Читать книгу Mein erfolgreicher Weg aus dem Burnout - Bodo Dietrich - Страница 6
2.) Der Anfang: Die Zeit mit meinen sechs „Baustellen“
ОглавлениеIm Nachhinein ist man immer schlauer, das wissen wir inzwischen alle. Auch in diesem Fall ist es so. Wenn ich zurückschaue, dann gab es während der gesamten Entwicklung über mehrere Jahre immer wieder Anzeichen, die sich verstärkt haben, die ich zwar wahrgenommen, aber falsch eingeschätzt habe.
Die größten Fehler dabei lagen bei mir selbst, weil ich einfach auch ignorant war. So Gedanken wie: „Mir passiert das nicht, den anderen ja, aber mir doch nicht.“ Ich treibe Sport als Ausgleich, achte einigermaßen auf die Ernährung, bin kein Risikopatient, körperlich seit Jahren gesund, wie soll ich da anfällig sein.“ „Ich bin schon zweimal Marathon gelaufen und fünfmal Halbmarathon, ich weiß was ich leisten kann, ich kenne meine Grenzen.“ „Außerdem lasse ich die Kollegen nicht hängen, wir sitzen in der Abteilung ja alle im gleichen Boot, und ich mache nicht als erster schlapp.“ „Es ging doch bisher immer gut, all die Jahre vorher, wieso soll jetzt was passieren, wo ich doch viel mehr Erfahrung habe und vieles schneller und effizienter im Job machen kann als früher, kann also auch immer mehr leisten.“
Ja, denkt man, kann aber sehr gefährlich sein. Irgendwo hat jeder seine eigene individuelle Grenze.
Wie hat sich das alles angebahnt? Was sind im Nachhinein die Ursachen gewesen?
Aus heutiger Sicht weiß ich: Es war die Summe aus mehreren „Baustellen“ im privaten und beruflichen Bereich, die parallel jahrelang gut gegangen sind. Dann ereignete sich an einer der „Baustellen“ ein Fehler, den ich verschuldet hatte und der von mir persönlich empfundene Stress stieg an, was auch die anderen Bereiche negativ beeinflusste. Damit begann eine Kettenreaktion.
Erste Baustelle: Arbeitsplatz
Ich arbeite als Planungsingenieur für fördertechnische Anlagen und Lagerausstattung im Logistikbereich, Aufgabenbereich: Ist-Aufnahme, Planung Realisierung und Inbetriebnahme, eigene Mitarbeiter-keine, alle erforderlichen Arbeiten werden von uns im Team als Projektleiter selbst ausgeführt.
In der Abteilung hatten wir schon immer viel zu tun, langweilig war einem nie. Das kennen die meisten von euch sicherlich auch. Projektreisen zu bestimmten Planungszeiten oder Inbetriebnahmen bei Projektende haben dann noch einen drauf gelegt. Aber damit hatte man ja Erfahrung, das stellte eigentlich kein Problem dar. In der Regel hatte jeder von uns teilweise bis zu 10 Projekte parallel. Das kann viel oder wenig sein, je nach Projektgröße und Projektphase. Oft waren darunter 2 größere mit der Hauptarbeit, dann 3-4 mittlere und „Kleinkram.“
Erschwerend kam in den letzten 2 Jahren hinzu, dass zwar vom Chef Unterstützung durch neue Mitarbeiter vorgesehen war, 2 neue Kollegen hatten auch angefangen, aber sich jeweils in der Probezeit oder kurz danach wieder anders orientiert. Das war für uns eigentlich nicht nachvollziehbar, weil gerade ein paar Jahre vorher ein neuer Kollege ohne Probleme einen sehr guten Start hingelegt hatte und auch heute noch bei uns ist. Wir hatten alle zusammen mit dem Chef versucht sie einzulernen, so wie es auch mit dem früheren Kollegen funktioniert hatte. Während meiner Zeit in der Reha kam dann noch ein weiterer hinzu, der jetzt auch schon mehrere Jahre Berufserfahrung bei uns gesammelt hat.
