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Skizze 1.1 Romantik und Reichtümer

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Es ist eine universell anerkannte Wahrheit, dass Jane Austens Roman Stolz und Vorurteil von der Liebe handelt. Weniger bekannt ist, dass dieser Roman auch vom Geld handelt.27

Im Buch wird die Handlung zeitlich nicht genau eingeordnet, und in Jane Austens Welt, die absichtlich als zeitloser Mikrokosmos konzipiert ist, taucht kein einziger Hinweis auf Ereignisse in der Außenwelt auf, anhand dessen wir ein Datum bestimmen könnten. Vielleicht war es ihr Ziel zu zeigen, dass die Angelegenheiten des Herzens (und des Geldes) zeitlos sind.

Allerdings deuten einige Indizien darauf hin, dass die Geschichte zur Zeit der Napoleonischen Kriege spielt, das heißt etwa in den Jahren 1810–1815. Die Hauptfigur ist die entzückende Elizabeth Bennet, die zweitälteste von fünf Töchtern des reichen Mr. Bennet (der Vorname des Familienoberhaupts wird nie genannt, und auch seine Frau nennt ihn Mr. Bennet). Elizabeth und ihre Familie führen das beschauliche Leben des englischen Landadels, eine Art von gepflegter Untätigkeit, die durch Bälle und Feste unterbrochen wird, und dazu gehört natürlich der Tratsch, der bei Bällen und Festen gepflegt wird. Elizabeth ist eine schöne, intelligente und natürlich unverheiratete junge Frau. Das Jahreseinkommen ihrer Familie beläuft sich auf etwa 3000 Pfund; teilt man es durch sieben Familienmitglieder (die Eltern und ihre fünf Töchter), so ergibt sich ein Pro-Kopf-Einkommen von 430 Pfund (wie in den übrigen Beispielen wird der imputierte Wert der Unterkunft, der im Fall der Bennets beträchtlich gewesen sein muss, nicht berücksichtigt). Mit diesem Einkommen zählen die Bennets zum reichsten 1 Prozent der englischen Einkommensverteilung, wenn man Robert Colquhouns Tabelle zur Sozialstruktur des frühen 19. Jahrhunderts heranzieht.28

Elizabeth hat einen reichen Verehrer namens Mr. Darcy, dessen Jahreseinkommen auf 10.000 Pfund geschätzt wird.29 Die in gesellschaftlichen Angelegenheiten bewanderte (und sehr vernünftige) Mutter von Elizabeth betrachtet ihn und seinen etwas weniger reichen Freund Mr. Bingley folglich als sehr wünschenswerte Bewerber um die Hand ihrer Tochter. Mit seinem gewaltigen Einkommen gehört Mr. Darcy mindestens zum reichsten Zehntel des reichsten Prozents der englischen Bevölkerung. Man beachte die große Kluft zwischen dem reichsten Prozent und den reichsten 10 Prozent dieses 1 Prozents oder, um George W. Bushs moderne Formulierung zu verwenden, zwischen den „Habenden und den Mehr-Habenden“. Obwohl diese Habenden und Mehr-Habenden gesellschaftlich miteinander verkehrten (und anscheinend auch untereinander heirateten), ist das Einkommen von Mr. Darcy mehr als dreimal so hoch wie das von Elizabeths Vater, und rechnet man es auf das Pro-Kopf-Einkommen um (Mr. Darcy muss nur sich selbst versorgen), so verdient er mehr als das Zwanzigfache.

