkrankungen einher geht. Unter Umständen treten Depressionen, Essstörungen wie beispielsweise Magersucht und ADHS auf.

Auch wenn es einige Anzeichen für Borderline gibt, so sind die Symptome sehr vielfältig und zeigen sich häufig bereits bei Jugendlichen. Betroffenen fällt die Einordnung ihrer Gefühle so schwer, dass sie häufig gar nicht merken, wenn sie traurig oder verärgert sind.

Aus Gesprächen mit den Therapeuten ist mir auch bekannt, dass das limbische System und Teile des Gehirns im Stirnbereich im Zusammenhang mit Borderline untersucht wurden. In diesem Bereich werden beispielsweise die Gefühle und Gedanken verarbeitet, die wiederum mit dem Verarbeitungsprozess von Bewegung und Motivatoren zu tun haben. Dabei wurde festgestellt, dass bei Borderline-Patienten bestimmte Bereiche im Gehirn weniger stark ausgeprägt sind. Diese veränderten Hirnstrukturen können Folge von traumatischen Ereignissen und chronischem Stress sein, so wird vermutet. Die Amygdala (sie ist ein paariges Kerngebiet des Gehirns im medialen Teil des jeweiligen Temporallappens und des limbischen Systems) ist beteiligt an der Entstehung, Wiedererkennung und körperlichen Reaktion auf Angst.

Borderline-Betroffene reagieren bereits auf schwache Reize mit einer körperlichen Aktivierung, was eine Folge daraus ist, dass sie negative Reize oder Umweltereignisse, die eine emotionale Komponente haben, schneller als relevant bewerten.

Das wiederum hat zur Folge, dass wir verletzlicher und anfälliger für Stress sind. Oftmals erscheinen unsere Reaktionen unserem Umfeld als unangemessen. Und im Gegensatz zu gesunden Menschen, geraten wir schneller in Hochspannungszustände, die bei uns auch erheblich langsamer abklingen.

Häufiger Auslöser der Borderline-Störung ist emotionale Vernachlässigung bereits im frühen Erwachsenenalter. Ca. 3 % der Erwachsenen sind betroffen und so komplex wie die Symptome sind auch ihre Ursachen und von rund 40 bis 70 % der Betroffenen wird von fehlender emotionaler Zuwendung in der Kindheit und mangelnde Anerkennung durch wichtige Bezugspersonen berichtet. Leider auch von Misshandlung und sexuellem Missbrauch.

Da nicht jeder Borderline-Patient unter den gleichen Symptomen und Verhaltensmustern leidet, ist eine Diagnose nicht einfach zu stellen und so steht Fachärzten ein international standardisierter Diagnoseschlüssel zur Verfügung, um andere psychische Erkrankungen auszuschließen oder als Begleiterkrankung identifizieren zu können.

Die Behandlung eines Borderliners gehört unbedingt in die erfahrenen Hände eines Psychotherapeuten oder Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie, da die Borderline-Persönlichkeitsstörung wegen des selbstgefährdenden Verhaltens eine ernstzunehmende und schwerwiegende Erkrankung darstellt.

Der ICD-Code (die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme) lautet:

F60.3

Emotional instabile Persönlichkeitsstörung

Eine Persönlichkeitsstörung mit deutlicher Tendenz, Impulse ohne Berücksichtigung von Konsequenzen auszuagieren, verbunden mit unvorhersehbarer und launenhafter Stimmung. Es besteht eine Neigung zu emotionalen Ausbrüchen und eine Unfähigkeit, impulshaftes Verhalten zu kontrollieren. Ferner besteht eine Tendenz zu streitsüchtigem Verhalten und zu Konflikten mit anderen, insbesondere wenn impulsive Handlungen durchkreuzt oder behindert werden. Zwei Erscheinungsformen können unterschieden werden: Ein impulsiver Typus, vorwiegend gekennzeichnet durch emotionale Instabilität und mangelnde Impulskontrolle; und ein Borderline-Typus, zusätzlich gekennzeichnet durch Störungen des Selbstbildes, der Ziele und der inneren Präferenzen, durch ein chronisches Gefühl von Leere, durch intensive, aber unbeständige Beziehungen und eine Neigung zu selbstdestruktivem Verhalten mit parasuizidalen Handlungen und Suizidversuchen.

Doch die gute Nachricht: Es gibt bewährte Therapiekonzepte und in einem der folgenden Kapitel werde ich auf meine eigene Therapiezeit, meine Erfahrungen damit und was ich aus dieser Zeit für mich Positives gelernt habe, berichten. Auch ist es mir ein sehr wichtiges Anliegen mitzuteilen, dass ich in dieser Therapiezeit, die parallel aus einer Einzeltherapie und einer Gruppentherapie bestand, sehr viel über die Störung/Erkrankung, ihre Auswirkung auf mich und die Möglichkeiten gelernt habe, gegen sie anzugehen und ein Leben mit ihr durch die Anwendung von erlernten Skills zu führen, das wirklich lebenswert ist.

