Читать книгу Kannibalen und feine Leute - Bexhill - Страница 3
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Die bitterkalte Nachtluft biss Littlewood ins Gesicht. Auf dem illustren Leicester Square glänzte, das Eis und die Häuser. Auf der Straße verteilt standen Constables und klapperten mit den Zähnen. Alles war festlich erleuchtet. Er bemühte sich, nicht auf die Nase zu fallen, während er tapfer auf dem Gehsteig blieb. 20 Meter vor ihm hielt eine zweispännige Kutsche mit gummierten Metallreifen. Littlewood klopfte anerkennend zweimal mit seinem Gehstock auf das Straßenpflaster. Die Kutsche wurde von zwei, auserlesen schönen Pferden gezogen auf deren Stirnen rote Federn steckten. Ein Diener sprang vom Trittbrett und öffnete den Schlag. Littlewood konnte ein vergoldetes Wappen an der Tür erkennen. Ein halbrunder Schild darin ein Topfhelm im Profil. Littlewood war kein großer Kenner der Heraldik, allerdings kannte er die Helmzier, ein Büschel Federn in Rot, wie bei den Pferden. Littlewood kannte selbstverständlich das Motto des Wappens dieses deutsche ich Diene, es war der der Herzog von York George Frederick Ernest Albert von Sachsen-Coburg und Gotha. Der Atem der Pferde dampfte, und die polierten Beschläge ihres Geschirrs funkelten im Gaslicht. Littlewood rückte seine Krawatte zurecht und lächelte zufrieden. Schwungvoll doch nicht hastig stieg er die Freitreppe zur Habsburger Botschaft empor. Die großen Türflügel öffneten sich vor ihm. Littlewood gab einem livrierten Diener seine Carte de Visite, worauf dieser ihn in den monumentalen Saal führte, wo der Empfang für den Botschafter der Donaumonarchie bereits begonnen hatte.
Es war ein herrlicher Raum, mit einer von Richard Ansdell bemalten gewölbten Decke mit 16 fein ziselierten Eisensäulen, die sich in dem Ballsaal in die Höhe streckten. Vier mit Edison Elektrizität betriebene Kronleuchter hingen an Ketten herab und tauchten den Saal in goldfarbenes Licht. Littlewood sah sich um, er bemerkte, dass er die Aufmerksamkeit einiger Damen auf sich gezogen hatte, die kokett hinter ihren weißen Spitzenfächern verborgen über ihn sprachen. Leichte Parfums helles Damenlachen und Gläserklirren, ein Mietorchester spielte einen beschwingten zum Tanzen verlockenden Walzer. Littlewood fühlte sich, wie ein Fisch im Wasser er war in seinem angeborenen Element. Eine Armee von rot livrierten Dienstboten balancierten mit stoischen Gesichtern die Champagner Gläser auf silbernen Tabletts, unter den Gästen umher. Vergoldete Getränketabletts wären nicht nur von Littlewood als dekadent empfunden worden, er nahm sich ein Glas um etwas in seiner Hand, zu halten. Er wollte nicht wirken, wie ein nervöser Landpfarrer, der sich ständig an seiner Kleidung zupfte, als suche er nach Flöhen. Littlewood machte seine Runden. Die Gespräche drehten sich überwiegend um Belanglosigkeiten, wie Musik das Theater die Politik. In erster Linie ging es, darum den jeweils anderen anhand seiner Antworten gesellschaftlich einzuschätzen. Ein Staatssekretär, dessen Namen ihm entfallen war, kam zielsicher auf ihn zu. Er war etwas zu schlank, wirkte aber elegant in seinem Frack, nur seine Zähne waren vom Opium schwarz verfärbt, was er hinter einem blonden dichten Backenbart zu kaschieren suchte. Aus einem der anderen Räume kam mit weit ausholenden Schritten der Chiefconstable Sir Lestrade auf ihn zugestürmt. Er trug seine mit Ordensspangen dekorierte Uniform und als einziger Gentlemen im Saal keine Handschuhe. Der Chiefconstable der Metropolitan Police Sir Pontius Lestrade betrachtete anerkennend. Littlewoods Kleiderwahl für den Abend, einen himmelblauen Frackrock, ein dunkelblaues Seidenhemd aus Nanking Seide dazu gelbe Hosen und einen weißen Zylinder. An seinem Revers war ein blau, weiß, rotes Blumengebinde angebracht, die Farben der Flagge des britischen Imperiums, größer als Rom vor ihm. Nur Dschingis Khan hatte seines Wissens Ungarn, Teile Russlands und Polens und China ohne Hongkong voraus. Merkwürdig, dass kein Imperialist vom mongolischen Empire sprach, Littlewood sah auf.
