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Vorwort
ОглавлениеIM FRÜHJAHR 2008 habe ich mit dem »Chor am Freitag« der Trinitatiskirchengemeinde BonnEndenich die Johannespassion von Johann Sebastian Bach einstudiert. Dabei zeigten sich die Chormitglieder wegen der Texte dieser Passion irritiert. Sie fragten immer wieder nach, was es denn damit auf sich habe, dass Jesus für unsere Sünden gestorben sei, um Gott zu versöhnen.
Darum haben wir in den Proben oft dieses Thema behandelt. Auch innerhalb der Gemeinde haben wir einen Seminarabend dazu gemacht. Mir wurde deutlich, dass ein großer Bedarf an theologischer Information und an Diskussion über die Sühnopfervorstellung besteht.
Im Sommer darauf habe ich mehrere Bücher von kämpferischen Atheisten aus dem angelsächsischen Raum gelesen. Mich hat dabei gestört, dass sie sich allen Ernstes spottend darüber ausließen, der Gott der Christen lasse seinen Sohn töten, um sich selbst zu versöhnen. Mir aber erschien es seit Jahren als grundverkehrt, unseren Gott so zu verstehen. Für mich waren das Vorstellungen von früher, die ich heute weitgehend überwunden glaubte. Später stellte sich heraus, dass ich damit irrte, weil tatsächlich für viele Christen die Sühnevorstellung geradezu eine Zentrallehre des christlichen Gaubens ist.
Gegenüber Christen und Atheisten schien es mir notwendig, dieses Thema zu behandeln. Die Gelegenheit dazu hatte ich im Februar 2009, als ich eine Reihe von Morgenandachten im WDR halten durfte. Ich habe dargelegt, dass niemand an den Sühnopfertod Jesu glauben muss und dass ich persönlich auch nicht daran glaube.
Diese Morgenandachten haben polarisiert. Sie haben begeisterte Zustimmung und heftige Ablehnung bekommen. Es gab Personen, die sehr entschieden gegen meine Meinung kämpften, die kirchliche Obrigkeit zum Eingreifen aufforderten, den Rundfunkbeauftragten bedrängten, Journalisten mobilisierten und Professorenkollegen informierten. Sie haben so eine bundesweite Diskussion ausgelöst. Dafür muss man diesen Widersachern ernsthaft dankbar sein.
Ich bin in der Folgezeit zu Gemeinden eingeladen worden, wo oft vor vollem Haus über diese Frage diskutiert wurde. Mich hat das sehr beglückt. Ich erlebte viele engagierte Christen, die sich zwar kontrovers, aber authentisch und echt im Pro und Kontra um zentrale Fragen des Glauben bemühten. Eine Kirche mit solchen Christen kann keine tote, sondern muss eine sehr lebendige Kirche sein. Aber ich habe auch gemerkt, dass ein Abend nicht reicht, um die Fragen gründlich genug zu beantworten. So entstand bei mir der Entschluss, das zu tun, was ich nie in meinem Leben machen wollte: ein Buch zu schreiben.
Man kann dieses Buch verstehen als ein Ergebnis der vielen Diskussionen und Gespräche in den Gemeinden. Man findet darin kaum etwas, was nicht irgendwo in dieser Zeit von mir oder Gesprächsteilnehmern schon gesagt worden wäre.
Es ist ein Buch für die Gemeinde, nicht für die Wissenschaft. Auf alle Anmerkungen habe ich verzichtet, ich habe auch keine wissenschaftliche Literatur angegeben. Und wenn Sie ziemlich am Anfang die Abschnitte von der »Kondeszendenz« und der »Inkulturation« gelesen haben, ist auch so gut wie Schluss mit Fremdwörtern und theologischen Fachbegriffen. Ich habe mich bemüht, für interessierte Menschen ohne große theologische Vorbildung verständlich zu schreiben.
Nun muss man auch nicht alles lesen. Das Inhaltsverzeichnis kann helfen, zügig zu den Punkten vorzudringen, die besonders interessieren. Man muss dieses Buch auch nicht in einem Stück lesen.