Das bedeutete für uns anderen in dieser Zeit in der Abteilung: Die Zusatzarbeit für das Einlernen der beiden neuen Kollegen über 1 Jahr war einfach für die Katz. Das hatte damals nicht gerade motiviert. War einfach „dumm gelaufen.“
Zweite Baustelle: Ehrenamt in der Kirchengemeinde
Das hatte ich auch seit 15 Jahren im Ältestenkreis der Gemeinde inne. Das war am Anfang eine unheimlich schöne Zeit. Hat viel Energie gekostet, die war es aber Wert. Die ganze Familie hatte sehr schöne Erlebnisse dabei, die wir auch nicht missen möchten, auch heute nicht. Dann kam die Zeit der Einsparungen, wie überall. Das traf alle Gemeinden in unserem Bereich. Schwere Entscheidungen standen an, unangenehme Entscheidungen. Verkauf des Gemeindehauses, Umbau der Kirche. Der Sparprozess begann 2004 und das Projekt mit dem Gemeindehaus und der Kirche zieht sich jetzt schon seit 2008 sehr schleppend hin, aus Gründen, die die Gemeinde nicht zu vertreten hat.
Dritte Baustelle: Pflegefall Mutter und Uroma
2005 ist meine Mutter an schleichender Demenz erkrankt. Die ersten beiden Jahre haben wir Sie zu Hause gepflegt, das war in der letzten Phase enorm anstrengend, vor allem emotional. Für Sie, weil Sie anfangs auch selbst merkte, dass „im Kopf nicht mehr alles o.k. war“ und wusste was kommen würde. Ich selbst bin verschiedene Male ausgerastet, aus Angst, dass Ihr etwas zustößt, weil Sie sich unbewusst in Gefahrensituationen, z.B. auf der Straße, begeben hat. Ihr Erinnerungsvermögen war einfach nicht mehr da. Sie wusste immer weniger was sie gerade gemacht hatte, worüber wir gesprochen hatten oder wozu manche Gegenstände da sind. Bis wir Sie morgens nach einem Sturz in der Nacht bewusstlos auf dem Weg zum Bad auf dem Boden gefunden haben. Plötzlich klingelten alle Alarmglocken auf einmal. An diesem Tage waren wir beim Hausarzt, haben eine Einweisung ins Pflegeheim organisiert und sechs Pflegeheime in der Umgebung angefragt, die Koffer gepackt und umgezogen. Die Gefahr war zu groß, die Pflege zu Hause war nicht mehr zu leisten obwohl ich Ihr immer versprochen hatte: „Mutter du musst nicht ins Heim.“ Am nächsten Tag hatte ich eine Inbetriebnahme im Ausland, die ich nicht verschieben „konnte“ und flog für eine Woche weg. Drei Firmen waren auf diese Woche koordiniert, das Lager wurde umgeräumt und alles hätte neu koordiniert werden müssen und es hätte einen Terminverzug gegeben. Also absagen oder nicht?
Es war ja alles organisiert mit Mutter. Hatte doch geklappt, war zwar sehr stressig, aber Mutter war in guten Händen. Mit dem Chef war auch alles besprochen. Wenn es mit Mutter kritisch werden würde, könnte ich die Reise jederzeit sofort abbrechen. Also nicht absagen. Meine Frau erledigte den Rest, hielt mich auf dem Laufenden und die Woche verlief gut.
Wir besuchten Mutter dann ein Jahr lang immer noch im Pflegeheim und unterstützten mit allem was notwendig war. Das muss man erst mal begreifen und verarbeiten, wenn ein nahestehender Mensch so langsam abbaut und zum Schluss nicht mehr weiß was er mit dem Löffel in der Hand und dem Suppenteller machen soll. 2008 verstarb unsere Mutter dann im Krankenhaus. Dieser Abschnitt lag zwar vor dem tatsächlichen Burnout, kostete aber sehr viel Kraft und so einfach wischt man diese Zeit mit den Bildern und Erfahrungen auch nicht aus dem Kopf. Das braucht Zeit. Manche von euch kennen das bestimmt auch.
