Читать книгу Interview mit einer Diva - Birgit Nipkau - Страница 6

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Am Abend ging Sally durch die Gassen und blickte in die beleuchteten Schaufenster der Modegeschäfte. Sie hatte noch Zeit, bis die Pressekonferenz und der Empfang beginnen sollten und entgegen ihrer Gewohnheit spürte sie auf einmal Lust, noch etwas trinken zu gehen. Sie suchte eine geeignete Bar, wo sie in ihrer Abendgarderobe hingehen konnte. Sie trug ein dunkelblaues Kleid aus reiner Seide, dass ihre schlanke Figur zur Geltung brachte. Ihre haselnussbraunen Haare hatten sie zu einem Knoten gebändigt und hochgesteckt. Zwischen den Geschäften der noblen Designer und der teuren Hotels am Canal Grande wurde sie bald fündig. Die kleine Bar lag zentral, nur zwei Steinwürfe vom Markusplatz entfernt. Obwohl sie direkt gegenüber der Vaporettostation lag, übersah man sie leicht, wenn man nicht wusste, dass sie dort war. Kein Schild war am Eingang angebracht. Auch Harrys Bar lebte hauptsächlich von der berühmten Vergangenheit, wie die ganze Stadt. Es schien Sally, als verfielen die Menschen gerne dem Rausch der Vergangenheit und vor allem dem Klang großer Namen. Vor der Eingangstür stand an diesem Abend ein Schwarm von Leibwächtern in schicken Designeranzügen und sie fragte sich, ob die Männer wohl bewaffnet waren. Als Sally eintrat, sah sie überall Amerikaner, nur die Kellner schienen Italiener zu sein. Diese Bar ist eine Kolonie der Amerikaner, die ein Anrecht auf diesen Ort erhoben, weil sich irgendwann einer ihrer berühmtesten Schriftsteller dort besinnungslos betrunken hatte, dachte sie. Sally dagegen konnte kein Verständnis für verstorbene Berühmtheiten aufbringen, die sich an dieser Theke mal betrunken hatten. Sie fand das sentimental. Obwohl der zu viel ins Glas schauende Hemingway auch als Journalist gearbeitet hatte, das musste sie zugeben und das machte ihn für sie wieder sympathisch. Ein amerikanischer Gast musste die Bar wieder verlassen, weil er eine zwar teure, aber nur knielange Hose trug. Er wurde nicht zu Tisch gelassen und der Maître erklärte ihm diskret, dass man hier lange Kleidung bevorzugte. Es wimmelte nur so von gegenwärtigen amerikanischen Stars und Sternchen. Sally drängelte sich nach vorne an die Theke aus hellem Marmor, auf der pastellfarbene Aschenbecher lagen, die aber leer blieben. Es fiel Sally auf, dass nicht geraucht wurde. Die Bar war auch innen schlicht gehalten. Ein langgezogenes „Bellini, please...“, klang aus dem Mund des Barkeepers, einem Italiener, der aber von allen Gästen auf Amerikanisch angesprochen wurde. Alle Gäste tranken Bellini hier. Langsam reichte der Keeper die mit Champagner und Pfirsichsaft gefüllten Gläser über die glatte saubere Theke. Ein Ventilator an der Decke, sorgte für frische Luft, denn die Bar war klein. Heute Abend war die zudem noch hoffnungslos überfüllt. Am Rand des Raums waren Tische aufgestellt, an denen die Leute sehr beengt saßen um zu Abend zu essen. In den oberen Räumen saß man besser, aber es war so gut wie aussichtslos dort einen Tisch zu bekommen.

