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KINDHEIT, JUGEND UND WIE ICH DEN WEG IN DEN FOOTBALL FAND

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Hamburg 1974. Hafen- und Kaufmannsstadt, regiert von SPD-­Bürgermeister Peter Schulz und schon damals eine wohlhabende und wunderschöne Metropole an Elbe und Alster. Geboren am 3. Februar im Elim-Krankenhaus im Stadtteil Eimsbüttel als einer von damals gut 1,75 Millionen Hamburger Bürgern. Ein waschechter Hamburger, der allerdings nicht so aussah. Kinder mit dunkler Haut waren damals eben noch nicht alltäglich.

Verantwortlich für meinen gesunden Teint ist mein Vater, der Ende der 60er-Jahre als Student aus Nigeria nach Hamburg gekommen war. Er und meine Mutter Heidi, gebürtige Hamburgerin, lernten sich damals in der Hansestadt kennen … der Rest ist Geschichte!

Auch wenn ich niemals nach Nigeria gereist bin und ich auf die Frage nach meiner Nationalität aus voller Überzeugung „deutsch“ antworte, spüre ich an meiner Emotionalität und meiner Vorliebe für Hip-Hop, Soul und R’n’B-Musik, dass da auch noch ein anderes Herz in mir schlägt. Und mein Lieblingsessen ist bis heute Hühnchen mit gekochtem Grieß und einer scharfen, roten Soße, die meine Mama kocht wie niemand sonst auf der Welt, obwohl meine Frau, die das Rezept übernommen hat, mittlerweile an der Perfektion kratzt. Wenn ich diese rote Soße esse, spüre ich, dass meine Wurzeln nicht zu 100 Prozent in Hamburg sind.

Das liegt vielleicht auch daran, dass es im Kindergarten am Alsenplatz, wo ich als kleiner Buttje hinging, regelmäßig das Hamburger Traditionsgericht Labskaus gab – und das habe ich gehasst.

Das ist aber auch schon alles, was ich an Hamburg nicht mag. Ich verliebte mich in Windeseile in die Stadt, und das war nicht schwer, denn wir wohnten damals an der Breiten Straße am Fischmarkt, wo jeden Sonntagmorgen Vollalarm ist. Wer noch nie da war: ausprobieren, das ist Hamburg vom Feinsten! Vom Fenster meines Zimmers aus konnte ich direkt auf die Elbe schauen, auf die Trockendocks, wo die großen Pötte wieder frisch gemacht werden. Besonders abends war das eine tolle Sache. Wenn ich mal nicht schlafen konnte, musste ich nicht, wie viele andere Kinder, im Bett liegen und Schäfchen zählen. Ich konnte einfach rausschauen und den Schiffen hinterherträumen. Wenn für die Hafenarbeiter eine Schicht beendet war, wurde laut gehupt. Dieses Geräusch habe ich noch immer im Ohr. Diese Kulisse, das besondere Licht des Hafens am Abend, haben mich geprägt. Das ist für mich Ur-Hamburg, und bis heute ist die Elbe für mich der schönste Platz in der Stadt.

Meine frühe Kindheit erinnere ich als eine Art Abenteuerspielplatz. Bei uns zu Hause war immer was los. Wir hatten viel Besuch, es wurde gefeiert, gelacht, gegessen und Musik gehört. Am Wochenende und in den Ferien durfte ich bis 22 Uhr aufbleiben. In den Sommerferien übernachteten wir oft in unserem Schrebergarten. Gegenüber von unserer Parzelle hatte mein bester Freund Marco mit seiner Familie auch einen Garten. Das war eine tolle Zeit.

Die Umgangssprache bei uns zu Hause war Deutsch, aber wenn Freunde oder Verwandte da waren, war es ein Mix aus Afro­englisch und Deutsch. Englisch war immer um mich herum. Wie sehr mir das später mal helfen würde, habe ich damals natürlich nicht gewusst.