Lestrade schimpfte. »Ein wenig zu spät zu kommen im Rahmen der erlaubten gesellschaftlichen Etikette ist eine Sache, aber es ist etwas gänzlich anderes, wenn man als hoher Beamter den Anschein erweckt, man kann eine Einladung nicht Lesen, oder aber man sei zu blödsinnig den Weg zu finden.«
Inspektor Walter St. Littlewood lächelte seinen Förderer und Gönner an. Er strahlte mit der Festbeleuchtung um die Wette, er freute sich aufrichtig, den alten Querkopf gesund und munter zu sehen.»Sir es war doch etwas aus heiterem Himmel eine Einladung zum Botschafterempfang vor beinahe zwei Stunden vom Büroboten zu erhalten. Wissen Sie, ich war auf dem Amt, ein interessanter Mordfall.«
Der Chiefconstable sah sich um, winkte seiner Tochter und seinem Schwiegersohn zu und steckte sich dann genüsslich seine Pfeife in den Mund und inhaliert so tief als Rauche er Ambrosia aus Illyrien und nicht 2 Schilling Haschisch aus einer Apotheke in Kensington. Er wies auf den Staatssekretär: »Also das ist Mister Hoxton Chappell ein Freund von meinem Freund Burello, Austern und Fische Whitechapel. Es ist da gestern etwas Unangenehmes geschehen, irgendwo im verdammten Sussex. Also schießen sie los Sportsfreund!« Der Staatssekretär nickte, »Sir ich bin Anteilseigner eines kleinen Stahlwerks in East Sussex in West Hoalthy. Der Hauptanteilseigner einer meiner Geschäftspartner wurde grausam ermordet. Wir sind beunruhigt, wollen, dass sie den Mörder zur Strecke bringen.«
»Tot wie ein Sargnagel, Littlewood!«, sagte der Chiefconstable der Londoner Polizeibehörde grinsend. »Als hätte ihn die patriotische Bruderschaft in die Mangel genommen!«, präzisierte Lestrade genießerisch. »Mit vollem Respekt Sir, die Polizei aus Sussex hat durchaus ihre eigene fähige Kriminalabteilung.« Es stimmte natürlich nicht, aber vermutlich war jeder Polizist gezwungen das zu sagen, jeder der nicht bei Scotland Yard beschäftigt war, gehörte ganz bestimmt nicht in die Kategorie fähig. Littlewood verachtete diese uniformierten Bauerntrampel, die ihm die Spuren kaputt trampelten.
Hoxton sagte: »Es ist etwas heikler Natur, es sollte, wenn möglich diskret behandelt werden. Das Opfer wurde nun in einer etwas unruhigen Situation ermordet. Weder ich noch andere Gentlemen, die geschäftlich mit dem Opfer zu tun hatten, möchten es an die große Glocke hängen und Unruhe dort unten stiften, Mister Littlewood. Vielleicht nimmt man sich den Mord dort als Beispiel.« Der Staatssekretär druckste nicht lange herum. Lestrade klopfte ihm auf die Schulter: »Na nicht so Scheu, Hoxton hatten doch keinen Unfall zu beichten.« Lestrade wandte sich an Littlewood. »Also Walter ich will, dass sie ihre Arctics ihre Winterklamotten in den Koffer packen und runter fahren und diesen Fall aufklären ohne das Es in der Zeitung steht. Nehmen sie sich einen oder zwei Mann mit. Ihre Sonderbefugnis habe ich hier!« Lestrade tastete an seiner Uniform herum und zog einen zerknitterten und mit Hummercocktail Soße befleckten Umschlag mit dem Siegel des Home Office heraus. Littlewood steckte das Kuvert, ohne Neugier ein. »Ihre Tochter sieht wie immer umwerfend aus, Sir!«, sagte Littlewood.
Lestrades Gesicht bekam einen heiteren Ausdruck, »macht alles die Schwangerschaft mein junger Freund, haben schon drei dieser kleinen Rabauken im Haus, aber ich sage man kann ein paar Dinge in dieser Welt nie zu viel haben. Kinder, Gesundheit und Geld!«
»Da haben sie wohl recht, Sir!«
Littlewood stimmte nur den beiden letzteren Dingen zu. Die Kinder, die er in Pimlico kannte oder sah, waren wie missgewachsene kleine Erwachsene, erinnerten ihn bei ihrem Weg in die besseren Schulen irgendwie an unheimliche Jesuiten oder eine Herde blöder verfressener Vikare. »Eine Frage Sir?«
»Schießen sie schon los, ich habe nicht die ganze Nacht Zeit, im Nebenraum sitzen Watson, Burello, Lim und der verdammte Graf von Habsburg und saufen das Bier als wäre es Wasser. Muss mir angewöhnen, Antitoxin mitzubringen, wenn ich das nächste Mal auf einen Habsburger treffe, saufen alle wie die Fuhrknechte.«
»Bezog sich die Einladung nur auf den Auftrag, Sir? Ich sehe nämlich die umwerfende Lady Lilly Langtry.«
Der Chiefconstable grinste, »aha also auf eine Mätresse des Prince of Wales abgesehen, na dann viel Glück!«
Der Staatssekretär errötete, es kam nicht sehr oft in der Öffentlichkeit vor das jemand diese berühmte Schauspielerin, eine Hetäre nannte. Littlewood war begeistert, er hatte sie 1886 im Theater royal Haymarket in dem amüsanten Stück „She Stoops to Conquer“ gesehen. Ihre natürliche Anmut und Grazie legte ihr nicht nur sein Herz, sondern auch das der Londoner Künstlerwelt und der Salons von Mayfair zu Füßen. Aber vermutlich nahm sie es Scotland Yard übel ihren besten Freund in ein Zuchthaus gesteckt zu haben, wo er zwei Jahre schwere Zwangsarbeit verrichten musste. Er selber hatte sich geweigert an diesem Racheakt, von John Sholto Douglas, den 9. Marquess von Queensberry der die Ehre seines Sohnes befleckt sah teilzunehmen. Der Marquess konnte sich nun rühmen, der englischen Theaterwelt einen tödlichen Dolchstoß versetzt zu haben. Queensberry hatte nicht wie ein Gentleman gehandelt. Der Marquess hatte das Ehrgefühl eines kleinen bissigen Straßen Köters gepaart mit der Rachsucht einer Viper. Mal sehen ob er diese Schönheit davon überzeugen konnte, sein Bett zu teilen.