Читать книгу Das Werk des Staatsministers - Bo Balderson - Страница 7
3
ОглавлениеDas Haus kann in der Tat den redseligsten Menschen in erstauntes und misstrauisches Schweigen versetzen. Ob man es vorher schon einmal zu Gesicht bekommen hat oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Der Anblick ist immer wieder ein Schock. Mit Stockwerken, Veranden, Türmchen, Erkern, Spitzen und Ornamenten verziert, die sich neben- und übereinander stapeln, vermittelt es fast den Eindruck eines nachlässig zusammengetragenen Maifeuers. Es hätte nur noch das Feuer gefehlt, nur das Feuer, das ihm zu einer Daseinsberechtigung verhelfen konnte. Jeden Sommer hoffe ich von neuem, dass der Blitz seine Aufgabe erfüllen möge oder auch das Eis oder die Halbstarken vom See. Aber es steht jedes Mal noch an Ort und Stelle.
»Sah es wirklich so übel aus?« murmelte Generaldirektor Västermark und zog den Reißverschluss seiner Windjacke herunter, wie um sich Luft zu verschaffen.
Genau das war der Fall, aber auf dem Rasen stand meine Schwester Margareta und empfing uns. Sie ist in vielerlei Hinsicht eine bewundernswerte Frau. In gut zwanzig Jahren hat sie ihrem Staatsminister fünfzehn Kinder geboren (das sechzehnte ist adoptiert), ohne Fehlstart und ohne Abkürzung durch Zwillinge. Sie ist nett zu ihrem großen Bruder, kocht die Gerichte, die sein Darm verträgt, und versucht, Kinder und Tiere von ihm fernzuhalten. (Etwas seltsame Ideen hat sie aber dennoch: Sie besteht zum Beispiel darauf, dass ich barfuß über die Klippen gehe, um die Fußgelenke zu stärken, und dass ich in der Sonne liege, um mich warm braten zu lassen, und dass ich dann in die See springe. »Das ist herrlich!« behauptet sie. Das ist schon möglich – für einen jungen und gesunden Menschen. Aber als Historiker weiß ich, dass man in alten Zeiten auf diese Weise Erz gebrochen hat – erst erhitzte man das Gestein mit Holzfeuer und übergoss es dann mit Wasser.)
Wir gingen auf das Haus zu. Vom Schwimmbecken drangen Schreie, Gebell und Planschen zu uns herüber, und ich dankte Gott, dass wir während der Badezeit eintrafen, so dass der Staatsminister und die Hunde nicht im Weg waren, wenn ich mich häuslich einrichtete.
Ich wohne stets in dem unteren Gästezimmer. Es ist zwar feucht und klamm, aber die Alternative, das obere Gästezimmer, ist noch schlimmer. (Es liegt viele, viele, das Herz strapazierende Treppenstufen hoch unter einem Blechdach, sodass das Zimmer an sonnigen Tagen in einen Backofen verwandelt wird.) Jetzt hatte der Staatsminister da unten Isolierplatten annageln lassen, wenn man Eva Glauben schenken durfte.
Die Arbeit war sehr laienhaft ausgeführt. Breite Spalten, eigentümliche Fugen und buckelige Flächen. Tapeten waren auch vorhanden, standen aber zusammengerollt auf dem Fußboden. Ein paar schiefe und faltige Bahnen bezeugten, dass Anstrengungen unternommen worden waren – ohne Zweifel vom Staatsminister höchstpersönlich –, sie an der Wand zu befestigen.
Ehe ich mich erholt hatte, kamen der Staatsminister, die Kinder und die Hunde vom Baden.
Der Staatsminister wollte für seine Platten gelobt werden, ich jedoch war dazu nicht in der Lage. Der Kinder waren es viel zu viele, und die eifrigsten unter den lieben Kleinen wollten sogleich mit mir losziehen, um mir die neue Rutschbahn, die umgewehte Riesenfichte, den Ameisenhaufen und die Höhle zu zeigen, die sie eigenhändig gebaut hatten. Ihre schrillen Stimmen gingen mir durch Mark und Bein.
Aber am schlimmsten waren die Hunde. Die alten, kleinen waren noch erträglich, aber der neue, große war entsetzlich. Er warf sich förmlich auf mich, und die Kinder ermunterten ihn durch Zurufe wie: »Ja, sag dem Onkel Guten Tag« und »Bin ich nicht süß?« und »Dass er dir den Mund ablecken will, ist ein Instinkt, er will, dass du ihm das Essen rauswürgst.« Als ich ihn abschüttelte oder es zumindest versuchte, schienen sie kein Verständnis zu haben und schlechte Laune zu bekommen. (Das habe ich schon bei den meisten Hundebesitzern festgestellt. Nimmt man ihre Vierbeiner nicht an, als seien es die eigenen, schon seit langem vermissten Kinder, und gibt ihnen nicht freie Verfügungsgewalt über die eigene Person, raunen sie einander mit gedämpften Stimmen zu, man sei kein Tierfreund. Und man wird von ihnen verurteilt. Dann ist man keinen Pfifferling mehr wert. Um diese Hundebesitzer vollauf zufriedenzustellen, müsste man sich auf den Boden werfen und sich von den Bestien mit Tatzen und Zunge von oben bis unten bearbeiten lassen.) Nachdem er einen letzten verzweifelten Versuch unternommen hatte, mich zu Fall zu bringen, indem er mir in die Kniekehlen sprang, gelang es Margareta, ihn wenigstens an die Leine zu nehmen, und Kinder samt Tiere zogen zum Schwimmbecken ab, wo Dressur geübt werden sollte.
