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Als das Vaporetto den Lido hinter sich gelassen hatte, die Lagune halbwegs überquerte und bei S. Elena, noch vor den Giardini del Popolo hielt, stieg Sally aus. Sie ging durch einen dunklen Park, eine schmale Allee mit roten Bänken entlang. Vorbei an einem Brunnen, in dessen Wasser kleine Wasserschildkröten schwammen und bog in eine trübe Seitengasse ab. Es dauerte nicht lange, da hatte sie sich verlaufen.

Sie blieb stehen und lehnte sich an eine Hausfassade und atmete tief ein und aus. Sie hatte sich wieder ein wenig gefasst, dennoch erschien ihr das gerade Erlebte wie ein Alptraum zu sein, aus dem sie gerade erwachte. Kaum zur Ruhe gekommen, hörte sie plötzlich Schritte hinter sich. Sie ging weiter und bog mal rechts mal links ab, es war ihr gleichgültig, wohin sie ging, sie kannte sich sowieso nicht aus. Sie hoffte, irgendwann auf einen der größeren Plätze zu gelangen um sich von dort aus orientieren zu können. Das muss das Sestiere Castello sein, dachte sie. Obwohl sie mal hier und da abbog, hörte sie die Schritte hinter sich. Es waren schwere Schritte, vermutlich ein Mann, es klingt nach Männerschuhen, dachte Sally. Sie lauschte, erhöhte das Tempo und lief dann etwas schneller. Die Schritte hinter ihr wurden ebenfalls schneller und hefteten sich weiter an sie. Als sie panisch in eine Nebengasse abbog, sah sie einen Kanal vor sich, über den sich eine geschwungene Brücke legte. Sie wollte rasch hinüber, als sie zögerte, denn auf der Brücke stand ein junger Mann mit blonden, fast schulterlangen Haaren, auf denen das Licht der Laternen spielte und sie zum Glänzen brachten. Er war groß, nachlässig gekleidet und als Sally näher kam, sah sie, dass er an einer Staffelei stand und malte. Das ist vielleicht die Rettung, dachte Sally und lief direkt auf den jungen Maler zu.

„Entschuldigung, bitte können Sie mir helfen, ich glaube, jemand folgt mir“, sagte sie atemlos und sah ihn bittend an. Der junge Mann hob den Kopf und Sally sah sein schönes Gesicht mit Augen, in denen etwas Wildes lag, das sie einen Moment lang erschreckte. Sie bereute schon, ihn angesprochen zu haben, doch er fragte höflich: „Wer folgt Ihnen denn, Signora?“

„Ich weiß es nicht, bitte, ich bin in einer misslichen Lage. Ich habe mich auch noch verlaufen.“

Der Maler schaute sie lange an. Sally lauschte, drehte sich kurz um, aber die Schritte waren verstummt. Der Maler schaute skeptisch in die Richtung, aus der Sally gekommen war, doch da fiel sein Blick auf ihr Abendkleid, das an der Seite eingerissen war. „Kommen Sie mit, Signora, ich bringe Sie von hier weg.“

Er packte mit geschickten Handgriffen die Staffelei und die vielen Farbtuben ein und bedeutete Sally, ihm zu folgen. Sally blickte sich noch einmal um, die Schritte waren nicht mehr zu hören, aber sie hatte das dumpfe Gefühl, als beobachtete sie jemand. Sie ging mit dem jungen Maler einige Gassen weiter. Bald schon wurden die Häuser kleiner und einfacher. Nach einiger Zeit standen sie vor einem kleinen Laden, in dessen Schaufenster viele kleine Zeichnungen aber auch Ölgemälde standen. Der junge Mann schloss die Tür auf und ließ Sally höflich den Vortritt.

„Hier sind Sie in Sicherheit, Signora, dies ist mein Atelier, ein Ort der Kunst, kaum jemand verirrt sich hierher.“ Er lächelte und warf dabei seine blonden Haare zurück, die im Licht der Lampe einen rötlichen Schimmer annahmen. Hinter dem kleinen Laden, in dem überall Bilder und Rahmen herumstanden, gab es noch ein Atelier, in das der Maler Sally führte. Es roch nach Farbe. Ein altes wackeliges Sofa stand da und Sally nahm dankbar Platz.

