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Vorwort

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Es ist März 2021. Vor mittlerweile vierzehn Jahren ist unser Sohn Willi auf diese Welt gekommen. Und vor sieben Jahren ist dieses Buch zum ersten Mal erschienen.

Nun wird es eine Taschenbuchausgabe von Willis Welt geben – das freut mich. Ich kaufe nämlich selber am liebsten Taschenbücher.

Das neue Buch soll auch ein neues Vorwort bekommen. Nun sitze ich hier und versuche zusammenfassen, wie es uns seitdem ergangen ist, ohne dabei ein weiteres Buch zu schreiben.

Als Erstes kann ich sagen: Willi geht es gut! Er scheint ein glücklicher Mensch zu sein. Auch seine kleine Schwester Olivia ist mit ihren zwölf Jahren eine großartige und starke Persönlichkeit, die sich bis heute auf keinen Fall mit weniger Aufmerksamkeit als ihr behinderter Bruder zufriedengibt.

Das Wort «Behinderung» ist übrigens nach wie vor das Wort meiner Wahl, wenn ich Willis Besonderheit benennen muss oder möchte. Dass Willi auch das Down-Syndrom hat, erwähne ich mittlerweile sehr selten, denn es bringt mich nach wie vor in eine Rechtfertigungsposition. Damit meine ich nicht unbedingt den Rechtfertigungsdruck für Willis Existenz, sondern vielmehr für seinen krass unterdurchschnittlichen Entwicklungsstand: «Solche Kinder» können doch normalerweise sprechen, gehen mit vierzehn schon lange selbstständig zur und auf die Toilette oder fahren sogar allein U-Bahn und gehen einkaufen. Aber Willi ist weder «typisch Trisomie 21» noch «typisch Autist» noch typisch sonst was, außer vielleicht typisch Willi. Es hat mir sehr gut gefallen, was Willis Lehrerin einmal zu mir sagte in Bezug auf Menschen mit bestimmten Behinderungen, nämlich: «Kennst du einen, kennst du einen.» Recht hat sie, und im Prinzip trifft das auf alle Menschen zu.

Es hat zwar in den letzten Jahren eine ganze Reihe neuer, gut gemeinter Ersatzwörter für «Behinderung» gegeben, aber mich hat keines überzeugt. Es kommt mir so ähnlich vor wie die ständige Debatte um die genderkorrekte Sprechweise. Während manche Leute sich exzessiv damit beschäftigen, dass man unbedingt «Innenpolitiker*innen» sagen muss, bleibt das eigentliche Problem – nämlich dass die meisten höheren Ämter weiterhin von Männern besetzt werden – ungelöst. So ähnlich empfinde ich die Debatte über das Wort «behindert».

Statt sich wirklich mit behinderten Menschen zu beschäftigen, wird ständig um die Sprache gefeilscht. Aber hübsche Wortschöpfungen lösen wirklich kein einziges unserer Alltagsprobleme – auch nicht, wenn sie englisch sind.

Ich habe einmal an einer Universität für Studierende der «Heilpädagogik» aus diesem Buch gelesen. Die Zuhörer erzählten danach, dass sie die Lesung besonders interessant fanden, da sie endlich einmal etwas über das echte Leben und Verhalten eines Kindes mit sonderpädagogischem Förderbedarf erfahren hätten. Als ich erstaunt frage, womit sie sich denn im Studium sonst so beschäftigten, stellte sich heraus, dass sie sich zwar ausgiebig mit Themen wie «Behinderung als rein gesellschaftliches Konstrukt» auseinandergesetzt hatten, aber nie damit, was «Behinderung» konkret für Menschen bedeutet. Und wirkliche Begegnungen mit «solchen Menschen» hatten die wenigsten gehabt – und wenn, dann nur im privaten Bereich.

Für mich als Mutter eines schwerbehinderten Kindes scheint es dagegen ziemlich irrelevant, ob nun Akademiker Behinderung als ein von der Gesellschaft erzeugtes Phänomen entlarven oder nicht, denn rein praktisch muss ich meinem Sohn dann immer noch selber den Hintern waschen. Ich hätte wirklich mehr davon, wenn jemand von den Studis mit Willi öfter mal einen Ausflug in den Zoo machen würde.