Ich hatte schon als kleiner Stöpsel den Kopf voll mit Flausen. Spaß hatte ich auch, wenn ich bei meinen Großeltern mütterlicherseits war. Die wohnten an der Langenfelder Straße, 300 Meter vom Kindergarten entfernt. Ich war oft nachmittags dort und ging für Oma Magdalena und Opa Hans Zigaretten kaufen. Gold Dollar ohne Filter, das ganz harte Kraut. Wahrscheinlich kommt daher meine komplette Abneigung gegen das Rauchen. Ich habe nie auch nur einen Zug getan, weil ich mir beim besten Willen nicht erklären konnte, warum man etwas, das stinkt, teuer ist und krank macht, gut finden sollte. Ich hatte einmal eine Freundin, die geraucht hat. Wobei, Freundin ist vielleicht zu viel gesagt, wir waren nur fünf Minuten zusammen. Der erste Kuss hat geschmeckt wie Omas nasser Aschenbecher, und da war mir klar, dass das mit der Dame nichts werden würde. Aber Omas Rinderbraten, den habe ich geliebt. Fast so sehr wie die scharfe, rote Soße.

Als es Zeit war, in die Schule zu gehen, zogen wir um. Weg vom Fischmarkt, tiefer hinein nach Eimsbüttel, in die Övelgönner Straße. Eingeschult wurde ich in die Grundschule Edwardstraße. Schwarze Kinder hatten sie damals selbst in Altona, wo du heute als Weißer manchmal zur Minderheit gehörst, nicht wirklich viele. In meiner Parallelklasse gab es ein dunkelhäutiges Mädchen, Joyce hieß sie, was ich auch nur noch weiß, weil sie eben nicht weiß war. Ein Problem war das nicht, denn in dem Alter achten Kinder nicht auf solche Dinge. Mein bester Freund war Marco, das komplette Gegenteil von mir. Blond, fast weiße Haare und blaue Augen – wir beide waren das Duo Infernale.

Ich gebe zu, dass ich im Unterricht eher so der typische Junge war. Gut im Sport, ansonsten eher nicht an Schulbildung interessiert, sondern viel mehr damit beschäftigt zu schauen, was da für Tiere auf der alten Kastanie vor dem Klassenzimmerfenster herumturnten. Mein Fokus war, so viel Unsinn wie möglich zu machen. Ich war der Klassenkasper, und froh, wenn ich nachmittags mit Marco am C64 oder Atari Olympische Spiele daddeln oder zum Fußballspielen gehen konnte.

Wie unbeschwert die Grundschulzeit ist, merkt man leider erst, wenn auf dem Gymnasium der Ernst des Schullebens beginnt. Meine Mutter hatte die Überzeugung, mir die bestmögliche klassische Bildung angedeihen zu lassen, und so wurde ich aufs altsprachliche Wilhelm-Gymnasium am Klosterstieg im noblen Stadtteil Harvestehude geschickt. Das war eine Art Kulturschock, für beide Seiten. Man muss es ehrlich sagen: Optisch und soziokulturell passte ich zwischen die vielen Kids aus reichem Hause nicht zwingend hinein. Da kam der Fußballproll aus Altona, und die anderen spielten alle Hockey oder Tennis. Ich fuhr Bus und Bahn, die anderen wurden mit dem Jaguar zur Schule gebracht.

Ich erinnere mich an meine erste Musikstunde. Alle außer mir spielten ein Instrument, und wir sollten irgendwelche Partituren dechiffrieren. Ich hatte nicht im Ansatz einen Plan, was die von mir wollten, und die meisten Lehrer gaben mir das Gefühl, dass es ihnen völlig egal war, ob der dünne dunkle Junge wusste, was da gespielt wurde. Ich erinnere mich an eine Lehrerin, die immer grobmaschige Pullover ohne Büstenhalter drunter trug, sodass die Nippel durchblitzten. Das war wie bei einem Verkehrsunfall: Hingucken tat weh, weggucken konnte ich auch nicht. Echt nicht schön.

Letztendlich war mir schnell klar, dass es nur zwei Möglichkeiten geben würde: Entweder gnadenlos untergehen oder durchbeißen und ankommen. Die Option Aufgeben gab es für mich nicht. Auf dem Gymnasium wurde ich erstmals auch mit so etwas wie Alltagsrassismus konfrontiert. Ich weiß nicht, ob jemand von euch das Buch „Neger, Neger, Schornsteinfeger“ kennt. Das hat der Hamburger Hans-Jürgen Massaquoi geschrieben, der als Farbiger in der Nazizeit aufwuchs. Als ich es las, erkannte ich vieles von dem wieder, was ich auch erlebt habe.