Vierte Baustelle: Umbau Elternhaus - Barrierefreiheit
Diese war eine richtige Baustelle. Ich hatte Mutter versprochen, dass ich in meinem Elternhaus im EG eine Erweiterung anbaue, damit Sie die steilen Treppen ins OG zum Schlafzimmer nicht mehr gehen muss. Da kaum Eigenkapital da war habe ich so gut wie alles selbst gemacht, Erdaushub für das Fundament, Einschalung, betoniert, gemauert, Holzbalkendecke, verputzt, Elektrokabel verlegt. Nur der Zimmermann und Dachdecker und Fliesenleger war zugekauft. Dieser Anbau über 2 Etagen begann ca.2005, als wir merkten, dass Mutter nicht mehr so rüstig war wie früher. Ihre Demenz war schneller als ich mit dem Anbau. Ich wurde nicht rechtzeitig fertig, nur das EG war bezugsbereit und der obere Stock blieb eine Baustelle bis nach Ihrem Tod. Insgesamt habe ich dann mit der Verzögerung der Pflege 5 Jahre daran gearbeitet. Ich dachte das geht so nebenher. War aber nicht so. Was nebenher ging, war der schleichende Verlust meiner eigenen Energie. Das ist zwar schon ein paar Jahre vorher passiert aber hat immens viel Kraft gekostet. Bis dahin war das die schwerste Lebensphase für mich.
Fünftens: Eigene Familie
Ach ja, man hat ja nebenbei noch eine Familie mit 2 Kindern, d.h. es gibt auch noch ein Familienleben, einen Freundeskreis, ich will was für die Fitness tun, um diesen alltäglichen kleinen Wahnsinn durchzuhalten, man fährt in Urlaub, in der Schule kommt mal was dazwischen und und und und. Ihr kennt das ja.
Sechstens: Ferienhaus in St. Peter Ording
Wir hatten uns 2006 ein kleines Ferienhaus in St. Peter Ording gekauft. Baujahr 1975, etwas renovierungsbedürftig, konnte aber in seiner Grundstruktur so belassen und sofort als Ferienwohnung vermietet werden. Damals war die Entwicklung mit Mutter noch nicht erkennbar oder abzusehen. Die „kleinen“ Renovierungen (damals Streichen, neue Fußbodenbeläge, neue Möbel) würde ich selbst machen. Sie waren noch so weit in Ordnung, dass man die Arbeiten auf die nächsten 5 Jahre verteilen konnte. Das war machbar. Die „großen“ Arbeiten am Dach und in den Bädern, Türen würden wir auf jeden Fall machen lassen. Das Haus war damals etwas abgelegen, daher preiswert und die Raten würden sich über die Miete tragen. Soweit der Plan. Hat am Anfang auch gut geklappt. Natürlich waren die Urlaube dann nicht nur zum Strandvergnügen da. Aber es machte auch unheimlich viel Spaß zu sehen wie das Haus immer „mehr in Schuss“ kam und im Kopf machte mir die Arbeit anfangs nichts aus. Es war zwar eine körperliche Belastung, aber wir hatten keine Angst dass es nicht funktionieren würde. Und wir fuhren eigentlich immer zufrieden wieder nach Hause. Es ist auch eine Vorsorge für die Zukunft und die Zeit nach der Arbeit.
Dann kamen ein Wasserrohrbruch und eine Vollsanierung im Bad im Januar 2011 hinzu. Vermietungsausfall, zusätzliche nicht eingeplante Renovierungskosten. Die Versicherungen zahlten nur die Hälfte. Plötzlich mussten wir an unsere Reserve gehen, was nicht eingeplant war. Dann durfte auch nichts mehr schief gehen.
Diese ganzen „Baustellen“ waren damals machbar, solange nicht alles gleichzeitig aus dem Ruder lief. Es hat über mehr als 5 Jahre geklappt, auch die andern 10 Jahre davor im Geschäft seit 1997 und als wir unser Haus gebaut haben. Wir hatten auch sehr viel Spaß in dieser Zeit (sonst hätte man das ja auch nicht alles gemacht) und wir haben viele Urlaube, vor allem beim Schifahren auch richtig genießen können.
Schließlich war das alles auch Teil eines Planes für später, für die Kinder und unseren Lebensabend.
