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Biodiversität verändert sich

Zusammenfassung

Im Laufe der Erdgeschichte entwickelten sich aus einzelligen mehrzellige Organismen und später komplexe Lebewesen. Zahlreiche ursprünglich aus dem Meer stammende Organismengruppen besiedelten das Festland. Generell nahm die gesamte Artenvielfalt auf der Erde mit der Zeit zu, wurde aber durch mehrere Massenaussterbeereignisse zwischenzeitlich wieder reduziert. Momentan erleben wir das größte Massenaussterben, welches je in der Erdgeschichte stattgefunden hat. Im Gegensatz zu den früheren Aussterbeereignissen ist dieses Mal eine einzige Art der Verursacher, nämlich der Mensch. In diesem Kapitel wird auch gezeigt, wie schwierig eine präzise Ermittlung der Zahl der tatsächlich auf der Erde existierenden Arten ist. Zurzeit sind rund 1,8 Millionen Arten bekannt. Viele Gruppen sind bisher aber äußerst lückenhaft erfasst worden. Die Gesamtzahl der Mikroorganismen, Pilze, Pflanzen und Tiere auf der Erde wird auf 10 – 20 Millionen Arten geschätzt.

Artenvielfalt im Laufe der Erdgeschichte

Der zeitliche Ablauf der Evolution kann anhand von Fossilien rekonstruiert werden. Entsprechend der vertikalen Aufeinanderfolge fossilführender Gesteinsschichten lassen sich Gesellschaften vorzeitlicher Lebewesen in eine zeitliche Reihenfolge bringen und mithilfe radiometrischer Methoden kann das Alter der Gesteine bestimmt werden. Das Vorkommen und Alter gewisser Fossilien geben zudem Hinweise, wann im Verlauf der Stammesgeschichte bestimmte Innovationen und Aufsplitterungsereignisse auftraten. Bestimmte gemeinsame Merkmale in Gruppen von Lebewesen legen nahe, dass sie ursprünglich von einer Art (oder einem Genpool) abstammen. Mit verschiedenen Ansätzen (vergleichende Anatomie, Morphologie, molekulare Techniken) können Verwandtschaftsverhältnisse sowohl zwischen Arten als auch zwischen taxonomischen Gruppen untersucht werden. Mithilfe molekularer |25◄ ►26| Schätzungen (molecular clock) lassen sich die Zeitpunkte gewisser Ereignisse auch berechnen.

Das Alter der Erde wird auf 4,5 Milliarden Jahre geschätzt. Die frühesten Fossilien von lebenden Organismen – einfache Bakterien – stammen aus ca. 3,5 Milliarden altem Gestein. In den nächsten 3 Milliarden Jahren entfaltete sich das Leben vorwiegend im Wasser. Die ersten Eukaryoten entstanden vermutlich vor 2 Milliarden Jahren. Aus Einzellern entwickelten sich Zellkolonien und schließlich mehrzellige Organismen.

Die Landbesiedelung, d.h. die Anpassungen von aquatischen Lebewesen an eine terrestrische Lebensweise, fand wiederholt und unabhängig voneinander in verschiedenen Gruppen wie Einzellern, Pilzen, Pflanzen, Schnecken und Wirbeltieren statt (Little 1990). Durch fossile Belege relativ gut dokumentiert ist die Landbesiedelung der Pflanzen vor ca. 460 – 480 Millionen Jahren (im Devon; Tabelle 2). Die Urfarne traten vor etwa 400 Millionen Jahren auf, erreichten schnell eine große Vielfalt, starben aber später wieder aus. Andere Farnarten übernahmen ihre Nischen. Die Gymnospermen (Nacktsamer) wurden erstmals in Gesteinen des Devons gefunden und wiesen während des Mesozoikums eine größere Vielfalt auf als heute. Die Gymnospermen erlebten in den letzten 100 Millionen Jahren einen Rückgang, als die Angiospermen (Bedecktsamer) eine große Artenvielfalt entwickelten. Heute gibt es etwa 800 Gymnospermen-Arten, aber rund 240 000 Angiospermen-Arten. Durch fossile Belege gut abgesichert ist die Landbesiedelung der Wirbeltiere (Tetrapoden) während des Devons, d.h. der evolutionäre Übergang von Fischen zu den Vorformen der heutigen Amphibien (Tabelle 2, S. 28 – 29).

