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V I E R

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Schwungvoll riss Anne die rückseitige Tür zum Präsidium auf und rief laut: „Wir sind daha!“ Eddie und Freddy, die hinter ihr eintraten, schraken zusammen. „Nicht so laut!“ Freddy hielt sich die Ohren zu. „Ihr Weicheier,“ zuckte sie die Achseln und betrat den Besprechungsraum. Magda war eben dabei, grob die vorgefundene Szenerie zu skizzieren. „Hallo Anne,“ rief sie über die Schulter. „Woher weißt du denn, dass ich es bin?“ Erstaunt riss Anne die Augen auf. „Jahrelange Erfahrung,“ gab Magda über die Schulter zurück. „Nur du reißt derartig schwungvoll die Tür auf. Außerdem hast du laut gerufen.“

Anne lächelte geschmeichelt. „Das freut mich aber, dass ich so unverwechselbar bin.“ „Oh ja, das bist du,“ stöhnte ihr Kollege Eddie, mit gespielt traurigem Gesicht. Anne warf ihm ein Päckchen Taschentücher an den Kopf und setzte sich lachend hin.

Endlich traf auch Freddy ein. Er hatte noch schnell die Fotos ausgedruckt, die er vom Tatort gemacht hatte und trat sogleich zu Magda, um sie ihr in die Hand zu drücken. „Hier, Chefin, sind gut geworden.“

Magda schüttelte sich. „Gut bedeutet, man sieht jedes Detail noch besser. Mich gruselt es jetzt schon.“ Freddy deutete auf die Bilder. „Ich habe sie der Reihe nach sortiert. Du brauchst sie also nur nacheinander aufzuhängen und musst nicht viel hinsehen. Er wusste um Magdas zartfühlende Seele, die sie sorgsam vor den Kollegen hinter ihrer burschikosen Art versteckte, so dass es gar nicht auffiel, wie sie dachte. Die kannten ihre Chefin jedoch lange genug, um darüber Bescheid zu wissen. Sie seufzte und hing die Fotos der Reihe nach auf. Es passten vier nebeneinander, alle von der Leiche der Frau, aus verschiedenen Perspektiven, mit den Maispuppen drumherum. Darunter befestigte sie ein Bild vom toten Bauer Eduard und daneben einige Umgebungsfotos, die Freddy routinemäßig geschossen hatte.

Nachdenklich legte sie den Kopf zur Seite und drehte sich zu den Kollegen um.

„Was würdet ihr sagen – an was erinnert euch diese Szenerie, die der Mörder hier kreiert hat?“

„Schneewittchen und die 13 Zwerge?“ Zweifelnd sah Eddie in die Runde. „Nicht schlecht, Eddie! Schreib bitte auf, Ben!“ Gehorsam trat Ben an die Tafel und schrieb:

Schneewittchen?

„Also ich kann mir nicht helfen, auf mich wirkt es am ehesten, wie eine Gerichtsverhandlung,“ sagte Magda langsam. „Echt jetzt?“ meinte Anne zweifelnd. „Ich dachte eine Gaffer-Szene, wie sie heutzutage so oft vorkommt."

Ben schrieb:

Schneewittchen

Gerichtsverhandlung

Gaffer-Szene.

„Vielleicht hat der Mörder schon so etwas bei Angehörigen erlebt und nun eine Mordswut im wahrsten Sinne des Wortes auf bestimmte Menschen oder Personengruppen entwickelt und mit unserer Leiche eine Person stellvertretend hingerichtet, um sich zu rächen.“ Anne sah sich Aufmerksamkeit heischend um. „Gar nicht mal so dumm,“ Eddie sah Anne anerkennend an. „Wenn es auch möglicherweise anders war, so ist es dennoch vorstellbar, dass unser Mörder – vielleicht nicht aus diesem, aber aus einem anderen Grund, enorme Wut- und Rachegelüste entwickelt hat,“ meinte Magda nachdenklich.

„Das klingt schlüssig.“ Ben schrieb auf:

Schneewittchen

Gerichtsverhandlung

Gafferszene

Racheszenario aus unbekannten Gründen

Darunter schrieb er:

Lehrstunde

Schulterzuckend wandte er sich um. „Naja, auf mich wirkte es halt wie eine Schulstunde. Die Schüler sehen sozusagen auf das Lehr- oder Anschauungsobjekt.“ Freddy seufzte.

„Ich glaube, ihr habt alle recht, oder unrecht, beziehungsweise jeder ein bisschen.“

Es klopfte.