Aber dann hatte ich 2011 im Geschäft kein gutes Jahr und zusammen mit den anderen parallelen Baustellen in der Gemeinde etc. hat die Belastbarkeit immer mehr nachgelassen und ich entwickelte eine gewisse Angst davor, dass im Geschäft wegen der hohen allgemeinen parallelen Belastung privat und im Job mal etwas so richtig gegen die Wand fährt. Nicht nur so 10 oder 50 TEURO, nein, so ein richtig großes Ding. Ich versuche meine Arbeit immer gut zu machen, logisch, wie jeder von euch auch. Dabei kommt man dann immer tiefer in eine Materie und das kostet Zeit. Wenn man aber viele Projekte gleichzeitig hat, beginnt es plötzlich an mehreren Stellen zu brennen. Man rennt nur noch den Bränden hinterher, versucht zu flicken und zu retten und dem Termindruck Stand zu halten und irgendwann klappt das nicht mehr, die Welle schwappt über dir zusammen. Das kennt ihr vielleicht auch. Wie bereits gesagt, die Situation war bekannt und unser Chef versuchte sie zu ändern. Zum damaligen Zeitpunkt leider ohne Erfolg.
Einen wichtigen Faktor darf man in der Entwicklung nicht außer Acht lassen. Es hört sich zwar blöd an, aber wir werden halt doch Älter. Ich merke zwar immer noch, dass man mit seiner jahrelangen Berufserfahrung sehr viel wettmachen kann und vor allem auch Fehler von Neuanfängern vermeiden kann, die viel Geld kosten können. Oft die gleichen, die man früher selbst gemacht hätte, daher ja die Erfahrung. Aber es ist auch so, dass man bis zu einem gewissen Alter, das unterschiedlich sein kann, eine Mehrfachbelastung einfach besser verkraftet. Man hat auch seine Arbeit, seine Familie und soziales Umfeld und Engagement so eingerichtet und aufgebaut, dass es machbar ist. Wenn dann Jahre vergehen wird es immer anstrengender das alles parallel aufrecht zu erhalten. Man will auch erst mal auf nichts verzichten, es macht ja auch noch Spaß, aber es kostet immer mehr Energie. Ich habe den Zeitpunkt verpasst manches Engagement rechtzeitig zu beenden, weil es zu viel wurde. Ich habe gedacht: Ja, jetzt noch die 3 Jahre, du hast es ja schon 14 Jahre lang gemacht, z.B. das Ältestenamt, jetzt lässt du die anderen nicht hängen, gerade jetzt wo es um den Kirchenumbau geht.
Problematisch wird es dann wenn du in deinen Gedanken nicht mehr von den Problemen los kommst. Wenn du das Gefühl hast, dass du immer mehr Druck verspürst und keine Lösung mehr siehst, wenn du nachts nicht mehr schlafen kannst, dir Notizen machst oder E-Mails schreibst und schweißgebadet aufwachst, wenn du mehr Cola oder Kaffee trinkst um dich wach zu halten. Das sind Alarmzeichen. Die Menge der Belastungen die jeder verkraftet ist dabei unterschiedlich. Wo der eine schon seine Grenzen sieht kann ein anderer vielleicht noch drüber schmunzeln. Aber Vorsicht, ein „Burnout“ kann jeden treffen. Ich hatte bei meinen Arbeitgebern schon 8 Vorgesetzte, ich habe schon stahlharte Typen umkippen sehen. Noch was vorab: Eine der häufigsten Todesursachen in Deutschland ist der Suizid, also Selbstmord (Wikipedia), na, auch so überrascht wie ich? Und in Berichten der Tageszeitungen und Magazine liest man, dass bis zu 30% der Arbeitnehmer mit Überlastungsproblemen und / oder Burnout Symptomen kämpfen. Das kommt nicht von ungefähr. Das ist keine Panikmache. Ich sage nur aus eigener Erfahrung: Aufpassen und hinschauen wann es anfängt und dann nicht einfach blind weitermachen, weil man selbst ja der Stärkste ist, sondern überlegen wie man zurückfahren kann. Man will ja deswegen nicht gleich alles hinschmeißen (ist auch eine Lösung), aber was zu viel ist, ist zu viel, und ein gutes und verantwortungsvolles Umfeld versteht das auch. Dabei reagiert jeder anders und die individuellen Belastungsgrenzen sind sehr unterschiedlich.