Die Sehnsucht nach dem Tod und der Gedanke, dass durch den eigenen Tod alles besser wird? Ist mir bekannt. Ich habe mein Leben oft als nicht erträglich angesehen und der Tod erschien mir in meiner Welt die einzige Lösung zu sein. Allein der Gedanke daran entspannte mich und das Beschäftigen mit den Gedanken über die Art und Weise stimmte mich ruhig. In diesen Momenten konzentrierte ich mich völlig auf mich. So merkwürdig das auch klingt, aber in Gesprächen mit anderen Borderlinern wurden mir diese Gedankengänge oftmals als durchaus bekannt bestätigt.

Wichtig ist wirklich nur, dass man sich Hilfe bei speziell ausgebildeten Fachleuten holt. Nichts gegen Hausärzte oder Neurologen: aber ich weiß aus eigener Erfahrung, dass die mit 'uns' nichts anfangen können und wir sie schlichtweg überfordern. Dem Zusammenwirken mehrerer, sehr lieber Menschen ist es zu verdanken, dass ich 'entdeckt' wurde, worauf ich im weiteren Verlauf noch eingehen möchte. Einem ganz besonderen Menschen bin ich besonders dankbar. Durch sie hat sich mein Leben völlig verändert. Aus diesem Grund möchte ich ihr auch

Danke, liebe Sophie

sagen und nach Fertigstellung und Veröffentlichung dieses Buches wird es mir eine große Ehre sein, ihr ein Exemplar zukommen zu lassen. Ich wünschte, dass jeder psychisch kranke Mensch jemanden hat, der ihn an die Hand nimmt und die richtigen Schritte einzuleiten weiß. Da ist, wenn man selbst nicht mehr weiterkann, sich nicht traut oder überfordert ist. Vieles ist schnell dahin gesprochen:

Stell dich nicht so an

Hab dich nicht so

Das bildest du dir nur ein

Was du immer hast

Mach dich nicht wichtiger, als du bist …

Wie oft ich diese Sätze wohl schon gehört habe. Heute weiß ich: zu oft!

Doch was können Angehörige tun?

Nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern auch für Partner, Familie und Freunde ist das Leben mit einem Menschen mit Borderline-Persönlichkeitssyndrom eine große Herausforderung. So haben meine Stimmungsschwankungen häufig für Unverständnis und Belastung der zwischenmenschlichen Beziehung gesorgt. Schon der Gedanke daran, wie es meinen Kindern im Umgang und Zusammenleben mit mir gegangen sein muss, ist für mich sehr hart und ich schäme mich auch dafür, dass sie mir und meinen Verhaltensauffälligkeiten so lange ausgeliefert waren. Nicht, dass ich ihnen körperlich etwas angetan hätte, um Gottes willen. Ich liebe meine Kinder sehr und wollte ihnen auch niemals etwas Böses, aber ich konnte sie vor den psychischen Belastungen durch mich nicht schützen. Leider war auch niemand aus meinem Umfeld für sie da. Erst als Sophie in mein Leben trat, wurde es auch für meine Kinder erträglicher, denn ihr Vater war nicht in der Lage, mit meinem psychischen Problem umzugehen oder sich Hilfe zu holen. Von ihm stammen die zuvor aufgeführten Sätze und erst als ich meine Frührente bezog, war diese Erkrankung für ihn relevant. Aber auch dazu später mehr.

Und gerade deshalb ist es wichtig, sich als Angehöriger und Partner zuallererst gut über die Erkrankung zu informieren. Dies ist eine wesentliche Grundlage, damit 'Gesunde' ein besseres Verständnis für Borderline-Patienten entwickeln können. Auch können Unsicherheiten im Umgang mit 'uns' aus dem Weg geräumt werden und sie werden lernen, das schwierige Verhalten der Erkrankten nicht persönlich zu nehmen, denn die Ursache ist die Erkrankung, nicht der Mensch. Den Borderliner bei seinem Weg durch die Therapie zu begleiten und ihn zu unterstützen, erfordert viel Kraft und daher sollten Angehörige oder Partner immer auch ihr eigenes Wohl im Blick behalten.

Auch sie brauchen Hilfe und Unterstützung und es kann schon sehr hilfreich sein, sich mit anderen Angehörigen auszutauschen oder ein sogenanntes Angehörigen-Seminar zu besuchen.

Hier ein Beispiel für eine Website:

www.borderline-plattform.de/angehoerige

Das Portal für Partner und Angehörige von Borderline-Betroffenen in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Egal, was um dich herum passiert,

nimm es nicht persönlich.

Nichts, was andere Leute tun,

passiert wegen dir,

sondern wegen ihnen selbst.

(Miguel Àngel Ruiz)


2

Aus dem Schatten meines Borderliners

Подняться наверх