Читать книгу Spiritualität Raum geben - Brigitta Schröder - Страница 8
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Prüfend stelle ich mir die Frage, ob ich in meinem Alter nochmals ein weiteres Buch schreiben möchte. Vom Kohlhammer Verlag ist der Wunsch an mich herangetragen worden, das Thema »Spiritualität« in einfacher, praxisnaher Form zu beschreiben, Impulse weiterzugeben, um sie alltagstauglich umsetzen zu können. Das motiviert mich in Anbetracht einer ganzheitlichen Sichtweise darüber nachzudenken, wie Menschen mit Demenz, Angehörige und Begleitende durch Spiritualität Trost, Geborgenheit, Halt und Ermutigung vermittelt werden kann.
Je länger ich mich damit beschäftige, desto eindeutiger spüre ich, dass es sinnvoll ist, der »Spiritualität« praxisnahe Impulse zu geben, um diese nach Bedarf individuell und kreativ umzusetzen. Solches Vorgehen gibt Orientierung, ist wie ein Anker und bereichert das Geben und Nehmen. Es ist keine Frage der Zeit, sondern eine der Haltung, letztere ist entscheidend. Wer sich Zeit nimmt, gewinnt Zeit!
Ich freue mich und bin allen Personen sehr dankbar, die für dieses Buch persönliche, wertvolle Beiträge zur Verfügung gestellt haben. Sie beschreiben in Offenheit den Weg ihrer Spiritualität und wie sie das Erfahrene leben lernen. Ihre Texte sind eine besondere Bereicherung, stärken und ermutigen, den eigenen Weg zu suchen, zu finden und zu gehen.
Der Mensch, ganzheitlich betrachtet, ist ein körperliches und geistig-spirituelles Wesen. Brot allein gibt dem Leben noch keinen Sinn. Körper und Seele benötigen stärkende Nahrung. Das ist in den unterschiedlichsten Lebensphasen zu beachten, besonders wenn Menschen ihre Privatsphäre, ihr Zuhause aufgrund ihres Alters und ihrer besonderen Lebensumstände verlassen müssen, um in eine Einrichtung einzuziehen. Aus diesem Grund liebe ich den Slogan dieser Institution, in der ich wöchentlich beim Besuchsdienst ein- und ausgehe: »Mehr Leben statt Pflegen«.
Menschen mit Demenz benötigen in ihrem Dasein eine ganzheitliche Begleitung. Sie spüren und nehmen Wertschätzungen viel besser wahr, als wir denken. Sie leben nur auf einer anderen Daseinsebene und sind wie Seismografen. Menschen mit Demenz haben, trotz ihrer Veränderungen, das Recht wertschätzend und individuell begleitet zu werden und weiterhin als Persönlichkeit in der Gesellschaft Integration und Teilhabe zu erleben.
Mein Anliegen ist es, eine praxisnahe Unterstützung anzubieten, um individuell und prozessorientiert vorzugehen, um eine Haltung zu entwickeln, die bei jedem persönlich beginnt und durch Selbstreflexion zu mutigen Schritten in die Selbstannahme und Selbstliebe führt.
Das erste Buch mit dem Titel »Blickrichtungswechsel. Lernen mit und von Menschen mit Demenz« ist 2010 im Selbstverlag veröffentlicht worden. Der Kohlhammer Verlag hat die Publikation der 2. Auflage übernommen, was mich spürbar entlastet hat. Inzwischen ist die 4. Auflage erschienen.
2010 hatte ich genügend Zeit, mich mit dem damals für mich ganz neuem Thema, das mich faszinierte, zu beschäftigen. Ich bin dankbar, dass mir der Verlag für dieses Buch eine Lektorin zur Seite gestellt hat.
In der Zwischenzeit sind über Demenz so viele Bücher, wissenschaftliche Arbeiten und Konzepte geschrieben und Projekte durchgeführt worden. Entscheidend ist für die heutige Gesellschaft, besonders auch im Umgang mit Menschen mit Demenz, eine Haltung zu entwickeln, die von der Absicht und dem Ziel bestimmt ist, den Menschen in seiner individuellen Vielfalt und Eigenständigkeit wahrzunehmen, zu achten und leben zu lassen. Selbstreflexion ist zu fördern, um Eigenverantwortung zu übernehmen.
Vielfach wird mit dem Finger auf Andere gezeigt, z. B. auf Politiker: diese sollen, müssen, haben das oder jenes zu tun. Das jedoch ist einfacher gesagt als getan. Wie schnell wird vergessen, dass drei Finger auf mich selbst gerichtet sind, wenn ich mit einem Finger auf Andere zeige. Sichtbar wird zugleich, dass es bei mir selber, beim Einzelnen anfängt. Ich gehöre zum Ganzen und bin mitverantwortlich, wie die Gesellschaft sich weiterentwickelt.
Einen individuellen Blickrichtungswechsel einzuüben ist ein lebenslanger, lernender, authentischer Prozess. Ein erster Schritt ist, den Weg zu sich selbst zu finden. Toleranz mit sich selber einzuüben, sich ganzheitlich annehmen, sich selber zu loben und zu lieben ist für viele eine besondere Herausforderung, weil es nicht gelehrt wird. In meiner Generation wurde den Kindern und jungen Menschen vermittelt »Eigenlob stinkt!«. Ich habe es verändert in »Eigenlob stimmt!«. Das bedeutet, sich ganzheitlich mit allen Ecken und Kanten zu bejahen und sich selbst liebend anzunehmen.
Trotz meiner Bedenken will ich es wagen, meine Gedanken aufzuschreiben, denn Spiritualität hat in jeder Lebenslage Sinn gebende Bedeutung und ist ein Lebenselixier.
Mein Mentor Prof. em. Konrad Pfaff, Soziologe, Gründer des Seniorenstudiums in Dortmund, hat mich gefördert und gefordert und mir folgenden Text mit auf den Weg gegeben.
Genieße deine Spiritualität
Ich glaube an jeden Gott in jedem Menschen.
Ich glaube an die geschwisterliche Gleichheit
durch unser tiefes weites Selbst.
Ich glaube an den Anfang und den Mut.
Ich glaube an den Weg, die Reise und die Hoffnung.
Ich glaube an das Jetzt und nicht an das Vorgestern und Übermorgen.
Ich glaube verzagt.
Ich suche, zweifle, richte mich aus und auf.
Ich glaube an mein Selbst in jedem Du,
an die tiefe Basis der Verbundenheit der Erwachten.
Raum zur Selbstreflexion
Jenseits von richtig und falsch gibt es einen Ort. Dort treffen wir uns.
nach Rumi (13. Jh.)
Gott wohnt in jedem Menschen, und wenn wir ihn finden wollen, dann können wir ihm nur in den Tiefen unseres Herzens begegnen, dort ist er zu Hause. Das ist der einzige Ort, an dem Gott wohnt.
Rabindranath Tagor (1861–1914)