Читать книгу Wenn Sie Sich Verstecken Würde - Блейк Пирс - Страница 11
KAPITEL SECHS
ОглавлениеBisher hatte noch niemand gegenüber dem Schreibtisch Platz genommen; Kate, DeMarco und Barnes standen noch immer. Doch als Jeremy diese forsche Aussage machte, ging Sheriff Barnes langsam zu dem Stuhl herüber und setzte sich direkt dem Teenager gegenüber. Mit einer Mischung aus Traurigkeit und Wut in den Augen fuchtelte er mit dem Finger vor Jeremys Gesicht herum.
„Ich bin seit sechzehn Jahren Sheriff in dieser Stadt, und ich kannte Wendy und Alvin Fuller ziemlich gut. Und soweit ich weiß, ist Mercy Fuller eine anständige junge Frau. Definitiv nicht ein Stück Dreck wie du, das sich immer wieder in Schwierigkeiten bringt. Und da du also hier sitzt und solche Anschuldigungen hervorbringst, möchte ich für dich hoffen, dass du eine verdammt gute Geschichte auf Lager hast, anhand derer du sie belegen kannst.“
Jeremy nickte; er hatte es zweifellos mit der Angst zu tun bekommen. „Die habe ich.“
Barnes verschränkte die Arme, lehnte sich zurück und blickte Jeremy höhnisch an. Als Jeremy anfing zu reden, blickte er die ganze Zeit auf Sheriff Barnes an. Hätte Kate raten sollen, dann hatte es wohl mit Jeremys Angst zu tun, dass Barnes sich vielleicht jeden Moment über den Tisch herüber auf ihn werfen könnte, um ihn zu erwürgen.
„Wir hatten seit ungefähr drei oder vier Wochen miteinander rumgemacht, als sie zum ersten Mal erwähnte, von zuhause weglaufen zu wollen. Sie fragte mich, ob ich mitkomme. Sie sagte, sie wollte nach North Carolina oder so. Ich habe sie damit aufgezogen, weil ich keinen Sinn darin sehe, nur einen Staat weiter zu ziehen. So hat sie mir auch nicht gefallen. Mein Bruder machte immer Witze darüber, dass ein Mädchen besessen wird von dem ersten Typen, mit dem sie schläft. Bei ihr war das wohl auch so. Jedenfalls, keine Chance, dass ich mit ihr weglaufe. Aber so, wie sie darüber redete, war klar, dass sie darüber wirklich nachdachte.“
„Glauben Sie, sie wollte weglaufen, weil sie ihre Eltern nicht leiden konnte?“, fragte Kate.
„Ich glaube schon. Ich meine, das ist der einzige Grund, der mir einfällt, warum jemand von zuhause weglaufen will. Ich meine … meine Eltern sind auch Arschlöcher, aber ich bin nie weggelaufen.“
„Nein“, sagte Barnes, „du bist einfach zwei Meilen weiter in den Wohnwagen deines Bruders gezogen. Vielleicht hatte Mercy diese Option nicht.“
„Trotzdem“, sagte Kate, um sicherzustellen, dass Barnes sie nicht vom Thema ableitete, „glauben Sie, sie meinte es wirklich ernst, wenn sie über das Weglaufen sprach? Anstatt nur Ihren Kopf mit Fantasien zu füllen, damit Sie bei ihr bleiben?“
„Nein. Aber sie hat immer wieder davon gesprochen, dass ihre Mutter durchdrehen würde auf der Suche nach ihr – nicht weil sie Mercy wirklich finden wollte, sondern weil sie dachte, dass Mercy ihr einen Schritt voraus war.“
„Wissen Sie von irgendeiner Form von Missbrauch bei ihr zuhause?“, fragte DeMarco.
„Ich glaube nicht, dass es da etwas gab. Jedenfalls nicht in letzter Zeit. Einmal hat sie erzählt, wie ihre Mutter ausgeflippt ist und ihr voll ins Gesicht geschlagen hat. Da war sie elf oder zwölf gewesen.“
„Und Sie sagen, dass sie nie direkt gesagt hat, dass sie sie umbringen wird?“, hakte Kate nach.