Für den einen oder anderen sind vielleicht ganz ungewohnte und neue Thesen darin enthalten. Manchen erscheint dies oder das als Gefahr für ihren Glauben. Wer spürt, dass ihn irgendetwas zu sehr verunsichert, sollte das Buch einfach eine Zeitlang weglegen und erst später wieder zur Hand nehmen, wenn er sich mit dem Gelesenen ausreichend innerlich auseinandergesetzt hat. Man kann auch einen Bleistift nehmen und durchstreichen, was einem als falsch erscheint, oder markieren, was als richtig akzeptiert wird.
Mag sein, dass man es am Schluss so weglegt, wie ein angesehener und von mir geschätzter Professor meine Andachten zu diesem Thema weggelegt hat: »mit Widerwillen«.
Es mag aber auch sein, dass es diesem gründlichen Leser so geht, wie es mir mit der »Geschichte der Synoptischen Tradition« von Rudolf Bultmann, einem bedeutenden evangelischen Theologen im vorigen Jahrhundert, gegangen ist. Seine Theologie war für die Christen des pietistischen Milieus, aus dem ich stammte, ein großes Ärgernis. Ich war im zweiten Semester und fest entschlossen, dieses Buch zu widerlegen. Bis zur Hälfte des Buchs ist mir das auch gelungen. Dann wurde ich schwankend. Am Schluss aber war ich für die historischkritische Betrachtung der Bibel gewonnen.
Gründliche Leser werden sicher Fehler finden und viele Lücken feststellen. Ich selbst habe in den Diskussionen um meine Andachten in den letzten Monaten einiges dazugelernt. Warum soll ich schon jetzt bei der vollen Wahrheit angekommen sein! Man lernt ja hoffentlich immer noch dazu. Und es gibt ein Versprechen: Der Heilige Geist will uns immer weiter zur Wahrheit führen.
Darum nenne ich dieses Buch einen Diskussionsbeitrag.
Mag sein, dass deshalb viele ein besonders polemisches und aggressives Buch erwarten und sich vielleicht auch darauf freuen. Polemik macht mir eigentlich auch wahnsinnigen Spaß. Aber ich habe in diesem Buch ganz bewusst darauf verzichtet, polemisch zu sein, mich mit Witz und Ironie über die Andersdenkenden herzumachen. Das hängt auch damit zusammen, dass ich von meiner religiösen Herkunft her genau die Position meiner Widersacher geteilt habe und weiß, wie schwer es war, mich auf das einzulassen, was ich dann als andere Wahrheit erkannt habe.
Bei diesem Buch habe ich mich gefragt, ob ich nicht zu destruktiv bin. Das Hauptziel dieses Buches ist ja die These, dass etwas nicht geglaubt werden muss, dass die Übermacht der Sühnopfervorstellung in Theologie und Kirche beendet werden soll. Ich sage mir dann allerdings, dass, wer Ketten abnimmt, eben nicht destruktiv ist. Fesseln durchschneiden ist positiv. Ich hoffe, dass viele es als Befreiung erleben, was ich in diesem Buch mitteilen möchte. Jemand sagte mir, für ihn sei die Sühnetheologie wie ein schwarzes, schweres Tuch, das über dem ganzen Evangelium liege. Wenn es anderen auch so geht, dann möchte ich dieses schwarze Tuch gerne wegreißen. Wenn jemand durch dieses Buch entdeckt, mit wie viel leuchtenden Farben die Bibel in ihren Bildern und Deutungen das Leben Jesu vor uns malt, ist das erreicht, was ich mit diesem Buch erreichen wollte.
Mein Dank geht an die Vielen, deren Bücher ich vor Jahren gelesen und deren Vorträge ich gehört habe. Ich habe daraus Manches zur privaten Nutzung notiert, so dass mir leider auf meinen Notizen die Quellenangaben fehlen. Dieses Buch enthält daher viele Gedanken und Formulierungen, die ich von anderen übernommen habe, ohne heute noch zu wissen, von wem. Diesen anonymen Helfern gilt mein herzlicher Dank.
Die schnelle Veröffentlichung dieses Buches wäre nicht möglich gewesen ohne die freundliche Betreuung von Seiten des Verlages mit der vorzüglichen Lektoratsarbeit von Kirsten Blanck und dem professionellen Buchsatz von Winrich C.W. Clasen. Auch dafür möchte ich herzlich danken.
Bonn, am ersten Sonntag nach Epiphanias 2010 | Burkhard Müller |