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Meine Kindheit Meine Jugend

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Ich erinnere mich, dass wir zu der Zeit, als sich das Erlebnis zutrug, von dem ich nun erzählen möchte, Sexualkundeunterricht in der Schule hatten. Mir war dieses Thema unglaublich peinlich und ich schämte mich im Unterricht immer sehr, wenn ich Bilder oder besser gesagt Zeichnungen von nackten Menschen sah.

Merkwürdig... jetzt hier beim Schreiben fällt mir noch eine andere Begebenheit ein, die ich völlig verdrängt hatte. Von ihr möchte ich zuerst berichten:

Meine Eltern sind gebürtige Berliner und mit meinen Schwestern kurz vor meiner Geburt in eine neu angelegte Siedlung, der Gropiusstadt, im Süden West-Berlins gezogen. Das war schon eine Besonderheit: Neubau, zudem Hochhaus, eigene Garagen, Müllschlucker auf jeder Etage, Gemeinschaftsräume, und riesige Grünanlagen. Wir bewohnten eine 3-Zimmer-Wohnung in der 13. Etage. Damals gab es noch eine richtige Hausgemeinschaft und jeder kümmerte sich um jeden. Man kannte sich und die Kinder wuchsen alle gemeinsam auf.

Eine Freundin meiner Mutti lebte mit ihrer Familie in der 10. Etage. Wir verbrachten damals viel Zeit miteinander. Mit Claudia, der jüngsten Tochter war ich befreundet und ich glaube, für meine Leute war das damals auch sehr angenehm, da ich im Haus blieb und nur mit dem Fahrstuhl unterwegs war. Mein Vater hatte eigens für mich jeweils einen Haken in den beiden Fahrstühlen befestigt, an dem ein Stock hing, mit dem ich die oberen Knöpfe drücken konnte.

Claudia hatte noch einen Bruder, der – so meine ich – ein Jahr älter war als ich. Ich kann mich an kaum mehr erinnern, als dass er kleiner war als ich. Ach, und sie hatte noch eine Schwester, die so vier oder fünf Jahre älter war als ich. Aber an sie und an den Vater der dreien habe ich kaum eine Erinnerung. Doch an ihre Mutter denke ich gerne zurück. Der Gedanke an sie durchströmt mich noch heute mit einem sehr liebevollen Gefühl. Sie hat mich oft in den Arm genommen; ich glaube, ich tat ihr nach dem Tod meiner Mutti einfach leid. Auch sie hat damals unter ihrem Verlust lange gelitten, da die beiden Frauen miteinander befreundet waren und sich schon lange vor dem Einzug kannten.

Jedenfalls hatte ich mit Claudia dieses unkomplizierte Verhältnis, wie es nur Kinder miteinander haben können. Frei von Wertung. Nach einem Streit war man nicht nachtragend und konnte sofort wieder miteinander Lachen.

Sie war schon als Kind sehr sozial; immer für andere da. Ich erinnere mich an sie als ein immer freundliches Mädchen. Nicht launisch, immer lachend, liebenswert und direkt. Was sie dachte, sagte sie. Wir sind oft zusammen mit den Hunden der Nachbarn spazieren gegangen und haben uns so manche Tafel Schokolade damit verdient. Wenn ich mich recht erinnere, hatte sie in ihrem Zimmer neben dem Stundenplan für den Unterricht auch einen Plan, in dem die Zeiten eingetragen waren, wann sie mit welchem Hund Gassi ging.

Da wir nicht auf die gleiche Schule gingen, konnte ich nicht immer mit ihr mitgehen. Sie ging auf eine 'normale' Grund- und später Hauptschule und ich war auf einer Gesamtschule, weshalb ich an den Nachmittagen nicht zu Hause war. Aber auch dazu später Näheres.

Auf jeden Fall gab es bei uns im Haus im Erdgeschoss ein weibliches Pärchen, die zusammenlebten. Zu ihnen gehörte ein kleiner Mischlingshund, den Claudia und ich sehr mochten und den sie regelmäßig am Nachmittag ausführte, wenn die beiden Frauen in der Arbeit waren. Claudias Mutter kannte eine von ihnen schon länger, so dass es nicht weiter verwunderlich war, dass Claudia einen Wohnungsschlüssel hatte, um den Hund aus der Wohnung zu holen. Dieser Umstand spielt für mein Erlebnis eine ganz entscheidende Rolle.

