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Konstanz und Wandel über die Zeit
ОглавлениеEine Längsschnittstudie der Berner Frauenorganisationen, basierend auf 200 Namen von Aktivistinnen des Frauenstimmrechtsvereins Bern161 und des BSF, von denen für eine kollektivbiografische Auswertung allerdings nur von 72 Namen genügend Daten zur Verfügung standen, bestätigt die gezeigte Dominanz einer Herkunft aus der oberen Mittelschicht oder der Oberschicht für die Zeit vor 1945 nicht nur von Vorstandsmitgliedern, sondern auch von einem grossen Teil der Vereinsmitglieder.162 Erst nach dem Zweiten Weltkrieg traten einige Frauen auf den Plan, die aus einfachen Verhältnissen oder der Mittelschicht stammten.163 Bis dahin hatte das nur für Emma Graf (1865–1926) als Tochter einer Wirtin und eines kaufmännischen Angestellten gegolten. Für den gesamten Untersuchungszeitraum zwischen 1916/17 und 1968 finden sich im familiären Umfeld vieler Frauen einflussreiche oder gesellschaftlich anerkannte Berufe wie Arzt, Direktor, Seminarlehrer, Jurist, Oberförster und Politiker.
Die Zugehörigkeit zu einer höheren Gesellschaftsschicht kann sich auch an den Freizeitbeschäftigungen an den Stichdaten 1916/17 und 1930 ablesen, denn einige der Berner Frauen gehörten zu den ersten Automobilistinnen oder Bergskifahrerinnen. Unter den Frauenrechtlerinnen selbst finden sich überdurchschnittlich viele Akademikerinnen. Im Stichjahr 1916/17 trugen 25 Prozent der erfassten Frauen einen Doktortitel (während es im Jahr 1908 noch keine war), 1930 stieg deren Anteil sogar auf fast 38 Prozent, um sich an den restlichen Stichdaten 1945, 1956 und 1968 bei einem Drittel einzupendeln. Wie in den anderen in dieser Studie berücksichtigten Kantonen, aber vielleicht noch ausgeprägter, erweist sich in Bern der Anteil der Lehrerinnen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als dominant. 1908 und 1916/17 war der Lehrberuf sogar der einzige, der sich für die Aktivistinnen finden lässt. Ab 1930 erweiterte sich das Berufsspektrum, während der Anteil der Lehrerinnen auf rund dreissig Prozent sank. 1945 waren es sogar nur noch etwa ein Fünftel, um danach auf etwa ein Achtel zu schrumpfen. Auffällig ist nach 1945 der rapide Zuwachs der Juristinnen. Befanden sich 1945 Ärztinnen, Geisteswissenschaftlerinnen und Juristinnen zahlenmässig noch ungefähr im Gleichgewicht, wuchs der Anteil Letzterer allmählich, und zwar ganz deutlich ab dem Stichjahr 1956. Dass ab 1959 und in den 1960er-Jahren zwei Juristinnen den SVF führten, darf zweifellos als Hinweis auf den wachsenden Einfluss von Rechtsfragen in der Auseinandersetzung um das Frauenstimmrecht gelesen werden. Dazu kam, dass ab 1923 die Anwaltsprofession gesamtschweizerisch auch den Frauen zugänglich war.164
Was den Zivilstand angeht, waren die Berner Aktivistinnen lange Zeit mehrheitlich ledig. Doch schon 1930 war ein gutes Drittel verheiratet, ein Anteil, der kontinuierlich stieg. 1945 traf dies bereits auf etwas mehr als die Hälfte zu. Ab 1956 pendelte sich der Anteil der verheirateten Frauenrechtlerinnen bei sechzig Prozent ein. Soweit dies aus den hier verwendeten Daten ersichtlich ist, erhöhte sich das Durchschnittsalter nach dem Zweiten Weltkrieg: Drehte sich dieses zuvor um die 40, erreichte es 1945 ungefähr 50 und 1956 rund 54 Jahre. Da altgediente Kämpferinnen wohl bekannter und etablierter waren, mag sich hier ein Bias ergeben. Anhand von Beispielen lässt sich aber zeigen, dass etliche prominente Aktivistinnen für das Frauenstimmrecht sehr lange engagiert blieben. Dies trifft etwa für die Berner Bankierstochter, promovierte Lehrerin und Journalistin Agnes Debrit-Vogel (1892–1974) und die Sekundarschullehrerin Helene Stucki (1889–1988) zu, die von den 1910er- bis in die 1970er-Jahre aktiv blieben. In den 1930er-Jahren gesellten sich die promovierte Juristin Helene Thalmann-Antenen (1906–1976) und ab Ende des Jahrzehnts die an der Universität ausgebildete Journalistin Gerda Stocker-Meyer (1912–1997) hinzu. 1942 trat die Lehrerin und Juristin Marie Boehlen, die sich ab 1945 auch in der SP engagierte, dem Berner Stimmrechtsverein bei.165 In den 1950er-Jahren kam als weitere einflussreiche Persönlichkeit Marthe Gosteli (1917–2017) hinzu, die von 1964 bis 1968 den Berner Stimmrechtsverein und 1970/71 die Arbeitsgemeinschaft der schweizerischen Frauenvereine für die politischen Rechte der Frau präsidierte. Sämtliche Genannten blieben mindestens bis 1971 aktiv.