„Doch, ein paar Male. Sie sagte „Ich kann’s kaum erwarten, sie umzubringen“. Und dann hat sie davon gesprochen, ob sie es mit einem Messer macht oder mit einer Pistole. Sie redete gern darüber. Aber ich habe ihr gesagt, sie soll die Klappe halten. Wenn Mercy und ich zusammen waren, ging es nur um Sex. Ich wollte mir das nicht anhören, wie sie davon fantasierte, ihre Eltern zu töten, jedenfalls nicht, bevor wir zur Sache gekommen waren, wissen Sie?“
Als Jeremy aufhörte zu sprechen und alle drei anblickte, dachte Kate über das Gesagte nach. Er hatte hinsichtlich Mercys Promiskuität gelogen. Sie fragte sich, ob alles andere, was er gesagt hatte, auch gelogen war.
Sie lehnte sich zu Sheriff Barnes herüber und flüsterte, „Können wir uns einen Moment draußen unterhalten?“
Er nickte, erhob sich und musste dabei praktisch seine Augen von Jeremy losreißen. Er verließ den Raum nicht ruhig, sondern er stürmte hinaus. Er ging er schnurstracks in sein Büro, bevor er auch nur ein Wort zu Kate oder DeMarco, die ihm folgten, sagte. Er hielt die Tür für sie offen.
„Scheiße“, stieß er hervor.
„Glauben Sie, er sagt die Wahrheit?“, fragte Kate.
„Ich glaube, es sind genug Fetzen an Wahrheit dabei, um die Geschichte glaubhaft zu machen. Diese Sache, dass Wendy Fuller Mercy geschlagen hat … das ist wirklich passiert. Mercy hat damals die Polizei verständigt. Sie schien dabei nicht gerade traurig. Das ist etwa fünf Jahre her, aber ich kann mich gut daran erinnern. Sie war rachsüchtig. Sie wollte, dass ihre Mutter einen Haufen Ärger am Hals hatte. Am Ende lief es aber darauf hinaus, dass wir uns mit der Familie zusammengesetzt haben, und damit war die Sache erledigt. Damals hatte Wendy ein Alkoholproblem. Soweit ich weiß, ist sie seit zwei Jahren trocken. Aber was diesen Mist angeht, dass Mercy ihre Eltern hasst … ich bin mir da einfach nicht sicher.“
„Alles, was er uns erzählt hat, ist das genaue Gegenteil von dem, was Anne Pettus gesagt hat. Sie sagte, Mercy liebt ihre Eltern … und dass sie sich richtig gut verstehen.“
„Was mich beschäftigt“, begann Barnes, „ist, dass Jeremy Branch und sein älterer Bruder nichts als Unruhestifter sind. Seinen Bruder habe ich zweimal mit Drogen aufgegriffen und einmal wegen unsittlichen Verhaltens auf dem Rücksitz seines Wagens auf einem der Nebenstraßen. Jeremy hatte ich bisher nur einmal auf der Wache ‒ wegen Diebstahls. Aber ich war mir immer sicher, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis er auch ein ‚Stammkunde‘ wird.“
„Hätte er irgendeinen Grund zu lügen, als er sagte, er halte Mercy für den Killer?“; fragte DeMarco.
„Ich weiß es einfach nicht. Aber es macht schon Sinn, oder? Das Mädchen hat die Nase voll von ihren Eltern, bringt sie um, läuft weg.“
Kate nickte. Vor ihrem inneren Auge sah wie das Szenario vor sich, wie Mercy sich ihren nichtsahnenden Eltern näherte und beide umbrachte, noch bevor einer von ihnen die Chance hatte zu begreifen, was gerade passierte.
„Seit wann lebt Jeremy bei seinem Bruder?“, fragte Kate.