Letztendlich lag es nicht an einer der Baustellen allein, aber an der Summe der Belastungen. Schuld haben am Ende auch nicht die anderen, sondern man selbst. Natürlich gibt es individuelle Rahmenbedingungen und ich weiß von meiner Kindheit, wie es ist, wenn die Eltern jeden Cent (damals Pfennig) umdrehen müssen, weil am Ende vom Geld immer noch so viel Monat übrig ist. Aber nichts ist so wichtig wie die eigene Gesundheit. Bei manchen Dingen, die du als selbstverständlich voraussetzt oder annimmst merkst du erst wie wichtig und wertvoll sie sind, wenn du sie nicht mehr hast. Das kann von heute auf morgen passieren.
Mein damaliger Laufpartner hatte mir auch von einer Situation in einer Nachbarabteilung in seiner Firma erzählt. Einer der Kollegen dort hatte einen Herzinfarkt. Tot. Einfach so. Keine zweite Chance. Einfach nicht mehr da. Frau und 2 Kinder bleiben alleine zurück. Er war auch immer locker drauf und immer mit der Ruhe. Alle waren wie erstarrt. Große Trauerfeier mit Ehrung und allem Drum und Dran. Nur hat er eben nichts mehr davon und seine Familie auch nicht. Ich weiß genau wie gut es mir geht, ich darf noch hier sein und diese Buch schreiben. Und ich hoffe ihr macht was für euch draus.
Ja, ich bin etwas vom Thema mit den vielen Baustellen abgekommen. Dann fehlte nur ein für mich schwerwiegender Auslöser und die Talfahrt konnte beginnen.
Meine damalige Situation kann man schematisch wie im Bild auf der nächsten Seite darstellen. Alles zieht gleichzeitig an dir und du denkst du kommst da nicht raus aus deiner Verantwortung. Das mit dem „NEIN“ sagen hat damals noch nicht geklappt.
Vielleicht findet ihr euch zumindest in manchen Teilen wieder.
Bitte einsteigen. Türen schließen und anschnallen, die Talfahrt beginnt jetzt:
Ende 2010, wie gegen Ende jeden Jahres machen wir die Budgetplanung für das Folgejahr. In diesem Jahr habe ich noch verschiedene Restprojekte, die sich teilweise verzögert haben oder noch laufen. Ich kann mich gar nicht so richtig intensiv um die Detailplanung für die kommenden Projekte kümmern, das läuft alles so nebenbei, weil die aktuellen Baustellen bei den laufenden Projekten eben wichtiger sind. Für das nächste Jahr habe ich ein wirklich großes und komplexes Umbauprojekt mit einem Budget über knapp 5 Mio., in mehrere Stufen, das insgesamt fast zwei Jahre laufen wird und immer im laufenden Betrieb umzubauen ist. Mit Testphasen an Wochenenden und montags geht der Betrieb weiter. Dazu zwei mittlere über ca. drei und eine Mio. eines davon im Ausland, den üblichen Kleinkram und die laufenden Projekte eben.
Alle diese Projekte werden vom Vorstand genehmigt und ich darf ab Februar 2011 dann loslegen. Im Frühjahr merke ich, dass sich bei der Planung eines Projektes ein Maßfehler eingeschlichen hat, das ganze Konzept und die Planung stehen in Frage. Ich fahre vor Ort, messe alles nach und entwickle eine Lösung die der ursprünglichen ähnelt. Das ganze zieht sich bis Mai hin. Parallel läuft die Detailplanung zu dem 2 Jahresprojekt. Dort gibt es längere Probleme mit einer Bühnenstatik, die geprüft werden muss. Dann noch das dritte im Ausland. Dort sind auch Probleme mit dem Gebäudedach aufgetreten, ggf. muss der gesamte Niederlassungsstandort an anderer Stelle neu konzipiert werden. Für die Projekte in diesem Land war seither immer nur ich verantwortlich.