Bei der Betrachtung der Evolution verschiedener Organismengruppen muss auch berücksichtigt werden, dass die Landmasse (die späteren Kontinente) im Verlauf der Erdgeschichte sich in der Lage auf der Erdkugel, in der Größe (durch Schwankungen im Meeresspiegel) sowie im Ausmaß der Isolation einzelner Teile verändert hat (Abb. 2). Im Zeitraum, als die Landbesiedelung von zahlreichen Gruppen stattfand, gab es eine einzige Landmasse (Pangaea). Später, als die Dinosaurier verbreitet waren, trennte sich Pangaea durch plattentektonische Kräfte in Laurasien und Gondwana auf. Die nachfolgende Isolation der Kontinente trug wesentlich zur Entwicklung einzelner Gruppen bei. Ein gutes Beispiel dafür ist der Inselkontinent Australien. Nach der Auflösung Gondwanas in die einzelnen Erdteile driftete die australische Platte lange Zeit weitgehend isoliert in östlicher Richtung. Ein Kontinente übergreifender Artenaustausch konnte nicht mehr stattfinden. In der Isolation Australiens|26◄ ►27| konnten so Organismengruppen überdauern, die sonst fast überall ausgestorben sind, wie etwa die Kloakentiere (Protheria). Auch die Beuteltiere (Metatheria) konnten hier überleben und entwickelten sich zu einer artenreichen Gruppe, während es mit Ausnahme weniger Arten in Amerika auf der Erde sonst keine Vertreter dieser einstmals weit verbreiteten Gruppe mehr gibt.


Abb. 2: Anordnung der Landmasse in der Trias, frühen und späten Kreidezeit sowie in der Neuzeit (nach Cloud 1978).

Fossilien belegen die Zu- und Abnahmen in der Diversität einzelner Gruppen. Neue Arten haben sich entwickelt, viele sind auch wieder ausgestorben. In Organismengruppen, über die aufgrund von Fossilfunden ausreichende Erkenntnisse vorliegen, ist die Artenzahl seit ihrem ersten Auftreten meistens angestiegen. Die heute lebenden Pflanzen- und Tierarten machen – je nach Schätzung – weniger als 1 % bis maximal 4 % der Arten aus, die jemals auf der Erde gelebt haben. Das Aussterben einer Art ist demnach ein fast ebenso häufiges Ereignis in der Erdgeschichte wie das Erscheinen einer neuen. Es gab aber auch Phasen der Abnahme der Diversität. Aufgrund der Fossilienfunde konnten in der Vergangenheit mindestens sechs Aussterbeereignisse, die sich innerhalb bestimmter Erdepochen auf relativ kurze Zeitabschnitte konzentrierten, dokumentiert werden (Abb. 3). Ein solches Massenaussterben ereignete sich beispielsweise am Ende des Perms vor rund 250 Millionen Jahren. Damals verschwanden in den marinen Flachwasserbereichen rund 90 % aller Wirbellosen. Ein weiteres Massenaussterben gab es am Ende der Kreidezeit vor rund 65 Millionen Jahren, als die Dinosaurier verschwanden. Heute befinden wir uns mitten in einem weiteren Massenaussterben. Es wird geschätzt, dass im 21. Jahrhundert zwischen 10 000 und 25 000 Arten jährlich auf der Erde aussterben; dies entspricht ein bis drei Arten pro Stunde. Das Artensterben verläuft gegenwärtig mindestens tausend Mal schneller als jemals zuvor in der Erdgeschichte. Zudem wird im Unterschied zu den früheren Ereignissen das jetzige Massenaussterben durch eine einzelne Art verursacht, nämlich durch den Menschen. Die Ursachen für das zurzeit stattfindende Massenaussterben werden detailliert in Kapitel 8 behandelt.

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Tabelle 2: Entwicklung der Artenvielfalt im Verlauf der Erdgeschichte

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Abb. 3: Die Zahl der Familien mariner Tiere hat im Lauf der Erdgeschichte zugenommen, wurde aber mehrmals durch Perioden massenhaften Artensterbens reduziert (beziffert mit 1 bis 6). Die aktuelle Reduktion (gestrichelt) ist nicht mit Fossilien belegt (ergänzt nach Erwin 1998).

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Nach jedem Massenaussterben waren freie ökologische Nischen vorhanden, die die Entwicklung und Entfaltung (Radiation) anderer Organismengruppen ermöglichten oder sogar beschleunigten. So konnten die landlebenden Säugetiere nach dem Aussterben der Dinosaurier die frei werdenden Nischen besetzen und eine sehr große Artenvielfalt entwickeln.