„Ich weiß nicht. Richtig dort wohnen tut er dort seit etwa einem Jahr. Aber auch vorher hat er immer wieder bei seinem Bruder mitgewohnt. Sein Bruder heißt Randy Branch ‒ ein fünfundzwanzigjähriger permanenter Verlierer. Ihre Eltern haben sich vor etwa zehn Jahre scheiden lassen. Sobald er konnte, suchte sich Randy eine eigene Bleibe, diese miese Bruchbude draußen am Waldrand. Eine Zeitlang pendelte Jeremy zwischen seinem Bruder und seiner Mutter hin und her, aber dann zog sie zu ihrer Familie nach Alabama. Und danach hat sich sein Vater scheinbar überhaupt nicht mehr gekümmert.“
„Aber er lebt hier in der Gegend?“
„Ja, draußen an der Waterlick Road.“
„Wissen Sie, ob Jeremy je bei ihm übernachtet?“
„Aus erster Hand weiß ich das nicht, aber ich habe Gerüchte gehört. Eines davon besagt, dass Randy verruchte Partys schmeißt. Orgien, soweit ich weiß. Und er lässt Jeremy nicht dabei sein. An solchen Wochenenden übernachtet Jeremy bei seinem Vater.“ Er hielt inne und fügte dann fast skeptisch hinzu, „Glauben Sie, dass es Mercy war?“
„Glauben Sie es denn?“
Er zuckte die Schultern. „Ich will es nicht glauben, aber es beginnt, danach auszusehen. Um ehrlich zu sein, ich habe diese Möglichkeit schon in Betracht gezogen, bevor Sie hier ankamen.“
„Wir sollten Jeremy noch etwas länger hier behalten“, sagte Kate. „Können Sie veranlassen, dass uns in der Zwischenzeit jemand die Adresse und Kontaktinformation von Jeremys Vaters besorgt?“
„Ja, ich setze Foster darauf an“, sagte Barnes und griff zum Telefon. „Er wird froh sein, seiner Akte etwas hinzufügen zu können.“
Kate und DeMarco verließen das Büro und gingen zum Großraumbüro zurück. Leise sagte DeMarco: „Glaubst du, Jeremy Branch sagt die Wahrheit?“
„Ich kann es einfach nicht sagen. Seine Geschichte macht auf jeden Fall Sinn und verbindet viele Punkte miteinander. Aber ich weiß auch, angesichts all der Drogen, die ich bei ihm gefunden habe, hat er allen Grund der Welt, seine Spuren zu verwischen und die Aufmerksamkeit auf jemand anderen zu lenken.“
„Ich frage mich, ob er nicht selbst mit dem Morden zu tun hat“, sagte DeMarco. „Ein älterer Junge, der wollte, dass ein junges Mädchen ihm weiterhin hörig ist. Wenn sie ihre Eltern wirklich so sehr hasste, und er verrückt genug wäre, wäre er dann nicht auch verdächtig?“
Dieser Gedankengang klang vielversprechend; auch Kate hatte schon daran gedacht. Sie zog ihn noch immer in Betracht und hoffte, dass ein Besuch bei Jeremys Vater ihnen mehr Informationen lieferte.
„Agents?“
Beide wandten sich um und sahen Barnes aus seinem Büro treten. Er gab Kate einen Zettel und nickte. „Dies ist die Adresse von Floyd Branch. Doch seien Sie gewarnt … er kann ein ziemlicher Bastard sein. Polizeimarken und dergleichen beeindrucken ihn nicht sonderlich.
„Es ist mitten am Tag“, sagte Kate. „Sind Sie sicher, dass er überhaupt zuhause ist?“
„Ja. Er hat eine Garage, in der er an kleinen Motoren und dergleichen arbeitet.“ Barnes überprüfte die Uhrzeit und lächelte. „Es ist gleich 15:30 Uhr. Ich wette, dass er schon angefangen hat zu trinken. Wenn ich Sie wäre, würde ich so bald wie möglich hinfahren … bevor er vollkommen besoffen ist. Möchten Sie Verstärkung? Er ist ein ziemlicher Hillbilly. Ich kann es nicht anders beschreiben. Er wird zwei Frauen sehen und Sie nicht ernst nehmen.“
„Klingt ja herzallerliebst“, meinte Kate. „Aber klar. Kommen Sie mit, Sheriff. Je mehr von uns, desto besser.“
Sie glaubte nicht wirklich daran, dass es so laufen würde, aber sie kannte die Art Mann, die Barnes beschrieb. Gerade im Süden war sie vielen von ihnen begegnet. Dort gab es ländliche Gegenden, in denen die Männer einfach noch nicht auf dem aktuellen Stand der Welt waren. Nicht nur, dass sie keinen Respekt vor Frauen hatten, sondern sie sahen sie nicht einmal als gleichwertig an. Selbst, wenn sie eine Marke und eine Waffe trugen.
Gemeinsam verließen sie die Wache und stiegen in den vom FBI geliehenen Wagen, in dem DeMarco aus Washington DC hergefahren war. Wow, und all das war nur heute Vormittag, dachte sie.
Sie musste an Allen denken, und an die Pläne, die er für sie gehabt hatte ‒ in die Berge zu fahren, Wein zu trinken, auszuschlafen, und andere Dinge im Bett, die mit schlafen nichts zu tun hatten.
Und obwohl es sie traurig stimmte, all dies zu verpassen, gab sie doch zu, jetzt genauso aufgeregt zu sein, da der Fall sich langsam vor ihnen ausbreitete. Sie musste noch an der Balance zwischen ihrem Privatleben und ihrer besonderen Stellung beim FBI arbeiten, aber im Moment fühlte sie sich, als liefe alles genau so, wie es sein sollte.