Im Mai beginnen die schlaflosen Nächte. Notizzettel neben dem Bett. Meine Frau sagt: „Was soll das, bist du verrückt?“ „Wenn ich mir die offenen Punkte aufschreibe, dann kann ich eher schlafen, weil ich nicht laufend daran denke.“ Juni / Juli- die Detailplanung für das Umbauprojekt sind in vollem Gange, im September gehen die ersten Testwochenenden los, insgesamt zehn Stück mit ab und zu einem Wochenende Pause. (Ich frage mich manchmal, wie die Monteure der Zulieferer das alle durchhalten, aber die haben dann halt immer das eine Projekt am Hals und nicht fünf bis zehn).
Die scheiß Statik für die Bühne ist immer noch nicht fertig, die Zeit läuft davon. Wenn wir was verstärken müssen reicht die Lieferzeit nicht mehr aus und der Gesamtterminplan kippt!
Im Juli kommt dann eine Hiobsbotschaft: Ich habe nochmal ein paar Fotos von dem Standort mit dem Umbauprojekt im Versand angefragt. Verdammter Mist, da sind ja Rauchabzugsöffnungen in der Decke, wo wir den Einbau machen wollen. Verdammt, die hatte ich vor lauter Maßkontrolle und Alternativlösung übersehen. Einfach übersehen. Rauchabzüge 2x6m, nicht beachtet. Ich dachte wir haben noch genug Abstand zur Hallendecke, dass das nicht ins Gewicht fällt. Wäre auch so gewesen, wenn das erste Höhenmaß gestimmt hätte, hat es aber nicht. Und nach der Maßkorrektur habe ich die Rauchöffnungen einfach vergessen. Die Lösung kippt!
9 Monate Planung für die runde Tonne! Ein Teil der Gewerke schon bestellt. Verträge müssen storniert werden. Scheiße! So einen dicken Bock hatte ich noch nie geschossen. Eine knappe Mio. an die Wand gefahren. O.k., die Gelder waren nicht verloren, aber ein ganzes Jahr und die ganze Arbeit und die Zulieferer waren sauer. Die Zeit mit den nächtlichen Schweißattacken beginnt und ich liege morgens manchmal nass geschwitzt im Bett, es war nicht die Sommerhitze. Der Magen meldet sich: Schleimhautentzündung, nervöse Magenbeschwerden. Meine kleinen nervösen Ticks im Gesicht nehmen wieder zu.
Der Chef ist zwar nicht gerade begeistert, logisch, reagiert aber sehr rational und wir suchen zusammen einen gangbaren Weg aus der Lage. Es gab keinen Druck oder irgendwelche Repressalien. Hätte auch nicht zu ihm gepasst. Da geht es in manchen Firmen anders zu.
Sommerurlaub, ich kann nicht abschalten, nach 2 Wochen fahre ich nach Hause (hatte nur kürzer gebucht), die Familie bleibt noch. Die Testwochenenden des Umbaus beim anderen Projekt stehen an, wenn ich zurückkomme. Die Testwochenenden der ersten großen Umbauphase verlaufen durchweg gut, es gibt keine größeren Probleme, die Zusammenarbeit mit den Kollegen vor Ort und den Zulieferern ist optimal. Endlich mal wieder ein Lichtblick. Aber die 9 Wochenenden zehren. Ich habe damals einen Fehler gemacht. Ich wollte die Sonderurlaubstage aufsparen und habe zwischendurch keine Auszeit genommen, ein Fehler mit fatalen Folgen.
Das schlauchte inzwischen. Dieses Wochenende vor dem geplanten Urlaub in St. Peter Ording hatte sich um eine Woche verschoben, d.h. die Testarbeiten. Eigentlich wollte ich schon am Samstag mit der Familie in Herbsturlaub an die Nordsee fahren. Musste ich dann aber auf Montag verschieben und schickte die Familie bereits vor. Nachdem die Anlage am Montag gut in Betrieb ging bin ich dann selbst direkt nach St. Peter Ording (SPO) nachgefahren. Schlechtes Wetter an diesem Montag. Bin dann nochmal 9h im Auto unterwegs. Als ich ankomme nur noch ins Bett und ausschlafen. Ab dem nächsten Tag geht´s dann wieder ganz gut. Die Strapazen stecken noch etwas in den Knochen. Aber ich kann auch etwas abschalten.
