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Die Diebe hatten ein leichtes Spiel. Es war Nacht und die Polizei von Venedig befand sich entweder auf dem Lido bei der Eröffnung der Filmfestspiele oder sie bewachte die teuren Hotels der Stadt, um die Filmstars zu schützen. Auch die Leibwächter würden niemals auf die Idee kommen, eine Kirche zu bewachen, sie posierten viel lieber vor den teuren Bars und Restaurants und warteten bereitwillig auf ihre prominenten Auftraggeber. Keinem der Verantwortlichen in Venedig wäre es in dieser Nacht in den Sinn gekommen, nicht einmal dem Bürgermeister, diese Kirche zu bewachen. Selbst der Mond war in dieser Nacht nicht in der Stimmung, mit seinem Licht über diese Kirche zu wachen, so ließ er träge ein paar Wolken vor sich her ziehen. Auch er sah nicht hin, als zehn schwarz gekleidete Gestalten, auf dem menschenleeren Campo der Kirche auftauchten um sich Zugang in das Heiligtum zu verschaffen.

Die schwarzen Gesellen waren noch nicht einmal bewaffnet, so sicher waren sie sich ihrer Sache. Dafür trugen sie kleine Lederköfferchen, Wolldecken und Leinentücher mit sich, als spazierten sie zu einem gemütlichen Picknick. Sie schienen keine Eile zu haben, wirkten sehr diszipliniert und erweckten den Eindruck, vollkommen aufeinander eingestimmt zu sein wie ein erfolgreiches Ärzteteam, das am Operationstisch stand. Es war eine schwierige Operation, die vor ihnen lag, darüber waren sie sich im Klaren und auch darüber, dass diese Aufgabe viel Zeit brauchte. Niemand der Anwohner der Häuser des Campo, auf dem die Kirche lag, argwöhnte über gelegentliches Klopfen und Hämmern, das aus der Kirchenkuppel in den tiefblauen Nachthimmel drang. Die Venezianer hatten ihre Fensterläden fest geschlossen und wer noch nicht schlief, schaute noch lautstark Fernsehen, so dass er nicht weiter mit bekam, was in der Welt draußen vor seiner Haustür geschah. Auch die wirren Scheinwerferlichter, die im Kirchenraum ständig hin und hergeschwenkt wurden, fielen dem flüchtigen Betrachter nicht auf, denn die hohen Kirchenfenster ließen kaum Licht nach draußen.

Nach einigen mühevollen Stunden verließen die schwarzen Gestalten wieder die Kirche und sie trugen vorsichtig in Leinentücher gewickelte Gegenstände heraus. Sie mussten ihre schwere Last aber nicht weit tragen, denn ein Kanal lag in unmittelbarer Nähe der Kirche. Die Gruppe teilte sich jetzt auf und die Gestalten beluden mehrere Boote, die eigentlich dem Fang von Fischen dienten. Dann schipperten sechs farbenfrohe Boote durch die nächtlichen Kanäle, vorbei an hohen Fenstern, aus denen Klaviermusik klang und auf deren Fensterbänke Kanarienvögel in ihren Käfigen zwitscherten.

Aber nicht alle der schwarzen Gesellen fuhren mit dem kostbaren Diebesgut davon. Zwei von ihnen blieben zurück und blickten den Booten lange nach. Als diese nicht mehr zu sehen waren, wechselten sie flüsternd ein paar Worte miteinander. Die eine Gestalt nickte immer wieder und übergab der anderen dann ein Briefkuvert. Sie schüttelten sich nicht die Hände zum Abschied, sondern verharrten nur einen Moment und blickten sich gegenseitig an. Dann trennten auch sie sich und die eine Gestalt wandte sich nach links in die Gassen mit den Wegweisern, die auf die Richtung Ferrovia wiesen, während die andere Gestalt zurück durch verschlungene Pfade mitten in das verwundete Herz von Venedig lief.

Die sechs kleinen Boote fuhren unterdessen in Richtung Cannareggio und dem Fondamenta Nuove. Sie kreuzten den Rio S. Agostino, fuhren aber weiter geradeaus. Es gab ein großes Risiko, die Boote mussten nämlich an einer Stelle den Canal Grande überqueren. Deshalb teilte sich die Gruppe noch einmal auf. Drei Boote bogen ab, überquerten den Canal Grande in der Nähe der Hallen des Fischmarktes, erreichten den Rio dei Santi Apostoli und machten später einen Umweg zum Fondamenta. Die anderen drei wagten den direkten Weg in den Canale della Misericordia. Es war eine ausgemachte Sache unter den schwarzen Gesellen, dass die Boote nicht aufeinander warteten. Kurz bevor sie das Fondamenta Nuove und damit die offene Lagune erreicht hatten, zogen sich die Gestalten rasch Hemden und Jacken an und setzten die Mützen der venezianischen Fischer auf. Zwar patrouillierte eine blauweiße Bootsstreife der Polizei nahe dem Fondamente, aber der Streife fiel nichts Ungewöhnliches auf.

Auch das junge Liebespaar, das auf einer der roten Holzbänke direkt am Fondamente Nuove saß, ließ sich nicht voneinander ablenken. Die beiden schauten zwar hin und wieder auf das schwarze schimmernde Wasser der Lagune hinaus und auf die vorbeiziehenden Boote, aber die störten sie nur in ihrer Zweisamkeit. Sie waren also froh, als die Boote so schnell wie möglich vorbeifuhren und beachteten sie nicht weiter. Stattdessen schauten sie immer wieder in die Augen des anderen. Der Mond indessen ging langsam und träge wieder unter, denn schon bald war Sonnenaufgang. Die Wolken hatten sich inzwischen aufgelöst und der Himmel strahlte in tiefem Blau über der Lagune. In der Ferne sah man die Lichter der kleinen Häuser der Inseln Murano, Burano und Torcello wie kleine warme Feuerstellen aufleuchten. So rasten die vermeintlichen Fischerboote in die sternenklare Nacht hinein.



Interview mit einer Diva

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