Der Staatsminister fragte, ob ich mich nicht umziehen oder zumindest den Mantel ablegen wollte. Es schien zwar die Sonne, es war heiß und der Himmel blau, aber in den äußersten Schären schlägt das Wetter schnell um, und über die Bucht strich ein Windhauch, und war das da nicht eine Wolkenbank ganz hinten beim Festland?
Ich zog die Handschuhe aus. Das musste erst einmal reichen.
»Ja, Margareta scheint sich um Lisa Lind, Västermark und Zander zu kümmern. Dann will ich dich mal unter die Fittiche nehmen«, sagte der Staatsminister. »Hoffe, du hast nichts dagegen, aber wir haben einen Rundumschlag gemacht und Leute eingeladen, denen wir noch ein Abendessen schuldeten. Sie fahren heute Abend wieder ab.«
Ich erkundigte mich, um wie viele Personen es sich handelte. Der Staatsminister zählte sie an den Fingern ab und kam auf acht Gäste. Ich meinte, wenn ich die Hunde überlebte, dann würde ich auch die Gäste überstehen. Obgleich es bestimmt in vielerlei Hinsicht merkwürdig war, wollte ich nicht glauben, dass sie anfangen würden, mir den Mund zu lecken in der Absicht, mich zum Herauswürgen des Mittagessens zu bewegen.
»Die Frage ist nur, wo sie stecken«, fuhr der Staatsminister fort. »Na ja, wenn wir hier rumlaufen, finden wir sie früher oder später. Einen Vorteil hat es ja, wenn man im Sommer Gäste einlädt, weil sie sich dann allein beschäftigen können. Wollen wir uns zuerst den Pool anschauen?«
Aber aus der Richtung waren Schreie und Gekläff zu hören, und mir war klar, dass die Dressur in vollem Gange war, und schlug vor, den Pool zurückzustellen.
»Dann schauen wir uns zuerst den Strand an. Mir war, als hätte ich Pelle Lind da unten gesehen.«
Der Staatsminister besitzt ein sehr großes Grundstück. Es reiht sich ein Doppelmorgen mit Gras, Wald und sandigen Stränden an den anderen. Die Größe hat ihre Vorteile – die Anzahl Kinder pro Quadratmeter kann zum Beispiel nie sehr hoch ausfallen – aber die Aussicht, das Gelände auf der Jagd nach Mitgästen zu durchstreifen, war nicht gerade verlockend. Über weite Strecken ist der Boden vollkommen unbearbeitet, und man muss sich seinen Weg über Steine, Stämme und Wurzelwerk bahnen.
»Und wer bitteschön ist Pelle Lind?« fragte ich und wich der ersten Gefahr auf dem Ausflug aus, einer ganz und gar unmarkierten und unwillkommenen Absenkung des grasbewachsenen Untergrundes. »Der Mann von Lisa Lind vielleicht?«
»Genau. Sie haben auf Norrön ein Sommerhaus, ein paar Kilometer südlich. Er ist Arzt. Ich nehme immer das Motorboot und fahre mit den Kindern rüber, wenn mit ihnen etwas ist. Er ist zwar kein Kinderarzt, sondern Gynäkologe. Aber er ist bestimmt froh, wenn er Gelegenheit hat, sich als Allgemeinmediziner zu betätigen. So bleibt er dann auf dem neuesten Wissensstand.«
Ich legte voller Mitleid für Doktor Lind eine Gedenkminute ein. Die Kinder des Staatsministers stürzen nahezu jeden Tag von Kellerdächern oder werden von Schlangen gebissen oder schlagen sich gegenseitig mit den Fäusten blutig.
»Es ist schon einige Jahre her, dass sie bei uns zum Abendessen waren. Es ist also wirklich höchste Zeit. Und jetzt passte es so gut, weil Bosse von einem Pferd gebissen worden ist.«
Ich wusste, was Pelle Lind bevorstand, war ein notdürftig bemäntelter Krankenbesuch.
»Netter Kerl. Aber manchmal etwas hitzköpfig«, berichtete der Staatsminister.
Zwischen den Erlen öffnete sich eine Lichtung zu Bucht und Himmel, und dort lag auch ein Bootssteg. Ganz an dessen Ende saß ein sommerlich gekleideter, braungebrannter Mann, der ins Wasser starrte.
Der Staatsminister ging mit leichten Schritten über die Holzplanken.
»Wo zum Teufel hast du gesteckt …«
Der Mann in Weiß vor ihm hatte sich umgedreht.
»Ach, Sie sind’s, Entschuldigung! Ich dachte schon, es sei Lisa …«
Als Entschuldigung war die Antwort nicht gerade gelungen, aber ich vermutete, dass ihr als Erklärung das Verdienst zukam, wahr zu sein.
Die beiden passten zusammen, Lisa und Pelle Lind. Die gleiche rundliche Figur, der gleiche rosige Teint und offener Blick eines Menschen um die 35 Jahre. Der Doktor besaß selbstverständlich männliche Attribute: buschige, sandfarbene Koteletten, die sich bis zum Hals hinunterzogen.
»Ich … ich mache mir Sorgen um sie. Sie müsste schon längst hier sein. Ich war vor einer Weile oben beim Haus, aber da war sie noch nicht angekommen. Ja, in Norrtälje kam sie auf die Idee, sie wolle aussteigen und zu Fuß hierher gehen und sich auf die Suche machen nach … ja, nach irgend so einem Vogel. Zusammen mit Generaldirektor Västermark …«
Er verstummte und schluckte kurz, als komme ihm die Situation lächerlich vor, und ich griff ein und teilte ihm mit, dass Frau Lind soeben wohlbehalten, aber etwas müde eingetroffen sei.
Die Gummisohlen klatschten auf den Planken, als Doktor Lind loslief, um sich mit seiner Frau zu vereinen.