Sally war froh, dass sie es bis zur Theke schaffte. Sie bestellte auf Italienisch ein Mineralwasser, was ihr einen kurzen Blick des Barkeepers einbrachte, der den Mund daraufhin zu einem schiefen Lächeln verzog. Der Barkeeper war ungefähr fünfzig Jahre alt, sein Gesicht war vernarbt und ausdruckslos. Seine Haut war dunkel, sein Haar noch schwarz und er hatte eine Hakennase, die aussah, als sei sie einmal gebrochen gewesen. Er war sehr beschäftigt und immer wieder erklang sein spöttisches „Bellini, please…“. Sein Gesicht thronte über einem weißen Jackett mit weißem Hemd und einer schwarzen Fliege. Er sprach nicht mit den Gästen, er hörte sich geduldig die Bestellungen an und wenn er sie herausgab sagte er kurz den Namen des Getränkes mit diesem seltsam gedehnten 'please' dahinter, so als mache er sich heimlich lustig über die Gäste. Seine Bewegungen waren mechanisch doch er hatte aufmerksame Augen, die durch die Bar schweiften. Wie der Blick eines stolzen Adlers, dachte Sally. Mit ihm war noch eine ganze Anzahl von weiß livrierten Kellnern im Einsatz, die die Tische bedienten. Nicht zu vergessen, der etwas beleibte Maître, der alles überwachte und hin und wieder in die Liste mit den Reservierungen blickte und für eine gewisse Ordnung bei der Zuteilung der Tische sorgte. Während Sally auf ihr Getränk wartete, beobachtete sie die Leute, die ein und ausgingen. Die Witwe eines großen amerikanischen Regisseurs, der erst kürzlich verstorben war und dessen Film einen kleinen Skandal entfachte, schritt würdevoll in Gold und Schwarz gekleidet an der Theke vorbei in das obere Stockwerk. Sie brauchte nicht zu warten. Ihr Tisch war gerade freigeworden. Ein amerikanisches Filmteam hatte sich an einen Tisch in der Ecke des Bar Raums zurückgezogen. Immer mehr Gäste strömten in die Bar, die immer noch jeden aufnahm, der hereinkam. Sally nippte an ihrem Wasser, da sah sie plötzlich Anna Mangoni, die Hollywooddiva, vom oberen Stockwerk hinunter in die Bar kommen. Sie wollte offensichtlich an die Theke gehen. Das war ungewöhnlich. Denn normalerweise warteten die Gäste mit einem Drink an der Bar auf ihren Tisch, um oben zu Abend zu essen. Aber nach dem Essen noch einmal nach unten an die Bar zu kommen, war nicht üblich. Sie muss jetzt ungefähr fünfundvierzig sein, dachte Sally fachmännisch und betrachtete die feinen Linien in ihrem Gesicht. Ein kritisches Alter für Hollywood. Die Schauspielerin schien blass unter ihrem viel zu dick aufgetragenem Make-up. Ein junger schwarz gekleideter Mann folgte Anna Mangoni. Er schien sehr ärgerlich zu sein.

„Ich glaube, du hast genug…“, hörte Sally ihn zu ihr sagen, den zweiten Teil des Satzes bekam sie nicht mit.

„Ich trinke so viel, wie es mir passt...“, konterte die Diva und hob ihre zittrige Hand um zu bestellen.

„Wir gehen besser, du musst gleich zum Empfang, denk dran...“, zischte der junge Mann, der sehr hübsch war. Er hatte schwarze glatten Haare, eine gerade Nase und ein gut geschnittenes Gesicht. Es war eine richtige Szene. Sally überlegte gerade, ob er ihr Aufpasser oder ihr Liebhaber war, er hatte, wie ihr auffiel, einen Akzent, wenn er Englisch sprach.

„Es geht dir nicht gut, komm mit, wir gehen jetzt zurück ins Hotel“, sagte er.

„Natürlich geht es mir nicht gut, wie kann es mir gut gehen?“ polterte sie zurück. Der junge Mann blickte sie verärgert an. „Ich bin heilfroh, wenn es vorüber ist...“, fügte sie müde hinzu und trank ihren Drink in einem einzigen Zug aus.

„Ich hoffe nur, dass du die Nerven behältst“, erwiderte der junge Mann und seine Stimme hatte auf einmal ihre Weichheit verloren. „Und jetzt gehen wir, bevor hier jeder mitkriegt, wie betrunken du bist“, sagte er, packte sie recht unsanft an die Schulter und trieb sie durch das Gewimmel der Gäste zur Tür hinaus.

Die Diva ließ es ungerührt mit sich geschehen, sie schien eine solche Behandlung gewohnt zu sein. Vielleicht war es auch nur ein Teil des Spiels, das sie spielten. Sally wusste, dass viele Leute aus dem Showbusiness Drogen nahmen, alle wussten das und niemand regte sich heutzutage mehr darüber auf. Trotzdem kam ihr das gerade Gesehene merkwürdig vor, sie fragte sich, wie die Schauspielerin wohl den Empfang durchstehen würde. Und vor allem das Interview. Als sich Sally wieder ihrem Mineralwasser zuwandte, begegnete ihr der spöttische Blick des Barkeepers und da wurde ihr klar, dass sie einen Mitwisser hatte.

