Читать книгу Kannibalen und feine Leute - Bexhill - Страница 8
7
ОглавлениеDie Augen zusammengekniffen als blicke er in die grelle Sonne, blinzelte Littlewood misstrauisch zu Inspektor Snyder hinüber. Er saß bei hochgedrehtem Gaslicht am Schreibtisch seines Arbeitszimmers im Scotland Yard Gebäude und dachte über Kannibalismus und Kultur nach. Die Polizeiarbeit hatte nicht nur eine rein intellektuelle Seite, sondern auch eine philosophische okkulte die der Inspektor mochte. Er hatte diesen Kleinstadt Arzt gebeten, das mit der Menschenfresserei für sich zu behalten aber er würde es nicht können. Die Schweigepflicht musste eine zu hohe Bürde für den armen Mann sein. Inspektor Snyder saß auf der andern Seite des Büros und rauchte ruhig und bedächtig eine seiner Zigarren. Ab und zu nahm er einen Schluck aus einer Flasche Dr. Summers Nerven Tonikum. Littlewood vermutete, dass es zu gut 90 Prozent aus Gin bestand, jedenfalls roch es in dem Büro wie in einer Kneipe im Eastend. Die andere Hand des Inspektors spielte mit seiner Taschenuhr eine Auszeichnung für zwanzig Jahre treue Dienste im Namen ihrer Majestät Queen Victoria. Littlewoods Ärmel waren hochgekrempelt, sein Seidenhemd war blaugelb gestreift. Sein Anzug saß perfekt, als habe der Inspektor seinen persönlichen Schneider. Für Inspektor Snyder hatte sein Vorgesetzter etwas von einem Beau Brummel, etwas von einem Kensington Salon Bohemien und sehr wenig von einem Polizisten an sich. Nicht, dass Inspektor Snyder sich der Illusion hingab, New Scotland Yard in London bestünde nur aus zupackender Redlichkeit. Gegen den Chief sah der Inspektor zutiefst gewöhnlich aus, wie er dasaß, paffte und vor sich hinstarrte und wahrscheinlich über Nichtigkeiten wie seine Eheprobleme nachdachte. Littlewood öffnete endlich den Mund und brach die Stille.
»Ein Kopf arrangiert im Bett des Schlafzimmers! Wie grotesk.«
Inspektor Snyder lächelte säuerlich. »Ja das sind die Sachverhalte«, er seufzte. »Das Opfer, ein Fall, den East Sussex selber angehen sollte, wir haben hier genug mit unseren Fällen zu tun, wurde mit einem scharfen Messer oder Bajonett verletzt. Ihm wurden die Nieren entfernt, sagt dieser Arzt.«
Littlewood nickte und merkte an: »Dann bereitete sich der Mörder in aller Ruhe sein Nieren Haschee zu. Sehr geschmackvoll die Leute unterschätzen ein gutes Nierengericht, halten es im Gegensatz zur französischen Küche nur für ein Arme Leute Essen!«
»Der Eigentümer der Nieren, aus denen sich der Täter ein von ihnen so geschätztes Haschee gemacht hat, war kein beliebter Mann, hatte einige Bedeutung da unten in der Provinz.« Snyder sprach das Wort Provinz mit derselben Verachtung aus, wie ein römischer Kaiser, wenn er von den Briten sprach.
»Hatte er private Probleme? Nachbarschaftsstreits? Haben wir schon die Akten sämtlicher Irrenanstalten?«
Snyder schüttelte den Kopf und fuhr fort, aus der Akte zu lesen.
»58 Jahre alt, wurde vor dem Seemannskopf, einer Gastwirtschaft, kopflos am Kriegerdenkmal gefunden. Etwa 9 Uhr abends. 25 Grad Minus stand in der Times und dazu sehr schlechte Sicht. Der Finder war ein Derek Green und ein Constable Arnold.« Snyder beobachtete verstohlen aus den Augenwinkeln. Littlewoods Reaktion. Am frustrierendsten fand Snyder, dass den Inspektor anscheinend nichts an dieser Geschichte abstieß, nicht einmal das ein Kannibale die angesehenen Leute aus East Sussex abschlachtete.