Ich gebe nicht preis, wie die Geschichte ausgeht, wenn ich verrate, dass Elizabeth Zweifel an der Eignung von Mr. Darcy hat, der unmissverständlich seine „Verehrung“ für sie bekundet – eine euphemistische Umschreibung für Gefühle, die in unserer Zeit ganz anders ausgedrückt würden. Aber eine Ablehnung von Darcys Antrag hätte eine zusätzliche unangenehme Folge: Sollte Mr. Bennet ohne einen direkten männlichen Erben sterben, so sieht das englische Erbschaftsrecht vor, dass das Haus und das gut funktionierende Anwesen an seinen widerwärtigen Vetter fallen, den Pastor William Collins. Dann müsste Elizabeth von ihrem eigenen Einkommen leben, das heißt von ihrem Anteil an den 5000 Pfund, die ihre Mutter als Mitgift in die Ehe mitgebracht hat. So schätzt Pastor Collins, der übrigens ebenfalls ein aussichtsloser Verehrer von Elizabeth ist, ihr persönliches Vermögen auf etwa 1000 Pfund. Collins geht von einer Rendite von 4 Prozent aus und schätzt ihr jährliches Einkommen auf 40 Pfund. Das wäre ein eher dürftiger Betrag, etwa das Doppelte des englischen Durchschnittseinkommens zu dieser Zeit. Er entspräche dem Einkommen der Familie eines Landvermessers oder eines Seemanns der Handelsmarine.30

An diesem Punkt kommt die Abwägung zwischen Liebe und Wohlstand ins Spiel. Betrachten wir die Situation mit den Augen von Elizabeths Mutter, der das Wohl ihrer Tochter am Herzen liegt. Auf der einen Seite kann Elizabeth Mr. Darcy heiraten und von seinem jährlichen Einkommen von 5000 Pfund leben (wir können annehmen, dass sie selbst keine finanziellen Beiträge leisten wird und dass Darcy sein Einkommen zu gleichen Teilen mit Elizabeth teilen wird.) Auf der anderen Seite kann sie in eine Situation geraten, in der sie in den Augen ihrer Mutter ein Leben in unausweichlicher Armut führen wird, da sie von weniger als 50 Pfund im Jahr leben müsste. Das Verhältnis zwischen diesen beiden Ergebnissen ist verblüffend: Das eine Einkommen wäre mehr als hundertmal so hoch wie das andere. Angesichts dessen kommt die Alternative, nicht zu heiraten oder auf den idealen Partner zu warten, nicht in Frage. Elizabeth müsste Darcy wirklich verabscheuen, um das Geschäft auszuschlagen, das er ihr stillschweigend anbietet!

Nun müssen wir uns fragen, ob die Dinge heute wirklich vollkommen anders liegen. Um Stolz und Vorurteil im heutigen Großbritannien anzusiedeln, müssen wir uns nur die gegenwärtige Einkommensverteilung ansehen. Die reichsten 0,1 Prozent der Briten erzielten im Jahr 2004 ein jährliches Pro-Kopf-Einkommen von rund 400.000 Pfund nach Steuern, und das reichste 1 Prozent verdiente immer noch durchschnittlich 81.000 Pfund, während das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen der Briten bei 11 600 Pfund lag. Den Heiratsantrag eines modernen Gegenstücks von Mr. Darcy auszuschlagen, wäre immer noch sehr teuer, obwohl die Kosten heute bei weitem nicht mehr so schockierend wären wie zu Jane Austens Zeit: Das Verhältnis zwischen den Einkommen der reichsten 0,1 Prozent und denen, die das Doppelte des Durchschnittseinkommens erzielten, beträgt heute nicht mehr 100 zu 1, sondern nur noch 17 zu 1.

Jane Austen beschreibt also eine allzu vertraute und zeitlose Abwägung zwischen Romantik und Reichtümern, aber aus der von ihr erzählten Geschichte können wir auch schließen, dass der Einsatz von Zeit zu Zeit verschieden und abhängig von der Einkommensverteilung der Gesellschaft ist, in der man lebt. In Gesellschaften, in denen die Einkommen gleichmäßiger verteilt sind, können wir davon ausgehen, dass in Heiratsdingen die Liebe in der Mehrheit der Fälle Vorrang vor dem Geld hat. Folglich müsste in sehr ungleichen Gesellschaften das Gegenteil der Fall sein. Existiert die Liebe in sehr ungleichen Gesellschaften also nur außerhalb der Ehe? Mit dieser Frage wollen wir uns in der folgenden Skizze befassen.

Haben und Nichthaben

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