Sie trank aus und ging zur Kassiererin, einem jungen Mädchen, das nahe an der Eingangstür saß, um zu bezahlen. Sally schaute beim Verlassen von Harrys Bar auf ihre Armbanduhr und erschrak, es war spät geworden, sie musste sich nun beeilen.

An der Vaporettostation legte gerade ein Boot an, das zum Lido fuhr. Sally stieg auf und mit dröhnendem Motor fuhr das Vaporetto los, auf dem sehr viele Leute mitfuhren. Sally blieb draußen stehen und genoss während der Fahrt die milde Luft und die abendliche Sicht auf den festlich beleuchteten Markusplatz.

Der Einlass für den Kinopalast auf dem Lido hatte gerade begonnen. Sally hastete, soweit dies in dem engen Seidenkleid möglich war, an den Absperrungen vorbei, die mit rot-weiß-gestreiften Plastikbändern versehen waren. Prompt lief sie direkt in eine Polizeikontrolle. Zwei Carabinieri bewachten den Eingang des Foyers mit ernsten Mienen. Überall zwischen den Massen an Schaulustigen standen Leibwächter in schwarzen Maßanzügen und Knöpfen im Ohr. Sie versuchten gar nicht, unauffällig zu wirken, man sollte sie bemerken und man erkannte sie sofort. Der Polizist, der am Eingang des Palazzo del Cinema stand, sah Sally erwartungsvoll an.

„Ich bin von der Presse“, sagte sie, und nestelte an ihrer Handtasche herum, deren Verschluss aber schon geöffnet war.

„Ihren Ausweis bitte“, erwiderte der Polizist ernst und Sally wollte ihn aus der Tasche nehmen, aber er war nicht da, genauso wenig wie ihre anderen Papiere und der Personalausweis. Die Geldbörse mit den vielen Münzen klimperte dagegen vergnügt vor sich hin, genau wie der Lippenstift und die Puderdose, der Stift, das Notizheft und das Aufnahmegerät für das Interview.

„Ich fürchte, mir ist da ein Missgeschick passiert“, sagte Sally schnell zu dem Polizisten und versuchte, ein umwerfendes Lächeln aufzusetzen.

„Ich habe meinen Ausweis wohl irgendwo liegen gelassen“, verkündete sie, als sei das eine besondere Leistung von ihr.

„Tut mir leid, Signora, aber ohne Ausweis kann ich sie nicht hereinlassen“, erwiderte der Polizist sachlich und blickte in eine andere Richtung. Sally versuchte ruhig zu bleiben. Ich muss zu diesem Empfang, koste es was es wollte, sonst bin ich meinen neuen Job gleich wieder los. Und meinen Ruf. Sie wollte dem Polizisten wenigstens ihre Visitenkarte zeigen, aber auch die war weg. Dabei war sie ganz sicher, wenigstens die eingesteckt zu haben. Sally hatte jetzt keine Zeit nachzudenken, sie musste sofort irgendwie hineinkommen.

„Hören Sie, ich gebe Ihnen meinen Namen und meine Adresse, ich bin akkreditiert, ein Anruf in meiner Redaktion in London und...“

„Nein, tut mir leid“, unterbrach sie der Polizist. „Ich darf sie nicht reinlassen, Signora, unmöglich, die Sicherheitsvorschriften sind dieses Jahr besonders streng.“

Er blieb also stur. Sally blickte sich suchend um, Scharen von Kollegen mit gezücktem Ausweis zogen an ihr vorbei, es war aber niemand dabei, den sie kannte. Sie war der Verzweiflung nahe. Alles lief hier in Venedig schief und sie selbst benahm sich wie eine Amateurin.

„Hören Sie...“ versuchte Sally es noch einmal, aber der Kontrolleur beachtete sie gar nicht mehr. Da erklang hinter ihr eine angenehme dunkle Stimme.

„Gibt es irgendwelche Probleme?“

Sally drehte sich überrascht um. Vor ihr stand der gut aussehende Italiener vom Mercato del Pesce und grinste.

„Die Signora hat keinen Presseausweis, ich kann sie nicht reinlassen“, sagte der Polizist zu dem gerade Eingetroffenen. Dessen verschmitzte Augen musterten Sally freundlich.