Richtig gestört hat es mich nie, weil ich mir immer gesagt habe, dass Leute, die sich von einem Dunkelhäutigen wie mir angegriffen fühlen, in Wahrheit arme Würste sind. In Hamburg ist der Rassismus auch wirklich kein großes Thema. In Kiel, wo ich später arbeitete, war das anders, da habe ich öfter mal Sprüche gehört wie „Geh zurück nach Afrika!“, oder „Verzieh dich in den Busch, du Kanake!“ Letzteres hat eine Studentin zu mir gesagt, die auf ihrem Fahrrad an mir vorbeifuhr.

Aber grundsätzlich habe ich wirklich keine Probleme mit Rassismus. Ich fühle mich durch und durch als Hamburger. Wer mich nicht kennt und mich sprechen hört, der glaubt das auch sofort, schließlich hab ich schon einen derben Hamburger Akzent. Wer mich sieht, bevor er weiß, woher ich komme, tippt vielleicht nicht zuerst auf Deutschland. Aber auch das wandelt sich. Es gibt in der jüngeren Generation immer mehr Leute, denen Aussehen und Herkunft völlig egal sind. Wenn ich in einem Dorf in Sachsen zum Bäcker gehen würde, würden die vielleicht anders reagieren – wenigstens so lange, bis ich zu reden anfange. Aber auch da gibt es solche und solche. Wenn man mich fragt, sage ich: Ich bin einer von den neuen Deutschen, weil Deutsche heute eben nicht mehr alle blond und blauäugig sind. Wenn ich durch Hamburg gehe, sehe ich überall Schwarze, Araber, Asiaten, und viele von denen sind in Hamburg geboren und haben den deutschen Pass. Ich finde, das ist eine schöne Entwicklung.

Als Kind war ich ein ganz ansehnlicher, schlanker und athletischer Bursche, und weil das auch die Mitarbeiter von der Kinderagentur Höppel fanden, hatten die meine Mutter und mich mal angesprochen, ob ich Lust hätte, für Werbefotografien oder Modeschauen zur Verfügung zu stehen. Hatte ich, und so landete ich in deren Kartei und wurde kräftig gebucht.

Ich war das einzige farbige Kind im Otto-Katalog, habe kleine Rollen im „Großstadtrevier“ gespielt oder bin auf Modeschauen über den Laufsteg stolziert. Der angenehme Nebeneffekt war, dass ich mir mithilfe der Gage den Lebensstil leisten konnte, den meine Mitschüler dank ihrer gestopften Eltern als selbstverständlich ansahen. Wenn die ein BMX-Rad aus dem obersten Regal hatten, kaufte ich mir das auch. Waren gerade Daunenjacken von Helly Hansen in oder Pullover von Hans Mundhenk? Ich holte mir so ein Teil. Als Nebeneffekt stärkte das Modeln mein schon damals nicht gerade gering ausgeprägtes Selbstbewusstsein.

In meiner Klasse gab es einen Jungen namens Florian. Einmal, es war kurz vor Beginn des Kunstunterrichts, meinte er, es sei lustig, sich über meinen Nebenjob zu mokieren. Er dachte sich dann kleine Wortspielchen aus, aus „Neckermann“ wurde „Negermann“. Um uns herum standen einige Mädchen, und ich gab mir selbst zehn Sekunden Zeit, um zu überlegen, wie die Reaktion ausfallen sollte. Sollte ich das über mich ergehen lassen und auf Durchzug schalten? Oder sollte ich ein Exempel statuieren?

Ich entschied mich für Variante zwei, und der Kandidat erhielt dafür nicht 1000 Punkte, sondern eine kräftige Abreibung. Ich war damals wahrlich kein Kraftprotz, der ständig Streit suchte. Ein Kind von Traurigkeit aber auch nicht, dafür hatte ich in Altona zu viel Lebenswirklichkeit um mich herum. Und bevor ich was an den Kopf bekam, habe ich lieber zuerst zugehauen. In Hamburg gibt es den schönen Satz „Wat mutt, dat mutt“ – jeder bekommt, was er verdient.