Meine persönliche Erfahrung zeigt mir immer wieder: Wer keine Berührungsangst mit dem Thema hat, muss auch keine Angst vor dem Wort haben. Und wo man allzu verkrampft versucht, dem Wort auszuweichen, versucht man oft auch, der Realität von Menschen mit Behinderung auszuweichen.

Das kann einem in diesem Buch auf jeden Fall nicht passieren!

Und wie ist denn nun unsere Realität heute? Es ist nicht immer einfach bei uns, aber das darf wohl jeder Mensch über sein Leben sagen.

Wir sind oft glücklich und oft erschöpft und brauchen auch oft Hilfe bei der Bewältigung unseres Alltags – und ich bin leider immer noch keine Großmeisterin darin, Hilfe einzufordern. Aber ich übe weiter. Zum Glück haben wir unsere Eltern,* die immer an unserer Seite sind, ganz ohne dass wir sie darum bitten müssen.

Es fehlt mir besonders, auch mal etwas Zeit mit Matthias allein zu verbringen. An Willis neuntem Geburtstag haben wir mit Champagner angestoßen und uns nur halb scherzhaft gegenseitig gratuliert: Die Hälfte haben wir geschafft.

Grundsätzlich finde ich allerdings, dass es mit den Jahren alles immer ein Stück leichter wird. Willi macht seine ganz kleinen Schritte, Olivia macht ihre ganz großen Schritte, und ich versuche mitzuhalten durch Akzeptanz für alles, was kommt (oder eben auch nicht).

Hier zum Abschluss vielleicht einfach eine kleine Liste erstaunlicher Gegebenheiten aus unserem Leben, die ich mir vor sieben Jahren nicht hätte vorstellen können:

– Willi trägt tagsüber keine Windel mehr und sagt Bescheid, wenn er auf die Toilette muss.

– Olivia findet alles peinlich, was rosa ist oder glitzert, und ihre Wunschfrisur ist eine Haarlänge von 3 mm (was sie auch bereits auf der einen Seite ihres Kopfes trägt).

– Willi läuft nicht mehr weg!

– Mein Mann vergisst immer noch die Einkaufszettel und weiß bis heute nicht, welchem Kind welche Jogginghose gehört.

– Willi hat nicht die Zahlen gelernt, außer der «Eins» (was bei ihm wie «ass» klingt). Darum ist es besonders lustig, wenn er zählt. Er legt fünf Karten auf den Tisch und spricht dazu konzentriert: «Ass, ass, ass!»

– Willi ist ein großer Kenner klassischer Musik geworden. Er hört alle sechs Teile des Weihnachtsoratoriums von Bach konzentriert am Stück und liebt zum Beispiel die Carmina Burana von Carl Orff und Opern (alles parallel zu «Alle meine Entchen» und Co.).

– Olivia kann ohne ihren Nönö schlafen. (Der Nönö war über zehn Jahre ihr absolut lebensnotwendiger Schnuffellappen.)

– Willi ist in die Pubertät gekommen, und er bekommt schon Schambehaarung. (Ich weiß, es ist sehr indiskret, das zu schreiben; aber da sein körperliches Reifen für uns ein komplett verblüffendes Phänomen ist, tue ich es trotzdem.)

– Mein Mann scheint dagegen aus der Pubertät nie wirklich herausgekommen zu sein (die beiden amüsieren sich jetzt gemeinsam prächtig über ihre Pupse).

– Ich kann mit Willi in einen Supermarkt gehen, ohne dass er Dinge aus den Regalen reißt. (Er beißt nur ab und zu mal in eine Gurke, damit kann ich leben.)

– Letztes Wochenende habe ich bis 9.30 Uhr (in Worten: «halb zehn»!) geschlafen!

– Ein neuartiges Virus legt seit über einem Jahr unser Leben lahm. Da Willi sich weder an Abstandsregeln noch an das Tragen eines Mundschutzes halten kann, sind wir zuhause eingesperrt. Trotzdem musste noch keiner von uns in eine Einrichtung eingewiesen werden (das ist wahrscheinlich das Erstaunlichste in meinem Leben überhaupt).

Viel Spaß beim Lesen!

* Und «Oma» und «Opa» sind mit Abstand die Worte, die Willi am verständlichsten und am häufigsten spricht!

Willis Welt

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