»Hat er den Wein dekantiert?«, fragte der Inspektor plötzlich.
»Was?«, rief Snyder überrascht aus.
»Im Speisezimmer haben wir doch eine leere Flasche Wein neben dem angerichteten Esstisch gefunden. Hat der Täter den Wein direkt aus der Flasche in sein Glas gegossen oder umgefüllt?«
Der second class Inspektor blätterte in den Akten, bis er die Bleistiftskizzen vom gedeckten Tisch fand. Die Glasplatten der fotografischen Ablichtungen waren noch beim Polizei Fotografen in Kennington. Es konnte lange dauern, bis er einen Blick auf die Fotografien werfen konnte, der Fotograf war ein schlimmer Trinker. Snyder beschrieb, was er auf den Tatort Skizzen sah. »Weißer Teller mit dem Haschee. Silberbesteck weißes Tischtuch aus Taft eine Flasche Wein mit einem Etikett, das ich nicht lesen kann. Eine Karaffe, ein Glas Rotwein.«
»Also dekantiert. Und das Etikett, das Sie nicht lesen können, ist auf Französisch. Ein Château Lafitte 1872, hervorragender Jahrgang, das war, bevor die verfluchte Reblaus die Jahrhunderten alten europäischen Weinstöcke vernichtete und man sie, mit australischen Weinstöcken aufpfropfte.« Littlewood schien zufrieden und notierte sich dieses Details. »Was ist daran so wichtig, ob der Mörder den Wein dekantiert hat oder nicht?«, fragte Snyder. Er mochte Littlewoods eitle Art nicht, aber von ihm konnte er Lernen.
»Manieren, seine Tischsitten verraten mir etwas über die soziale Herkunft und Erziehung, seine Stellung im Leben mein junger Freund!«, behauptete Littlewood herablassend. Snyder war 6 Jahre älter, weshalb ihm diese Titulierung, junger Mann übel aufstieß.
»Jemand der seinen Wein dekantiert ist gebildet und kultiviert unser Mann ist ganz sicher kein Banause aus den Stahlwerken. Wenn doch hat er ein Ilias würdiges Schicksal hinter sich. Er unterscheidet sich in Habitus und Gestus sehr von diesen Menschen.«
Ein Mörder, der sich dem primitiven Kannibalismus hingab, ließ Inspektor Snyder das Blut in den Adern gefrieren, zumal es bisher nicht eine brauchbare Spur gab.
»Fahren Sie ruhig fort Snyder.« Littlewood richtete seinen Zeigefinger auf ihn, eine Geste, die Snyder als beleidigend empfand. Hatte er als Kind mit dem Finger auf jemanden gezeigt, hatte seine Mutter ihm mit dem Lineal die Hand verdroschen, das sie eine Woche lang so aussah, als stecke sie in einen alten Lederhandschuh.
»Die Leiche wurde anscheinend von seinem Haus, Mews Manor Hoathly West, zum Marktplatz gebracht und dort kniend vor das Denkmal deponiert. Aus Hass auf die besseren Leute hat der Kannibale den Leichnam mit Wasser übergossen so, das dieser Constable aus dem Kaff ihn erst mit heißem Wasser auftauen musste.«
»Nicht voreilig, Snyder! Wir wissen es nicht und sollten sparsam mit unseren Erklärungen umgehen. Beschränken wir uns auf die reinen Fakten.«
»Dass man ihn so früh entdeckte, ist reiner Zufall, anscheinend bellte ein Hund und lockte die Aufmerksamkeit des Wirts dieser Kaschemme einen Mister Derek Green auf sich. Sehr schlechte Sicht und Schneefall und in dieser schrecklichen Stadt gibt es nur Gaslicht der Sussex Gaswerke. Das Opfer Donovan kam vermutlich erst am Abend aus Brighton dort an.«
Der Inspektor drückte knappe Zustimmung zu Snyders Bericht aus. Dann entnahm er die nummerierten Tatortskizzen der Schublade seines Schreibtisches und legte sie vor sich auf der Tischplatte aus. Er stand auf und betrachtete die von ihm angefertigten Zeichnungen kritisch.