Natürlich schlage ich heute als Erwachsener nicht mehr einfach zu. Was ich mir bewahrt habe, ist das Einschreiten gegen Ungerechtigkeiten. Ich gehe meiner Frau damit manchmal auf die Nerven, weil sie nicht immer überzeugt davon ist, dass es schlau ist, sich einzumischen, wenn Streit droht. Aber ich habe mich durch mein früheres Exotendasein intensiv mit der Geschichte der Schwarzen in den USA beschäftigt, und wenn ich eins daraus gelernt habe, dann das: Man darf sich nicht alles bieten lassen und einfach das hinnehmen, was manche für ihr von Gott gegebenes Recht halten. Wenn jemand unfreundlich oder respektlos ist, wenn er im Bus nicht für gebrechliche Menschen aufsteht, oder wenn sich Jugendliche an der Supermarktkasse mit ihrem Wodka und Billig-Energydrink vor die arme Oma drängeln, dann weise ich freundlich, aber bestimmt darauf hin. Und das klappt meistens erstaunlich gut, was, zugegeben, auch daran liegen kann, dass die meisten denken, dass ich ihnen ein paar an die Backen geben könnte. Mache ich natürlich nicht. Aber ich könnte.

Ich gebe zu: Florian war nicht der Einzige, der das bekam, was er verdiente. Aber es war ein wichtiges Exempel mit zwei herausragenden Folgen: Zum einen hatte ich danach Ruhe, was dumme Sprüche angeht. Und zum anderen wurde Florian mein bester Freund und blieb das, bis er in der achten Klasse aus Hamburg wegzog und wir uns aus den Augen verloren.

Im Rückblick kann ich sagen, dass mir die Schulzeit nicht geschadet hat. Die inhaltliche Ausbildung war erstklassig, mit den meisten Leuten kam ich wirklich gut klar. Über die Zeit wächst man im Klassenverband zusammen, und ich war auch im Gymnasium kein Einsiedler, sondern voll integriert.

Ich bekam zwar einige blaue Briefe und meine Mutter musste nicht nur einmal zum Krisengespräch einbestellt werden. Aber am Ende bestand ich mein Abitur mit den Leistungskursen Mathe und Physik und den Prüfungsfächern Deutsch und Religion. Mich durchgebissen zu haben war mir eine gute Lehre und hat mir auf dem Weg, Profitrainer zu werden, sehr geholfen. Sich als Außenseiter in einem fremden Umfeld zu behaupten, das war mehrmals in meinem Leben eine Herausforderung.

Zunächst einmal stand ich jedoch vor der Herausforderung, was ich anfangen wollte mit meinem Leben. Mit 18, noch als Schüler, war ich von zu Hause ausgezogen. Meine Sachen passten in eine Sporttasche. Mein erstes Auto war ein alter Ford Fiesta, klassisch mit Choke als Starthilfe und durchgerostetem Rahmen. 200 Mark hatte der gekostet, und manchmal schlief ich darin. Kurzzeitig kam ich bei einer Cousine unter, dann fand ich für wenig Geld ein Zimmer in der Herderstraße in Barmbek. 25 Quadratmeter, Dusche in der Küche, aber ich war glücklich und stolz, meine erste eigene Bude zu haben.

Überhaupt habe ich meine Jugend ordentlich ausgekostet. Eine meiner Leidenschaften war Musik. Mit 15 hatte ich angefangen, Saxofon zu spielen, weil ich fand, dass es das coolste Instrument überhaupt war. Vier Jahre später, als ich in meiner zweiten Wohnung am Kernbeißerweg in Lurup wohnte, wurde mir das Teil gestohlen, und weil ich mir kein neues leisten konnte, war das das Ende meiner Karriere als Saxofonist. Dafür war ich voll auf Hip-Hop und Soul getrimmt. Meine erste Single war allerdings – jetzt wird es ­peinlich – „Looking for Freedom“ von David Hasselhoff. Ich fand das Lied scheiße, aber auf meiner ersten Hanseatic-Kompaktanlage, so einem heißen Teil mit Schallplattenspieler und Kassettendeck, habe ich Davids Nummer-eins-Hit zu Tode gescratcht.

Durch einen kuriosen Zufall wurde ich dann als Sänger entdeckt. Mit Anfang 20 startete ich als Backgroundsänger bei einer Band namens Babes and Dudes. Die brauchten einen passabel aussehenden schwarzen Bruder, und da ich nichts Besseres zu tun hatte, sagte ich zu. Eines Abends saßen wir in der Wohnung des Leadsängers, ein neuer Song sollte entstehen, aber die Band brach sich unglaublich einen ab beim Versuch, den Text zu schreiben. Weil ich des Englischen mächtig war, half ich nach Kräften, und als wir dann im Studio zur Aufnahme waren, war der Produzent der Meinung, dass der, der den Text geschrieben hatte, ihn auch singen sollte. Da ich aus guten Gründen bis dahin nur unter der Dusche gesungen hatte, war das Ganze eine ziemliche Farce und endete damit, dass der frustrierte ehemalige Leadsänger die Band kurz danach auflöste.