„Sie sind also von der Presse?“ fragte er Sally.

„Ja“, beeilte sich Sally zu sagen, „ich bin Reporterin vom Londoner ‚Latest Movie Magazine‘. Ich muss auf diesen Empfang, deswegen bin ich ja nach Venedig gekommen, ich habe dummerweise meinen Ausweis nicht dabei.“ Sie kam sich wie eine Idiotin vor. „Ich kann mich aber spätestens morgen früh ausweisen...“, fügte sie hinzu und blickte ihm gerade in die Augen.

„Sie sind Engländerin?“

„Ja“, antwortete Sally.

„Es ist in Ordnung“, sagte Vittorio zu dem Polizisten. Der nickte nur. Vittorio nahm Sallys Arm und führte sie an der Kontrolle vorbei in das von einem riesigen Kronleuchter hellerleuchtete Foyer.

„In diesem Kleid sehen sie selbst aus wie eine Schauspielerin, sie werden den anderen Damen die ganze Schau stehlen“, sagte er und lächelte.

„Sind alle Italiener so charmant?“ fragte Sally zurück.

„Sie sagen nur die Wahrheit, wenn sie einer schönen Frau begegnen“, erwiderte er und Sally musste lachen.

„Sie machen Ihrer Nation wirklich alle Ehre...“ erwiderte sie.

„Haben Sie sich wieder erholt, ich meine vom Besuch des Fischmarktes?“ fragte Vittorio.

„Ja, danke, das habe ich.“ Er lächelte und Sally wollte jetzt aber doch lieber schleunigst zum Empfang.

„Ich muss Ihnen schon wieder danken“, sagte sie zu ihm. „Sie sind von der Polizei?“

„Ja, Polizia Criminale“, erwiderte er sachlich.

„Wie aufregend“, sagte Sally. „Ich habe noch nie jemanden von der Kriminalpolizei kennengelernt.“

„Ich denke, das ist ein gutes Zeichen, nicht wahr?“ Er grinste. „Ich heiße übrigens Vittorio.“

„Freut mich, mein Name ist Sally...“, da brach der Applaus aus und übertönte ihre Stimme.

„Ich muss jetzt gehen“, sagte Sally. Vittorio nickte und sah sie an. Sally huschte in den großen Saal. Vittorio blickte ihr nach, dann wurde sein Gesicht wieder ernst, er mischte sich unter die vielen Gäste. Als sich Sally an der Tür zu Empfangshalle noch einmal nach ihm umdrehte, fiel ihr auf, dass er keine Abendgarderobe trug, nur ein weißes Hemd und ein Jackett lugten unter seinem leichten Mantel hervor. Dazu trug er Jeans. Sein schwarzes Haar glänzte und er hatte, wie sie fand, ein stolzes Profil. In diesem Moment gab es wieder Applaus, die amerikanischen Stars trafen jetzt ein, um sich den Fragen der Journalisten zu stellen.

Die Schauspieler setzten sich mit dem Regisseur an einen langen Tisch mit Mikrofonen, der frontal zum Publikum stand. Die Filmleute betonten, wie gut die Zusammenarbeit war und was für ein wunderbarer Film entstanden sei. Sally wartete gespannt auf Anna Mangonis Auftritt. Sie hoffte, dass ihr Interview mehr als Standardfloskeln aus dem Mund ihrer Hollywooddiva einbrachte. Nach und nach stellten die Stars ihre Filme vor und Sally machte sich ein paar Notizen. Ständig klingelten die Handys ihrer Kollegen und Kameraleute und Fotografen liefen hektisch hin und her und versperrten Sally immer wieder den Blick auf die Stars. Sally nahm es gelassen, sie war Hektik aus der Redaktion gewöhnt. Trotzdem musste sie feststellen, dass sie unkonzentriert war, ihre Gedanken schweiften hinüber zu Vittorio. Kriminalpolizei, was hatte die hier auf den Festspielen zu suchen. Wohin Vittorio wohl gegangen war. Vielleicht sah sie ihn später wieder und sie hoffte, dass die Pressekonferenz bald zu Ende ging.

