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Antiaging oder das pharmazeutische Frühstück

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Ein langes Leben wünscht sich jeder und man wünscht ein solches auch anderen. Zum Beispiel zum Geburtstag. Aber keiner will alt, tüddelig, dement oder schrumpelig werden. Ich will das jedenfalls nicht. Jede weitere Falte an meinem Mund und jeden Jahresring an meinem Hals empfinde ich als persönliche Attacke gegen mich. Meine Vision: ich sitze als Hundertjährige im Kreis meiner bezaubernden Urenkel und hochintelligenten Enkel, glatt und schier, mit strahlender Haut, glänzenden Haaren und ohne die geringsten Gedächtnislücken. Ich siege immer beim Memory. Ich kokettiere mit meinem Alter und klappere nicht mit den Zähnen, höchstens mit den vollen Wimpern, speziell wenn ein knackiger Kerl vorbeigeht. Per Twitter, WhatsApp und Facebook, Bild online und SZ, weiß ich, was auf der Welt los ist. Und überhaupt bin ich gut drauf und voll fit.

Ich weiß, dass mir das nicht einfach in den Schoß fällt.

Man muss schon was dafür tun! Das mahnen die, die es wissen müssen und per Youtube, TV-Magazin oder „Senioren Playboy“, auch Apothekenrundschau genannt. Sie beweisen es anschaulich mit fitten Hundertjährigen, die uns angrinsen und ihr Geheimrezept für das hohe, glückliche Alter preisgeben.

Jeder hat so sein Spezial- Mittel: Opa Heinrich verzichtete sein Leben lang auf Alkohol, der andere Opa genießt regelmäßig drei Viertle, der eine hat die Finger vom Tabak gelassen, die andere qualmt immer noch wie ein Schlot. Es kommt auch vor, dass jemand auf sexuelle Abstinenz schwört. Dagegen der in die Jahre gekommene Playboy prahlt mit seiner Potenz und dass kein Rockzipfel vor ihm sicher ist, auch ohne kleine blaue Pillen.

Mir sind solche Aussagen zu wachsweich, ich halte mich da lieber an Altmeister Schuhbeck und seine Ingwertees. Auch glaube ich an die Wissenschaft. Schließlich soll die Gerontologie nicht umsonst unsere Forschungsgelder verpulvern. Also stecke ich mein Geld in Präparate, die einem zwar nicht das ewige Leben ermöglichen (also nicht, wie der Papst das meint), aber doch unschlagbare Vitalität garantieren.

Unwissende nennen sie „Nahrungsergänzungsmittel“. Wenn man das schon hört: Mittel, die die Nahrung ergänzen. Dann wäre ein Ehemann ein Eheergänzungsmittel, denn er ergänzt die Ehe, die ohne ihn keine solche wäre. Was für ein Quatsch, die Dinge, die ich mir zuführe, sind essentiell fürs Leben. Normalerweise wären sie selbstverständlich in den Nahrungsmitteln enthalten. Nur hat es die Nahrungsmittelindustrie – früher Landwirtschaft genannt – geschafft, all diese überlebenswichtigen Stoffe, aus den Nahrungsmitteln herauszuzüchten. Es bleibt uns also nichts anderes übrig, als sie künstlich dem Körper zuzuführen. Eigentlich ein raffinierter Schachzug, der der Pharmaindustrie Riesen Gewinne verschafft.

Hätte ein Apfel noch alles, was er haben sollte, dann könnte der berühmte „Apple a day“ mich vom Doktor fernhalten. So beiße ich halt nicht in den sauren Apfel, sondern schlucke täglich kleine oder größere Pillen.

Mein Senioren-Frühstück halt.

Und das sieht so aus. Da geht es erst mal mit den Vitaminen los. Hier meine Hit-Liste:

Vitamin A für attraktiv,

Vitamin B für Beziehungen,

Vitamin C für Charme,

Vitamin E für Energie und Erfolg,

Vitamin L für Liebe,

Vitamin K für Küsse,

Vitamin S für... na. Sie wissen schon.

Dann verwöhn ich mich außerdem mit weiteren Wirkstoffen. Wie zum Beispiel Knoblauchpillen für einen guten Atem. Ginseng Wurzeln, damit man in die Tiefe gehen kann. Der Extrakt aus dem Ginko, dem ältesten Baum der Welt lässt, mich baumstark werden. Im Gehirn natürlich, Muskeln sind ihm egal.

Kalziumtabletten sorgen dafür, dass ich keinen Witwenbuckel bekomme (hoffentlich verhindern sie auch, dass ich Witwe werde).

Fischölkapseln kämpfen tapfer den Kampf gegen freie Radikale in mir. (Ich finde das übrigens äußerst spannend, dass jeder so seine eigenen freien Radikalen in sich trägt, auch wenn er glaubt, ein ganz sanfter Mensch zu sein.)

Enzymdragees kämpfen gegen Zellen, die sich nicht unterordnen, sondern entarten wollen.

Dann stehen noch Kieselsäurekapseln und Folsäurepillen auf meinem Speiseplan und je nach Jahreszeit schieb ich noch die eine oder andere Magnesium-, Zink- oder Was-weiß-ich-Kur dazwischen.

Mit den angesagten Smoothies stehe ich auf dem Kriegsfuß. Erstens schmeckt mir ausgepresste Brennessel, gemixt mit Huflattich und Kiefernnadeln nicht. Und zweitens kenne ich mich schon länger. Erst kaufe ich so ein Smoothiemach-Dingens, mache drei Tage das grüne Zeug und dann steht im überquellenden Küchenschrank noch ein Trum mehr und quetscht sich zwischen Körnermühle und Heißen Stein.

Bei den Nahrungsergänzungspillen darf man nicht vergessen: diese Kügelchen haben einen zusätzlichen Effekt: Wenn ich sie alle zum Frühstück konsumiere, bin ich den ganzen Tag pumperlsatt, mache also nebenbei noch eine Schlankheitskur!

Wahrscheinlich wird mein hundertster Geburtstag trotzdem ins Wasser oder unter die Erde fallen. Ab und zu habe ich einfach Appetit auf etwas Abwechslung, zum Beispiel auf einen schönen fetten Schweinebraten. Und der ist angeblich ungesund...

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