Wie es aber mit Zufällen so ist: Der Hamburger Musikproduzent Achim Sobotta hörte von den Geschehnissen rund um die legendären Babes and Dudes, und weil er überzeugt davon war, dass man aus meiner Stimme etwas machen könnte, begleitete er mich einige Zeit. Wir arbeiteten sogar an einer eigenen LP, fünf Songs waren auch schon fertig, bis die NFL Europe rief. Ich denke, das war auch gut so. Es war eine lustige Erfahrung, und wenn irgendjemand noch im Besitz der „Bravo Christmas Hits 2000“ sein sollte, dann empfehle ich dringend, sich das Duett Uneed mit dem Titel „A merry Christmas“ anzuhören. Der männliche Part, das bin ich!

Ich war an jedem Wochenende in der Hamburger Partyszene unterwegs. Natürlich auf der Reeperbahn, aber auch im Traxx bei den legendären Partys von Michael Ammer. In der Markthalle, im Logo – eben überall, wo man nette und coole Leute treffen konnte. Mein Vorteil war, dass ich niemals auch nur einen Tropfen Alkohol trank, geschweige denn irgendwelche Drogen nahm. Ich war Sportler, das passte für mich nicht zusammen. Ich habe eine ganze Reihe an Freunden wegen Drogen abdriften sehen oder wieder andere beobachtet, die mit dem Verkauf des Zeugs viel Kohle verdienten. Aber für mich war das nichts.

Ein positiver Nebeneffekt dessen war, dass ich so niemals in Gefahr war, den Führerschein zu verlieren, was eine Katastrophe für mich gewesen wäre, denn Autos sind eine meiner großen Leidenschaften. Ich interessiere mich sehr für die neuesten Entwicklungen, bin ein treuer Leser von „Auto Bild“ und „auto, motor und sport“ und habe sogar ein Soundbook, in dem ich mir die Motorengeräusche aller Porsche-Modelle anhören kann. Porsche ist meine absolute Lieblingsmarke, da stehe ich total drauf.

Ich war allerdings nie der klassische Schrauber, der an seinem Wagen alles selbst macht. In meinem ersten Ford Fiesta installierte ich mal einen Subwoofer, aber danach sah die Verkleidung so verknittert aus, dass der Wagen es sogar in die Abizeitung schaffte. Mit 16 hatte ich den Motorradführerschein erworben und mir eine richtig schön aufgemotzte MTX zugelegt, die 120 Sachen fahren konnte. Nach dem Fiesta kam ein Fiat Ritmo, dessen Elektronik so schadhaft war, dass er bei jedem Um-die-Ecke-Biegen hupte.

Es folgten ein Honda CRX, auf den ich lange gespart hatte, ein Golf VR6 mit Ledersitzen, der mir nach drei Monaten gemeinsamer Zeit vor meiner damaligen Wohnung in der Haldesdorfer Straße in Farmsen geklaut wurde. Danach hatte ich einen Golf GT II in üblem Grün und ein BMW 325i Cabrio in Schwarz mit rotem Faltdach, eine absolute Pornoschüssel, die bei Sonnenschein echt was hergemacht hat. Als ich in der NFL Europe arbeitete, musste ich Autos vom Ausrüster Skoda fahren, und seit 2013 bin ich nun Volvo treu. Wenn ich nicht im Football gelandet wäre, dann hätte ich mir auch einen Beruf mit Autos vorstellen können.

Tatsächlich jedoch stand ich nach dem Abitur vor der Frage, was mein Beruf werden soll. Dass ich mich schließlich für ein Studium der Heilpädagogik am Friedrich-Robbe-Institut in Hamburg entschied, hatte einen ernsten Hintergrund. Meine Schwester Jessica war vier Jahre nach mir mit einer komplizierten körperlichen und geistigen Behinderung zur Welt gekommen. Sie konnte nicht sprechen, war aber trotz des Handicaps ein sehr lebenslustiger Mensch, der allseits beliebt war. Unser Verhältnis war sehr innig, wir haben uns als Kinder ein Zimmer geteilt, und ich habe mich als großer Bruder stets als ihr Beschützer verstanden.