Veränderung der Biodiversität in neuester Zeit

Die globale Klimaerwärmung wird die regionale Biodiversität in kurzer Zeit verändern (Kapitel 8). Der Klimawandel verändert sowohl die Verbreitung von Arten als auch die Entwicklungsgeschwindigkeit der Individuen, die aus diesem Grund jahreszeitlich früher erscheinen und zum Teil mehr Generationen pro Jahr bilden (z.B. Schmetterlinge). Viele Arten zeigen eine Tendenz zur Ausbreitung in höhere Lagen. Im Alpenraum wird der Lebensraum für Arten der nivalen Hochgebirgsstufe kleiner, während sich derjenige der aus dem Tiefland und unteren Höhenlagen eingewanderten Arten nach oben ausdehnt. Insgesamt wird mit zunehmenden Temperaturen, welche ein besseres Überleben im Winter sowie eine stärkere Vermehrung und erhöhte Einwanderung im Sommer ermöglichen, die Anzahl neuer Arten in den Alpen zunehmen. Diese Arten dürften aber in ihrem Herkunftsgebiet meist noch häufig sein. In den Alpen und in anderen Gebirgen werden jedoch gefährdete Arten verloren gehen. Dies sind kälteadaptierte Endemiten (siehe Exkurs: Endemische Arten), die ihre ökologische Nische verlieren, oder konkurrenzschwache Arten, die von einwandernden Arten verdrängt werden. Diese Verluste – auch wenn sie vergleichsweise eher wenige Arten betreffen – sind qualitativ gravierender für die weltweite Biodiversität als die lokalen quantitativen Gewinne durch die zahlreichen Einwanderer.

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Endemische Arten

Eine Art, die nur in einem einzigen Gebiet vorkommt, bezeichnet man als in diesem Gebiet endemisch (= Endemit). Manche Arten sind nur in einem sehr kleinen Gebiet anzutreffen, z.B. auf einer Insel, in einem Vulkankrater, auf einem Berggipfel oder in einem See, während andere Arten in einem sehr großen Gebiet endemisch sind (z.B. in Australien oder Südamerika).

Beispiele für Endemiten mit geschätzter Arealgröße:

Österreichische Miere (Minuartia austrica), eine Pflanze in den Ostalpen:mehrere 100 km2
Komodo-Waran (Varanus komodoensis), Riesenechse auf vier kleinen Inseln im Indonesischen Archipel:mehrere 10 km2
Schweizer Goldschrecke (Podismopsis keisti), eine Heuschreckenart auf Kalkfelsrasen im Churfirsten-Gebirge, Schweiz:wenige km2
Canariella jandiaensis, eine Schneckenart in Felshängen des Jandia-Gebirges auf Fuerteventura, Spanien:weniger als 1 km2

(Quellen: Alonso et al. 2006; Sauberer et al. 2008)

Da Endemiten einmalig und unersetzbar sind, haben Staaten mit endemischen Arten eine besonders hohe Verantwortung für deren Erhaltung und Schutz.

Die in den letzten Jahrhunderten gestiegene Mobilität und der globalisierte Handel führen immer häufiger zum Auftreten von nicht-einheimischen Arten. Ein großer Teil dieser nicht-einheimischen Arten stirbt am neuen Standort bald wieder aus. Häufig ist es auch so, dass wenige Individuen für längere Zeit an einem Ort überdauern, aber kein erkennbares Populationswachstum zeigen. Einige nicht-einheimische Arten vermehren sich am neuen Standort stark und vergrößern ihr Areal auf Kosten der einheimischen Arten (Kapitel 8). Diese sogenannten invasiven Arten wirken sich nachteilig auf die ursprüngliche Biodiversität aus, verursachen wirtschaftliche Schäden und/oder schädigen den Menschen gesundheitlich. In der Regel erhöhen eingeführte Arten nicht die lokale Biodiversität, sondern reduzieren die Vielfalt.

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Wie viele Arten gibt es?