An diesem Tag, auf den ich hier eingehen möchte, war ich zufällig zu Hause und Claudia nahm mich mit in die Wohnung. Bis dahin ging sie immer alleine hinein. Aber dieses Mal war sie sehr aufgeregt und bestand darauf, mich mitzunehmen. So folgte ich ihr. Ich kannte mich sofort darin aus, da sie spiegelverkehrt zu unserer war. Claudia zog mich ins Schlafzimmer und holte aus einem Regal einen großen Karton mit Fotos. Nacktfotos von den beiden Frauen. Sehr intime Fotos, von denen ich heute sagen würde, dass es pornografische Aufnahmen waren, denn die Frauen waren nicht einfach nur nackt. Der Intimbereich war ebenso oft zu sehen, wie sehr spezielle Körperhaltungen. Sehr viele von den Fotos zeigten beide Frauen beim Sex. Heute weiß ich, dass diese Aufnahmen eine dritte Person gemacht haben muss.

Bei dem Gedanken an diesen Moment der direkten und völlig unerwarteten Konfrontation mit diesen befremdlichen und mir damals sehr unangenehmen Bildern, bekomme ich noch heute rote Wangen. Es war abstoßend und anziehend zugleich. Irgendwie ekelten und faszinierten sie mich. Fluchtartig habe ich die Wohnung verlassen und habe sie auch nach diesem Tag nie wieder betreten. Gesprochen habe ich darüber mit niemandem.

Damals spürte ich zum ersten Mal dieses Hin- und Hergerissen sein zwischen wegschauen und hinsehen müssen gleichzeitig. Noch oft musste ich an diese Bilder denken und ich spürte schon damals dieses Kribbeln in mir, das mich so sehr verunsicherte. Gleichzeitig war aber auch diese starke Abneigung in mir und ich hasste mich selbst dafür, dass in mir ein solches Durcheinander herrschte.

Doch offen gestanden faszinieren mich noch heute Liebesszenen zwischen Frauen. Angefangen von zärtlichen Küssen bis zum hingebungsvollen Streicheln und Liebkosen. Wie ich damals auf Fotos von nackten Männern reagiert hätte, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Meinen Vater hatte ich bis zu diesem Tag noch nie nackt gesehen und alles 'Schmuddelige' hielt schon meine Omi von mir fern. Der Sexualkundeunterricht in der Schule bereitete mir großes Unbehagen.

Aus dieser Zeit heraus ist auch meine erste Erinnerung daran, dass ich mich im Spiegel angesehen habe und mich selbst im Intimbereich berührte. Ich wollte das, was ich auf den Fotos gesehen hatte, selbst erleben. Ich wollte dieses Gefühl, das diese Bilder in mir ausgelöst haben, noch einmal spüren.

Annähernd zur gleichen Zeit hatte ich dann ein sehr schreckliches Erlebnis, deren Auswirkungen mich lange Zeit 'begleiteten'. Und dies im wahrsten Sinne des Wortes.

Ich war auf dem Weg zur Schule. Unterwegs wollte ich – wie immer – meinen Klassenkameraden Christian abholen, um den restlichen Weg mit ihm gemeinsam zu laufen.

Christian war und ist ein sehr ruhiger Mensch, der in meiner Erinnerung um einiges größer war als ich. Auf Klassenfotos ist zwar zu sehen, dass wir damals annähernd gleich groß waren, aber für mich wurde er nach diesem Tag zu einem Riesen.

Mein Weg führte allmorgendlich durch eine Einkaufspassage in der Gropiusstadt, deren viele Geschäfte naturgemäß zu dieser frühen Stunde noch geschlossen waren.

Heute steht dort ein riesiges Einkaufsforum (die Gropiuspassagen) und durch die überall installierten Überwachungskameras wäre ein solcher Vorfall auch undenkbar. Damals jedoch war alles viel kleiner und gedrungener, mit einem Bruchteil an Geschäften.