Sally wurde müde. Dann betrat die Diva Anna Mangoni mit ihrem Gefolge den Saal. Sie hatte eine große schwarze Sonnenbrille auf und ihr rotes Haar erstrahlte im Licht der Scheinwerfer und Blitzlichter der Fotografen. Sie trug ein enges schwarzes Kleid mit einem tiefen Ausschnitt und warf Kusshändchen in die applaudierende Journalistenschar. Durch das Händeklatschen war Sally schlagartig wieder hellwach. Der Regisseur und die Diva und noch zwei weitere Schauspieler, denen aber keiner Beachtung schenkte, setzten sich vor die Mikrofone. Nur die Mangoni blieb ein wenig zurückgesetzt und sagte nichts, sondern sie lächelte nur immer wieder in Richtung der Kameras. Der Regisseur erzählte ausführlich von seinem Film, lobte seine Hauptdarstellerin und auf die Zwischenfrage eines Reporters, ob man von einem gelungenen Comeback der Mangoni sprechen könnte, antwortete der Regisseur diplomatisch: „Das hieße ja, sie wäre aus der Filmbranche verschwunden, davon kann aber gar keine Rede sein.“

Die Mangoni lächelte und kurz darauf standen alle auf und verließen den Konferenztisch. Anna Mangoni, die von zwei Bodyguards abgeschirmt wurde, verließ rasch den Saal. Sally fand den Auftritt reichlich kurz und die Mangoni war die ganze Zeit über stumm wie ein Fisch. Sally war darüber ein wenig verwundert, aber das war natürlich nur von Vorteil, dachte sie. Denn niemand anderes als Sally Parker hatte das Exklusiv-Interview mit der Diva.

Die Pressekonferenz löste sich danach ziemlich rasch auf und die eingeladenen Medienleute und viele der Schauspieler strömten in das Foyer zurück, in dem eine große Sektbar aufgebaut war. Ein Dutzend weiß livrierter Kellner wartete darauf, Prosecco an die durstigen Gäste auszuschenken, die auch schon bereits auf das Buffet zugingen. Sally hielt nach Vittorio Ausschau, aber sie entdeckte ihn nirgendwo. Statt an die Bar zu gehen, setzte sich Sally in einen bequemen Sessel am Rande und kramte aus der Handtasche ihre Notizzettel hervor. Sie las sich die Fragen für das Interview noch mal genau durch und überprüfte ihr kleines Aufnahmegerät. Eine weitere Panne kann ich mir nicht erlauben, dachte Sally. Einer der livrierten Kellner kam mit einem Tablett auf sie zu und bot ihr ein Glas Prosecco an. Sie nahm dankend an und leerte das Glas in schnellen Zügen aus.

Dann stand sie auf und schritt zum Ausgang. Sie wollte so früh wie möglich zum Hotel gehen, sie blickte auf die Uhr, es war bereits fünf Minuten vor zehn Uhr. Am Ausgang des Foyers stand nun ein anderer Carabinieri und sie fragte ihn nach dem Weg ins Grandhotel Excelsior. Er beschrieb ihr den Weg und Sally ging an den Fans, die auf die Stars warteten, vorbei und an den Absperrungen entlang in Richtung Excelsior. Es waren nur ein paar Gehminuten, Sally war froh darüber, denn sie trug Pumps, in denen sie nicht sehr weit laufen konnte, ohne dass ihr die Füße schmerzten.

Als sie das Grandhotel Excelsior erreicht hatte, sah sie mit Entsetzen, dass an der geschwungenen Drehtür des vornehmen Hoteleingangs ein weiterer Carabinieri stand, der offensichtlich die Ausweise der Gäste und aller Personen kontrollierte, die hineingehen wollten. Einige Gäste wurden von ihm abgewiesen und diese kehrten mit enttäuschten Mienen um. Der Carabinieri war sichtlich genervt durch den Menschenandrang, er nestelte an seiner Jacke und zog ein Päckchen Zigaretten hervor. Er wird mich nicht reinlassen, ohne Ausweis, dachte Sally aufgeregt. Sie schlich sich langsam an den Hoteleingang heran. Der Polizist nahm eine Zigarette, fasste noch mal in seine Jacke und blickte sich um. Dann verließ er seinen Posten um eine Gruppe von Italienern um Feuer zu bitten, die ein paar Schritte entfernt stand. Sally nutzte den Augenblick und huschte blitzschnell durch die Eingangstür des Hotels.

