Читать книгу Michael Ende - Birgit Dankert - Страница 6
|7|Vorwort
Оглавление„Ich verspreche Ihnen in die Hand, dass ich nie eine Autobiographie schreiben werde, weil ich nicht finde, dass mein Lebenswerk erzählenswert ist […]. Wenn ich meine Geschichte erzählen würde, käme ich auch in des Teufels Küche […].“
(Zit. n. Linder 2011, S. 514)
Dieses Versprechen gab Michael Ende 1985, und er hielt es. Bis heute sind einige Phasen seines Lebens und seines Gesamtwerkes gut dokumentiert und erläutert, andere in Vergessenheit geraten. Sein Hinweis auf „des Teufels Küche“ gemahnt an das, was er gerne verschweigt oder nicht in Worte zu fassen vermag. In Schilderungen seiner bisher zu Wort gekommenen Weggefährten, in Feuilleton und Wissenschaft wird er entweder für seine Kinder- und Jugendliteratur oder seine Libretti, an anderer Stelle für Prosatexte und Lyrisches oder für sein philosophisches Programm des richtigen Lebens in phantasievoller Freiheit reklamiert, gelobt und gescholten. Persönlichkeit, Lebensgefühl, der Weg Michael Endes aus der Schwabinger Atelierwohnung der Eltern in die internationale Medienwelt und zurück auf das Sterbebett einer anthroposophisch geführten Klinik geraten mit dieser selektiven Sichtweise leicht aus dem biographischen Zusammenhang.
Doch selbst für den, der noch nie etwas von Michael Ende gehört hat, könnte die Konstellation seiner Lebensdaten 1929 bis 1995 mit den Wohnorten München und Genzano bei Rom, mit seiner sozialen Zugehörigkeit als Sohn des surrealistischen Malers Edgar Ende, mit wenigen zusätzlichen Fragen nach Schulbildung, politischer Einstellung der Familie, Berufstätigkeit und Vermögen ein vages Bild seines Lebens zeichnen. Denn die männliche Alterskohorte in süddeutscher Künstler- und Medienumgebung, der Michael Ende angehört, durchläuft rückblickend mit großer statistischer Wahrscheinlichkeit |8|bestimmte, wenig variierte Stationen. Dazu gehören eine stabile Kleinkindzeit, eine von Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg geprägte Kindheit und Schulzeit, Kriegserfahrung, aber wahrscheinlich kein formaler Wehrdienst mehr, Jugend, Adoleszenz und Aufbau eines eigenen Wertesystems in den Wirren und der hektischen Lebensfreude der Nachkriegsjahre, Gefahr von Orientierungslosigkeit bei der Vielfalt der Lebensoptionen im Wirtschaftswunder der Bundesrepublik Deutschland, beruflicher Aufstieg, finanzielle Freiheit mit wachsender Lebensqualität, persönliche und berufliche Krisen, Ausweitung des Wirkungskreises, Stagnation und vielleicht deren Überwindung in der Akzeptanz des für seine Altersgruppe nicht seltenen frühen Krebstodes. Michael Ende ist diesen Weg seiner Generation gegangen.
Gleichzeitig aber könnte die Schilderung seines Lebens als kohärente, zielgerichtete Gesamtheit kaum plausibel machen, warum diese Entwicklung ihn zu niemand anderem als Michael Ende werden ließ. Eine Gesamtschau der zugänglichen Fakten und Abläufe macht es unmöglich, seine Biographie als einen geradlinigen und folgerichtigen Verlauf mit zunehmender Erkenntnis und Bedeutung zu erzählen, der am Ende des Lebens sich selber erklärt. Über Michael Ende kann man keine Biographie mit dem Narrativ eines Entwicklungsromans schreiben. Er fing immer wieder neu an und blieb doch hartnäckig und kompromisslos bei seinen früh definierten Zielen. „Ein Provinzschauspieler mit Waldorfschulerziehung“ (Hinz 1985, S. 8) für die einen, ein Erneuerer der deutschen Kinder- und Jugendliteratur für die anderen, ein zuverlässiger Freund und Mentor ebenso wie ein schwieriger Arbeits- und Geschäftspartner, ein Träumer mit hellwacher Inszenierung seiner öffentlichen Auftritte, ein ruheloser Erotiker mit vielen Geliebten und zwei Ehefrauen, denen er über Jahrzehnte verbunden blieb – das alles schließt sich bei Michael Ende nicht gegenseitig aus.
Will man Spuren dieser Lebensfülle in seinem Werk finden, müssen auch – wie hier geschehen – versteckte und unbekannte Texte einbezogen werden. Michael Endes Verhalten und Werk polarisierte, gab Anlass zu Missverständnissen, setzte ihn zeitweise einem Richtungskampf aus. Daher war es geboten, einige seiner Bewunderer und Gegner „aus alten Zeiten“ nach ihrer heutigen Position zu befragen. Denn viele seiner Freunde, Kooperationspartner, Weggefährten |9|und Zeitgenossen leben noch. Etwa dreißig von ihnen wurden befragt. Ihre Erinnerungen und aufbewahrten Dokumente sind in die Biographie eingeflossen. Es war berührend zu erfahren, wie freundschaftlich viele Michael Ende heute noch verbunden sind.
Das Deutsche Literaturarchiv Marbach und das Michael-Ende-Museum der Internationalen Jugendbibliothek München bergen einen Teil des Nachlasses schriftstellerischer wie persönlicher Art. Eine strikte Trennung zwischen Privat- und Berufsleben gab es für Michael Ende nicht. Die meisten einsehbaren Dokumente jedoch stehen in Zusammenhang mit seinem schriftstellerischen Werk. Für Endes Wirken in Japan hielt sich sachkundige Unterstützung bereit. Michael Endes Manuskripte, Korrespondenzen, Publikationen und Zeugnisse gehören weitgehend noch der analogen Welt an, auch wenn sie digital bearbeitet und transportiert werden. Die Biographie konnte sich auf diese originalen Printdokumente stützen.
Die reizvollste, aber auch schwierigste Aufgabe einer Biographie über Michael Endes ist das asymmetrische Verhältnis seines öffentlich wahrgenommenen schriftstellerischen Werks zu seinen literaturästhetischen wie kulturpolitischen Überlegungen. Was er als allgemeines Programm immer wieder proklamierte, fanden seine Leser in nur wenigen intensiv wahrgenommenen Geschichten, Liedern und Romanen wieder. In der Kunstsphäre, für die er seine Theorien formulierte, blieben sie erfolg- und wirkungslos.
Mit wenigen Texten war er für zwanzig Jahre einer der meistgelesenen Autoren der Bundesrepublik Deutschland. Er hat für die Kinder- und Jugendliteratur Deutschlands ein literarisches und gesellschaftspolitisches Terrain erobert, das erfolgreich ausgebaut werden konnte. Die Biographie lässt diesem Teil des Werkes von Michael Ende viel Raum. Er verkörperte den Zeitgeist immer dann, wenn er ihm entgegenzutreten vermeinte.
Seine Geschichte, wie sie für seine Lebenszeit in Deutschland von der Weimarer Republik bis zur deutschen Wiedervereinigung, aber doch für nichts und niemanden als ihn selber steht und nur seinen Namen trägt, soll hier erzählt werden. Er ist der Autor von „Jim Knopf“, „Momo“ und der „Unendlichen Geschichte“.