„Herein, wer keinen Bart hat,“ rief Magda laut. Zögernd öffnete sich die Tür und Wolfi erschien im Rahmen. Mit beleidigtem Gesichtsausdruck sagte er: „Ich habe zwar seit kurzem einen Bart, aber ich hoffe, dass ich trotzdem eintreten darf?“ Lachend rief Anne: „Na klar, das Gestrüpp da in deinem Gesicht soll erst noch einer werden, das zählt nicht!“ Laut schnaufend trat Wolfi ein und setzte sich mit hochrotem Gesicht an den Besprechungstisch. Magda sah ihn freundlich an: „Herzlich Willkommen Wolfi, ob mit oder ohne Bart, wir sind ohne dich aufgeschmissen.“ Strafend sah sie Anne an, deren Mundwerk mal wieder schneller gewesen war, als ihr Verstand. Anne blitzte zurück. Magda gab nach. „Ja, ich weiß, ich habe dir ja auch eine Bombenvorlage geliefert!“ Anne nickte lächelnd.

Ben räusperte sich. „Wolfi, ich möchte dich kurz über unseren aktuellen Fall informieren. Also ganz knackig – wir sind zu einer Leiche in Mosbach gerufen worden.“ Verwirrt warf Wolfi ein: „Wieso in Mosbach, welches Mosbach überhaupt?“ „Das bei Wenigumstadt natürlich, sozusagen Randhessen, so wie Magdas Mömlingen, Randbayern ist.“ mischte sich Anne ungeduldig ein. „Aha und wieso?“ Magda erklärte ihm kurz den Zusammenhang mit der Freundin ihrer Mutter. Zögernd nickte Wolfi mit skeptischem Gesicht. Immer dieses unbürokratische Handeln seiner Chefin. Eines Tages würde sie ganz schön auf den Hintern fallen damit, befürchtete er.

„Sei es wie will, es ist ein sonderbarer Mordschauplatz.“

Er deutete auf das große Bild, auf der die Leiche besonders gut zu erkennen war, mit der Strumpfhose um den Hals und den Wunden an den beiden Handgelenken. ´Drumherum sah man die Maiskolbenköpfe und zwischen den Beinen die zwei wie Puppen hergerichteten Maispuppen. Wolfi stand automatisch auf und lief wie am Faden gezogen an die Tafel. „Das ist ja fast wie ein Tribunal!“ Er deutete auf die beiden Maispuppen zwischen den Beinen der Toten. „Nur die beiden wollen nicht so recht dazu passen!“

„Oder gerade erst recht,“ meinte Freddy trocken. „Seht ihr, Wolfi denkt genau wie ich,“ meinte Magda befriedigt. „Jetzt wartet mal ab, wir sind ja noch ganz am Anfang,“ besänftigte Ben die Gemüter und alle verstummten nachdenklich. Die schrecklichen Bilder zwangen zum Hinsehen.

Leise sagte Magda: „Haben wir eigentlich schon die Vermisstenfälle der letzten Woche durchgesehen?“ Eddie nickte eifrig. „Ich habe nachgeschaut. Es werden eine alte Frau aus dem Seniorenheim Sonnenschein aus Bad König vermisst, ein 56jähriger Mann aus Birkert und zwei junge Frauen, beide 32jährig, aus Böllstein.“

„Das sind aber viele in einer Woche,“ entfuhr es Magda betroffen. Anne nickte aufgeregt. „Wirklich alle in einer Woche?“ „Jou,“ nickte Eddie. „Die alte Dame war plötzlich aus ihrem Zimmer verschwunden, das nach hinten hinaus, in den Garten ging. Möglicherweise über die Terrasse zum Spaziergang aufgebrochen. Das war am 21. Oktober. Einen Tag später wurde der 56jährige Mann als vermisst gemeldet. Er kann allerdings schon länger abgängig gewesen sein, denn er lebt alleine.“ „Und die jungen Frauen?“ wollte Anne mit banger Miene wissen. „Die sind zuletzt verschwunden.“ Eddie sah sie fest an. „Sie waren zusammen unterwegs, auf der Böllsteiner Höhe, Richtung Kirchbrombach. Irgendwo dazwischen sind sie verloren gegangen.“ „Haben wir auch eine Beschreibung der beiden Damen?“ Magda sah ihn auffordernd an. „Eine war dunkelhaarig und zierlich, die andere soll blond, 165cm groß und etwas pummelig gewesen sein.“ „Wie unsere Leiche,“ rutschte es Anne heraus. Magda nickte betroffen. „Sieht ganz so aus. Aber dann könnte es sein, dass die andere junge Frau auch in Lebensgefahr schwebt.“ „Wenn sie überhaupt noch lebt, unkte Freddy düster.“ „So lange wir nichts Gegenteiliges wissen, ist sie noch am Leben,“ fuhr Magda hoch. „Wolfi, sei so gut, überprüfe das noch einmal genau und versuche, Verbindungen zu früheren Fällen zu finden, oder einen gemeinsamen Nenner!“ „Okay,“ antwortete Wolfi. Dann löste sich die Runde auf.


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