Die Schwingtür manövrierte sie in das Foyer. Sally ging an der Rezeption vorbei, durchquerte das Foyer mit raschen Schritten und landete unvermutet in der Hotelbar. Die Theke schmückten grüne Kacheln. Die grüne Farbe beherrschte den ganzen Raum, und so schimmerten auch die Gesichter der Anwesenden einschließlich der Kellner, grünlich, so als ob hier alle seekrank wären. Sally musste plötzlich lachen. Die Barhocker, auf denen heute nur Journalisten als Gäste saßen, waren aus dunklem Leder mit runden goldenen Fußstützen, sie wirkten wie zu groß gewachsene Champignons. Sally bemerkte jetzt die Wirkung des Prosecco, den sie getrunken hatte, ihr war schwindelig, sie hätte es doch lieber sein lassen sollen. Alles um sie herum wirkte irgendwie traumhaft, als ginge sie auf weicher Watte. Dunkel und schattig war es in der Bar. Statt eines Holzbodens lag auf dem Boden ein dicker grün-blauer Teppich mit Rautenmuster, auf dem, wie verlorene Boote, winzige Ledersessel trieben, die wie Bojen um runde niedrige Tische rotierten. Durch die offene Tür wehte ein kühler Hauch, der die Gäste streifte und den salzigen Geruch des Meeres mitbrachte.

Es herrschte ein Kommen und Gehen von Kameraleuten, Fotografen, Laptop und Kabel-Trägern und anderen Medienleuten, alle mit einem Band um den Hals, an der eine blinkende Plastikkarte mit ihrer Identität baumelte. Sie war die Eintrittskarte für alle Konferenzen, Kinosäle und Hotelfoyers. Sally war froh, dass sie es ohne Ausweis geschafft hatte, hier hereinzukommen. Sie drehte sich um und suchte die Hoteltreppe, um in den dritten Stock zu gehen. Das Treppenhaus schien etwas verworren zu sein, mehrere Treppenaufgänge erschwerten die Wahl. Sally entschied sich für den Fahrstuhl, aus dem gerade wieder ein Rudel Journalisten herauskam. Sie drückte die Taste mit der Drei und der Fahrstuhl setzte sich summend in Bewegung. Im dritten Stockwerk angekommen, breitete sich ein langer mit weichen Teppichen ausgelegter Flur vor Sally aus. Sie suchte die Suite mit der Nummer 311 und fand diese gleich. Es waren nur wenige Türen zu sehen. Die Suiten scheinen sehr groß zu sein, dachte Sally. Niemand von den Gästen war zu sehen, aber sie wohnten ja auch nicht auf dem Gang. Sally klopfte an die mit Blattgold verzierte Tür der Suite Nr. 311. Nichts geschah. Sally wartete einen Augenblick und klopfte wieder, diesmal lauter. Sie lauschte, hörte aber keine Schritte, keine Stimmen. Vielleicht ist Anna Mangoni noch beim Empfang, ich bin vielleicht doch zu früh, dachte Sally und wollte schon wieder umkehren. Da sah sie einen Lichtschein unter dem Türspalt, es musste also jemand da sein. Sie klopfte noch einmal energisch und lehnte sich mit einer Hand gegen die Tür, die plötzlich aufschnappte. Sally zögerte kurz, trat aber doch in die Suite der Diva ein.

„Signora Mangoni sind Sie da? Hier ist Sally Parker vom ‚Latest Movie Magazine’.“

Sally stand in einem prachtvollen Salon, der hell erleuchtet war. Das Licht fiel von einem Kronleuchter hinab auf die roten Teppiche. Schwere dunkelrote Vorhänge verhüllten die hohe Fensterfront. Kommoden aus Kirschholz schmückten den Raum. Überall lagen Kleider herum, als hätte sie jemand absichtlich im Raum verteilt, um ihn lebendig zu gestalten, ihm das Hotelzimmerflair zu nehmen, um sich so besser zu Hause zu fühlen. Sally bemerkte erst jetzt eine weitere Tür, die angelehnt war, sie erkannte ein Sofa und das Schlafzimmer. Auf dem Sofa saß eine rothaarige Frau, die Sally aber nur von hinten sah. „Signora Mangoni?“ Sallys Stimme erklang zaghaft. Sie ging auf die Frau zu, die ihr den Rücken zukehrte. „Signora Mangoni? Darf ich Sie stören? Ich bin Sally Parker, wir haben einen Interviewtermin...“.