»Der Todeszeit lässt sich leider nicht genau bestimmen«, sagte er bedauernd. »Aber wahrscheinlich ist der Unhold einer, der aus der Irrenanstalt ausgebrochen ist, auf alle Fälle dort hineingehört. Wir werden die eingehenden Meldungen über entflohene Patienten auswerten, die Reviere sollen uns die Namensliste schicken.«
Der Inspektor richtete sich auf und erklärte kategorisch: »Fahren wir in das Kaff West Hoahlty und befragen die Leute noch einmal. Und wir kommen erst wieder, wenn wir eine Spur haben, verstanden? Und um Gottes willen halten sie alles streng geheim.« Littlewood mahnte, als sei der wortkarge und als Einzelgänger beschriebene Snyder als Klatschmaul verrufen.
»Wann möchten Sie fahren?«
»Sie sind noch hier, machen sie sich auf die Socken zum Bahnhof Paddington?«, zischte Inspektor Littlewood seinen Assistenten Snyder an.
»Heute noch? Der verdammte Kohlezug fährt doch erst Morgen!«
»Was?«
Im Gesicht Littlewoods, man verglich ihn nicht zu unrecht mit einem gealterten im Zuchthaus verwelkten bekannten Dichter, bereitete sich belustigte Ungläubigkeit aus. »Sie wollen mich doch nicht etwa auf den Arm nehmen, nur um einen Abend in ihren Pubs in Bethnel Green zu verbringen, Snyder?«
»West Hoathly ist keine besonders große Stadt«, gab Snyder zu bedenken. »Und ich habe nicht die Angewohnheit meine freie Zeit in den Pubs in Bethnel Green zu verbringen! Der erste Zug geht morgen gegen 10 Uhr, wenn der Zug bei dem Schneetreiben überhaupt fährt. Die East Sussex Railway zieht es an Dienstagen vor nicht direkt von Waterloo Station, abzufahren.«
»Ach nein, vielleicht von Paddington aus? Charing Cross? Pancras?«, riet Littlewood. Sein wunderbares, neues London war so reich an Bahnhöfen, man konnte Stolz darauf sein.
»Nein, Bahnhof Nekropolis!«
Snyder grinste und Littlewood nicht. Da in den 1850er Jahren die Beseitigung der Leichen in London aufgrund der beengten Platzverhältnisse immer schwieriger und teurer wurde, errichtete die London Nekropolis Company im 60 Meilen entfernten Surrey Brookwood den größten Friedhof der Welt. Die Nekropolis Company baute auch einen Bahnhof, der sich direkt neben dem Bahnhof Waterloo Station befand. Die Nekropolis Toten Züge fuhren täglich Trauernde und Fracht. Manche mochten die Nase rümpfen, aber Littlewood sah darin das Zeichen der neuen Zeit. Es war auch ein nettes mathematisches Rätsel. »Die Römer gründeten Londinium im Jahre 47 jetzt haben wir das Jahr 1891. «
»Na und?«
»Wir können das Bevölkerungswachstum messen, sowie den Bevölkerungs Abgang und stellen fest das unter unserem Boden nicht viel weniger als sagen wir 50 Millionen Leichen liegen sollten. Ja die gute Londoner Erde ist ein wirkliches Knochenhaus.« Nach dieser kleinen Erläuterung an den dummen Snyder, er hatte auch nie eine Höhere Schule von innen gesehen, setzte sich Littlewood.