„Darf ich Ihnen etwas anbieten, ich meine auf den Schreck?“ fragte er freundlich.

„Ja, gerne“, erwiderte Sally und die dumpfen Gedanken in ihrem Kopf verzogen sich allmählich. Der Maler nahm einen rostigen Metallkessel und verschwand in einen kleinen Nebenraum, der wohl das Bad war, denn Sally hörte einen Wasserhahn rauschen. Er kam wieder und stellte den mit Wasser gefüllten Kessel auf den Ofen, den er vorher noch mit mehr Kohle und Holz befeuerte. Der Maler bereitete einen köstlichen schwarzen Tee zu und reichte Sally eine dampfende Tasse. Sally wollte nicht, dass er sie ausfragte, sie war noch so aufgewühlt, dass sie nur schweigend die Tasse annahm und nichts weiter sagte. Der Maler fragte aber nichts weiter, er schien zu spüren, dass Sally ihre Ruhe haben wollte und ging daraufhin wieder in den vorderen Laden, räumte einige Bilder um kümmerte sich nicht weiter um sie. Sie trank Schluck für Schluck den heißen Tee, der sie rasch wieder belebte. In dem kleinen Atelier fühlte sie sich sicher. Ihre Gedanken wurden wieder klarer und es dämmerte ihr bereits, dass es wohl nichts Dümmeres auf der Welt gab, als beim Fund einer Leiche vom Tatort zu fliehen. Ich muss sofort zur Polizei gehen, dachte sie, am besten noch in dieser Nacht, vielleicht hat mich jemand gesehen, wie ich die Suite verließ. Ich muss den Vorfall unbedingt melden. Sie leerte ihre Tasse, stand auf und ging in den Laden.

„Können Sie mir bitte den Weg zur nächsten Questura sagen?“ fragte sie den Maler, der bereits wieder an seiner Staffelei stand.

Der junge Künstler schaute sie überrascht an. „Sie wollen zur Polizei? Ist denn etwas passiert?“

„Ich muss etwas Wichtiges melden“.

„Sind Sie wirklich sicher, dass Sie verfolgt wurden, Signora, ich meine, Sie können sich doch auch geirrt haben...“, sagte der Maler höflich.

„Bitte, wissen Sie den Weg zur Polizei, dann zeigen Sie ihn mir.“ Der Ton ihrer Stimme war jetzt bestimmt, denn Sally wollte so schnell wie möglich zur Polizeistation. Der Maler zögerte. Er schien zu überlegen.

„Nun, wenn Sie meinen, Signora, also, die Questura ist nicht weit entfernt. Am besten Sie gehen nach rechts, wenn Sie das Atelier verlassen und folgen dieser Gasse. Dann gehen Sie immer geradeaus und überqueren einen kleinen Campo.“

Er beschrieb ihr ausführlich den Weg und malte eine kleine Skizze dazu, die er ihr gab. Sally vergaß, sich zu bedanken und verließ eilig den kleinen Laden. Sie trat auf die Gasse und folgte ihr. Sie war froh, dass sie nun auf dem richtigen Weg war und so kam es ihr nicht in den Sinn, dass sie nicht gerade besonders freundlich zu dem jungen Maler gewesen war. Aber Sally hatte jetzt Wichtigeres zu tun.

Bald kam sie auf den Campo in der Nähe der Chiesa di San Antonio auf dem einige Menschen in kleinen Gruppen standen und plauderten und lachten. Es waren Italiener und fast alle hatten ein Glas Wein in der Hand und mit der freien Hand gestikulierten sie scherzend. Es herrschte eine gelöste und friedliche Atmosphäre auf dem Platz.

Sally kam es in diesem Moment seltsam vor, dass die Menschen hier Wein tranken und sich amüsierten, während andere tot in ihren Hotelsuiten lagen, aber sie verbot sich das Nachdenken und ging entschlossen weiter. Als sie den Campo überquert hatte, bog sie rasch in die nächste kleinere Gasse ab. Die Questura muss jetzt ganz nah sein, dachte Sally gerade, als sie ein Schlag auf den Kopf traf, der sie zu Boden streckte.



Interview mit einer Diva

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