Meinen Zivildienst leistete ich an ihrer Schule ab, und spätestens da wurde mir klar, dass ich kein Typ fürs Büro bin. Ich muss mit Menschen arbeiten, Kontakt haben und versuchen, eine positive Wirkung auf andere zu entfalten. Wenn ich heute darüber nachdenke, dann finde ich, dass Heilpädagogik und Footballcoaching gar nicht so weit auseinanderliegen. Damals aber war mein Plan, nach dem Fachstudium in die Schweiz zu gehen und dort Theosophie und Sprachgestaltung zu studieren mit dem Ziel, Dozent zu werden. Habe ich dann nicht getan, weil sich die Chance auftat, in der NFL Europe zu arbeiten. Ich war schon immer der Überzeugung, dass man diese sogenannten „Once in a lifetime“-Gelegenheiten ergreifen muss, deshalb griff ich zu – und habe es nie bereut, auch wenn meine Mama immer davon geträumt hat, dass ich irgendwann mal die Leitung des Friedrich-Robbe-Instituts übernehme. Aber das kann ich ja zur Not immer noch nachholen.

Vielleicht ist es an dieser Stelle angebracht, meine Familie noch ein wenig näher vorzustellen. Meine Eltern kennt ihr bereits. Meine Mutter ist heute meine beste Freundin, sie lebt im Hamburger Stadtteil Iserbrook, und ich versuche, sie so oft wie möglich zu besuchen. Und ich habe noch eine weitere Schwester. Janine ist 33, und sie ist mir sehr ähnlich, auch ein sehr disziplinierter, arbeitsamer Mensch mit der Neigung zum Perfektionismus. Wir unterstützen einander, wo immer es geht, und sind eine verschworene Einheit.

Diese Einheit wurde 2004 auf eine harte Probe gestellt, als unsere Schwester Jessica starb. Ich war damals in der NFL Europe bei der Frankfurt Galaxy als Running-Back-Coach unter Vertrag und durch Zufall auf Heimatbesuch, als sie mit einer Hirnhautentzündung ins Universitätsklinikum Eppendorf eingeliefert wurde. Zweieinhalb Monate dauerte ihr Kampf. Meine Mutter, die sich ins Krankenhaus hatte mit einweisen lassen, sowie Janine und ich haben durchgehend an ihrem Bett gewacht – wir tagsüber, Mama nachts. Jessica war niemals allein. Ich habe nicht gearbeitet in der Zeit, doch eines Tages schien es ihr besser zu gehen, sodass ich es wagte, nach Frankfurt zu reisen, um ein paar Dinge zu erledigen.

Als nachts in meiner Wohnung in Wiesbaden das Telefon klingelte, wusste ich allerdings sofort, was los war. Meine Mutter sagte, ich müsse mich beeilen, wenn ich mich von meiner Schwester noch verabschieden wolle. Ich raste in vier Stunden nach Hamburg und kam zum Glück rechtzeitig. Sechs Stunden saßen wir gemeinsam an Jessicas Bett, ehe sie starb. Für mich war das die erste Naherfahrung mit dem Tod. Meine Schwester zu verlieren, die nur 26 Jahre alt werden durfte, war eine furchtbare Erfahrung.

Man kann sich auf so etwas nicht vorbereiten, denn obwohl wir damit rechnen mussten, dass es passiert, hofften wir doch immer, dass sie durchkommt. Als es dann vorbei war, stürzte ich mich in die Arbeit, um auf andere Gedanken zu kommen.

Ebenso prägend, wenn auch natürlich auf eine viel angenehmere Art, war die Geburt meiner Tochter. Romy kam am 3. Oktober 2012 zur Welt, ein Feiertagskind, was ich sehr passend fand. Meine Frau Anna und ich hatten uns zwölf Jahre vorher kennengelernt. Damals jobbte ich in einem angesagten Klamottenladen namens „Tate“ am Gänsemarkt in der Hamburger Innenstadt, und Anna kam über eine Freundin, die meine Kollegin war, ebenfalls in den Laden. Damals fand ich, dass sie ein hübsches, nettes Mädel war, aber sie war erst 18 und ich schon 26.