Zwar war der eigentliche Weg zur Passage offen und weitläufig, jedoch höher gelegen, so dass man entweder mit der Rolltreppe oder aber über eine Treppe hinaufmusste. Von der Straße aus war die Passage nicht einsehbar. Um zu Christian zu kommen, musste ich also durch eben diese Einkaufspassage. Das Haus, in dem er mit seiner Familie wohnte, lag nur ein paar Schritte von der Passage entfernt und durch eine blickdichte Hecke von ca. 2 Metern Höhe getrennt.

Da die Rolltreppe an diesem Morgen nicht in Betrieb war, nahm ich also die Treppe und wurde beim Hinaufgehen von einem Mann überholt. Auf meinem weg durch die Passage wechselte sich die Position von mir und dem Mann ein paar Mal ab. Mal lief er vor mir, mal hinter mir. Kurz vor Ende der Passage musste ich nach rechts abbiegen, um zwischen den hinteren Geschäften hindurch zu Christians Haus zu gelangen. Zu dieser Zeit lief der Mann hinter mir.

Es waren nur noch wenige Schritte bis zur Hecke, als der Mann mich ansprach.

„Hallo, entschuldige bitte“, sagte er in einem eigentlich sehr freundlichen Ton zu mir, weswegen ich stehen blieb und mich zu ihm umdrehte. Was ich dann jedoch sah, verschlug mir kurzzeitig die Sprache.

Mit bis zu den Oberschenkeln heruntergelassenen Jeans stand er mit sehr erregtem Glied vor mir.

„Hast du einen Moment Zeit für mich?“ fragte er.

„NEIN“, schrie ich ihn an, drehte mich um und rannte die vielleicht 100 Meter zu Christians Haustür, um dort Sturm zu klingeln. Erwähnen möchte ich noch, dass diese Stelle, an der dieser gestörte Mensch mich ansprach, vom Haus aus nicht einsehbar war. Zum einen befand sich die Hecke in Sichthöhe der unteren Fenster im Erdgeschoss. Zum anderen verdeckte das weit überstehende Flachdach der Geschäftsgebäude den Fußgängerbereich. Selbst wenn jemand um diese Uhrzeit aus dem Fenster gesehen hätte, wäre unbemerkt geblieben, was mir in diesen wenigen Augenblicken widerfuhr und mich zutiefst verstörte.

Was danach geschah ist eine Mischung aus eigenen Erinnerungen und zudem den Erzählungen und Gesprächen mit meiner damaligen Lehrerin, Christian und der leitenden Kripobeamtin, die die Mutter meines Klassenkameraden Axel war. Ich kannte sie von Besuchen bei ihm zu Hause. Dieser Umstand machte es mir, um ein Vielfaches einfacher von dem Geschehen zu berichten und ich würde mir für alle Mädchen und Frauen, die in eine ähnliche oder gar schlimmere Situation wie ich kommen, wünschen, dass auch sie so voller Verständnis und Behutsamkeit behandelt werden würden. Ich hatte zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, dass sie mir nicht glaubte. Ihr konnte ich vertrauen. Sie hörte mir zu. Sie war es auch, die meine Hand hielt …

Aber zurück zu dem unvergesslichen Moment und die Zeit danach.

Von dem Augenblick an, als Christian aus dem Haus kam umklammerte ich seinen Arm und ließ ihn auf dem ganzen Weg zur Schule nicht mehr los. Jahre später erzählte er mir, dass er mich damals ziemlich gruselig fand. Ich wäre weiß gewesen, wie eine Wand und hätte nicht ein Wort gesprochen. Nur festgehalten hätte ich ihn. So sehr, dass ihm das Laufen schwergefallen sei.

Ich soll dann mit starrem Blick und völlig abwesend und teilnahmslos im Unterricht gesessen haben. Plötzlich sei ich aufgestanden und wortlos aus dem Klassenzimmer gelaufen. Da erzählte ihr Christian, dass ich mich am Morgen so eigenartig verhalten hätte.

Meine Lehrerin fand mich dann heulend und zusammengekauert auf dem Boden der Mädchentoilette und es muss einige Zeit gedauert haben, bis sie mich dazu bewegen konnte, die Toilette wieder zu verlassen.