St. Peter Ording (SPO) Urlaub: Der Urlaub ist ganz o.k. Es waren von vorne herein wegen der Inbetriebnahme Phasen im Geschäft nur ein paar kleinere Reparaturarbeiten geplant, dafür aber Strandspaziergänge und etliche Stücke Torten (in SPO gibt es die besten Torten, die ich bisher finden konnte), und steife Brisen, die den Kopf frei blasen. Das tut gut. Dann, nach 5 Tagen Kurzurlaub geht es wieder nach Hause. Der nächste Inbetriebnahme Schritt steht an. Danach ist die erste Baustufe fertig und ich bin erst mal so richtig erleichtert. Uff, geschafft!
Aber der Kopf ist nicht frei. Die Planung für das nächste Jahr ist schon wieder in vollem Gange. Projekte im Ausland, jede Menge. Irgendwie sieht es so aus als wäre es noch mehr als in diesem Jahr. Und da hatte ich es kaum geschafft. Und jetzt war ich ziemlich am Ende, die Nächte unruhig, manchmal diese blöden Schweißausbrüche, beim Aufwachen immer wieder diesen Berg voll Arbeit vor mir. Und ich hatte doch dieses eine Projekt im Juli an die Wand gefahren, wenn das wieder passiert….
Die Angst nimmt zu. Das war anders als die Jahre zuvor. Da hatten wir ja auch immer viel Arbeit, aber irgendwie war es immer zu schaffen. Jetzt hatte ich das erste Mal …..Angst! Egal was ich versuchte, ich wurde sie nicht wirklich los. Ablenkungsmanöver halfen nichts. Und durch die schlaflosen Nächte rutschte ich immer tiefer in ein Loch. Die Konzentration ließ nach und ich brauchte für manche Arbeiten doppelt so lange. Die Anzahl an Notizzetteln wuchs exorbitant. Manchmal hatte ich an 3 Stellen das gleiche notiert. Ich blickte nicht mehr durch. Ich wusste nicht mehr wie ich da alleine rauskommen sollte. Allen anderen Kollegen ging es ja ähnlich. Also kann ich nichts abgeben. Allerdings war der Zustand bei den anderen nicht so chaotisch, wie inzwischen bei mir.
Anfang November hatte der Chef dann Geburtstag und wie üblich in der Abteilung gab es einen Umtrunk. Er teilte uns dabei mit, dass er vor 2 Jahren geplant hat im nächsten Jahr in den Vorruhestand zu gehen. Damit hatten wir bis dahin nicht gerechnet. Wir fanden das zwar alle schade und am Anfang machte sich keiner von uns darüber weitere Gedanken. Je näher der Zeitpunkt aber kam, desto mehr wuchs auch die Ungewissheit über das was danach kommen könnte. Aber wir waren ja auf der anderen Seite auch ein Spitzenteam. Das würden wir schon schaffen.
Dann am 19. November 2011 findet unsere 100 Jahre Geburtstagsfeier statt. Meine Frau und ich feiern gemeinsam mit unseren Freunden, der Familie und Kollegen, ca. 80 Personen, unseren doppelten fünfzigsten Geburtstag.
Festorganisation, Raum, Catering, Bestuhlung, Salate, Getränke, Programm, ich merke wie ich langsam richtig nachlasse. Freitagabend richte ich mit einem Freund die Tische und Stühle im gemieteten Gemeindesaal. Ich bin nicht klar im Kopf, ich habe keinen Plan. Er sagt: „Was ist denn mit dir los?“ „Mir ist schlecht, ich habe die letzte Nacht nur 4h geschlafen, hoffentlich klappt morgen alles.“ Eigentlich meinte ich damit hoffentlich halte ich durch. In der Nacht vor der Feier schlafe ich ziemlich genau 3h. Ich hoffe nur, dass ich nicht schlapp mache, ausgerechnet an unserem 100 jährigen Fest. Ich fühle mich schon jetzt so alt. Die Anspannung ist nochmal sehr hoch am Nachmittag, bis der Caterer alles da hat, die Tischdekoration, Getränke usw. Aber alles klappt.