Ich ging nach Frankfurt zur Galaxy, und als ich 2005 zurück nach Hamburg kam, war aus dem netten, hübschen Mädel eine überragend aussehende, absolut bezaubernde Frau geworden, die glücklicherweise auch ähnlich positiv über mich dachte. Ich war mir schon sehr früh sicher gewesen, dass ich mal eine Frau und Kinder haben wollte, weil das zu meinem Verständnis eines echten Mannes dazugehört wie die Leidenschaft für Autos und Football. Aber ich habe mir Zeit gelassen, um herauszufinden, wann die echte Liebe um die Ecke gebogen kommt. Anna war diese echte Liebe. 2011 haben wir geheiratet, und es fiel mir nach vielen Jahren des Ausprobierens überhaupt nicht schwer, sesshaft zu werden. Es hat sich einfach genau richtig angefühlt.

Romys Geburt war – und ist bis heute – das Highlight in meinem Leben, und ich kann in aller Bescheidenheit behaupten, dass ich insbesondere im Sport doch einige Höhen erleben durfte. Aber wenn ich nach langen Reisen oder auch nur langen Arbeitstagen nach Hause komme und da dieser blond gelockte Engel auf mich wartet, dann ist mir alles andere egal. Die Familie ist mein sicherer Hafen. Viele sagen ja, dass ein Kind ihr Leben komplett auf den Kopf gestellt hat. Ich würde eher sagen, dass Romy mein Leben bereichert hat.

Meine Prioritäten haben sich durch sie verändert. Den Traum, in den USA zu leben und im Profifootball zu arbeiten, habe ich für sie aufgegeben. Ich möchte einfach, dass sie eine behütete Kindheit hat, dass sie nicht in fünf, sechs verschiedenen Städten aufwächst, sondern in Hamburg. Mein Fokus liegt jetzt darauf, dass es ihr gut geht. Natürlich ist es auch bei mir so, dass ich die Konsequenzen meines Handelns viel mehr überdenke, als das vor der Vaterschaft der Fall war. Aber ich bin ja mittlerweile auch alt genug, um vernünftig zu sein.

Nun zu dem, was mein Leben geprägt hat wie nichts anderes: Sport. Ich war schon als kleiner Junge fasziniert von Bewegung, und so war es vorgezeichnet, dass ich als deutscher Junge zunächst einmal in einen Fußballverein eintrat. Beim SC Union 03 an der Waidmannstraße begann in der 2. F-Jugend meine Karriere. Warum ich zunächst Torwart war, weiß ich nicht mehr.

In den folgenden Jahren der Jugendfußballzeit arbeitete ich mich immer weiter nach vorn, bis ich in meinem letzten Jahr als A-­­Jugendlicher im Sturm spielte. Meine beste Zeit hatte ich aber als Libero und Vorstopper, wie damals der heute so vielzitierte Sechser genannt wurde. Das lag wahrscheinlich daran, dass ich von Beginn an ein gutes Auge für den Spielaufbau hatte. Technisch war ich nicht gerade begnadet, ich fand über den Kampf ins Spiel.

Den Traum, Fußballprofi zu werden, hatte ich nie, dazu war ich Realist genug. Aber ich war fußballverrückt, sammelte Panini-­Klebebilder und hatte Lieblingsspieler wie jeder andere Junge auch. Bei mir waren es die farbigen Exoten, ich mochte den Franzosen Jean Tigana oder die Holländer Ruud Gullit und Frank Rijkaard. Anfangs war ich, wie die meisten Hamburger Jungs, HSV-Fan. Aber als mich einmal im Block E in der Westkurve des Volksparkstadions, wo die härtesten Fans standen, ein Skinhead anpöbelte, was ich Neger denn hier wolle, brach ich mit dem HSV. Ein Verein, der solch eine Fankultur tolerierte – und beim HSV waren solche Nazis leider damals zuhauf unterwegs –, konnte nicht mein Verein sein. Seitdem halte ich zum FC St. Pauli.

Mein Karriereende als Fußballer hatte einen Grund, den manche vielleicht als nichtig ansehen würden. Ich war als 18-Jähriger in der A-Jugend des ETSV Altona bisweilen auserkoren, in der Herrenmannschaft, die in der Landesliga kickte, auszuhelfen. Das machte mir auch Spaß – bis einmal nach dem Training ein Kasten Astra in die Kabine gestellt und ich aufgefordert wurde, mir auch ein Bier zu nehmen. Ich war geschockt, denn Alkohol und Sport passten für mich einfach nicht zusammen. In dem Moment wusste ich, dass es vorbei war mit dem Fußball.

