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Das Mädchen

Finn setzte fast wie von alleine einen großen Schritt vor den anderen. Ihm kam es vor, als ob er Siebenmeilenstiefel an seinen Füßen tragen würde. Im rasanten Tempo ging es immer an der Parthe entlang bis, ja, genau in diesem Moment ein Kuckuck, der sonst sein Tagwerk in der Kuckucksuhr, die über dem Küchentisch jenes Bauernhofes gehangen hatte, wo Finn sich mit Brühgurken vollstopfte, an die neunte Stunde erinnerte. Neun Uhr! Finn bremste seinen Laufschritt ab und der Staub des Weges umwirbelte ihn in einer Wolke.

„Verdammt, ich muss umkehren! Ich war doch am Grasbüschel Nummer Sieben an der alten Weide mit dem kleinen Menschenmädchen verabredet. Was ist, wenn sie schon wieder gegangen ist?“ Finn drehte sich auf der Stelle um und rannte, als ob es um sein Leben ginge.

Und er hatte Glück. Das Menschenmädchen wartete geduldig auf ihn. „Hallo, da bist du ja“, sagte sie freudig.

Völlig außer Atem, wie die Kinder der Fröbel-Schule nach einem 100-Meter-Lauf auf ihrem Sportplatz, keuchend und schnaufend, brachte er seine Frage hervor: „Ich bin doch nicht zu spät? Ich musste noch schnell die Treppe an der Parthenquelle putzen, den Wald sauber fegen und eine Stunde Musikunterricht bei den kleinen Meisen nehmen. Wäre ich ein großer Troll, könnte ich zaubern, aber dazu muss ich das Kraut der Bescheidenheit finden!“

Das Mädchen prustete und kicherte laut los. „Was soll denn das für ein Kraut sein? Das kenne ich nicht!“ „Ich habe auch keine Ahnung, wie es aussehen soll, aber wir werden es schon finden. Hilfst du mir dabei? Sag Mädchen, wie ist denn überhaupt dein Name?“

„Ach ja, mein Name ist Luisa und du bist Finn, stimmt das?“

„Woher weißt du das?“

„Das habe ich in einem Buch gelesen und die Kinder der Fröbel-Schule erzählten mir das auch ... Komm, machen wir uns auf den Weg.“ Und Luisa hatte, wie von Windesflügeln getragen, gleich ein paar Schritte Vorsprung.

„He, he, he, nicht so schnell Luisa, mit meinen kurzen Beinen komme ich nicht hinterher. Und wo wollen wir überhaupt hin?“

Luisa kicherte erneut. „Ich will dorthin, wo die elektrische Rennschnecke mit den Türen knallt und bimmelt, damit die Menschen ihr aus dem Weg springen.“

„Du sprichst in Rätseln! Mir stehen meine Strubbelhaare noch mehr zu Berge!“ Mit diesen Worten rannte er Luisa wieder hinterher, die bald dort ankam, wo die Menschen drängten und schubsten und Knoten bildeten.

Einige der großen und kleinen Leute schienen es eilig zu haben und doch standen sie dann wieder, als hätten sie Leim an den Füßen und könnten sich nicht vom Fleck bewegen. Irgendjemand benutzte eben ein Handy und ließ alle mithören, dass er in zehn Minuten daheim wäre. Andere stopften Pommes frites aus einer schon fast leeren Tüte in sich hinein. Und da war auch noch eine ganz geduldig wartende Omi.

Finn staunte Bauklötze. Das große graue Gebäude mit den vielen Fenstern kannte er noch nicht. „Den Bahnhof zeige ich dir später“, meinte Luisa, „erst fahren wir mit der Rennschnecke bis nach Grünau. Grünau ist ein Stadtteil der großen Stadt Leipzig.“

Finn wollte aber gar nicht nach Grünau, dazu musste er in diese lahme Schnecke auf Rädern einsteigen, die eben vor seinen Füßen ihre Türen öffnete und noch mehr Leute ausspuckte, die es eilig hatten und ihn fast über den Haufen rannten.

„Manno, wäre ich doch endlich erwachsen! Hoffentlich bringt mich diese Rennschnecke bald an den Ort, wo ich das Kraut der Bescheidenheit finden kann.“ Rums, flogen die Türen hinter ihnen zu und Luisa hatte bereits zwei Sitzplätze am Fenster ergattert. Die Omi, die an der Haltestelle schon geduldig auf die Straßenbahn gewartet hatte, war nicht schnell genug und bekam leider nur einen komfortablen Stehplatz an der Tür.

Geschichten aus dem Schwemmsandland

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