Unsere Kenntnisse über die einzelnen Artengruppen sind sehr unterschiedlich. Große, auffällige Organismen und solche von wirtschaftlicher oder medizinischer Bedeutung (Schädlinge, Krankheitserreger) sind relativ gut erforscht. Riesige Wissenslücken gibt es hingegen bei kleinen, eher unscheinbaren Organismen und solchen, die Lebensräume bewohnen, welche für Menschen schwer zugänglich sind (Boden, Tiefsee, Kronendach des tropischen Regenswaldes). Momentan sind etwa 1,8 Millionen Arten bekannt (Tabelle 3, S. 35). Bei den Pflanzen dürfte ein großer Teil der Arten entdeckt und beschrieben sein. Bei den Mikroorganismen (Prokaryoten), Pilzen und verschiedenen Gruppen von wirbellosen Tieren (Würmern, Milben, Insekten) ist hingegen nur ein Bruchteil der zu erwartenden Arten wissenschaftlich beschrieben. So wird beispielsweise angenommen, dass bisher nur etwa 1 % der Mikroorganismenarten bekannt ist. Die tatsächliche Zahl aller auf der Erde existierenden Arten kann deshalb nur geschätzt oder hochgerechnet werden. Mit unterschiedlichen Ansätzen wurden Schätzwerte von 5 Millionen bis über 100 Millionen Arten ermittelt (Streit 2007, Nentwig et al. 2009). Zur weiten Streuung dieser Schätzwerte tragen einerseits die große Unsicherheit in der Zahl der Mikroorganismen bei und andererseits die vielen Insektenarten, die in den Baumkronen tropischer Regenwälder leben, aber noch weitgehend unbekannt sind. Werden die neueren Schätzungen betrachtet, können wir davon ausgehen, dass auf der Erde die Gesamtzahl der Mikroorganismen, Pilze, Pflanzen und Tiere in der Größenordnung von 10 bis 20 Millionen Arten liegen dürfte.

Die 1,8 Millionen bekannten Arten bedeuten, dass bisher jede fünfte bis zehnte Art entdeckt und beschrieben wurde. Derzeit werden jährlich etwa 15 000 neue Arten wissenschaftlich erfasst. Bei derselben Arbeitsgeschwindigkeit würde es 120 Jahre dauern, bis weitere 1,8 Millionen beschrieben sind. Unter Berücksichtigung der momentan hohen Aussterberate ist es daher kaum vorstellbar, dass die vielen Millionen noch zu entdeckenden Arten mit den derzeitigen Möglichkeiten je wissenschaftlich beschrieben werden. Die großen Kenntnislücken sind teilweise auch auf das Fehlen von Fachleuten für die Systematik und Taxonomie bestimmter Organismengruppen zurückzuführen (siehe Kapitel 9).

In Anbetracht der großen Kenntnislücke über den weltweiten Artenreichtum ist es kaum erstaunlich, dass die meisten Staaten nur über grob geschätzte Werte für die Größe ihrer heimischen Artenvielfalt verfügen. Die Gründe hierfür liegen vor allem in einer nur lückenhaften Erfassung und wissenschaftlichen Beschreibung vieler Tiergruppen (vor allem bei den Wirbellosen). In den folgenden Vergleichen sind die Mikroorganismen nicht berücksichtigt. In Deutschland einschließlich seiner marinen Küstengebiete wurden bisher Vertreter von 48 000 Tierarten und 28000 Pilz- und Pflanzenarten nachgewiesen (Völkl et al. 2004, www.bfn.de). Für Österreich ergab eine vorläufige Schätzung etwa 46 000 Tierarten und 21000 Arten von Pilzen und Pflanzen (Sauberer et al. 2008). In der Schweiz sind bisher rund 30 000 Tierarten und 19 000 Pflanzen- und Pilzarten bekannt (Baur et al. 2004). Laut einer Schätzung dürfte die Schweiz aber 43000 Tierarten und 27 000 Arten von Pilzen und Pflanzen beherbergen (Duelli 2004). Trotz der deutlich kleineren Flächen und des Fehlens mariner Lebensräume weisen Österrreich und die Schweiz eine ähnlich hohe Artenvielfalt wie Deutschland auf. Große Teile der beiden Binnenländer bestehen aus Gebirge mit ausgeprägten Höhengradienten und einer großen Zahl an verschiedenartigen Lebensräumen sowie einem Mosaik von kleinräumigen, extensiv bewirtschafteten Flächen. Zudem gehört in beiden Ländern der Norden dem mitteleuropäischen Klimatyp an, während der Süden bereits unter submediterranem Einfluss steht. Diese Faktoren können die Artenvielfalt wesentlich beeinflussen (Kapitel 4).

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Tabelle 3: Weltweit wurden bisher rund 1,8 Millionen Arten von Organismen beschrieben (nach Westheide & Rieger (2007), Bresinsky et al. (2008) und Nentwig et al. (2009)).

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Weiterführende Literatur

Streit B. (2007) Was ist Biodiversität? Erforschung, Schutz und Wert biologischer Vielfalt. C.H. Beck Verlag, München.

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Biodiversität

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