Doch was sollte nun kommen? Ich hatte parallel zum Fußball mal eine Zeit lang Judo gemacht und eine Saison Handball gespielt. Und mit 17 hatte ich, um in den engen Shirts, die damals in Mode waren, einen ordentlichen Bizeps zu haben, mit Kraftsport begonnen. Aber ein Ersatz für den Fußball war nirgends zu sehen.

Das änderte sich erst, als ich Frank Fischer kennenlernte. Frank spielte damals bei den Silver Eagles American Football, und weil er gehört hatte, dass ich ein laufstarker und für meinen Körperbau recht kräftiger Athlet sein sollte, fragte er mich, ob ich nicht einmal zum Probetraining mitkommen wolle. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich keine Ahnung von diesem Sport.

Ich weiß noch genau, wie der damalige Trainer Bill Shipman zu mir sagte, dass ich Talent hätte, nachdem ich im Vollsprint einen Ball aus der Luft gepflückt hatte. Und wahrscheinlich war es dieser simple Satz, der in mir ein Feuer entzündete, das seitdem nicht mehr aufgehört hat zu lodern. Von dem Tag an ging ich immer wieder zum Training, obwohl es in den ersten Monaten fast jedes Mal ordentlich auf die Fresse gab, weil die großen Jungs im Team natürlich Lust hatten, den schmächtigen Neuling richtig zu überfahren. Damals war es völlig normal, dass es ordentlich vor den Latz gab.

Football war für mich die aufregende Blondine, die ich niemals zuvor gesehen hatte. Die Komplexität des Spiels hat mich in ihren Bann geschlagen, obwohl ich sie damals nur erahnen konnte. Das Spiel im Ganzen zu durchdringen, das gelingt einem erst als Trainer, glaube ich. Aber ich spürte, dass dieser Sport wie eine an­­steckende Krankheit ist, die aber nicht irgendwann wieder ausheilt, sondern mit der Zeit immer heftiger wird.

Was mich besonders faszinierte, war die Ausrüstung. An dieses Gefühl, das in mir aufstieg, als ich zum ersten Mal Helm und Shoulderpads anlegte, erinnere ich mich genau. Ich fühlte mich wie ein Gladiator, der sich für die große Schlacht bereit macht. Meinen ersten eigenen Helm habe ich immer noch zu Hause. Ich hatte ihn damals Stefan Mau abgekauft, dem Quarterback der Silver Eagles, weil für mich außer Frage stand, dass ich mir keinen neuen Helm leisten könnte. Für meine ersten Shoulderpads sparte ich monatelang.

Cool fand ich auch, dass beim Football meist Englisch gesprochen wurde, und mir gefiel auch der Teamgeist viel besser als beim Fußball, weil ich diese Energie liebte, die man beim Football spürte, wenn alle gemeinsam für die Sache kämpfen. Ich habe es schon so oft gesagt, deshalb darf es in diesem Buch natürlich nicht fehlen: Football erfüllt in meinen Augen die Grundbedürfnisse des Mannes – Jagen, Erlegen und Beschützen. Und aufgrund meiner Herkunft und meiner Genese war – und ist – Football einfach der passende Sport für mich.

Meine Familie und meine Freunde fanden es völlig okay, dass ich mit diesem Outlaw-Sport anfing. Einige waren zwar der Meinung, dass ich zu dünn für Football sei, weil dort doch eigentlich nur richtige Bullen benötigt werden. Aber als sie sahen, dass es durchaus auch athletische, schmächtigere Spieler gibt, fanden sie es cool und kamen oft zum Zuschauen, denn Football war schon damals in Szenekreisen in Hamburg ein hipper Sport.

Für mich war der Abschied vom Fußball und die Hinwendung zum Football eine Zäsur, wie sie viele Jugendliche kennen, die im Sport den Übergang vom Jugend- in den Herrenbereich schaffen müssen. Manches löst sich auf, viele gehen neue Wege – und meiner führte eben in den American Football. Dass daraus ein Lebensinhalt werden würde, konnte ich damals nicht ahnen. Aber ich war bereit dafür, mich dem Neuen zu öffnen. Und ich sollte es nicht bereuen.

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