»Das hier ist London die größte Stadt der Welt. Wenn kein Zug wegen des Schneefalls geht, nehmen wir eben die Postkutsche, den Pferdeomnibus, besorgen uns eines dieser Dampfautomobile, aber wir Fahren in dieses gottverdammte Kaff, Anweisung von oben. Und nehmen wir Sergeant Thomas Brady mit. Außer sich mit seiner Pfeife im Mund hier in den Fluren herumzutreiben und über seine Gesundheit zu klagen, tut er ja nichts.«
Beide seufzen, wenn alle Polizisten arbeiteten, wie Brady hatte das Verbrechen das ganze Jahr über Feiertag. Wie üblich hatte er Inspektor Snyder nicht gefragt, wen er als Gehilfen haben wollte. Thomas Brady war noch ziemlich jung, aber ein solcher Hypochonder, dass er wie ein alter Mann wirkte. Er war nicht unangenehm und auch nicht faul, aber dauernd schluckte er obskure Medikamente. Er Schwor auf Doktor Francis Thumbeltys Indianermedizin, ein Kurpfuscher, den man im Verdacht hatte, Jack the Ripper zu sein. Der ganz sicher gehängt worden wäre, hätte er nicht bei zwei Ripper Morden wegen Homosexueller Unzucht im Gefängnis gesessen. Brady witterte hinter jeder Ecke Verschwörungen und Verbrechen und man wusste nie, was er nun davon Ernst meinte. Brady fühlte sich mit allen Übeln behaftet, über die er etwas im british medical Journal las, was ihn jedes Mal in Angstzustand versetzte. Besonders nervend im Umgang mit Brady war, dass er auf der Suche nach Krankheitssymptom einem förmlich ins Gesicht kroch. Sein Lieblingssatz war. Sir, fühlen sie sich wohl, sie haben ganz gelbe Augen.
»Ich werde Thomas Brady abholen und dann Sie.«
Inspektor Snyder war von seinem Stuhl aufgestanden und schlüpfte in seinen Mantel. Die Dunkelheit hing bereits wie ein schwarzes nasses Tuch über dem grau von London.
»Ja, tun Sie das«, verabschiedete ihn Littlewood schlecht gelaunt. Und begann an einem Bericht zu Feilen die Vorkommnisse in West Hoathly betreffend. War es die Tat einer Terrorgruppe? Eines Einzeltäters? Und wie verdammt sollte er mit Männern wie Snyder und Brady den gefährlichsten Irren seit Jack the Ripper fassen? Snyder ging den tristen Korridor entlang und verließ Scotland Yard. An der prächtigen U-Bahn Station Victoria Embankment kaufte Snyder sich eine Times Zeitung und machte sich, das Abendblatt im Zugabteil zweiter Klasse lesend, mit der Untergrundbahn auf den Heimweg nach Chelsea. Es hatte wieder angefangen zu schneien, matschiger Schleim flockte vom grauen Himmel. Zu Hause drehte er das Gaslicht an und setzte sich mit einer Flasche Bier in das Lesezimmer und dachte nach. Er dachte oft über die Leere seines Lebens nach. Und manchmal blickte er in den grotesk, langweiligen Abgrund der Normalität. Sein eigenes Spiegelbild starrte ihn aus den Fenstergläsern des Schiebefensters an, draußen klapperten die Hufe eines Hansom Cabs auf dem Kopfsteinpflaster vorbei. Alles war so nichtssagend, auswechselbar an diesem Leben, das ihn diese Gedanken zwangen, sofort über etwas anderes zu grübeln. Wie er bloß seine Gattin Mrs. Snyder dazu bewegen konnte ihm zu erlauben, sich eines dieser Hansom Cabs zu kaufen. Er hatte weit über seinen Stand geheiratet, sein Schwiegervater war Landpfarrer in einer reichen Gemeinde, verdiente 1000 Pfund im Jahr. Er hasste einen stillen Moment lang seinen Schwiegervater und dann fragte er sich wie er Brady am Morgen finden konnte, er hatte sich nicht seine Adresse geben lassen. Er sah auf die Uhr, in einer Stunde trafen sich die Vertreter der City Wachen um sich die Strategie bei den Lohnverhandlungen, mit dem Lord Mayor zurechtzulegen. Mit 27 Schilling und 6 Pence die Woche konnte kein Polizist würdig Leben das mussten die einsehen andernfalls hatte London mit einer Krankheitswelle vom Constable bis hoch zum Inspektor zu rechnen.