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KAPITEL SECHS

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Adele erinnerte sich, warum sie sich für San Francisco als Wohnort in den USA entschieden hatte. Manche Menschen waren einfach nicht für die Kälte geschaffen.

Sie zog ihre Kapuze weit über die Ohren und straffte die Zugbändern der dicken Flanelljacke, um ihren Hals vor dem kalten Wind zu schützen. Jede Brise wurde zu einer Herausforderung, jedes leise Knirschen des Schnees unter ihren Stiefeln versetzte ihr eine Gänsehaut. Der Weg war nicht lange zuvor geräumt worden und dafür war Adele dankbar. Ohne ihre robusten Stiefel vermutete sie, wären, die zwei Meilen vom Parkplatz durch den Schnee zu stapfen eine Farce gewesen. Schlimmsten Falls wären ihr dabei die Füße abgefroren.

Vor ihnen führte Luka Porter, der Leiter des freiwilligen Bergrettungsteams, die beiden Agenten entlang der verschneiten Skipisten.

„Neuschnee“, rief er auf Deutsch über die Schulter und fuhr mit seinem Handschuh durch den pulvrigen Schnee.

„Ich sehe Skispuren; sind sie frisch?“, rief Adele. Sie räusperte sich, schluckte ein paar Mal und stellte fest, dass nicht nur ihre Lippen rissig, sondern auch ihre Kehle trocken war.

Sie vermisste San Francisco. Innerlich murrend, aber sich weigernd, ihren deutschen Kollegen Schwäche zu zeigen, folgte Adele Luka in einen Baumhain am Ende des zugeschneiten Weges.

Er zeigte mit der Hand auf den Hain. „Hier habe ich sie gefunden“, sagte er leise. Seine Worte klangen düster. „In Stücke gerissen – wirklich scheußlich. Viel Blut“, fügte er hinzu. „Wahrscheinlich waren sie noch am Leben, während sie verstümmelt wurden.“ Er schauderte, sein Gesicht wurde blass.

Adele nickte und sah zu den Bäumen hinüber. Abgesehen von kaum sichtbaren Skispuren, von denen sie vermutete, dass sie von Such- und Rettungsmannschaften stammten, gab es kaum physische Beweise. Dem Bericht zufolge waren keine Fußabdrücke gefunden worden und die Leichen waren längst geborgen worden – zumindest das, was von ihnen übriggeblieben war.

„Was ist Ihre Theorie?“, fragte sie. Sie ließ ihren warmen, nebligen Atem in Richtung der Baumblätter strömen, die durch das Licht der Sonne, Muster auf dem Boden abzeichneten.

Luka kratzte sich unter seiner Thermomütze an einem Ohr. „Ein Braunbär, höchstwahrscheinlich“, sagte er wissentlich. „Sie waren jahrzehntelang aus den Alpen verschwunden, aber vor ein paar Jahren gab es einige Sichtungen. Wir sind nur“ – er blickte über seine Schulter und dann hinunter auf eine Smartwatch an seinem Handgelenk – „etwa zwei Meilen von dem Resort entfernt, in dem sie sich aufhielten.”

„In dem Resort, in dem Sie untergekommen sind“, sagte Agent Marshall leise, die hinter Adele stand.

Adele nickte, um zu zeigen, dass sie es verstanden hatte, schwieg aber weiter, um von Lika weitere Informationen zu erhalten.

„Ich habe keine Bärenspuren gesehen“, fügte er hinzu. „Aber der Schnee hat das meiste verdeckt.“, sagte er Achsel zuckend. „Wirklich schade – ich bin mir nicht ganz sicher, was die beiden in diesem Hain gemacht haben. Ich vermute, Mr. Und Mrs. Beneveti waren auf einem Skiausflug und der Bär entdeckte sie und ergriff seine Chance. Sie kamen von der Hauptroute ab und versuchten, sich in den Bäumen zu verstecken.“ Er schüttelte den Kopf.

„Das ist wohl nicht gut ausgegangen.”

„Nein“, sagte Adele. „Ich schätze, das ist es nicht. Sie glauben also, es war ein Bär?”

Luka hielt inne, runzelte die Stirn, als er sich ganz umdrehte und sie ansah.

„Glauben Sie, dass es nicht so war?“

Agent Marshall räusperte sich und schob sich hastig zwischen Adele und Luka. Sie rieb ihre Hände mit den Handschuhen aneinander und atmete hinein, als wolle sie sie wärmen.

„Ich fürchte, wir können die Einzelheiten der Untersuchung nicht besprechen“, sagte sie. „Haben Sie sonst noch etwas gefunden? Haben Sie etwas gesehen?”

Lukas Augen blinzelten gedankenverloren, doch dann sagte er: „Nein, nichts. Obwohl ich gehört habe, dass das Pärchen reich und einflussreich war. Schade, dass ihnen so etwas passiert ist. Das zeigt wohl, dass man mit Geld nicht alles kaufen kann.”

„Danke“, sagte Adele höflich. Dann bewegte sie sich durch den Tatort, langsam, vorsichtig, ihre Augen aufmerksam nach vorne gerichtet. Der schneebedeckte Boden lieferte wenig physische Beweise. Die Tatortfotos, die sie im Flugzeug gesichtet hatte, waren direkt nach dem Fund gemacht worden. Es hatte deutlich weniger Neuschnee gelegen. Aber die Bäume… die Bäume waren immer noch freistehend, sichtbar.

Sie bemerkte keine Schnitte oder Brüche entlang der Bäume – oder in der Nähe der kleinen Äste der Setzlinge. Sie wusste nicht viel über Bären. Aber sie wusste, dass es seltsam war, dass die Bäume selbst unberührt geblieben waren, obwohl ein, zwei Tonnen schweres Muskel- und Fellknäuel hier hereingekommen war, um zwei flüchtende Skifahrer zu jagen.

Nein. Die Fotos vom Tatort ließen auf ein Beil oder eine Axt schließen. Verrostet, vielleicht stumpf. Aber definitiv menschlich. Wer auch immer der Mörder war, er musste sich in der Gegend auskennen. Die Skipiste war bekannt, aber nicht offensichtlich. Wer auch immer die Benevetis getötet hatte, hatte sie beobachtet und auf sie gewartet.

Nun lag es an Adele, herauszufinden, warum.

„Sehen Sie etwas?“, fragte Agent Marshall.

Adele sah zurück und schüttelte den Kopf nur ganz leicht. „Nichts Neues. Wann, sagten Sie, wird dieses neue Resort eröffnet?”

„Morgen“, sagte Marshall. Als sie verstummte, huschten ihre Augen erst zu Luka und zurück zu Adele.

„Millionäre, Politiker und Mord“, sagte Adele mit einem humorlosen Lächeln. „Klingt wie der Anfang eines Films.”

Und nach einer weiteren Untersuchung der Bäume und des schneebedeckten Bodens drehten Adele und die beiden Deutschen um und begannen ihre lange Wanderung zurück auf dem Weg in Richtung des Resorts. Vage konnte Adele nur hoffen, dass der Fall von John und Robert in Frankreich besser lief. Sie hoffte, dass dem Schweizer Paar nicht dasselbe schreckliche Schicksal wie den Benevetis widerfahren war.

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