Sally ging um das Sofa herum um das Gesicht der Diva zu sehen. Sie fand es eigenartig, dass sie gar nicht reagierte. Sie ist vermutlich total betrunken, dachte Sally, das wäre allerdings ziemlich peinlich. Sie ging in einem Bogen auf die Frau zu, als sie plötzlich wie elektrisiert stehenblieb. Die rothaarige Frau, die auf dem Sofa saß, hatte weit geöffnete Augen, die voller Schrecken an die Decke starrten und ihr stark geschminktes Gesicht war schmerzverzerrt. Sally taumelte vor lauter Schreck zurück und warf dabei eine Flasche und ein Glas von einem Tisch, das daraufhin krachend zerschellte. Die goldgelbe Flüssigkeit aus der Flasche versickerte sofort in den Teppich. Sallys Herz raste. Dann fasste sie die Frau beherzt an den Armen und schüttelte sie. „Signora Mangoni, brauchen Sie Hilfe? Geht es Ihnen nicht gut? Sagen Sie doch etwas!“

Die rothaarige Frau aber plumpste wenig elegant zu Boden und rührte sich nicht. Ihr Kopf lag nun auf dem weichen Hotelteppich gebettet, ihre Augen aber blieben starr geöffnet. Sally sprang zur Seite und stolperte zur Tür. Eine entsetzliche Angst überfiel sie. Instinktiv rannte sie so schnell sie konnte aus der Suite hinaus, durch den Flur am Fahrstuhl vorbei. Sie suchte aufgeregt nach der Feuertreppe, fand bald darauf eine schwere Eisentür, öffnete sie und lief so schnell, wie es das enge Abendkleid zuließ, die schmalen Stufen hinunter.

Im Erdgeschoss angelangt, kam Sally zum Glück nicht wieder im Foyer an, sondern ein kleiner Notausgang führte sie direkt ins Freie. Sie lief dicht an der Hausfassade des Hotels Excelsior entlang, als sie Sand an ihren Füßen spürte. Das muss der Badestrand des Grandhotels sein, schoss es ihr durch den Kopf.

Es war dunkel und sie hörte das träge Rauschen des Meeres, im Hintergrund schallte ein Stimmengewirr hinauf, das vermutlich von der Terrasse des Hotels ausging. Rasch zog sie die unbequemen Schuhe aus, zog ihr Kleid etwas höher, das an der Seite bereits eingerissen war. Dann lief sie den Strand entlang, der ihr endlos erschien. Der Sand war kalt unter ihren Füßen. Aufgeregt blickte sie sich immer wieder um. Aber kein Mensch war zu sehen, niemand folgte ihr. Auf dem Meer blinkten vereinzelt Lichtpunkte auf, Schiffe, die vorbeizogen. Sally lief weiter, sie kam jetzt an den Strandkabinen der anderen großen Bade-Hotels vorbei. Nach einer Weile tauchten Lichter von Straßenlaternen auf, sie folgte ihnen, fand einen schmalen Fußweg, der vom Strand wegführte und traf bald darauf auf die Hauptpromenade vom Lido. Ein Strom von Menschen floss ihr auf einmal entgegen. Die Leute gehen sicher alle in Richtung Casino, um die große Kinoeröffnung zu sehen, dachte Sally. Sie zog sich ihre Schuhe wieder an und versuchte, sich zu orientieren. Sie erkannte, dass sie bereits auf der Hauptstraße vom Lido gelandet war und versuchte nun ruhig und gelassen die Gran Viale S. Elisabetta entlang zu gehen, die direkt zur Schiffsanlegestelle führte.

An der Anlegestelle stand eine Reihe von Passagieren, die lange anstehen mussten um eine Karte am Schalter zu kaufen. Einige Carabinieri schauten sich immer wieder aufmerksam um. Sally betete, ein Vaporetto würde so schnell wie möglich kommen. Ihr Gebet, so schien es, wurde erhört, das Dröhnen eines Motors näherte sich nach wenigen Minuten. Das Vaporetto, das anlegte und eine weitere Menschenmenge auf den Lido entließ, nahm sogleich wieder den Schwall der Heimkehrer nach Venedig auf. Sally stürzte aufs Boot und kauerte sich in die hinterste Sitzbank. Sie hoffte, dass niemand von den Fahrgästen und den Kontrolleuren ihre Aufregung bemerkte.





Interview mit einer Diva

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