In der darauffolgenden Nacht konnte ich wieder nur 3h schlafen und am Morgen der Feier hoffte ich, dass bloß alles gut geht. Ich war total am Ende.
Direkt bevor die Gäste um 19.00 Uhr kamen konnte ich mich noch eine Stunde hinlegen. Das half ein wenig.
Die Feier verläuft sehr schön, gute Stimmung, schönes Überraschungsgeschenk der Kollegen, das voll zu mir passt: Ytongsteine, in die Fünfeuroscheine in die Schlitze eingeschoben und mit Mörtel verspeist sind. Ich darf also alles klitzeklein hauen, das wird ein Spaß….
Ein sehr schönes Geschenk, das mit später auch noch viel weiterhilft ist ein Bild mit Donald und Daisy. Die Fröhlichkeit des Bildes wird mich später noch oft über den Berg bringen.
Die Feier mit meiner Frau, den Kindern und mit dem „harten Kern“ geht bis 2:30Uhr, ich fühle mich eigentlich noch ganz gut. Allerdings merke ich erst am Sonntag, dass ich die ganze Zeit und nicht nur erst beim Fest nur im roten Bereich gefahren bin.
Aufräumen sonntags nach dem Fest, ich bin fix und alle.
Ich bin selig, „hey sage ich zu meiner Frau, wir haben es geschafft und das Fest war schön, und den Gästen hat es auch gut gefallen, denke ich.“
Die beiden nächsten Tage waren zu viel.
Ich will am Montag im Geschäft Mails abspeichern. Ich finde das Zielverzeichnis nicht mehr, ich muss ewig überlegen zu welchen Projekten denn diese jeweiligen Mails gehören. Ich kann mich nicht mehr konzentrieren. Mir wird übel, ich mach eine Pause, aber es wird nicht besser. Nachmittags am Montag erkläre ich noch einem neuen Mitarbeiter ein paar Punkte für sein Projekt, dann fahre ich nach Hause, fertig, erschöpft. Nicht müde, wie sonst, sondern richtig erschöpft.
Der nächste Tag verläuft genauso. Ich bringe nichts mehr auf die Reihe. Wieder ein paar Rückfragen. Um 16.00 Uhr merke ich wie ich im Kopf regelrecht zusammenbreche. Es geht nichts mehr, ich verabschiede mich früher und gehe nach Hause, sofort ins Bett. “Marliese ich bin müde, mir geht es nicht gut ich muss mich sofort hinlegen.“ Weg bin ich, es ist der 22.11.2011. Ich schlafe kaum, schwitze nachts, wache mehrmals auf.
Der Kopf rast.
Heute, mehr als 2 Jahre nach meinem Zusammenbruch muss ich sagen, ich habe die Situation damals unterschätzt. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass der letzte Schritt, der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringen würde, gerade dabei war aus dem Wasserhahn zu fallen. Du weißt den Zeitpunkt vorher natürlich nicht und du kannst es dir auch nicht vorstellen, wie es passiert und welche Auswirkungen es haben wird. Daher habe ich auch nicht damit gerechnet, dass ich schon so nahe am Abgrund stand. Und weil ich mir nicht bewusst war, was die Folgen sein werden (ging ja bis jetzt auch immer weiter), habe ich auch immer weiter versucht alles aufrecht zu erhalten. Das haben mir übrigens andere Betroffene später auch berichtet.
Auch wenn es mir heute wieder besser geht, habe ich immer noch Einschränkungen gegenüber früher. Ich kann mit ihnen zwar gut umgehen und habe soweit alles im Griff, dass ich meinen Beruf wieder ausüben kann usw., aber die hätte ich nicht, wenn ich rechtzeitig die Bremse gezogen und runtergefahren hätte. Selbst wenn es irgendwelche Konsequenzen gehabt hätte (was es in meinem Fall Gott sei Dank nicht hatte), nichts ist so wichtig, wie die Gesundheit.