Mein Vater wurde informiert und gebeten, sofort in die Schule zu kommen, da ich mich einfach nicht beruhigen ließ. Meine nächste eigene Erinnerung ist dann, dass ich gemeinsam mit meinem Vater, meiner Lehrerin und der Frau L., der Kripobeamtin, im Lehrerzimmer saß. Ich wurde befragt und sollte die Vorgänge vom Morgen so detailliert wie möglich schildern. Ich musste mir sogar Fotos von Männern in einem Ordner ansehen. Jedoch hatte ich keinerlei Erinnerung an sein Gesicht. Nur an seine Jeanshose konnte ich mich erinnern. Denn jedes Mal, wenn er vor mir ging, konnte ich das Muster auf seinen Gesäßtaschen sehen. Ganz am Rande habe ich damals noch wahrgenommen, dass dieser 'Mensch' bereits mehrfach in Erscheinung getreten wäre und Mädchen in unserer Umgebung angesprochen hätte.

Wie lang diese Befragung andauerte, vermag ich heute nicht einmal mehr annähernd zu sagen. Auch wie dieser Tag weiterging, erschließt sich mir nicht wirklich. Ich meine mich zwar daran zu erinnern, dass mein Vater mich mit nach Hause nahm, aber danach: absolute Leere...

Doch jetzt und hier beim Niederschreiben, kehren die Erinnerungen nach und nach zurück.

So weiß ich jetzt wieder, dass ich einen 'Schatten' bekam, der mich in Person eines Zivilpolizisten für einige Zeit morgens von zu Hause abholte und meinen Weg zur Schule überwachte. Auch auf dem Nachhauseweg war er eine Zeitlang in meiner Nähe.

Nach dem ersten Morgen wurde ich direkt ins Lehrerzimmer gerufen, wo ich mir einen ziemlichen Rüffel abgeholt habe. Denn ich bin, weil ich immer noch ziemlich durch den Wind war und auch Angst hatte, wohl viel zu schnell gelaufen, so dass sich der Polizist meinem Schritt anpassen musste. Direkt gesagt, musste er mir schon fast hinterherrennen, was natürlich alles andere als unauffällig war. Ich versprach Besserung und von da an blieb es auch verhältnismäßig ruhig. Diese ganze 'Beschatterei' dauerte ca. eine Woche, in der glücklicherweise auch nichts geschah.

Aber wieder einmal sprach zu Hause niemand mit mir über das Geschehene. Ein weiteres Mal blieb ich mit meinen Gefühlen und Ängsten allein.

Ein paar Jahre nach Verlassen der Schule habe ich Axel, den Sohn der Kripobeamtin, auf einem Klassentreffen wiedergesehen. Und auf meine Frage, wie es seiner Mutter ging, erzählte er mir, dass 'der Typ aus den Gropiuspassagen' tatsächlich auf frischer Tat gefasst werden konnte.

Ende gut, alles gut? - Nicht wirklich!

Zwar hat er mich nicht berührt, aber der psychische Übergriff war sehr heftig und noch heute passiert es mir, dass ich beim Fernsehen oder in den Nachrichten auf gleichartige Begebenheiten oder sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen emotional so heftig reagiere, dass ich manchmal das Zimmer verlassen muss, um mich wieder zu beruhigen. Lange Zeit habe ich mich geschämt und die Schuld für mein Erlebnis bei mir gesucht. Und niemand hat damals auch nur versucht, mich davon zu befreien. Niemand in meiner Familie hielt es für notwendig, mich einer Psychologin oder einem Psychologen vorzustellen, um das Erlebte aufzuarbeiten.

Wieder einmal kam in mir das Gefühl auf, dass ich schuld an dem war, was passiert ist. Und das mich niemand mehr liebhätte, würde ich um Hilfe bitten. Sie würden mich doch für schwach halten.

Ich wollte doch nur, dass einer von ihnen die dunklen Träume in der Nacht für mich verscheuchte.

Doch ich blieb wieder einmal mit meinen Ängsten, Sorgen und Nöten allein.

Nie glücklich ist,

wer ewig dem nachjagt,

was er nicht hat,

und was er hat, vergisst.

(Shakespeare)


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Aus dem Schatten meines Borderliners

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